letzte Änderung am 28. August 2003

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Kollaterale Kriegsschäden für die amerikanische Gesellschaft

Interview mit Frances Fox Piven, 11 March 2003*

 

Frage: Für die Selbstwahrnenmung Europas spielt die Existenz eines sozialen Netzes eine wichtige Rolle. Wie verhält sich das in den USA, welche Bedeutung für die amerikanische Identität hat die Anwesenheit, oder gerade die Abwesenheit eines solchen Sozialsystems?

Fox Piven: Es gibt keine einheitliche Wahrnehmung und Verantwortung der Amerikaner in Bezug auf soziale Sicherheit. Der Begriff hat für verschiedene demographische Gruppen unterschiedliche, und zum Teil widersprüchliche Bedeutungen. Einerseits besteht eine im christlichen Glauben verwurzelte Wahrnehmung einer gemeinsamen Sorgepflicht, selbst für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Andererseits ist jedoch auch die Betonung der Eigenverantwortung sehr präsent. Weitere Unterscheidungen ergben sich entlang ethnisch-rassistischer und klassenbezogener Scheidelinien. Im Laufe dieses Jahrhundert hat es verschiedene Interpretationsmuster gegeben, die sich innerhalb der amerikanischen Gesellschaft miteinander im Widerstreit befinden. Dahinter stecken natürlich Menschen, die sich in politische Konflikte begeben, um ihre Themen nach vorne zu befördern, oder zumindest gegen die Ansprüche anderer zu verteidigen.

Zum Beispiel, als im amerikanischen Sozialsystem ab etwa 1970 die ersten Kürzungen vorgenommen wurde, beriefen sich die Politiker logischerweise vor allem auf die Motive Arbeit und Eigenverantwortung, aber auch auf rassistisch begründete Antipathie. Richard Nixon betonte in seinem Wahlkampf 1972, dass seine Mutte im Krankenhaus schuftete und Nachttöpfe leerte, und nicht wie "diese Leute" von der Sozialhilfe Gebrauch machte. So wurde in einem von Nixons Fernsehspots einem behelmten Bauarbeiter von einer Stimme aus dem Off erklärt, dass der demokratische Präsidentschaftskandidat McGovern die Hälfte der Bevölkerung in die Sozialhilfe befördern wolle. "Und was findest DU davon?" fragt der imaginäre Erzähler den rechtschaffenden Mann, dem die Panik ins Gesicht geschrieben steht, zukünftig von Almosen zu leben. Tatsächlich ging es bei McGoverns Vorschlag um ein garantiertes Mindesteinkommen, welches dem Bauarbeiter einen grossen Steuererlass gebracht hätte. Mit Erfolg spielte der Fernsehspot auf die Abscheu des weissen, protestantischen Amerikas gegenüber den abhängigen Armen an.

Nur fünf Jahre eher war es interessanterweise aber gerade diese Gruppe der auf Unterstützung Angewiesenen, die davor in den Strassen amerikanischer Grossstädte demonstrierte und die Sympathie des ganzen Landes für sich zu mobilisieren wusste. Damals erklärte Präsident Lyndon B. Johnson den Krieg gegen die Armut, und auch dies wurde von grossen Teilen der Bevölkerung befürwortet.

Wie bereits angedeutet, haben Einsparungen im Sozialsystem und Feldzüge gegen Arbeitnehmerrechte bereits unter Richard Nixon begonnen. Seine Agenda wurde von Ronald Reagan fortgeführt, der - um nur ein Beispiel zu nennen - Fördermassnahmen für Wohnungen für Einkommensschwache fast vollständig abgeschafft hat. Ein substantieller Teil der Bevölkerung bezahlt die Hälfte seines Einkommens für die Miete. Gleichzeitig stehen jedoch grosszügige Unterstützungen für besser Verdienende zur Verfügung, denen beim Erwerb eines Eigenheims grosszügige Steuerbefreiungen zugesprochen werden.

