letzte Änderung am 22. August 2003

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Arbeit und Brot. Der Arbeitskampf im Kabelwerk Ozarow

Die Osteuropa-AG der FAU hat soeben ein Video über den Arbeitskampf der polnischen Kabelwerker von Ozarow fertiggestellt (beim FAU-Materialienvertrieb für 9 Euro lieferbar). Die Dokumentation setzt am 219. Tag der Werksbesetzung ein, an dem der neue Eigentümer Tele-Fonika damit beginnt Fertigungsstrassen, Kabelrollen, u.a. abzutransportieren. Staatliche und private Sicherheitsdienste prügeln das Werkstor frei und die Stimmung läuft über ... Das 35 minütige Video versucht an diesem Beispiel Einblick in die derzeitige polnische Situation zu geben. Weiterführende Informationen kann man dem beiliegenden 20 seitigen Reader entnehmen. Aus diesem Reader dokumentieren wir neben Inhaltsverzeichnis und Bestelladresse die Beträge "Zur aktuellen wirtschaftlichen Lage in Polen" und "Die Geschichte der Blockade des polnischen Kabelwerks Ozarow"

Inhalt


Zur aktuellen wirtschaftlichen Lage in Polen

Heutzutage sind Arbeiter häufig nicht organisiert. Sie sind auf die Betriebe verteilt und haben untereinander keinen Kontakt. Sie sind eingeschüchtert und glauben nicht an ihre eigenen Kräfte. Eine solche Situation dient den Arbeitgebern, ihre Arbeiter grenzenlos ausbeuten. Gleichzeitig verzichtet die Masse der Arbeiter selbst auf das Recht, gewerkschaftlich aktiv zu werden, oder wird von den Arbeitgebern effektiv davon abgehalten, die Schikanen gegenüber Gewerkschaftsaktivisten abzuwenden. Für die Gewerkschaftszugehörigkeit, für den Versuch der Organisation einer Gewerkschaft, kann man "auf die Straße gesetzt werden". Bekannte Arbeitgeber, die Gewerkschaftsaktivisten drangsalieren, profitieren immer häufiger vom Schutz und der Unterstützung der staatlichen Verwaltungsapparates und der Polizei. Das geschieht in Polen, in einem Land, in dem vor noch nicht langer Zeit Arbeiter, die für freie Gewerkschaften kämpften, ihre Opferbereitschaft mit langjährigen Gefängnisstrafen und sogar ihrem Leben bezahlt haben.

Am gesamten System der Ausbeutung der Arbeiter haben jedoch häufig auch die in Polen aktiven Gewerkschaften Anteil. Die größten von ihnen haben eine extreme politische Bedeutung. Zusätzlich wird aus ihnen allzu häufig das Sprachrohr der Geschäftsführungen einzelner Betriebe und sie verkünden den Menschen, daß sie die schwierige Situation der Betriebe verstehen müssen, und damit akzeptieren sie die Unfähigkeit des Managements. Die Gewerkschaften haben das Vertrauen der Arbeiter verloren. Gerade einmal 14 % der Arbeiter gehören zu ihrer organisatorischen Struktur. Die Interessen des verbliebenen Teils der Arbeiterschaft werden von niemandem repräsentiert. Die neoliberale Ideologie, nach der jeder sich nur um sich selbst kümmert, ist schuld daran, daß der solidarische und gemeinsame Kampf um Arbeiter- und Menschenrechte unmöglich wird.

