letzte Änderung am 1. Dezember 2003

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Internationales -> Polen -> Gdansk Suchen

Studienfahrt mit Naturfreundejugend NRW

Gdansk (Danzig) ­ aus Schutt und Asche wieder aufgebaut

Wohl keine Stadt ist mit der deutsch-polnischen Geschichte so verwoben wie Gdansk. Im Rahmen unserer Studienfahrt vom 26.10. bis 1.11.2003 machten wir uns auf die Suche, um für uns etwas mehr Licht in diese Zusammenhänge zu bekommen, natürlich auch besonders unter dem Aspekt des Nazi-Terrors hier. Wir - das waren wieder 38 Jugendliche und Erwachsene im Alter von 15 bis 62 Jahren, in der Mehrheit weibliche TeilnehmerInnen. Nach einer anstrengenden Nachtfahrt mit dem Bus über Berlin und der weiten Hügellandschaft der polnischen Küste (der Film "Die Blechtrommel" nach dem Buch von Günter Grass stimmte uns währenddessen schon etwas ein) erreichten wir über Gdynia und Sopot endlich Gdansk (in dieser Trojmiasto -Dreistadt leben heute rund 800 000 Menschen).

Am Nachmittag bei einem ersten Stadtrundgang erklärte uns Anna Jurkowska die ereignisreiche Geschichte und die Sehenswürdigkeiten. Die über 1000 Jahre alte, ehemals slawische Stadt, Handelszentrum der Hanse, wehrte sich erfolgreich gegen den Deutschen Ritterorden. Sie war dann Freistadt im polnischen Königreich, fiel nach der Zweiten Polnischen Teilung an Preußen, erhielt in der napoleonischen Zeit erneut den Status als Freistadt und unterstand nach dem 1.Weltkrieg von 1920 bis 1939 der Kontrolle des Völkerbundes. Zu Beginn des 2. Weltkrieges, den die Nationalsozialisten hier rund 15 km von Gdansk am 1.9.1939 mit dem Angriff auf die Westernplatte entfachten, waren ca. 90 % der Bevölkerung Deutsche, die auch mehrheitlich "Heim ins Reich" wollten. Durch die schweren Kämpfe (jahrelange Bombenangriffe Und Flächenbrände) ­ die russische Armee war wegen der "erbitterten Verteidigung" durch die Deutschen zum Schluss zum Häuserkampf gezwungen ­ lag rund 90% des Stadtkerns der ehemaligen "Perle der Ostsee" in Schutt und Asche.

Der chilenische Volksdichter Pablo Neruda beschrieb die Situation in seinem Gedicht "Ruinen am Baltischen Meer" so:
Gdansk, kugeldurchbohrt vom Krieg,
irrzerrfetzte Rose,
zwischen deinem Meeresruch
und dem hohen fahlen Himmel
ging ich inmitten deiner Ruinen einher,
ein Gespenst unter Gespenstern,
zwischen Trümmern und orangenem Silber.
Eindrangen die Nebel mit mir,
die eisigen Schwaden,
und umherschweifend
entwirrte die Straßen ich,
die häuserlosen, menschenlosen.
Ich kenne den Krieg
und dieses Antlitz augen- und lippenleer,
diese gestorbenen Fenster,
ich kenne sie,
sah sie in Madrid, in Berlin, in Warschau,
doch dieses gotische Schiff v des Sommers Duft herübertrug,
alles war Staub, Berge
zerstörte Materie,
mit seiner roten Ziegelasche
am Meer, an der Pforte
der alten Fahrten -
merkantiles Antlitz am Bug,
grüner Kutter der eisigen Meere -,v mit seinen herzzerreißenden Wunden,v seinen Mauerstümpfen,
seinem vernichteten Stolz,
sie drangen in meine Seele
wie Schneeböen, Staub und Rauch,
wie etwas, das erblinden macht und
verzweifeln.
Das Haus der Gilden
mit seinen gestürzten Emblemen,
die Banken, in denen das Gold
in Europas Kehle fiel, klirrend,
die roten steinernen Uferdämme,
wo ein Strom von Getreiden
gleich einer Erdenwoge
und der Wind des eisernen Baltischen
Meeres
wehte ins Leere.

