letzte Änderung am 11. Febr. 2003

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Klassenkämpfe in Polen

Schlesien, Warschau, Stettin

Artikel von Konrad Markowski, erschienen in der Februar-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung SoZ

Es hat sich etwas geändert in Polen: Die Arbeiter der Stettiner Werft haben verlangt, daß ihr Betrieb wieder verstaatlicht wird, die Arbeiter von Ozarow (Kabelwerk bei Warschau) stellen sich der Polizei entgegen, selbst die Erwerbslosen fangen an sich zu organisieren. Nach Jahren der "Transformation" fallen die Trugbilder des "sozialen Kapitalismus" in sich zusammen. "Die Polen wollten es bei sich haben wie in Amerika, aber sie dachten nicht, daß es Lateinamerika würde", sagt ein altes Scherzwort.

 

Betriebsbesetzung in Ozarow

"Wir protestieren gegen den Einsatz der Polizei gegen Arbeiter, die in Ozwarow legal demonstrieren!" Jacek Kuron und Karol Modzelewski, die beiden Hauptprotagonisten der Opposition gegen das kommunistische Regime, die 1964 zusammen einen Offenen Brief an den damaligen Regierungschef Gomulka adressiert hatten, haben sich nun erneut und wieder gemeinsam mit einem Offenen Brief an Premierminister Leszek Miller gewandt, der auch von Gewerkschaftern der Solidarnosc wie auch der OPZZ (früher die regimetreue Gewerkschaft) unterzeichnet worden ist. Damit reagierten sie auf einen brutalen Polizeiangriff gegen die Arbeiter, die ihren Betrieb in Ozarow Mazowiecki bei Warschau besetzt hielten.

Anfang 2001 wurde das Kabelwerk Ozwarow (FKO) von Tele-Fonika Krakau gekauft. Für die Branche war das eien schwierige Zeit. Die polnische Telekom, die von France Telekom kontrolliert wird, erteilte ihre Aufträge an die französische Alcatel und nicht an Tele-Fonika. Am 19.April 2002 informierte der Leiter von Tele-Fonika, Boguslaw Cupial, daß FKO geschlossen werde. "Er will für seine anderen Werke die Konkurrenz aus dem Weg räumen", sagen die Gewerkschafter von Ozarow. Die Bitterkeit unter der Belegschaft war groß, die Mehrzahl unter ihnen arbeitet hier seit 20 Jahren. Das Leben in Ozarow dreht sich um FKO.

Die Arbeiter beschlossen also, das Werk zu besetzen und die Maschinen nicht herauszurücken, die Cupial in seine neuen Werke abtransportieren wollte. Die Aktion wurde von der Stadtverwaltung abgesegnet.

Am 27.November trat die Aktion in ihren 220. Tag. Gewerkschaftsdelegationen aus ganz Polen hatten sich an ihr beteiligt. An diesem Morgen aber griffen private Sicherheitskräfte, die von Cupial angeheuert waren, die Blockierenden an. Es war ein harter Kampf. Die örtliche Feuerwehr unterstützte die Arbeiter und setzte Wasserwerfer gegen die Angreifer ein. Als die Arbeiter die Sicherheitskräfte umzingelt hatten, trat die Polizei in Aktion Ð in "Verteidigung des geheiligten Rechts auf Eigentum", wie der Polizeikommandant danach erklärte. Es gab Verwundete und Verhaftete.

Die ersten Lastkraftwagen mit den demontierten Maschinen verließen das Werk. Aber der Portest wurde fortgesetzt. In den nachfolgenden Tagen gab es neue Versuche von Blockaden. Die Polizei suchte in der ganzen Stadt nach "Rädelsführern". Steine flogen gegen Polizeiautos. "Zomo! Ð Gestapo!" konnte man auf den Häuserwänden von Ozarow lesen. (Zomo waren die Einheiten zur Aufstandsbekämpfung unter Jaruzelski). Gewerkschaftsdelegationen aus anderen Betrieben kamen den Streikenden zu Hilfe, aber auch junge Globalisierungskritiker von Attac Polen (ein attac-Mitglied wurde verwundet).

Die katholische Kirche versuchte, den Protest auf ihre Mühlen zu leiten. Ein Abgeordneter des Polnischen Familienverbands trafft in Ozwarow ein; aber Cupial ist ein polnischer Unternehmer, vor wenigen Monaten noch galt er als ein Musterbeispiel für polnische Kapitalisten.

Am 1.Dezember zog sich die Polizei zurück; die Lastwagen konnten nicht mehr bis zum Werk vordringen, um die restlichen Maschinen abzuholen. Die Regierung versprach, ein Hilfswerk für Unternehmer in Ozarow einzurichten, aber die Leute sind nicht auf den Kopf gefallen: das bedeutet Steuerbefreiung für die Unternehmer, und für die Arbeiter keine neuen Arbeitsplätze, das verstehen sie.

Nach der Schlacht gab es über ein Dutzend Verwundete, mehrere Dutzend Menschen wurden verhaftet und angeklagt.

Bemerkenswert ist, daß ein moderner Betrieb geschlossen wurde, nicht das Werk einer "archaischen" Industrie wie beispielsweise die Stahlindustrie. Statistiken bestätigen, daß Polen einen Prozeß der Deindustrialisierung durchgemacht hat. In den größten Branchen der Industrie wurden nach einem Bericht des Regierungsinstituts für Strategische Studien (Juli 2002) in den letzten zehn Jahren die Hälfte der Arbeitsplätze zerstört Ð nicht weil die Produktivität so stark gestiegen wäre, sondern weil die Betriebe einfach geschlossen wurden. Selbst hochmoderne Industriezweige wie die Mikroelektronik, Informatik, Ausrüstung für Telekommunikation wurden davon betroffen.

