Artikel aus der woz, Zürich. Wir bedanken uns bei der woz für die freundliche Überlassung dieses Artikels.

 

Spanien/Baskenland: Gewerkschaften beschleunigen Verhandlungsprozess Streiken für doppelte Befreiung

Am Freitag findet im Baskenland ein Generalstreik statt - Gewerkschaften fordern die 35-Stunden-Woche. Aber wie so oft gibt es auch ganz andere Forderungen.

Dorothea Wuhrer, Pamplona

Kaum eine Woche ohne Streik. Da treten Belegschaften kleiner und mittelgrosser Betriebe für bessere Arbeitsbedingungen in den Ausstand. Da legen (wie 1998) alle TransportarbeiterInnen die Arbeit nieder. Und da rufen nationalistische Gewerkschaftsorganisationen immer wieder zu Demonstrationen und Streiks auf, um gegen Madrids Blockade des Friedensprozesses zu protestieren. Im Baskenland geben nicht nur ETA und ParteipolitikerInnen den Ton an.

Die Kampfbereitschaft hat eine lange Tradition. Noch heute weist die Umgebung von Bilbao darauf hin, dass sich hier einmal ein Industriezentrum befand: Fabrikruinen stehen neben nie fertiggestellten Rohbauten inmitten grosser Brachflächen. Bilbao, das war bis in die achtziger Jahre hinein ein Zentrum der Metallindustrie auf der Iberischen Halbinsel. Eine Arbeiterstadt, die nichts vom Pompösen und dem Reichtum der Kurstadt San Sebastian an sich hat, ist Bilbao geblieben. Hier gibt es keine hochherrschaftlichen Gebäude, in denen die Mächtigen des Landes Urlaub machen. In der grössten Stadt des Baskenlandes war bis zur Eröffnung des Guggenheim Museums (1997) nichts adrett, schön oder sauber.

Die Schwerindustrie, die ein Jahrhundert lang das Baskenland beherrschte, prägt immer noch - und das, obwohl die Strukturkrise das Baskenland nachhaltig erfasste. Von 1981 bis 1994 schlossen fast die Hälfte aller Grossbetriebe und zwanzig Prozent der industriellen Kleinunternehmen für immer die Tore; die Werftindustrie schrumpfte auf ein Viertel ihrer ehemaligen Grösse. Das Land wurde, so der ehemalige Präsident der Region, José Antonio Ardanza, zum "industriellen Friedhof". Eine wissenschaftliche Studie fand 1994 die Ursachen in den Fehlern der Betriebsleitungen und der Politik: Staatliche Subventionen wurden in die falschen Industriezweige gepumpt, die Vetternwirtschaft nahm extreme Ausmasse an, unter dem ehemaligen sozialistischen Ministerpräsident Felipe Gonzalez jagte ein Korruptionsskandal den anderen.

Daneben bot sich jedoch ein anderer Hauptverantwortlicher für den Niedergang an: ETA und ihrer Gewalt sei es zuzuschreiben, dass viele Unternehmen in andere Länder abwanderten, hiess es. Ausserdem hätten die vielen Arbeitskämpfe und Streiks Investitionen zu einem Risiko gemacht. Tatsächlich gab es hier in den Jahren nach Francos Tod durchschnittlich über 500 Streiks im Jahr und heute noch ist Streik die häufigste Form der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung. Aber die Wachstumszahlen gerade während jener Zeit deuten darauf hin, dass Arbeitsniederlegungen die wirtschaftliche Dynamik nur geringfügig beeinflussen.

 

Baskentum und Katholizismus

Spanische und baskische Gewerkschaften sind traditionell mit politischen Parteien verbunden. So gibt es im Baskenland zwei nationalistische Gewerkschaften: die der bürgerlichen Regionalpartei PNV nahestehende Baskische Arbeiterallianz ELA (Eusko Langileen Alkartasuna) und die der linksnationalistischen ETA-nahen Allianz Herri Batasuna verbundenen Patriotische Arbeiterkommission LAB (Langile Abertzale Batzordeak). Ausserdem haben die sozialistische (PSOE-nahe) Arbeiter-Generalunion UGT und die kommunistischen Arbeiterkommissionen CCOO einen Einfluss auf die Beschäftigten.

Die Vorgängerin von ELA war zu Beginn des Jahrhunderts in Reaktion auf die spanischen EinwanderInnen und deren Organisationen (vor allem der sozialistischen Gewerkschaft UGT) entstanden. Sie organisierte im Verbund mit dem damals chauvinistisch-rassistischen PNV auf der Basis von Baskentum, Katholizismus und Harmonie zwischen den Klassen. Diese Politik änderte sich erst mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs, in dem sich ELA anders als die Mutterpartei PNV auf die republikanische Seite schlug. 1939 mussten die AktivistInnen von ELA wie die der UGT, der anarchistischen Arbeiterkonföderation CNT und der kommunistischen CCOO das Land verlassen. In den achtziger Jahren wurde ELA zur grössten Gewerkschaft im Baskenland - ihr gehören derzeit rund vierzig Prozent der organisierten Beschäftigten an.

