letzte Änderung am 02. Februar 2004

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"Als 1976 das Erdöl in Venezuela nationalisiert wurde, wurden die transnationalen Konzerne für den bereits angerichteten Schaden nicht zur Verantwortung gezogen..."

Interview mit Ana Elisa Osorio, Ministerin für Umwelt und Naturressourcen in Venezuela. Mit ihr sprach Dario Azzellini

Frage: Umweltpolitik in einem Erdölland, das klingt nicht einfach...

Antwort: Außer über Erdöl verfügen wir noch über viele weitere natürliche nichtmineralische Reichtümer. Venezuela gehört zu den 17 sogenannten "Megadiversen" Staaten der Erde und befindet sich in dieser Skala der Biodiversität weltweit an sechster Stelle. Wir sind Teil des Amazonasabkommens. Unsere Regierung und Präsident Chávez sind sich der großen Bedeutung unserer Wälder und Gewässer sehr bewusst. Das Erdöl stellt aber aus Sicht der Umwelt ein Problem dar Erdölförderung hat immer Folgen für die Umwelt. In den vergangenen Jahren konnte die Belastung zwar mit fortschreitender Modernisierung und Verbesserung der Technologie gesenkt werden, aber sie ist nicht verschwunden. Wir haben aufgrund des Erdöls schwerwiegende Umweltdefizite, ein Beispiel dafür ist der Maracaibosee. Er könnte das wichtigste Süßwasserreservoir Südamerikas sein, aber dafür ist eine umfassende Rettungsaktion notwendig, eine Säuberung. Wir haben bereits damit begonnen, und zwar mit der Klärung der Abwässer, die in den See fließen. Da herrscht ein großes Defizit, das vor allem mit der Erdölindustrie zusammenhängt, sogar noch aus Zeiten vor der Nationalisierung. Denn als 1976 das Erdöl in Venezuela nationalisiert wurde, wurden die transnationalen Konzerne für den bereits angerichteten Schaden nicht zur Verantwortung gezogen. Sie sind einfach gegangen und haben uns die Konsequenzen ihres Handelns überlassen.

Wie wird dem heute begegnet?

Heute ist das Umweltministerium zuständig für die Vergabe der Fördergenehmigungen. In Venezuela findet keine Probebohrung und auch keine Förderung statt, wenn nicht vorher eine Studie über den Umwelteinfluss durchgeführt wurde. Die Erdölindustrie muss dabei dem Ministerium nachweisen, dass das was sie vorhat , vom Standpunkt der Umwelt her kaum Folgen hat und handhabbar ist. Und wenn irgendein Unfall oder Problem auftaucht, dann muss die Industrie die völlige Verantwortung für die Wiedergutmachung übernehmen.

Und werden die Richtlinien auch befolgt, überprüft und kontrolliert? Papier ist ja geduldig...

Doch, das geschieht. Unsere Verfassung enthält ja sogar ein Kapitel mit "Umweltrechten", die als Rechte aller VenezolanerInnen betrachtet werden. Es herrscht die Verpflichtung die "Umwelt für weitere Generationen zu erhalten". Die Studien zur Umweltverträglichkeit haben faktisch Verfassungsrang und sie sind auch für alle Industrien verpflichtend. Die Richtlinien für die Studien werden vom Umweltministerium fest gelegt. Für uns ist wichtig, das garantiert wird, das kein Schaden an der Flora und Fauna, den Gewässern usw. entsteht, der nicht wieder gut zu machen ist. Dabei geht es nicht nur um den Umweltschaden, sondern auch um soziokulturelle Schäden. D.h. es muss im Falle von Probebohrungen oder Förderung von Mineralien, Erdöl mit eingeschlossen, in Indígenagebieten, eine soziokulturelle Verträglichkeitsstudie durchgeführt werden und die indigene Bevölkerung muss zu dem Vorhaben befragt werden, ansonsten kann es nicht durchgeführt werden. Und aus den Einnahmen müssen die Bedürfnisse der indigenen Gemeinden erfüllt werden. Die Verfahrensweise der Befragung ist ziemlich neu und noch nicht gänzlich umgesetzt. Denn dazu müssen die indianischen Territorien erst bestimmt werden. Wir vom Umweltministerium sind auch für die Demarkation der indigenen Territorien verantwortlich und so wie wir in der Demarkation fortschreiten, wird auch die Verordnung der Befragung nach und nach umgesetzt werden. Das legt das Demarkationsgesetz fest, das von der aktuellen Regierung verabschiedet wurde.

Gibt es denn Fälle in denen das Umweltministerium ein Projekt zurück gewiesen hat?