Auch hier ein unendliches Leid für die Menschen. Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung und Besiedlung durch die polnische beschloss der polnische Staat 1948 diesen alten historischen Stadtkern wieder naturgetreu aufzubauen. Bis 1960 war die Rekonstruktion nach den alten Plänen weitgehend abgeschlossen. Für uns heute unvorstellbar, wie viel Fachkenntnisse und Facharbeit darin stecken muss, aber auch wie viel Opfer die Bevölkerung des Landes für die Kosten dafür erbringen musste. Wir gingen durch das Grüne Tor, bestaunten die herrlichen Bürgerhäuser aller Stilepochen in der Langen Gasse, vorbei am Neptunbrunnen und dem interessanten Rathaus zum Goldenen Tor. Der Weg ging weiter über die größte erhaltenen Backsteinkirche der Welt, der Marienkirche mit ihren schlanken Ziertürmen ­ hier schauten wir auch in das Innere -, zur malerischen Frauengasse mit den terrassenartigen Vorbauten, den Beischlägen, über das Frauentor, über die Katharinenkirche zur Brigittenkirche. In dieser Kirche befindet sich das symbolische Grabmal des im Rahmen der Auseinandersetzungen mit Solidarnosc und der Leninwerft 1984 ermordeten Priesters Jerzy Popieluszko. Wir erlebten in dieser Kirche mit der hervorragenden Akustik gerade eine Probe eines deutsch-polnischen Chores. Nach der Besichtigung des Krantores war der erste Tag beendet.

Der Angriff auf die Westerplatte ­ Beginn des Leids und Elends des 2. Weltkrieges

Am nächsten Morgen trafen wir auf die Zeitzeugin Hildegard (eine deutsch-sprechende Kaschubin), die mit uns zur Westerplatte fuhr. 1924 gestattete der Völkerbund Polen auf der strategisch gutgelegenen Halbinsel Westerplatte ein großes Munitionslager anzulegen. Mit Unterstützung des vor der Küste liegenden Panzerschiffes "Schleswig-Holstein" eröffneten die Nationalsozialisten am 1.9.1939 um 4.45 Uhr ihren seit langer Hand geplanten Angriffskrieg symbolisch hier in Polen gegen die Sowjetunion. Rund 4000 deutsche Soldaten standen hier nur 182 polnischen Verteidigern gegenüber, die insgesamt 7 Tage lang einen erbitterten Widerstand leisteten. Mit diesem Angriff nahm die Blutspur nie gekannten Ausmaßes der Nazis in Osteuropa ihren Anfang. Zeitgleich wurden in Gdansk alle führenden PolInnen inhaftiert. In Erinnerung an die polnischen Soldaten wurde ein kleiner Gedenkfriedhof und ein monumentales Denkmal errichtet, von dem wir einen guten Ausblick auf die Danziger Bucht, den Hafen und das Hinterland hatten. Trümmer eines von den Bomben der Deutschen zerstörten Wachgebäudes und eine riesige Inschrift in polnischer Sprache "Nie wieder Krieg!" konnten wir in der Anlage ebenfalls entdecken. Im Anschluss daran ging Hildegard mit uns zusammen durch die alte Innenstadt. Vorbei vom Hotel aus an der alten Speicherstadt, die nach ähnlichen Vorbildern - wie z.B. Hamburg ­ von "Geldleuten" aufgekauft wurden. Sie haben zwar Auflagen die Außenfront zu erhalten, aber innen entstehen Hotels, Fitnessräume und teure Eigentumswohnungen. Wir gingen vorbei an der großen (einstmals betrieben mit 10 Mühlrädern) und kleinen Mühle zur "alten Post". Hier leisteten polnische WiderstandskämpferInnen ebenfalls in der Nacht des 1.9.1939 unter erheblichen Opfern 14 Stunden lang Widerstand gegen die Nazis.