Die hohe Arbeitslosigkeit führt dazu, daß zur Arbeit immer billigere Arbeitskräfte herangezogen werden. Eigentümer und Manager senken die Kosten, und dabei steigern sie sich ziemlich häufig zu gewöhnlichen Betrügereien, Einschüchterungen und dem Ausnutzen derjenigen Arbeiter, die nicht organisiert sind und kaum ihre Rechte kennen. Massenhaft wird die vereinbarte Arbeitszeit verletzt, und in 62 % der Fälle wird der Lohn nicht termingerecht bezahlt. Von den "Wohltaten" der neoliberalen Systemtransformation in Polen profitieren nur einige wenige. Die Gehälter der polnischen Manager sind gegenwärtig 10 – 15mal höher als der Durchschnittslohn im Land. Dagegen erfährt die Situation der Arbeiter eine drastische Verschlechterung. Untersuchungen haben gezeigt, daß die Arbeiter immer weniger verdienen. Viele finden sich in einer Lage, wo die drohende Entlassung oder der Besuch vom Gerichtsvollzieher zum Alltag gehören.

In der wirtschaftlichen Krise kommen verdeckte gesellschaftliche Widersprüche wieder an den Tag, die bis dahin von den hurra-optimistischen Slogans der herrschenden Eliten und der sie begleitenden Medien übertönt wurden. Selbst viele Politiker, die noch aus der 1980er Revolution stammen, und die damals für die Verteidigung der Arbeiterrechte und gegen die kommunistische Diktatur eingestanden sind, repräsentieren heutzutage nicht mehr die Gesellschaft, sondern nur noch sich selbst, ihre Interessen und ihren Anspruch, andere zu lenken. Mit weißen Hemden, Anzügen von Armani, Uhren, deren Wert ein durchschnittliches Monatsgehalt übersteigen, und wohlklingenden Sprüchen auf den Lippen sprechen sie ihr Urteil über die arbeitende Klasse in Polen. Unter dem Druck der Geschäftsleute weichen sie das Arbeitsrecht auf. Das einzige Ziel dieser Reformen ist eine Situation, in der Menschen ohne ein Wort des Widerspruchs auf die Straße gesetzt und die Löhne gesenkt werden können und damit gleichzeitig den Eigentümern großer Unternehmen erlaubt wird, auf Kosten der Arbeiter Profite zu erzielen.

Es ist klar, daß das wirtschaftliche System nicht funktioniert: die Menschen bekommen über Monate hinweg keine Löhne, Zehn-, vielleicht Hunderttausende sind von Entlassung bedroht, die Arbeitslosigkeit steigt, die Löhne fallen... und der versprochene Aufschwung kommt nicht. Diese Fakten sind kaum zu bestreiten. Die Regierung, der man schon lange nicht mehr zuhört und glaubt, beruft sich, wie immer in solchen Fällen, auf ihr letztes Argument – Gewalt. So kümmert sich der "demokratische" Staat um seine Bürger: indem er laufend die Errungenschaften der Arbeiterbewegung beseitigt und gesellschaftliche Hilfsprogramme einschränkt, bleibt ihm einzig seine repressive Funktion übrig. Wir alle sind Opfer dieser Politik.

Sämtliche Rechte und Errungenschaften der Arbeiterbewegung wurden mit zahlreichen Opfern unter den Aktivisten erkauft, die nicht davor zurückschreckten, gegen die Diktatur einzutreten. Momentan verringert sich die reale Bedeutung ihres früheren Engagements. Die regelmäßigen Märsche zu den Jahrestagen der Arbeiteraufstände dienen heute nur noch zur Legitimation der neuen neoliberalen Regierung. Häufig stellen die Medien Arbeiter, die an Protesten oder Streiks teilnehmen, als "berauscht" oder "Hooligans" dar, als unverantwortliche Personen, durch die man den doch so naheliegenden Wohlstand nicht erreichen kann. Seit Beginn der Systemtransformation werden die Kosten jedoch vor allem von Arbeitern getragen, dank derer die Transformation überhaupt möglich war. Die Gesellschaft, die 1989 hoffnungsvoll den Fall des "Realsozialismus" begrüßte, wurde in ihrem Glauben an die parlamentarische Demokratie und den Kapitalismus enttäuscht. Heute sehen die Menschen um sich herum überall gesellschaftliche Ungleichheiten, Elend und Korruption. Schaffen sie es jedoch zu sehen, daß diese Probleme, die uns alle betreffen, das Produkt des gegenwärtigen politischen Systems sind?