Die Situation in der wir uns momentan befinden, ist aber neuartig und gibt Anlass zur Sorge, denn der Krieg wird massiv als Vorwand eingesetzt um die neuen Streichorgien zu vertuschen oder zu rechtfertigen. Dabei ist ein Teil dieser Verschleierungstaktik nur allzu offensichtlich. Wenn im selben Etat das Verteidigungshaushalt um 100 Milliarden Dollar erhöht wird, in dem hunderte Milliarden Dollar Steuersenkungen beschlossen werden, muss irgendwo eingespart werden. Deshalb jäten die republikanischen Haushaltsexperten gerade willkürlich und auf unverantwortliche Weise alle möglichen Programme aus. Die Abschaffung einer Vielzahl kleinerer Initiativen soll hier und da 150 Millionen Dollar einsparen. Da geht es beispielsweise um kostenloses Mittagessen in Schulen, oder um Kinderbetreuung nach der Schule und von Kindern, deren Eltern im Gefängis sitzen. Da sich die Öffentlichkeit nicht gross für solche Fördermassnahmen interessiert, kann die Administration die Streichungen ohne grosse öffentliche Debatte oder gar Proteste als steuerpolitische Sparsamkeit rechtfertigen.

Gleichzeitig versucht die Regierung ihren Prestigegewinn nach dem 11. September 2001 für grossangelegte Umstrukturierungen des Sozialstaates auszunutzen. Beispielsweise wird augenblicklich die Privatisierung von Medicare[1] erwogen. Der Knackpunkt an dieser Reform ist, dass Senioren nur dann eine Vergütung ihrer Medikamente erhalten, wenn sich sich bei einer der kommerziellen Krankenkassen, den Health Maintenance Organizations (HMOs) versichern. Dies beschränkt aber wieder ihre Möglichkeiten, beispielsweise bei der Arztwahl. Ebenso wird eine vollständige Abschaffung von Medicaid[2] erwogen, zumindest versuchsweise in einigen Staaten. Und schliesslich wird auch eine Einführung von sogenannten "Superwaivers" diskutiert. Diese Ausnahmeregelungen sollen der Bundesregierung ermöglichen, auf Anfrage der einzelnen Bundesstaaten die dortigen sozialen Programme ausser Kraft zu setzen und die frei werdenden Gelder für andere Zwecke einzusetzen.

Frage: Haben Europäische Sozialsysteme eine Vorbildfunktion in den USA eingenommen?

Fox Piven: Für fortschrittlich gesinnte Geister schon. Allerdings haben die sich eher am skandinavischen als am deutschen Modell orientiert, weil ersteres als generöser und umfassender bei der Kinderbetreuung angesehen wird. Die progressiven Kräfte sind jedoch schon seit vielen Jahren in der Defensive. In diesem Sinne sind die augenblicklichen Antikriegs-Demonstrationen ein deutlicher Hoffnungsschimmer für uns hier in den USA. Dabei denke ich, dass es bisher nicht gelungen ist die Kosten des Krieges hier daheim zu thematisieren. Eine starke amerikanische Antikriegs-Bewegung – wenn sie Erfolg haben will - muss deutlich machen, dass Krieg katastrophale Folgen hat für die USA. Die desaströsen Konsequenzen, die auf dieses Land zukommen, sind nicht nur die vielen junge Männer und Frauen die sterben werden, und die weiteren terroristischen Attacken, welche New York auf sich ziehen wird. Darüber hinaus werden unter dem Vorwand des Krieges viele staatliche Funktionen ausser Kraft gesetzt werden, und wir haben es bisher nicht verstanden diesen Punkt hervorzuheben.

Frage: Was sind die Kosten des Krieges?