Der polnische Zeitzeuge Jan Schönagel

Danach trafen wir im Maximilan-Kolbe-Haus den 80-jährigen polnischen Zeitzeugen Jan Schönagel. Er war als 16-jähriger ein Monat und 6 Tage im KZ Stutthof vor den Toren Gdansk. Sein Vater kam später ins KZ Dachau und ist dort 1945 mit 46 Jahren getötet worden. Vorher hatte die Familie über seinen Aufenthalt keine Nachricht erhalten. Jan Schönagel berichtete: Als am 1.9.1939 der Krieg ausbrach, weckte ihn seine Mutter um 4.30 Uhr. Erst hatten sie an ein Gewitter mit Donner gedacht, doch beim Blick aus dem Fenster schien die Sonne. Sie wurden als Angehörige der polnischen Nationalität nach dem schon lange ausgearbeiteten Plan von den Nazis aus dem Haus getrieben und in die Victoria-Schule gebracht. Dort mussten sie unter üblen Beschimpfungen und Tritten durch ein Spalier von SA/SS-Schergen laufen und ihnen wurden alle Wertsachen abgenommen. Da er zu den ersten Häftlingen zählte, wurde er bereits am nächsten Tag in das KZ Stutthof gebracht. Das Auto blieb auf dem schlammigen Weg (die Straße zum entlegenen KZ war noch nicht fertig) stecken und sie mussten den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen. Auch hier wurden sie durch ein Spalier von Unmenschen getrieben und mit "Schweine" und "Himmelhunde" begrüßt. Sie mussten aus Schikane die ganze erste Nacht draußen stehen, da angeblich nicht alle Revolver abgegeben wurden, was aber nur als Vorwand diente. Sie waren in Zelten untergebracht, da sie erst die Häftlingsbaracken errichten mussten. Auch ihm legten sie die "Volksliste" vor. Sie enthielt 3 Kategorien: 1. Arier ­ 2. Volksdeutsche ­ 3. "Eingedeutschte" - Bereitschaft zum Militärdienst ­ aber "Eindeutschung" erst nach 10 Jahren. Wer nicht unterschrieb war "Freiwild" der Nazis. Er unterschrieb nichts und ist wohl nur aufgrund seines Alters 5 Jahre lang zur Zwangsarbeit bei einem Bauern ausgeliefert worden. Nach 1945 ist er auf der Werft beschäftigt gewesen. Auf die Nachfrage zur Situation der jüdisch-gläubigen Bevölkerung antwortete er: 1933 lebten in Danzig noch 10 000 Juden und Jüdinnen. Viele haben sich danach noch mit viel Geld "freigekauft". So haben sie z.B. für Schiffspassagen, die sie außer Lande bringen sollten, viel Geld bezahlt. In der Ostsee draußen sind sie dann über Bord geworfen worden. Offizielle Mitteilung war dann: nach einem Unglück ertrunken. Jan bracht zur Illustrierung seiner Geschichte einige Fotos und Briefe mit.

Der Widerstand im 2. Weltkrieg

Am Abend trafen wir auf Bogdan Chrzanowski, einem Mitarbeiter der Gedenkstätte des KZ Stutthof. Anna Jurkowska übersetzte sein Referat. Schon im September 1939 haben die sichtbaren Widerstandskämpfe nach Ausrottung der polnischen Intelligenz (rund 30 000) durch die Aktion "Tannenberg" der Nazis aufgehört. Die Listen dafür wurden bereits lange vor 1939 erstellt. Allein am 1.9.19939 wurde die ersten 1 500 "unerwünschten polnischen Elemente" verhaftet und ins KZ Stutthof gebracht.

Es wurde ein "polnischer Untergrundstaat" mit militärischen und zivilen Einheiten gegründet. Die Bedingungen wurden aber erheblich erschwert. Der "pommersche Korridor" wurde Teil des Reiches, PolInnen wurden bereits ausgesiedelt. Deutsch war Amtssprache und es fiel sofort auf, wenn öffentlich polnisch gesprochen wurde. Außerdem durften sich verbleibende PolInnen nur im Umkreis von 100 km bewegen. Die Gestapo hatte ihre Hauptstellen hier in Danzig und in Blomberg. Über zahlreiche V-Leute wussten sie viel über den Widerstand. Bis Anfang 1940 gab es keine aktiven Strukturen. Zentrum des pommerschen Widerstandes war Warschau und hier besonders die Familie Rataijschak. Sie wurden später alle verhaftet. Die Frau wurde zwar als Widerstandskämpferin gefeiert, saß 4 Jahre im Gefängnis und hat dort aber als Ärztin gearbeitet. Aber nach dem Krieg wurde sie vom Geheimdienst verhaftet und konnte nach Kanada flüchten.