aus: TEJ Nr X spezial, 15. Februar 2003, Straßenzeitung der FA Poznan, Die Geschichte der Blockade des polnischen Kabelwerks Ozarow


Die Geschichte der Blockade des polnischen Kabelwerks Ozarow

18. November 2002

Zehn Mitglieder der anarchistischen Föderation (FA) und der Arbeiterinitiative (IP) aus Poznan und Warschau fuhren nach Ozarow, um dort die Nacht damit zu verbringen, bei den Blockaden zu helfen. Die Arbeiter haben seit Monaten Streikaktionen unternommen, seit dem ihre Kabelfabrik beschloß, daß billigere Arbeitskraft woanders gefunden werden kann. Während des Sit-ins hatten wir Zeit, zu lernen, daß die Arbeiter aus anderen Fabriken, die zu dem selben polnischen Elektronikkonzern gehören, sowie aus Poznan und Bydgoszcz nicht nur es ablehnten, diesen Streik zu unterstützen, sondern ihre Gewerkschaften an die Regierung Petitionen geschrieben hatte, die zu der Entfernung der Protestierenden aufrufen! Diese Arbeiter scheinen zu denken, wenn Leute in einer Fabrik ihre Arbeit verlieren, werden sie ihre nicht verlieren. Ironischerweise entläßt die Fabrik in Szczecin nun ebenfalls Arbeiter. Die Arbeiterinnen, mit denen ich in Ozarow sprach, waren nicht sehr dankbar bezüglich ihrer Kollegen, die die Solidarität in einem solchen Weg gebrochen haben. Sie sagten, sie glauben nicht, daß die betrieblichen Gewerkschaftssekretäre der Gewerkschaften in Szczecin und Bydgoszcz wirklich diese Petitionen unterschrieben haben. Wir beschlossen, zu Solidaritätsmärschen in Szczecin aufzurufen, zumal es dort eine IP-Gruppe gibt.

Zum anderen haben wir gelernt, daß die Polizei versuchte, die streikenden Arbeiter einzuschüchtern, indem sie eine Antiterroreinheit in einen Betriebskindergarten eindringen ließ. Männer mit Skimasken und Gewehren sprangen über den Zaun des Kindergartens, angeblich um einen "Feueralarm", wie die offizielle Begründung lautet, zu überprüfen. Das war ein Versuch, die Kinder zu erschrecken und auf diese Art den Druck auf die Streikenden indirekt zu erhöhen. Jenseits aller Versuche der Autoritäten und des privaten Sicherheitsdienstes haben die Streikenden viel Unterstützung in ihrer Nachbarschaft (zumal die meisten der Wohnblocks in der Gegend von ehemaligen Arbeitern dieser Fabrik und ihren Familien bewohnt werden), und dadurch in der Lage waren, Hunderte von Menschen buchstäblich in Minuten zu mobilisieren, wenn eine Gruppe der privaten Sicherheitsleute versuchte, die Blockade zu durchbrechen.

Das nächste Mal planen wir, ein Food-Not-Bombs-Team mitzubringen und einige Aktivitäten für die Kinder zu organisieren, wie z.B. eine Kletterwand oder ähnliches.

26. November 2002

Um 3:30 morgens haben mehrere Dutzend private Sicherheitsleute 200 Kabelwerker attackiert. Dabei wurde mindestens eine Person verletzt und später ins Hospital gebracht. Die freiwillige Feuerwehr wurde von den Protestierenden gerufen, und sie spritzten Wasser auf die Sicherheitsleute.

