letzte Änderung am 29. Juli 2002

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Reform von innen

Hanan Ashrawi

The Guardian

Freitag, 7. Juni 2002

Die gegenwärtigen Anstrengungen für eine Änderung des politischen Prozesses in Palästina sind weder neu noch durch Anstöße von außen motiviert. Vielmehr ist der Ruf nach einer eigenen authentischen Reform der Strukturen, Gesetze und Gerichtsbarkeit in der palästinensischen Gesellschaft seit Jahren immer lauter geworden. Politische Reformen müssen von den Palästinensern kommen. Einmischung von außen stört den nur Prozess.

Die normalen Palästinenser sind in zunehmendem Maße frustriert von den repressiven und außerhalb des gesetzlichen Rahmens operierenden Sicherheitskräften und der untauglichen Regierung der besetzten Gebiete. Während des äußerst mangelhaften Osloprozesses waren viele gewählte Regierungsbeamte für ihre Wahlkreise unerreichbar, eine Situation, die sich während der jüngsten israelischen Belagerungen zuspitzte. Mit einem Großteil von Nablus, Bethlehem und Ramallah in Trümmern, begannen sich die Palästinenser zu fragen, wie dies geschehen konnte. Wer schützt uns? Kann das alles wieder aufgebaut werden?

Die Vakuum im Vertrauen zwischen den Palästinensern und ihrer Führung kann nur durch eine Erneuerung des politischen Prozesses gefüllt werden. Allein die Karten neu zu mischen genügt nicht. Nur Reformen können die internationale Unterstützung stärken und inländische Maßnahmen vereinheitlichen, um den Herausforderungen der fortwährenden Besetzung zu begegnen.

Es wird nicht einfach sein, mitten in einem Krieg und im Gefolge der Art physischer Zerstörung, wie sie jüngst vom israelischen Militär verursacht worden ist, verfassungsrechtliche änderungen durchzuführen. Zwar ist der Wille der Palästinenser ungebrochen, aber die zivile Infrastruktur der palästinensischen Auto-nomiebehörde liegt danieder. Konservativ geschätzt liegt der durch die jüngsten israelischen Einmärsche in die Westbank verursachte Schaden der Weltbank zufolge bei 361 Mio. USD. Verglichen mit dem Leid und den Verlusten an Leben ist dies jedoch eine Kleinigkeit.

Neue Präsidentschafts-, Parlaments- und Gemeindewahlen sind unverzüglich nötig und erfordern die Registrierung von über einer Million Wählern. Jegliche Misswirtschaft, jeglicher Autoritätsmissbrauch und Missbrauch öffentlicher Mittel muss mit der Wurzel beseitigt werden. Das aufgeblähte Kabinett muss verkleinert werden, damit es leistungsfähig wird und zur Verantwortung gezogen werden kann. Sicherheitsbeamte sollen nur vier Jahre im Amt bleiben können. Es müssen Gleichheit vor dem Gesetz und eine klare Gewaltenteilung herrschen.

Der neue Gesetzesentwurf, der es dem Präsidenten oder den Sicherheitskräften unmöglich machen macht, Gerichtsentscheidungen zu beeinflussen ­ zum Beispiel, Alle, deren Freilassung angeordnet wurde, weiterhin gefangen zu halten ­ ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Durchsetzung der neuen Gesetze würde das Ende der Gerichte der Staatssicherheit bedeuten, die für ihren Mangel an ordnungsgemäßer Prozessführung und ihre Urteile im Schnellverfahren bekannt sind. Unter den Gesetzen würden auch diejenigen vor Gericht gestellt, die in außergerichtliche Hinrichtungen, einschließlich der angeblicher Kollaborateure, verwickelt sind.

Der Ruf nach einer Reform der palästinensischen Politik ist allein Sache der Palästinenser und muss mit äußerster Skepsis betrachtet werden, wenn er von anderen kommt. Aus dem Mund der israelischen Regierung ist der Ruf nach Reform unaufrichtig und dient nur ihren eigenen Interessen. Die Absicht dahinter ist, sich die Frustration an der Basis zu Nutze zu machen, um die Glaubwürdigkeit weitergehender politischer Forderungen der Palästinenser zu untergraben. Die israelische Regierung hofft auch, internationale Kritik von sich abzulenken und die Streitigkeiten unter den Palästinensern zu vervielfachen, um dadurch den militärischen Rückzug aus den besetzten Gegenden hinauszuzögern. So kurz nach den Kriegsverbrechen in Jenin und anderen palästinensischen Städten und Flüchtlingslagern ist Ariel Sharon der Letzte, der dazu befugt ist, andere im Hinblick auf einem demokratischen übergang zu beraten. Wichtiger noch, Sharon hält an "Reform" als Vorbedingung für Vermittlungen fest, um alles zu verhindern, was seine einseitigen Expansionspläne zum Scheitern bringen würde.

Da der Ruf nach Reformen von der amerikanischen Regierung kommt, ist er im Großen und Ganzen kon-traproduktiv. Das Engagement der Amerikaner ist bisher weit davon entfernt, von Prinzipien geleitet zu werden oder gerecht zu sein und das Vertrauen der Palästinenser in den Einfluss der USA ist so gering wie nie zuvor. Traditionellerweise hat die US-Regierung stets mehr als bereitwillig die Augen vor Missbräuchen innerhalb des palästinensischen Systems verschlossen, solange die palästinensischen Behörden ihre "Sicherheits"-Verpflichtungen gegenüber Israel und ihren Verpflichtungen im Rahmen des "Prozesses" nachkamen.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft und der durchschnittliche Bürger haben der palästinensischen Regierung eine unschätzbaren Gelegenheit verschafft, tief sitzende Probleme zu lösen. Will die Bewegung für grundlegende änderung erfolgreich sein, muss sie aktiv und von innen her durch Palästinenser und zu Gunsten der palästinensischen Bevölkerung gelenkt werden. Andernfalls wird sie nur reagieren und von außen zum Vorteil anderer gezwungen werden. Diese Art neo-kolonialer Einmischung kann nur ins Auge gehen.

Hanan Ashrawi ist Mitglied des palästinensischen gesetzgebenden Rates. Ian Urbina, Mitherausgeber des Middle East Report in Washington DC, war als Mitautor an dem Artikel beteiligt.

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