Fox Piven: Am einfachsten lassen sich noch die finanziellen Kosten vorhersagen. Erste Berechnungen gehen von 200 Milliarden Dollar aus, die aber, abhängig davon, wie lange wir den Irak besetzen, bis in die Billionen gehen können. Die schwerer abzuschätzenden Kosten dieser Konfrontation entstehen jedoch, wenn für den Hegemon USA die Instabilitäten zu- und nicht abnehmen. Das ganze ist ein Pokerspiel, bei dem die Administration allerdings auch gewinnen kann. Nämlich dann wenn es der gelingt, den Krieg im Irak zu gewinnen und eine amerikanische Präsenz im Mittleren Osten zu etablieren, die zumindest zeitweilig eine militärisch erzwungene Stabilität garantiert. Wer wagt, kann aber auch verlieren, und dann wird Amerika als Supermacht sicherlich seinen Preis dafür zu zahlen haben. Um nur ein Beispiel zu nennen für die Probleme, die wir nicht in der Lage sind zu lösen: es ist davon auszugehen, dass es mehr Länder mit Kernwaffen geben wird.

Der Krieg wird sicherlich auch kulturelle Kosten mit sich bringen, vor allem in Bezug auf die Selbstwahrnehumg des Landes. Davor sind auch Kriegsgegner nicht gefeit. Problematisch erscheint mir vor allem das Argument gegen einen Angriff des Irak, es handle sich hierbei um den ersten Präventivkrieg in der Geschichte des Landes. Dies ist schlichtweg unwahr, und ich halte es für unklug, unserem Lande eine engelhafte Vergangenheit anzudichten um die Gegenwart zu dämonisieren.

Frage: In der Tat wäre der heraufziehende Krieg gegen den Irak nicht die erste von den USA bewusst gesuchte militärische Konfrontation. Ob gewollt oder nicht, ökonomisch gesehen hat zum Beispiel der Korea-Krieg die US-Wirtschaft angekurbelt. Ganz im Sinne Keynes wurde hier die Staatsverschuldung in Kauf genommen um der Volkswirtschaft zu helfen, allerdings mit kriegerischen Mitteln. Handelt es sich beim Irak-Krieg auch wieder um eine Art Kriegskeynesianismus?

Fox Piven: Unter sozialwissenschaftlichen Historikern gibt es folgende Kriegstheorie: In allen Ländern der westlichen Hemisphäre haben Gesellschaft und Staat in Zeiten des Krieges einen Vertrag geschlossen, in dem sich die Bevölkerung für ihre Verteidigung des Staates belohnt sehen wollte.

Die Kosten eines jeden Krieges werden immer von der gemeinen Bevölkerung getragen – letztendlich sind immer sie es, die auf dem Schlachtfeld oder daheim sterben. Gleichzeitig, und gewissermassen als Kompensation für diesen Blut-Tribut waren Kriege auch immer Zeiten der Reformen, sowohl sozialer wie demokratischer Art.

Historisch gesehen gibt es dafür zahlreiche Belege. Schon das römische Imperium belohnte seine Soldaten mit Plündereien, Schätzen und Sklaven. In Amerika erhielten die Soldaten des amerikanischen Bürgerkriegs grosszügige Pensionen. Und schwarze Ex-Sklaven, die sich den Nordstaaten anschlossen und damit die Union retteten, bekamen danach das Wahlrecht zuerkannt. Auch im 2. Weltkrieg kam es sowohl in Europa als auch in den USA zu grossangelegten Sozialprogrammen. In den USA wurde mit dem "G.I. Bill of Rights" eines der besten sozialen Programme des Landes verabschiedet.

Der uns nun bevorstehende Krieg wird allerdings kein gutes Beispiel für diese Theorie sein. Im Gegenteil, ich sehe eigentlich nur Vorschläge, das Leben der Bevölkerung schwieriger zu machen. Momentan versucht die Regierung, die Kriegstrommeln zu rühren und die Stimmung auszunutzen, um ihre ökonomischen Programme durchzusetzen. Die Schäden die langfristig verursacht werden, sowohl durch die vorgeschlagenen Steuersenkungen wie auch auch durch den Abriss der sozialen Einrichtungen, deuten auf alles andere als vernünftige Wirtschaftspolitik hin.