Ca. um 4 Uhr morgens kam die Bundespolizei und brach den Weg zum Fabriktor auf. Zur selben Zeit blockierten die Protestierenden die Hauptstraße Poznan-Warszawa, die direkt neben der Fabrik verläuft. Die LKWs, die gekommen waren, um die Produktionsanlagen in der Fabrik zu demontieren, wurden mit Steinen beworfen. Zehn Personen wurden festgenommen. Einige LKW-Fahrer verweigerten, die Arbeit unter diesen Bedingungen fortzusetzen, aber bis zum Abend haben einige LKW-Ladungen voll Ausrüstungen die Fabrik bereits verlassen. Die Fabrik in Ozarow ist eines von tausend Beispielen, wie profitable Betriebe, die ganzen Städten Beschäftigung garantierten, im Zuge der Privatisierungen zerstört werden. Die entlassenen Arbeiter in Ozarow hatten das Haupttor der Fabrik bereits seit 210 Tagen blockiert, um die Liquidation der Fabrik zu verhindern. Produktionsanlagen und –güter werden zu den Produktionsstandorten in Bydgoszcz und Szczecin gebracht.

Einige Mitglieder der FA Warszawa waren unter den Protestierenden, und wir erwarten mehr Leute von anderen Städten in den nächsten Tagen, aber der Kampf kann sehr schnell vorüber sein.

28. November 2002

Heute war ein Tag mit heftigen Auseinandersetzungen von den entlassenen Arbeitern und der Polizei. Alte und junge Menschen, Mütter mit Kinder und Fußball-Hooligans versuchten, die Polizeilinien zu durchbrechen und herauskommende LKWs zu behindern. Gewerkschaftsaktivisten aus Siedlce und anderen Städten Polens, aber auch aus Dänemark, haben an dieser Auseinandersetzung teilgenommen. Die Sprecher der Gewerkschaft von Ozarow teilten mit, daß sie die Fabrik mit Gewalt wieder unter ihre Kontrolle bekommen wollen. Morgen und am Samstag werden mehr Leute vom Land uns unterstützen kommen, inkl. FNB und Samba-Gruppen.

29. November 2002

Mehrere Dutzend Mitglieder der Arbeiterinitiative und der Anarchistischen Föderation kämpfen in Ozarow zusammen mit den Arbeitern, und das Wochenende verspricht, heiß zu werden. Arbeiteraktivisten von der Danziger Werft kamen an und griffen die Polizei an. Anarchisten aus Lodz, Warszawa, Poznan und Schlesien haben sich versammelt, um zusammen mit Menschen aus Bialystok und Szczecin. In den vergangenen letzten Wochen hat es mehrere Vorfälle mit der Polizei gegeben, die Gewalt gegen streikende Arbeiter anwandte. Die Anzahl von Streikaktivitäten in Polen wächst. Im Allgemeinen ist dies auf die sich verschlechternde ökonomische Lage zurückzuführen, und auf das konzentrierte Bestreben, einige Industriezweige stillzulegen. Nachdem France Telecom z.B. einen großen Anteil von der polnischen TPSA gekauft hatte, begann sie, Kabel von Alcatel anstelle von Ozarow zu kaufen, obwohl es keinen Qualitätsunterschied gibt. Ozarow wird nur liquidiert, weil der Konzern umstrukturiert wird und wegen Gewinnmaximierung. Wieder wurden Teile der Produktionsmittel auf LKWs verladen und nach Bydgoszcz gebracht. Arbeiter versuchten, die LKWs aufzuhalten, aber wurden von Spezialkräften davon abgehalten. Sehr viele Menschen stehen auf Seiten der Arbeiter, und es gibt eine große öffentliche Unterstützung, meistens nur Worte, aber keine Aktionen. Die Repression nimmt derart zu in Polen, daß normale Menschen zu viel Angst haben, etwas zu unternehmen.

