Pakistanische Gewerkschaften brauchen unsere Hilfe

 

Nach dem Militärputsch in Pakistan hat sich eine Kampagne zur Verteidigung pakistanischer Gewerkschaften (PTUDC) gebildet, die weltweit bei Gewerkschaftern Unterstützung sucht.

Bei einer Spendensammlung unter den Delegierten des außerordentlichen Gewerkschaftstages der IG Medien in Kassel kam die Summe von 1865,- DM für die PTUDC zusammen.

Hans-Gerd Öfinger (IG Medien Wiesbaden) befragte einen aktiven Unterstützer dieser Kampagne, den pakistanischen Journalisten Munnoo Bhai, über die aktuelle Lage im Lande und die Verwendung der Spendengelder.

Munnoo Bhai (Jahrgang 1933) ist in seinem Lande kein Nobody. Als Kolumnist der auflagenstärksten Tageszeitung "Jang" genießt er ein hohes Ansehen, weil er kein Blatt vor den Mund nimmt und soziale Mißstände ebenso anprangert wie die Atomtests und aggressive Politik des pakistanischen Militärs. Gleichzeitig liefern ihm alltägliche soziale, Gesundheits- und Umweltprobleme den Stoff für spannende Drehbücher, die verfilmt und als Serien über das Fernsehen ausgestrahlt auch in den abgelegensten Landesteilen regelmäßig gesehen werden. Munnoo Bhai gehört zu den Mitbegründern der Journalistengewerkschaft "Pakistan Federal Union of Journalists" und wirkte an den revolutionären Ereignissen in Pakistan Ende der 60er Jahre aktiv mit. Die letzte pakistanische Militärdiktatur unter General Zia-ul (1977-88) verhängte über ihn ein Publikations- und Ausreiseverbot. Er versteht sich als Teil der Arbeiterbewegung und weiß durchaus, daß er auch jetzt wieder für ein offenes Wort Nachteile erleiden und die Wut seiner Gegner auf sich ziehen kann.

Ist unsere Spende angekommen und wofür braucht Ihr das Geld?

Munnoo Bhai: Im Namen der PTUDC möchte ich mich auf diesem Wege für die großartige Spende der Delegierten des außerordentlichen Gewerkschaftstags der IG Medien bedanken. Das ist für pakistanische Verhältnisse sehr viel Geld. Wir brauchen unter den neuen Bedingungen wirklich jede auch noch so kleine Unterstützung.
Da die Gewerkschaftslandschaft in Pakistan verglichen mit Europa sehr zersplittert und regionalisiert ist und übergreifende funktionsfähige Dachverbände hier nicht bestehen, hat die PTUDC landesweite Seminare veranstaltet, um die Vertreter möglichst vieler meist regionaler Gewerkschaften und auch Vertreter bisher unorganisierter Bereiche an einen Tisch zu bekommen und gemeinsame Aktionen und eine gemeinsame Linie zu besprechen. Am 23. Januar kamen Vertreter von 39 verschiedenen Organisationen zusammen, die Mitglieder in den wichtigsten Industrien und Dienstleistungsbereichen haben. Weitere Treffen in Islamabad und Rahimyarkan folgen. Wir brauchen auch weiter dringend finanzielle Unterstützung, um Informationsmaterial wie Plakate und Broschüren zu produzieren und die Arbeit mit Hauptamtlichen und eigenen Büros auf eine professionelle Basis zu stellen.

Warum reagierte die Masse der Bevölkerung bisher so gleichgültig auf die neue Militärdiktatur?