Die Aufgaben des Widerstandes waren Beobachtung und Nachrichtenverbreitung sowie Sabotage. PartisanInnenkampf war wegen der fehlenden Wälder nicht sinnvoll. Auch ein Plan für einen Aufstand wurde entwickelt. Es wurde aber von der falschen Annahme ausgegangen, dass das Nazi-Reich nach kurzer Zeit von innen zusammenbrechen würde. Es gab aber auch Menschen die bedrohte Leute versteckt haben, Pakete ins KZ oder in die Gefängnisse schmuggelten oder geheimen Unterricht gaben. Insgesamt gab es rund 50 konspirative Organisationen. Eine besondere Bedeutung hatte auch die "Volksliste". Wer sich nicht eingetragen hatte, musste mit Verhaftung rechnen. Viele haben sich aus Angst vor dem "Selbstschutz" (Erfindung von Heydrich aus dem Sicherheitshauptamt) eingetragen. Auch WiderstandskämpferInnen haben sich in die Kategorie der "Eingedeutschten" eingetragen, weil sie dann einen Radioempfänger besitzen durften. 1945 setzte die Repression durch die SU ein. Die Landesarmee wurde aufgelöst. Die neue Regierung hat alle, die sich in die Volksliste eingetragen haben, als VerräterInnen angesehen und zum Teil nach Sibirien abtransportiert.

KZ Stutthof (Sztutowo)

Mit dem Bus machten wir uns am nächsten Tag auf den Weg zum KZ Stutthof. "Ungefähr 35 km östlich von Danzig geht die beschauliche flussdurchzogenen Marschlandschaft des Danziger Werders allmählich in die bewaldete, sandige Frische Nehrung über, rechter Hand vom Haff, links von der Ostsee umspült. Ein Naturparadies, dieses behagliche Feriengebiet um Stutthof, das vor dem 1.September 1939 gerade noch zum Freistaat Danzig gehörte. Ob der geruhsamen Schönheit dieses Ortes hatte man an der Straße nach Kahlberg ein Altenheim errichtet, malerisch an einer Lichtung gelegen. Eine unglaublich friedliche, stille Gegend ist das ... Doch die Idylle trügt..." beschrieb Brigitte Jäger-Dabek die Umgebung. Aber bereits Mitte August 1939 begann hier ein SS-Trupp mit rund 500 Gefängnisinsassen auf dem Grundstück des zwischenzeitlich geräumten Altenheims mit der Errichtung eines Internierungslagers. Zum Konzentrationslager wurde es erst nach einem Inspektionsbesuch von Himmler im Jahre 1942 ernannt. Den Gepeinigten und Ermordeten war das wohl egal. Von den 110 000 bis 120 000 Häftlingen (Menschen aus 23 Ländern mit 26 Nationalitäten), die hier eingesperrt wurden, sind rund 65 000 ­ vielleicht sogar 80 000 getötet worden. Darunter bis zu 50 000 Menschen jüdischen Glaubens. Das Lager ist seit 1940 ­ es wurde damals mit 12 ha Fläche für rund 3 500 Häftlinge bestimmt - auf 120 ha für 57 000 Häftlinge bis 1944 mit 39 Außenlager angewachsen. Im Juni 1944 wurde es in die "Endlösung der Judenfrage" einbezogen und somit zum Vernichtungslager. Gegen Ende des Krieges wurde das Lager wegen der anrückenden Roten Armee geräumt, dabei sind auf dem Todesmarsch nocheinmal Hunderte umgekommen. Wegen des unzulänglichen Gebietes wurde das Lager mit seinen noch rund 120 Insassen, die von den Nazis zurückgelassen wurden, erst am 9.Mai 1945 durch sowjetische Truppen befreit. Der Lagerkommandeur Max Pauly wurde 1946 in Hameln hingerichtet, sein Stellvertreter Paul Werner Hoppe 1957 in Bochum zu neun Jahren haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.

Wir erblickten als erstes das Haus der vorgelagerten Wachposten und das riesige Backsteingebäude der Lagerkommandantur. Dort trafen wir Annika und Markus von der Aktion Sühnezeichen, die wir bereits am gestrigen Nachmittag beim Zeitzeugengespräch kennen gelernt hatten. Zu Anfang sahen wir in dem ehemaligen Offizierskino (war schon ein komisches Gefühl) einen Film (mit Originalaufnahmen der sowjetischen Armee) und schauten uns dann in einer Baracke die Ausstellung an. Markus machte mit uns danach einen über 2 Stunden langen Rundgang durch das Gelände. Nur ein kleiner Teil der Baracken ist noch erhalten. Auch hier wieder dreistöckige Holzverschläge, wo die Insassen zu viert ohne Decken und Stroh schlafen mussten. Die Krankenstube, die keine war und ein OP-Raum, der seiner Bestimmung auch nicht gerecht wurde. Die Gaskammer mit einem Kreuz zur Rechten und dem Davidsstern zur Linken. Hier legten wir in Gedenken an die Toten Rosen nieder und entzündeten die mitgebrachten Grablichter. Wir gingen durch das Krematorium zum 1968 fertiggestellten Mahnmal des Bildhauers Wiktor Tolkin. In der Rückseite eines riesigen mit Inschriften versehenen Betonblocks waren hinter einer Scheibe die Asche und verbrannten Knochenreste der dieser Nazi-Willkür zum Opfer Gefallenen zu sehen. Ein Sinnbild der Erinnerung an die verstaatlichte Unmenschlichkeit des Faschismus. Auch hier verneigten wir uns vor den Opfern und legten Rosen nieder und entzündeten Grablichter. Aufgewühlt von dem Erlebten und ziemlich durchgefroren hörten wir uns dann noch in Kommandantur zwei von Annika ausgewählte Zeitzeugenberichte, die von Bruni und mir vorgelesen wurden, an.