1. Dezember 2002

Die Proteste in Ozarow dauern an, obwohl die Zahl der Protestierenden relativ gering ist. Heute waren es, zusammen mit dem anarchistischen Block, ca. 70 Leute, und obwohl die Medien das Gegenteil behaupten, ist die Liquidation der Fabrik noch weit davon entfernt, materiell vollzogen zu sein. Bisher haben ungefähr 120 LKWs die Fabrik verlassen (39 heute). Nach Schätzungen der Arbeiter werden 900 LKW-Ladungen im gesamten benötigt, um die kompletten Produktionsstraßen – Materialien und fertige Kabel – abzutransportieren. Dies könnte bis zu einem Monat dauern. Bisher hat die Polizei allerdings lediglich für sieben Tage den Schutz der Transporte zugesagt. Die Transporte werden darüber hinaus von dem privaten Sicherheitsdienst geschützt, von dem viele Ausländer sind (nicht nur aus der Ukraine). Da nur ein geringer Anteil der 900 Kabelwerker teilnimmt, ist es nicht möglich, die Transporte vollständig zu blockieren und die bisherige Strategie beinhaltet Ablenkung und Angriff von Sicherheitspersonal durch ständige Angriffe mit Steinen, Knallkörpern und Metallprojektilen. Die Protestierenden sind den LKWs auf der Straße gefolgt und haben ihren Windschutz mit Steinen beworfen, Nägel auf der Straße ausgestreut, um ihren Fortschritt zu bremsen. Bisher wurde sechs LKWs so zerstört, daß sie ausfielen. Die Protestierenden, mit denen ich sprach, sehen ihren Kampf als Teil eines größeren Kampfes gegen die ökonomische Umstrukturierung und die Wirtschaftspolitik der letzten 12 Jahre. Es ist für sie schmerzhaft, festzustellen, daß ihre Ziele nicht erreicht werden können wegen dem vorherrschenden Grad an Apathie in der polnischen Gesellschaft. Jedoch diese wenigen Arbeiter, die den Protest aufrechterhalten trotz des zunehmend schlechten Wetters (der erste Schnee fiel heute) sind guter Stimmung, trotz der Kälte, der Polizeirepression und dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Durch ihre Erfahrungen mit der Polizei in der letzten Woche nennt jeder die Polizei "Diese Hunde". Es ist für jeden vollkommen klar, daß die Polizei den reichen Dieben dient, und nicht die Leute vor der Gewalt der privaten Sicherheitsdienste schützt.

2. Dezember 2002

Unten stehend habe ich Adressen von Tele-Fonika Verkaufs- und Vertriebszentren zusammengestellt. Gestern kam im Fernsehen eine Live-Übertragung aus Ozarow, und eine Sache hat uns wirklich erstaunt, nämlich daß das Management die Leute beschuldigte, Molotow-Cocktails zu werfen etc., und der Moderator wollte in die Argumentationslinie verfallen, daß "betriebsfremde Agitatoren" solche Dinge tun. Wir rechneten damit, daß einer der Gewerkschaftsbosse die Anarchisten beschuldigen würde (weil sie natürlich die am leichtesten zu Beschuldigenden sind), aber dies war nicht der Fall. Man kann auch folgende Verkaufs- und Vertriebspunkte der Tele-Fonika in Übersee kontaktieren:

2. Dezember 2002

Warum müssen 900 Menschen ihre Lebensgrundlage in Ozarow verlieren? Stellvertreter der Tele-Fonika teilten der Presse mit, daß es keine Nachfrage nach Kabeln gibt, und daß die Fortführung der Beschäftigungsverhältnisse die Position der anderen 4000 Beschäftigten der Tele-Fonika in Polen verschlechtern würde.

Boguslaw Cupial, der 100% Eigentümer von Tele-Fonika, verdient eine halbe Million Dollar im Jahr. Cupial ist Polens sechstreichster Mann und hat 1,7 Milliarden Dollar Vermögen. Allein 2001 verdiente er 500 Mio Dollar dazu. Vor einigen Jahren war Cupial lediglich der vierzigstreichste Mann in Polen, aber nach der Umstrukturierung einer Fabrik in Krakow – wo 700 Arbeiter ihre Arbeit verloren – stiegen die Profite um mehrere hundert Prozent und so auch Cupials persönliches Vermögen.