Munnoo Bhai: Die Putschisten haben diesen Putsch sehr überstürzt und wenig planvoll durchgeführt, nachdem der bisherige rechte Premierminister Nawaz Sharif die Anordnung erteilt hatte, das Flugzeug mit General Musharraf an Bord nicht landen zu lassen. Es hatte nur noch geringe Treibstoffvorräte und drohte abzustürzen. So trat Musharraf die Flucht nach vorne an und putschte. Bisher haben die neuen Herrscher noch nicht die entscheidende Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften gesucht. Zum anderen jedoch war die Masse der Bevölkerung zermürbt und gleichgültig geworden, nachdem sich jahrelang unter "demokratischen" Verhältnissen seit 1988 die Lebens- und Arbeitsverhältnisse sehr verschlechtert haben. Niemand weinte der alten Regierung eine Träne nach.
Laut Weltbank gehört der indische Subkontinent zu den Gebieten mit der größten Armut, Analphabetenrate und Frauenunterdrückung. Doch der Wahnsinn geht weiter: unter dem Diktat von IWF und Weltbank haben alle verschiedenen Regierungen in Pakistan in den letzten Jahren massiv Staatsbetriebe privatisiert und Arbeitnehmerrechte abgebaut. Wo immer sich Widerstand regte, mußten aktive Gewerkschafter mit ihrer Kündigung rechnen - in einigen Fällen wurden Gewerkschaftsführer durch bezahlte Killer ermordet. Die herrschende Klasse zeichnet sich aus durch Korruption, Drogenhandel und gezieltes Ausplündern des Staates. 64% der Staatsausgaben entfallen auf den Schuldendienst, 32% auf Armee und Rüstung. Aus dem, was übrig bleibt, ist kein Sozialstaat zu finanzieren. Es herrscht bittere Armut, und gleichzeitig wird der Luxus der Superreichen zur Schau getragen.
Jetzt sollen Eisenbahnen, Telekom, Wasser und Elektrizitätsversorgung, Flug- und Seehäfen, Gesundheits- und Bildungswesen wie auch Teile der chemischen Industrie privatisiert werden. Selbst Bereiche der Armee - etwa Verwaltung und Werkstätten - sollen an Private verkauft werden. Die bisherigen Erfahrungen mit Privatisierungen haben gezeigt: das geht zu Lasten von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen und zerstört ganze Industrien. Pro Jahr wächst die Arbeitslosigkeit um eine Million. Und bei IWF und Weltbank, die diese Politik diktieren, spielt die deutsche Regierung eine wichtige Rolle.

Wie siehst Du die Perspektiven für die kommenden Monate und Jahre?

Munnoo Bhai: Wenn die angekündigten Privatisierungs- und Kürzungsmaßnahmen umgesetzt werden, dann kann es schnell wieder erbitterten Widerstand auf breiter Front geben. Erste Anzeichen: Kürzlich wurden streikende Eisenbahner fünf Tage lang von der Polizei festgehalten. Im Oktober blockierten Baumwollpflücker, die aufgrund sinkender Erzeugerpreise vor dem wirtschaftlichen Ruin stehen, mehrere Stunden lang die wichtigste Fernstraße von Karachi nach Islamabad.
So kann die jetzt noch vorherrschende Gleichgültigkeit rasch in Wut und Aktion umschlagen - weil die Lebensbedingungen einfach unerträglich sind. Jedenfalls ist zu befürchten, daß das Regime mit aller Härte und Brutalität zuschlagen wird, sobald sich massiver landesweiter Widerstand regt. Dann sind wir noch mehr als bisher auf Eure Solidarität angewiesen, auf Euren öffentlichen politischen Druck, aber auch auf Gelder, um gemaßregelte Gewerkschafter und ihre Familien zu unterstützen.


Gewerkschaften im Widerstand am Beispiel Pakistan

SOLIDARITÄTSKAMPAGNE MIT PAKISTANISCHEN GEWERKSCHAFTSAKTIVISTINNEN

 