Gleichzeitig geht es der Bush-Regierung darum, demokratische Rechte zu demontieren. Schauen wir uns zum Beispiel an, wie Möglichkeiten zur Überwachung und Inhaftierung unter dem Patriot Act One[3] ausgeweitet wurden, welche sich unter dem momentan diskutierten Patriot Act Two noch einmal wesentlich verschärfen würde. Oder die Regelungen, die das Justizministerium ohne Gesetzesvorlage in Kraft setzt, die beispielsweise das Presserecht beschneiden.

Das antidemokratische Rollback betrifft auch die Gewerkschaften. Die Möglichkeit sich am Arbeitsplatz zu organisieren ist ein fundamentales demokratisches Recht, welches augenblicklich von zahlreichen Massnahmen der Bush-Administration untergraben wird. Dabei dient der Krieg als willkommener Vorwand. Zum Beispiel wurde beim Zusammenschluss der verschiedenen Behörden zum neuen Department of Homeland Defense mit einem Federstrich den 170,000 Mitarbeitern verboten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Ein weiteres Beispiel ist die Transportsicherheitsbehörde, die den Flughafenmitarbeitern das Recht auf Gewerkschaften ausdrücklich untersagt hat. Weniger sichtbar sind andere Verschärfungen, wie etwa die detailierten Rechenschaftspflicht von Gewerkschaften über ihr Budget, die sich geradezu höhnisch ausnimmt im Vergleich zu den Anforderungen an Unternehmen.

Frage: Die Antikriegsbewegung in den USA hat seit Beginn des Jahres einen erstaunlichen Aufschwung genommen, und hat ihren bisheriger Höhepunkt am 15. Februar mit Hunderttausenden Protestierenden im ganzen Lande erreicht. Im Unterschied zu den Protesten gegen den Vietnamkrieg gibt es bisher aber keine Versuche, die Kriegsmaschinerie aktiv zu behindern. Sehen Sie die Möglichkeit dass es noch dazu kommen wird? Was ist von der organisierten Arbeiterschaft zu erwarten?

Fox Piven: Laute Demonstrationen sind gut, Sand im Getriebe ist besser und über Kurz oder Lang wird es dazu sicherlich noch kommen. Arbeiter haben schon immer aktiv in die Geschehnisse eingegriffen, so wie beispielsweise gerade die italienischen Hafenarbeiter, die sich der Verladung von Kriegsgütern widersetzt haben. Hier in den USA hat sich der gewerkschaftliche Dachverband AFL-CIO gegen Bush und gegen einen Militäreinsatz ohne UN-Mandat ausgesprochen. Diese Haltung des AFL-CIO ist zwar nur ein Kompromiss, dennoch bin ich optimistisch. Viele der Teilgewerkschaften haben eine wesentlich militantere Antikriegshaltung, - das betrifft sogar einige der konservativen Teamster. Ausserdem hat sich innerhalb der Gewerkschaften sich eine Bewegung "Labor against the War" gegründet.

Die Tatsache dass diese pro-Kriegsregierung sich gleichzeitig so deutlich anti-gewerkschaftlich gebärdet, hat als Umkehreffekt die Antikriegshaltung in den Gewerkschaften beflügelt.

Frage: Können die Gewerkschaften die Verbindung zwischen den sozialen Bewegungen und der Anti-Kriegsbewegung herstellen?