Ja, viele. So gibt es mehrere Vorhaben für den Bau von Anlegemolen für Kreuzfahrtschiffen, die nicht starten konnten, weil die Untersuchungen über den Einfluss auf die Umwelt das Ministerium nicht zufrieden gestellt haben. D.h. die Bauunternehmer konnten bisher nicht nachweisen, dass sich ihr Vorhaben nicht Nachteilig auf die Naturressourcen und Umwelt auswirkt. Auf der Insel Margarita wurde ein Hafen für Kreuzfahrtschiffe mit einer Genehmigung der vorhergehenden Regierung erbaut, den wir in Frage stellen. Auch die Fischer haben sich dagegen ausgesprochen. Denn dort wo die Schiffe vor Anker gehen sollen befinden sich Sardinengewässer und das ist inkompatibel. Wir geben hier den Sardinen den Vorzug und so heißt hier das Gesetz zu erfüllen eben die Genehmigung zu verweigern.

Aber es gibt ja auch widersprüchliche Fälle. Es gab z.B. ein Projekt im Rahmen dessen Stromleitungen nach Brasilien durch indigene Territorien verlegt wurden. Wie verlief der Konflikt und wie wurde er gelöst?

Das war ein komplexer Fall. Das Abkommen mit Brasilien wurde noch unter der alten Verfassung unterzeichnet. Es gab damals keine Indígenarechte in der Verfassung, kein Demarkationsgesetz und weder die Verpflichtung zu einer Studie über sozio-kulturelle Auswirkungen noch die Anerkennung der indigenen Territorien. Als ich das Ministerinnenamt übernahm, befand sich der Konflikt gerade auf dem Höhepunkt. Er wurde auch stark von den Medien aufgebauscht. Wir haben eine Reihe Anhörungen mit den Indígenas organisiert. Der Schluss zu dem ich dabei kam war, das viele Gemeinden manipuliert worden waren. So wurde ihnen erzählt, außer den Stromleitungen würden noch verschiedene andere Entwicklungen erfolgen, die den indianischen Territorien ein Ende bereiten würden, wie z.B. Fünf-Sterne-Hotels, Einsenbahnverbindungen usw.. Aber das war alles nie vorgesehen. Es ging um die Verpflichtung gegenüber Brasilien Stromleitungen zu legen. Die Strommasten waren also überhaupt nicht an irgendein weiteres Projekt oder gar Industrialisierungsprojekt für den Süden des Landes gekoppelt. Wir haben die Route schließlich mehrfach geändert, um die Auswirkungen auf den Nationalpark zu reduzieren. Der Teil des Nationalparks den die Strommasten durchqueren ist minimal. Die UNESCO, die den Nationalpark zum Modellpark der Menschheit erklärt hat, stellte fest, dass der relevante Teil des Parks davon nicht berührt wird. Auch die Art der Masten wurde geändert, um die optischen Auswirkungen zu verringern und die Morichales, spezielle Palmwälder von bis zu 25 m Höhe, nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Letztlich haben wir mit den indigenen Gemeinden ein Abkommen unterzeichnet, das alles was beim Bau in Mitleidenschaft gezogen wird, z.B. die Zugänge um die Masten aufzustellen, wieder in Ordnung gebracht wird. Wir haben über die "controlaría social", eine Art gesellschaftliche Überprüfung, dafür gesorgt, dass die Firmen alle Auflagen eingehalten haben und zudem durchgesetzt, dass die indigenen Gemeinden bezahlt wurden, um die Umweltschäden zu beseitigen, was garantierte, dass es gut gemacht wurde. Der Konflikt wurde also überwunden. Wir haben die Abteilung für soziokulturelle Studien der Zentraluniversität unter Vertrag genommen und im Augenblick wird die Demarkation der indigenen Territorien durchgeführt.

Was sind denn indigene Territorien demnach?

Laut Verfassung die historisch genutzten Ländereien und Gewässer. Aktuell läuft eine Debatte was "indigenes Territorium" bedeutet, d.h. nicht, dass das Land nicht angerührt werden darf. Der Staat kann also im Sinne des Gemeinwohls durchaus Projekte auf indigenem Territorium durchführen, aber nur dann ­ und das schreibt die Verfassung so vor ­ wenn kein Schaden verursacht wird, der die indianische Gemeinschaft in Mitleidenschaft zieht. Das betrifft Umweltzerstörungen, aber auch kulturelle Veränderungen. Eine weitere Bedingung ist, dass die indigenen Gemeinden von dem Projekt profitieren. Das muss nun genauer festgelegt werden. In Venezuela gibt es 33 indigene Gruppen, insgesamt etwa 500.000 Menschen. Ein guter Teil von ihnen lebt in Nationalparks. Das hat sich als sehr vorteilhaft heraus gestellt, denn die Indígenas sehen ihr Lebensumfeld geschützter, da es ein Park ist und zugleich schützen die Indígenas die Natur.

Wie sieht denn die Beteiligung der Indígenas aus?