Kurz vor Francos Tod 1975 gründeten ehemalige ETA-Mitglieder die zweite baskische Gewerkschaft LAB. Auch LAB sollte (wie ELA) eine Alternative zu UGT und CCOO darzustellen - die Patriotische Linke ging davon aus, dass die "nationale Befreiung" nur mit allen Sektoren der Gesellschaft erreicht werden könne (für die sozialistischen und kommunistischen Gewerkschaften war die "nationale Frage" im Baskenland allenfalls von sekundärem Interesse). LAB ist Mitglied der Patriotischen Sozialistischen Koordination KAS, einer Dachorganisation legaler und illegaler linkspatriotischer Gruppen. Derzeit vertritt LAB rund 15 Prozent der organisierten Beschäftigten im Baskenland.

Auch in rein gewerkschaftlicher Hinsicht verfolgt LAB einen militanteren Kurs als die anderen Organisationen. Beim grossen Streik im VW-Werk von Pamplona 1997 seien die Arbeiter von LAB besser unterstützt worden als von anderen Gewerkschaften, sagt etwa der VW-Arbeiter Alfonso Orlara. Volkswagen ist mit 5000 Beschäftigten der grösste Arbeitgeber in der Provinz Navarra. Beim Streik ging es wie bei den meisten Arbeitsniederlegungen der letzten Jahre um Arbeitszeiten: die Werksleitung wollte jeden Beschäftigten zur Samstagsarbeit verpflichten. Der Widerstand der Gewerkschaften scheiterte: Ohne Zustimmung, so die Drohung der Konzernleitung in Wolfsburg, würden die in Aussicht gestellten 600 neuen Arbeitsplätzen anderswo schaffen. Alle Gewerkschaften (ausser LAB) akzeptierten schliesslich einen Kompromiss, nach dem jedeR neun Samstage im Jahr arbeiten muss. (Immerhin führte der Streik zu einer engeren Zusammenarbeit von LAB mit der deutschen IG Metall: Seither findet ein intensiver Austausch statt).

 

Vorarbeiter für den Frieden

Lange Zeit waren sich ELA und LAB aufgrund der politischen Differenzen spinnefeind, angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit aber kam es zu einer Annäherung (das in einer Zeit, da konservative NationalistInnen und patriotische Linke einander noch bekämpften). Ende Mai 1992 organisierten ELA und LAB ihren ersten gemeinsamen Generalstreik. Seither kooperieren die zwei Gewerkschaften - dem ersten Ausstand folgten zahlreiche Aktionen und gemeinsame Communiqués, in denen sich beide für ein "souveränes, demokratisches und sozial gerechtes Baskenland" aussprachen.

Mit dieser Zusammenarbeit setzte sich ELA von der PNV ab, die nie Unabhängigkeit forderte. In vielerlei Hinsicht hat PNV mehr mit der spanisch-sozialdemokratischen PSOE und der konservativen Volkspartei PP gemein als mit den LinksnationalistInnen: Sie alle verfolgen dieselbe Wirtschafts- und Sozialpolitik. ELA musste sich von vielen, auch dem PNV vorwerfen lassen, den Anti-ETA-Kurs "der Demokraten" zu torpedieren. 1988 hatten fast alle im Baskenland vertretenen Parteien im Pakt von Ajuria Enea beschlossen, nur auf der Basis des völligen Gewaltverzichtes einen Dialog mit Herri Batasuna (HB) zu führen. ELA setzte sich durch die Zusammenarbeit mit LAB über diesen Konsens hinweg. Heute sehen viele BaskInnen in der Verbindung ELA-LAB eine wichtige Vorarbeit für den im September 1998 begonnenen Friedensprozess.

Beide Gewerkschaften sehen in der Souveränität den einzige Weg, die Arbeitslosigkeit im Baskenland zu überwinden: Die Schliessung der grössten Werften sei eine "Strafaktion der Zentralregierung", die Deindustrialisierung eine "Rache am baskischen Volk"; die "wirtschaftliche Repression" habe nur den Zweck, die Unabhängigkeit unmöglich zu machen. Der "der baskische Syndikalismus hat klare politische Vorstellungen und kann einem alternativen sozialen Modell entsprechen", formulierte vor kurzem Rafa Daez, Generalsekretär von LAB. Das Modell heisst Sozialismus, die politische Vorstellung Unabhängigkeit.

Damit stehen sie nun allerdings wieder - wie Anfang des Jahrhunderts - den spanischen Gewerkschaften gegenüber. 1993 verfassten ELA, LAB und CCOO noch ein gemeinsames Communiqué zur wirtschaftlichen Situation im Baskenland und forderten die Zentralregierung auf, Entscheidungsbefugnisse an die Regionalregierung abzutreten. In letzter Zeit ist das Verhältnis jedoch deutlich kühler geworden: ELA und LAB werfen CCOO und UGT vor, weiterhin an Francos Vorstellung von einem "Einheits-Spanien" zu hängen, CCOO und UGT ihrerseits unterstellen ELA und LAB, nur nationalistische Forderungen durchsetzen zu wollen.