Fox Piven: Möglicherweise, aber ich denke nicht dass wir darauf warten sollten. Die Gewerkschaften haben traditionell eine verengte Sichtweise auf soziale Fragen gehabt. Sie haben sich zu Recht um Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten gekümmert und sie treten für soziale Sicherheit ein. Gleichzeitig gibt es historische Gründe, warum die Probleme der ärmsten Bevölkerungsschichten von den Gewerkschafte weitestgehend vernachlässigt wurden. In diesem Land wurden spezielle Programme für arme Menschen eingerichtet, wohingegen es nicht gelang, diese Absicherungen auch für die Durchschnittsbevölkerung durchzusetzen. Als Resultat dieser Niederlage haben sich die Gewerkschaften darauf konzentriert, soziale Forderungen wie Altersversorgung und Krankenversicherung innerhalb der Beschäftigungsverhältnisse zu erstreiten. Und zu Zeiten in denen die Arbeitnehmerorganisationen stark waren ist dies auch tatsächlich gelungen.

Frage: Von einer machtvollen Gewerkschaftsbewegung kann momentan keine Rede sein. Stattdessen rücken christlich-fundamentalistische Einflüsse in den Vordergrund. In den Reden von George W. Bush finden sich regelmässig Bibeltitate, die den europäischen Beobachter zwar befremden, offenbar aber bei Bush-Wählern auf Anklag stossen. Was sind die religiösen Beweggründe der Bush-Regierung?

Fox Piven: Die Gunst der Wähler spielen sicherlich eine Rolle, aber ich denke mittlerweile dass Bush selbst an das glaubt was er sagt. Was möglicherweise noch beängstigender ist. Vergessen wir nicht dass er sich regelmässig als das Werkzeug der Vorhersehung Gottes bezeichnet. Innerhalb seiner Regierung ist Bush jedoch nicht der Einzige. Justizminister Ashcroft hat sich zum Gespött zumindest der halben Nation gemacht, als er in seinem Ministerium eine zu leicht bekleidete Justizia-Statue verhüllen liess.

Die USA sind kein fundamentalistisches Land im eigentlichen Sinn, aber ein grosser Teil der Bevölkerung – 30 bis 40 Prozent – hat Verbindungen mit fundamentalistischen, christlichen Kirchen. Darüber hinaus macht sich im Lande seit einiger Zeit eine sogenannte "Fourth Revival" Bewegung bemerkbar. Diese Wiedergeburts-Bewegungen haben im Laufe der amerikanischen Geschiche wiederholt grossen Einfluss auf den fundamentalistischen Protestantismus gehabt. Der Dynamik des Protestantismus liegt eine Neigung zum Widerspruch und zur Abspaltung zugrunde. Dies hat in regelmässigen Abständen zu Abspaltungen mit dem Hinweis auf Säuberungen hin zu einem reineren Glauben geführt. In den USA hat es deshalb schon immer viele protestantische Abspaltungen gegeben, angefangen bei den Puritanern, die von Europa hierher kamen.

Die mittlerweile vierte Wiedergeburtsbewegung entstand mit den Protestbewegungen der 60er Jahre und speiste sich unter anderem aus der Ablehnung der Protestkultur. Der Protest gegen den Protest hat protestantischen, fundamentalistischen Sekten in den letzten 35 Jahren in den USA zahlreiche neue Mitglieder beschert, inclusive ihrer Finanzkraft. Dies ging einher mit der Abwanderung aus den grossen protestantischen Mainstreamkirchen. Ausserdem wurden einige der grossen protestantischen Kirchen, wie zum Beispiel die Lutheraner, von fundamentalistischen Kräften unterwandert. Alle diese Entwicklungen führten zu einer Schwächung der grossen protestantischen Kirchen. Politisch gesehen waren sie in der amerikanischen Geschichte immer am linken Rand des spezifisch amerikanischen Sozialgefüges angesiedelt. Die protestantischen Kirchen haben beispielsweise nicht nur eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Civil Rights Bewegung gespielt, sondern auch gegen den Krieg in Vietnam. Unter der Last der fundamentalistischen Erneuerung ist davon mittlerweile nicht mehr viel zu spüren, so dass der Wandel der Kirchenlandschaft den Rechtsruck des gesellschaftlichen Gefüges mitgestaltet.