Sprecher der Tele-Fonika lügen, wenn sie behaupten, daß die Nachfrage nach Kabeln abgenommen hat, denn zeitgleich dehnen sie ihre Märkte aus.

8. Dezember 2002

Anarchisten der Arbeiterinitiative (Lodz, Warsawa, Poznan und Szczecin) waren dieses Wochenende wieder in Ozarow, um das Camp bei der Fabrik zu unterstützen. Die Temperatur ist unter dem Gefrierpunkt. Es ist mindestens minus 20 Grad, aber die Arbeiter fanden eine interessante Möglichkeit Vorteil daraus zu ziehen: Sie schütten Wasser auf die Straße, so daß sich vor der Fabrik Eis bildet und die LKWs nicht durchfahren können. Die Geschäftsführung hat es nicht geschafft, alle Materialien abzutransportieren, seitdem die LKWs der letzten Woche mit Molotow Cocktails und ähnlichem, beworfen wurden. Nach dem sie die Arbeiter massiv verprügelten, haben sie es allerdings geschafft, einiges von dem Material abzutransportieren.

Ein Kuriosum ist, daß die Arbeiter in Ozarow (und das ist wohl typisch für nichtpolitisierte Arbeiter) nicht glauben, daß die Autoritäten sie womöglich belangen könnten, denn "die Polizei und die Sicherheitsleute sind es die uns schlagen und sie werden bestraft." Wir gehen von der Annahme aus, daß die Leute nach solchen Zusammenstößen zumindest hohe Geldstrafen erwarten. So zeigt es sich, daß die Gewerkschaften wirklich nicht gut darin sind, den Leuten klarzumachen, wie man sich bei einem Protest verhält oder was die Konsequenzen von direkten Aktion sein können.

Die Gewerkschaften benehmen sich lieber wie Schafe und verhandeln mit der Regierung. Sie geben keine Handlungsanweisungen und keine Verhaltensregeln aus.

Gestern erzählten mehrere Arbeiter, daß sie von einem Generalstreik träumen. Daß dies die einzige Sache wäre, aber daß es keine Chance gibt, daß dies passieren wird. Es gibt eine Menge Streiks überall in diesem Land. Die größten Probleme sind die kapitalistische Propaganda und ihre fehlende Vorstellungskraft.

11. Dezember 2002

Es gibt einen Aufruf zu einem Solidaritätsfond der Arbeiter Initiative.

8. Januar 2003

Vor zwei Wochen sind 15 entlassene Arbeiter in die Fabrik eingebrochen und haben die Sicherheitsleute angegriffen.

12. Januar 2003

Wir waren gestern in Ozarow und brachten etwas Geld für Kohlen mit. Und das ist die Situation am 286. Tag des Protestes (Die Arbeiter haben die ganze Zeit das Werktor blockiert, die niedrigste Temperatur zu dieser Zeit war minus 26 Grad):

Ein weiteres Tor wurde von den Sicherheitsleuten geöffnet und mit Benzin beladene LKWs fuhren aufs Gelände. Das Benzin ist für die bei der Demontage und dem Verladen eingesetzten Gabelstapler bestimmt. Das bedeutet, daß eine weitere Blockade dort errichtet werden muß und auf Grund der wenigen Leute, die noch die Energie haben zu protestieren, ist das sehr schwierig. Seit Anfang Dezember haben jedoch keine neuen LKWs die Fabrik verlassen. Aber der neue Besitzer der Fabrik hat erreicht, was er wollte: Stillegung der Kabelproduktion und sein Unternehmen hat einen Konkurrenten weniger