Die LinkspatriotInnen sehen das anders: Gewerkschaftsarbeit sei nur dann sinnvoll, wenn sie örtlichen Besonderheiten berücksichtige, sagt Daez. Diese Position führt immer wieder zum Konflikt mit der UGT - die SozialistInnen befürworten Flächentarifverträge (mit der Konsequenz, dass künftig alle Vereinbarungen in der spanischen Hauptstadt geschlossen würden). LAB und ELA verweisen demgegenüber auf die grossen regionalen Unterschiede. Mit der anarchistischen CNT beziehungsweise deren Nachfolge-Gewerkschaft CGT finden sich schon mehr Gemeinsamkeiten; allerdings ist der Einfluss der Anarcho-Syndikalisten inzwischen verschwindend klein geworden.

 

Revolutionssteuer für alle

Die nationale Befreiung könne nur mit allen Sektoren der Gesellschaft erreicht werden - davon ist die Patriotische Linke überzeugt. Doch die Schlussfolgerung aus diesem Grundsatz (auch das Grossbürgertum müsste in den Kampf einbezogen und daher geschont werden) mögen die LAB-Mitglieder nicht so recht ziehen. Zumal auch ETA keine Scheu zeigt, sowohl baskische wie spanische UnternehmerInnen über die "Revolutionssteuer" zur Kasse zu bitten. Wer diesen "Beitrag zum Befreiungskampf" verweigert, riskiert eine Entführung.

Im Mai 1995 beispielsweise entführte ein ETA-Kommando den baskischen Transportunternehmer José Maria Aldaia, der die "Steuer" nicht bezahlte. Damals forderten viele Beschäftigte von Aldaia täglich die =46reilassung ihres Chefs. Genauso oft fanden sich LAB-Mitglieder auf der= anderen Strassenseite zur Gegenveranstaltung ein, um die Befreiung des Baskenlandes zu verlangen. Dabei kam es nicht selten zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den zwei Gruppen. Damals war die baskische Gesellschaft noch tief gespalten: die einen wollten endgültig ein Ende der Gewalt, unabhängig vom zukünftigen Status des Baskenlands; für die anderen war das Ziel eines freien selbstbestimmten Baskenlandes wichtiger.

Einen kleinen Schritt hat die seit ETAs Waffenstillstand im letzten Herbst verbündete baskische Bewegung tun können: Die Regionalregierung kann wieder über die Verwendung von Steuergeldern verfügen. So werden nunmehr vor allem kleinere Betriebe subventioniert (und nicht mehr die grossen Konglomerate). Jetzt verlangen ELA und LAB auch regionale Kompetenzen in den Bereichen Beschäftigungspolitik und Sozialversicherung. LAB-Gewerkschafter Andoni Barbarin in Pamplona glaubt zwar nicht, dass die Konservativen in Madrid auf diese Forderung eingehen, aber er hält am Ziel fest. "Uns geht es darum, dass hier vor Ort entschieden werden kann." Bis es soweit ist, werden ELA und LAB aber noch viele Streiks organisieren müssen.

dw.

 

Francos Rechnung ging nicht auf

Katalonien und das Baskenland waren die ersten industrialisierten Regionen auf der Iberischen Halbinsel und daher bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts Ziel vieler südspanischer Bauern und Tagelöhner. Diese Migration dauerte hundert Jahre an und liess erst in letzter Zeit nach. Franco förderte die Einwanderung (in den fünfziger Jahren kamen jährlich etwa 250 000 Menschen): Den Zentralisten war das Baskenland mit seiner eigenen Sprache und Kultur höchst suspekt. Francos Rechnung ging zunächst auf: die Metallindustrie vor allem in der Provinz um Bilbao erblühte, die traditionell Wirtschaftszweige Agrikultur, Fischerei und Handwerk verloren an Boden. Dazu kam die Umschichtung der Bevölkerung - während die Zahl der südspanischen EinwanderInnen zunahm, wanderten viele baskische Bauern und Handwerker vor allem nach Südamerika aus.

Obwohl in der Diktatur nur franquistische Gewerkschaften zugelassen waren, löste der Prozess von Burgos 1970 in allen spanischen Industriegebieten Protestaktionen aus. In dem Verfahren waren 16 Basken wegen "Terrorismus" angeklagt (sechs drohte die Todesstrafe), im Kern aber ging es dem Regime um eine Verurteilung anti-franquistischen baskischen Nationalismus. In der Provinz Gipuzkoa herrschte während des Prozesses Generalstreik, in Bizkaia kam es zu täglichen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Massenmobilisierung führte dazu, dass nicht nur die baskischen ArbeiterInnen auf die Strasse gingen.

Die breite Solidarität erreichte schliesslich eine Begnadigung der Angeklagten.

Nach Francos Tod kam es in zunehmendem Masse zu Generalstreiks, bei denen auch eine Amnestie der politischen Gefangenen gefordert wurde. Seither steht im Baskenland bei vielen Arbeitsniederlegungen die Forderung nach "nationaler Befreiung" neben der nach sozialer Gerechtigkeit.