Der Kampf in Schlesien

Schlesien könnte zum Symbol für den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang werden. Die Region mit der großen Industrietradition, in der sich einst Stahl und Bergbau konzentrierten, ist heute trostlos. Erwerbslose greifen sogar Kohlezüge an, um sie zu plündern und das "schwarze Gold" zu verkaufen. Die örtlichen Behörden haben sich in einen Wahn geredet, in Schlesien könne ein neues Silicon Valley entstehen; die Realistischeren unter ihnen behaupteten immer noch, die "Transformation" werde helfen, die schlesische Industrie zu modernisieren. Aber auf dem Weltmarkt wird die polnische Industrie den Konkurrenzkampf verlieren, weil sie keine Investitionen bekommt.

Schlesien ist aber auch die Region mit der kämpferischsten Arbeiterklasse; sie konzentriert sich vor allem in der Bergarbeitergewerkschaft. Als im Dezember 2002 die Entlassung von 3<k25>5<k0>000 Bergleuten angekündigt wurde, stand die gesamte Region auf: Fast täglich gab es Demonstrationen, Streikposten, eine Abstimmung über einen Generalstreik in den Zechen Ð bei der aktuellen wirtschaftlichen Lage eine schwierige Sache, die dennoch von der Mehrheit der Kumpels unterstützt wurde. Die Regierung mußte einen taktischen Rückzug antreten, will aber an ihren Plänen, die Kohle zugunsten der Versorgung mit Erdgas aufzugeben, festhalten.

Stettin und die Werft

Die große Wende in der sozialen Situation kam mit der Gründung des Nationalen Protestkomitees (OKP) im Juli 2002. Ihr lag eine breite Protestwelle für die Verteidigung der Werft in Stettin zugrunde. Die Arbeiter forderten die Neu-Verstaatlichung der Werft, die vor einigen Jahren privatisiert wurde. OKP ist ein Netzwerk unterschiedlicher Gewerkschaften aus über zehn Betrieben, die Ð wie Ozwarow Ð in Konkurs gegangen sind. OKP hat gefordert, daß die Privatisierungen gestoppt werden und die Möglichkeit geschaffen wird, notleidende Betriebe wieder zu verstaatlichen. Das ist eine Premiere in Polen! Aktivisten von OKP nahmen in Florenz am Sozialforum teil, und im Januar 2003 hat OKP offiziell beschlossen, auch am kommenden Europäischen Sozialforum in Paris teilzunehmen. Die Verankerung von OKP ist sehr ungleich und seine Mobilisierungsfähigkeit begrenzt, aber es ist dennoch die erste radikale Struktur, an der mehrere Gewerkschaften beteiligt sind, die sich im Kampf für "ein besseres Europa" engagiert. Das stellt für die beiden großen, bürokratisierten Gewerkschaftszentralen Ð Solidarnosc und OPZZ Ð, die jeweils mit einem der beiden großen politischen Lagern, die liberale Rechte und die postkommunistische "Linke" verbunden sind, eine große Herausforderung dar.

Die Erwerbslosen

Die reale Erwerbslosigkeit liegt in Polen bei 4 bis 4,5 Millionen Menschen. In vielen Städten sind etwa 30% der Menschen arbeitslos Ð so in den Städten an der Grenze zu Deutschland.

Das hat dazu geführt, daß sich seit drei, vier Jahren die Arbeitslosen in Polen organisieren. Solche Erwerbslosenorganisationen gibt es fast in jeder Region, einige stehen unter dem Einfluß der Kirche, andere von randständigen politischen Parteien; das politische Bewußtsein ist niedrig, aber sie führen radikale Aktionen durch: besetzen Arbeitsämter, demonstrieren, machen Erwerbslosenmärsche von Kattowitz nach Warschau, dringen in das Nationalpaarlament ein usw. Sie unterstützen sehr fortschrittliche Forderungen wie die nach kostenlosem öffentlichen Nahverkehr für Erwerbslose, ein garantiertes Mindesteinkommen, ein Programm öffentlicher Arbeiten usw. Sie stehen jetzt vor der Aufgabe, eine nationale Koordination ihrer Organisationen bilden zu müssen und sich in den Kampf der Erwerbslosen auf europäischer Ebene zu integrieren. Dank dem Europäischen Sozialforum konnten einige polnische Erwerbslosenorganisationen mit ihren westlichen KollegInnen Kontakte knüpfen.

Die Linke

Die Linke in Polen ist in ihrer großen Mehrheit sozialdemokratisch, sie regiert nach der Art von Blair, flexibilisiert die Arbeitsmärkte, nimmt den Erwerbslosen ihre Rechte, macht den Unternehmern Geschenke. Aber jetzt gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit, daß aus den sozialen Kämpfen eine neue polnische Linke entsteht, eine die konsequent links ist.

 

Konrad Markowski

Konrad Markowski arbeitet für die Monatszeitung (Arbeiter von Schlesien), die einzige polnische Monatszeitung links von der Sozialdemokratie. Bisher mit regionaler Auflage, will sie jetzt zu einer landesweiten Monatszeitung werden und bitte dafür um Spenden.

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