Die Protestierenden versuchen nun eine Arbeitergenossenschaft ins Leben zu rufen und verlangen dafür finanzielle Garantien von der Stadt Ozarow. Sollte dies Erfolg haben, wollen sie vom Industrieminister die Rückgabe eines Teils der Fabrik verlangen, so daß sie die Produktion wieder aufnehmen können. Bislang hat die Regierung lediglich die Schaffung einer speziellen Wirtschaftszone in Ozarow versprochen (Dies ist laut EU-Vorgaben nicht möglich, deshalb müssen sie nun einen Weg finden eine Subzone einer schon bestehenden Zone zu schaffen.). Aus Sicht der Arbeiter ist das sinnlos, denn in diesen Gesprächen ist nie von Kabelproduktion die Rede.

Es ist für die Entlassenen unmöglich Arbeit zu finden. Die meisten sind über 40 Jahre alt, deshalb will sie niemand einstellen. Wenn sie sagen: "Ich bin aus Ozarow," dann ist das Vorstellungsgespräch meistens beendet. Die Arbeitgeber wollen niemanden, der für seine Rechte kämpfen kann.

Während der letzten Wochen haben Bergbaugewerkschaften Vereinbarungen zur Schließung mehrerer Kohlenminen unterzeichnet. Die Menschen in Ozarow zählten auf ihre Solidarität, aber davon war nicht viel zu sehen. Eine Frau aus Ozariow sagte, daß der Eigentümer ganz einfach die Arbeiter des Kabelwerkes ausgetrickst haben könnte und sie hätten die Fabrik selbst demontiert und keinen Widerstand geleistet, wenn die Entlassungen nur graduell gewesen wären. Das einzige, was sie mobilisierte war die extreme Arroganz des neuen Eigentümers. Sie können es immer noch nicht glauben, wie es möglich ist, daß die Regierung Bedingungen für den völligen Kollaps der Wirtschaft schafft.

21. Februar 2003

Ich habe einige unbestätigte Nachrichten über das Ende der Werktorblockade: Es sieht so aus, als wolle die Regierung in die Arbeitergenossenschaft investieren, die zwei Produktionsgebäude bekommt. Der neue Betrieb wird primär entlassene Kabelwerker einstellen. Die schlechte Nachricht ist, daß dieser Betrieb keine Kabel produzieren wird.

27. April 2003

Mitglieder der Arbeiterinitiative aus Opole, Oberschlesien und Warsawa nahmen an einer Demonstration teil, die von der Solidarnosc am 24.04.2003 organisiert wurde. 50.000 Menschen beteiligten sich. Interessanterweise waren etwa die Hälfte Frauen, davon viele sehr junge. Hauptsächlich ging es um die Unzufriedenheit mit der Regierung. Arbeiter aus Ozarow erzählten, daß die meisten entlassenen Kollegen neue, aber schlechtere Arbeit gefunden haben.

30. Mai 2003

Arbeiter aus Ozarow protestierten vor dem Arbeitsministerium in Warzawa.

(aus: www.alter.most.org.pl/fa/ozarow.htm)


Letzte Entwicklungen

Trotz einer Vereinbarung, in der es um die Übernahme der Kabelfabrik Ozarow durch neue Investoren geht, ist die Situation der 900 entlassenen Arbeiter weiter kritisch. Lediglich 30 haben bislang eine neue Arbeit gefunden.

Im Juni 2003 blockieren 300 entlassene Arbeiter die Trasse Warszawa-Poznan. Sie fordern von der Tele-Fonika die Übergabe der Fabrik an einen neuen Investor und die Einhaltung der getroffenen Vereinbarung. Ein weiteres Problem für eine Übergabe bleibt die Weigerung der Tele-Fonika, das Firmengelände in kleinere Einheiten aufzuteilen. Sie besteht darauf, den Grund in einem Stück zu verkaufen und setzt den Preis dafür doppelt so hoch an wie die Schätzungen der staatlichen "Agentur für Industrieentwicklung" es vorgeben.

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