Spätestens seitdem zahlreiche TV-Reportagen und Zeitungsberichte über die Arbeitsverhältnisse in Pakistan berichtet haben, ist dieses Land zu einem Symbol für die Ausbeutung der Arbeitskräfte in der sogenannten "Dritten Welt" geworden. Die Bilder von Kindern, die unter den schrecklichsten Bedingungen und bei Hungerlöhnen Fußbälle für die Weltmeisterschaft nähten, gingen um die Welt. Pakistan - ein Symbol für Korruption, Kinderarbeit, Analphabetismus, Fundamentalismus und Ausbeutung. Aber auch ein Symbol für Widerstand und Kampf. Vor fünf Jahren wurde der Gewerkschaftsführer Syed Arif Hussain vor seiner Haustür von einer paramilitärischen Truppe ermordet. Diese Trupps sind im Regelfall von Unternehmern angeheuert und bezahlt. So wird gegen kämpferische GewerkschaftsaktivistInnen jede denkbare Art von Terror eingesetzt. Dem Mord waren Streiks und Proteste gegen Privatisierungen vorangegangen, in denen Syed, ein Unterstützer des linken Flügels der P.P.P., eine wichtige Rolle spielte. Bis zum heutigen Tag streiken wiederholt die ArbeiterInnen seiner Fabrik in Solidarität mit Syed.
Auf die Ermordung des Gewerkschafters hin wurde eine Kampagne zur Verteidigung der pakistanischen Gewerkschaften ("Pakistan Trade Union Defence Campaign") gegründet. Unter widrigsten Umständen, die nicht selten zu Gefängnisaufenthalten, Folter etc. führen, kämpfen die ArbeiterInnen der Kampagne gegen die Politik des IWF und der Weltbank, gegen Privatisierungen, Sozialabbau, Lohnkürzungen, Entlassungen, Kinderarbeit, Prostitution und gegen die Politik der Regierung Sharifs sowie jetzt gegen die Militärdiktatur Musharafs. Gerade diese wird mit speziell repressiven Mitteln gegen kämpferische Gewerkschafter vorgehen. Demzufolge stehen die AktivistInnen vor der Aufgabe, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, prominente GewerkschafterInnen zu verstecken und deren Familien versorgen.

Seit einem Jahrzehnt befindet sich die Wirtschaft auf Talfahrt, die Arbeitslosigkeit stieg und steigt rasant an (1 Mio./Jahr). Auf Geheiß von IWF und Weltbank führte die Regierung konsequent die verlangten "Reformen" (Austeritätsprogramme, Privatisierungen etc.) durch, was in einer starken Zunahme von verarmten TagelöhnerInnen endete. Die Industrie verzeichnete 1998 ein Negativwachstum und die Landwirtschaft liegt weitgehend brach. Der Schwarzmarkt ist bereits dreimal so stark wie der formelle Sektor. Drogen und Kriminalität bestimmen den Alltag des Landes. Überfälle, Bomben und Morde stehen auf der Tagesordnung. Der Analphabetismus beläuft sich auf 26 %. 40 % der Bevölkerung leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Insgesamt arbeiten ca. 20 Mio. Kinder unter 12 Jahren in allen Bereichen der Wirtschaft. Während die Militärausgaben ca. 40% des BIP einnehmen, betragen die Gesamtausgaben für Gesundheit und Bildung knappe 3 %. Laut UNO-Statistiken ist der Lebens- und Gesundheitsstandard heute niedriger als im Jahre 1857.

 

Informationen zu Qamar Zu Zaman Kahan

Qamar Zu Zaman Kahan ist der Vorsitzende der Pakistan Trade Union Defence Campaign. Seit seiner frühesten Jugend ist Qamar als Gewerkschafter und im linken Flügel der PPP (Pakistan People Party) in seiner Region Punjab aktiv. 1997 nahm er an den Parlamentswahlen für die PPP teil und wurde nur aufgrund eines massiven Wahlbetrugs geschlagen. Qamar Zu Zaman Kahan ist ein Symbol für den Kampf der pakistanischen ArbeitnehmerInnen gegen Ausbeutung und Imperialismus. Im Frühjahr 2000 möchte er direkte Kontakte mit europäischen Gewerkschaften knüpfen.

Nähere Informationen:

Hans-Gerd Öfinger (IG Medien Wiesbaden)
Tel./Fax: 0611-406807
hgoefinger@aol.com

 


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