Frage: Öl spielt eine herausragende Rolle für den American Way of Life. Was ist die Rolle des Öls in diesem Konflikt?

Fox Piven: Ich bin nicht die Erste die darauf hinweist dass das amerikanische Öl-Business – trotz der sehr innigen Verbindungen mit der jetzigen Regierung - in seiner Haltung zu diesem Krieg gespalten ist. Die Ölkonzerne vermeiden alle öffentlichen Verlautbarungen die belegen könnten, was auf der Hand zu liegen scheint: das es in diesem Konflikt alleine um Öl geht. Die Zurückhaltung der Ölwirtschaft bei der Unterstützung des Kriegs beruht sicherlich auch auf der Unsicherheit, die dieser Konflikt mit sich bringt. Unklar ist, was weiter mit der Region und den Ölvorräten geschieht, sei es dadurch, dass im Irak Ölfelder abgebrannt werden, oder dadurch, dass das Regime in Saudi-Arabien destabilisiert wird.

Andererseits gibt es die Auffassung, dass es bei diesem Krieg vielmehr um die allgemeine Absicherung des amerikanischen Imperiums geht. Nicht so sehr um die direkte Wahrnehmung von Ölinteressen der amerikanischen Firmen in der Region geht, sondern um die Kontrolle der Energiezufuhr, von der auch Japan, China und Europa abhängen.

Frage: Wie wichtig ist die Rolle des "alten" Europas, repräsentiert durch Frankreich und Deutschland, für die Debatte um den Krieg innerhalb der USA?

Fox Piven: Auf jeden Fall erhält die amerikanische Friedensbewegung enorme Unterstützung aufgrund der Tatsache dass sich die Mehrheit der Europäischen Öffentlichkeit sowie einige Regierungen gegen den Militäreinsatz im Irak aussprechen. Während rechtsgerichtete Talkshow-Master dümmliche Witze über französischen Käse reissen, schlägt die Stimmung hier auf den Strassen New Yorks in die genau entgegengesetzte Richtung um. Französische Flaggen und Kulinarien werden zu einem politischen Statement.

Viel wichtiger erscheint mir allerdings, dass der Slogan vom "alten Europa" ein tieferliegendes Problem der amerikanischen Aussenpolitik zum Ausdruck bringt, nämlich das sich die alten Verbündeten als abdrüngig herausstellen.

Frage: Geht es bei den geostrategischen Neuordnungen nicht aber um viel mehr als um das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland einerseits und den USA andererseits?

Fox Piven: Möglicherweise, aber ausser das sich diese und andere Länder dem USA-Krieg widersetzen, sehe ich keine einheitliche Linie. Beispielsweise hat Russland ein Interesse daran, seine Ansprüche über die 9 Milliarden Dollar die es dem Irak geliehen hat, geltend zu machen. China widersetzt sich dem amerikanischen Bestreben, die Ölzufuhr in Richtung Osten zu regulieren. Worum es also geht sind die strategischen Interessen von Regierungen. Wenn es nach der mehrheitlichen Meinung der Bevölkerung ginge, müssten sich noch viel mehr Länder dem US-Militäreinsatz entgegenstellen.

 

Das Interview ist entnommen aus dem gerade im Kai Homilius Verlag erscheinenden Buch: Max Böhnel/Volker Lehmann: "American Empire - No Thank You. Andere Stimmen aus Amerika." Siehe weitere Informationen zum Buch und Autoren, Inhaltsverzeichnis sowie Bezugsquellen

Anmerkungen

1) Medicare ist das bundesweite Krankenversorgungsprogramm für ältere Bürger (MB-VL)

2) Medicaid stellt die minimale Krankenversorgung für die ärmsten Bürger zur Verfügung (MB-VL)

3) Der Patriot Act One wurde als Reaktion auf die Attentate vom 11. September 2001 angenommen (MB-VL).

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