Wir handhaben es seit bereits zwei Jahren so, dass die Indígenas, wenn es ihre Gebiete betrifft, die Hauptpersonen bei der Erstellung der Raumnutzungspläne sind. Früher wurden sie hingegen schlicht ignoriert. Wir beginnen jetzt mit einem neuen Plan im Naturschutzgebiet "Caura", mit sechs Millionen Hektar eines der größten und wichtigsten. Dort leben verschiedene indigene Gruppen. Der Raumnutzungsplan wird gemeinsam mit den Indígenas erarbeitet und es wird geschaut wie sie an der Verwaltung des Naturreservats beteiligt werden. Das ist ein sehr wichtiges Reservat, da es sich um eines der bedeutendsten Trinkwasserreservoirs Venezuelas handelt. Dort befindet sich ein Zufluss des Orinocos, ein unberührtes Gebiet. Wir haben auch keinerlei Entwicklungsplan für die Region.

Also kein Ausverkauf des Amazonas?

Nein auf keinen Fall! Unsere Regierung geht davon aus das weite Gebiete im Süden des Landes, Bolivar, das Amazonasgebiet usw. Gebiete sind, die erhalten werden müssen. Die Biodiversität muss erhalten werden, sie kann in Zukunft auch bedeutend sein für die Medizin und Ernährung. Der größte Reichtum bedeutet das alles zu schützen und nicht einer gnadenlosen Ausbeutung frei zu geben. Wir sind auch dabei unsere Sichtweise der Nutzung der Wälder zu verändern. Die Konzessionen wurden bisher für große Waldflächen an große Holzunternehmen vergeben. Heute ziehen wir es vor mehr gemeinschaftliche Verträge mit lokalen Kooperativen abzuschließen und bezüglich der Vorgehensweise rigoroser zu sein. Das heißt, dass jedes Holzschlaggebiet auch wieder aufgeforstet werden muss. Allerdings wird dafür der Wald in Parzellen aufgeteilt und es beginnt ein Rotationsmodell. Jedes Jahr kann nur eine Parzelle genutzt und eine andere muss aufgeforstet werden. Die Konzessionen erstrecken sich auf 20-30 Jahre, damit diese Rotation möglich ist. In der Vergangenheit wurde das nicht so gehandhabt und so haben wir völlig ausgeplünderte und abholzte Wälder. Heute sind wir viel rigoroser und wir haben bereits mehrere Konzessionen wieder rückgängig gemacht wegen Nicht-Erfüllung der Auflagen, z.T. weil nicht wieder aufgeforstet wurde und zum Teil weil die Untersuchungen nicht korrekt waren.

Können Sie ein erfolgreiches Projekt venezolanischer Umweltpolitik nennen? Ein Projekt wo schon konkrete Ergebnisse zu sehen sind?

Ja, z.B. im Bereich der Abwässerklärung. Wir haben den Prozess vorangehender Regierungen Klärwerke zu bauen intensiviert und ausgebaut. Wir haben aber auch einige Veränderungen zu Vorgängerregierungen vorgenommen. So wurden früher viele Bauprojekte nie fertig gestellt. Die größten Geschäfte werden immer zu Beginn eines Projekts getätigt, wenn Erde bewegt und Maschinen gekauft werden müssen. Wir haben allerhand bewegte Erde und gekauftes Equipment vorgefunden, als ich das Ministerium übernommen habe. Aber keines der Projekte war fertig gestellt worden. Wir haben in den vergangenen drei Jahren 15 Klärwerke eingeweiht. Auf der Insel Margarita wurden alle Strände wieder nutzbar gemacht, es wurden 100 km Strand in touristischen Regionen saniert und wir befinden uns auf dem Weg der Sanierung des Maracaibosees. Als wir die Regierung übernommen haben, gingen alle Abwässer ungeklärt in den See, heute werden 30% geklärt, Mitte 2004 werden wir mit zwei neuen Klärwerken bei 60% angelangt sein. Das gleiche geschieht mit dem Valencia-See. Wir haben in drei Jahren den Anteil geklärter Abwässer auf 66% und den Anteil der Trinkwasserzugänge von 87% auf 92% steigern können, 2007 sollen es 98% sein. Wir haben bedeutende Projekte im Tierschutz. So war die Arau-Schildkröte aus dem Fluss Orinoco vor fünf Jahren noch vom Aussterben bedroht. Dadurch dass wir 100.000 Schildkröten aufgezogen und im Alter von einem Jahr freigesetzt haben, ist sie mittlerweile "nur noch" auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten. Wir haben 3.000 Kaimane des Orinoco aufgezogen und einjährig ausgesetzt. Trotz der politischen und wirtschaftlichen Situation des Landes ist die Umweltpolitik in keinem Moment vernachlässigt worden.

Vielen Dank für das Gespräch

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