Zusammentreffen mit Menschen von Attac-Polen

Freudig überrascht waren wir in dem Gebäude des Politischen Instituts der Uni nicht nur den Mitbegründer von Attac-Polen zu treffen, sondern er hatte auch noch Studenten und seinen Vater (ein Soziologe) mitgebracht. Die ersten Fragen drehten sich um die Auswirkung der Globalisierung und des bevorstehenden EU-Betritts auf Polen. Die Landwirtschaft wird zunehmend industrialisiert. Nur noch 25% zählen zur Landbevölkerung. Amerikanische und dänische Unternehmen versuchen hier die Schweinezucht zu übernehmen. Mastbetriebe mit über 20 000 Tieren sind in den USA wegen ökologischer Probleme nicht erlaubt. Rund 1000 Niederländer beschäftigen sich hier mit der Landwirtschaft und haben Chemie im großen Maße eingeführt. Die Produktion (besonders bei Kohle und Stahl) hat sich verringert. Das hat aber auch den Vorteil: es wird weniger Energie verbraucht und die Umwelt weniger verschmutzt. Die EU hat Umweltauflagen gemacht und der Regierung 7 Jahre dazu Zeit gegeben. Deshalb entsteht hier der Eindruck, als wenn die EU gar nicht an einer besseren Umwelt interessiert ist.

Das EU-Referendum wurde mit viel Propaganda und finanziell von Europa unterstützt. Es sind aber nur 58% zur Abstimmung gegangen und davon waren noch ein Viertel dagegen. Besonders die jungen Menschen sehen eher eine Chance in der EU. Außerdem besteht die Angst, wenn nicht EU ­ was dann? Die Alternative Belarus haben sie hier vor der (östlichen) Tür. Somit wird mit der EU auch die Hoffnung auf mehr Arbeit verknüpft. Die Grünen 2004 sind entstanden für die Wahl zum Europaparlament. Die ökologischen Fragen sind aber nicht in dieser Partei konzentriert sondern in verschiedenen konkreten Initiativen. 15% der Arbeitenden sind in den Gewerkschaften organisiert. Die stärkste davon ist die Solidarnosc. Attac wird von ihnen nicht unterstützt. Zur Frage der Entsendung polnischer Truppen in den Irak gab es laut Umfrage nur 4% Unterstützung durch die Bevölkerung. Es gab auch eine Demonstration gegen den Einsatz. Die Diskussion litt natürlich an der begrenzten Zeit und den notwendigen Übersetzungen. So konnten Fragen auch nur angetippt werden. Abschließend wurde eine Vernetzung über das internet verabredet.

Hier wie auch schon in den Tagen zuvor bei Begegnungen mit den engagierten Menschen klang es immer wieder an, dass der Kommunismus schlimmer gewesen sei als der deutsche Faschismus. Das hat uns sehr beschäftigt. Darüber lässt sich letztendlich auch nicht diskutieren, weil das Selbst-Erlebte (und viele Menschen haben auch nur die Zeit des Sozialismus und die Zeit danach erlebt) immer schwerer wiegt. Dennoch stimmte mich die Aussage des Stadtführers von Attac nachdenklich ­ auch wenn ich die Taten nicht für vergleichbar halte, der erklärte: "Der Faschismus hat zu den Menschen gesagt, ihr werdet getötet ... und sie wurden getötet. Der Kommunismus dagegen hat zu den Menschen gesagt, ihr werdet befreit ... und sie wurden aber getötet." Nach dieser Debatte fuhren wir vorbei an Langenfuhr (Wrzeszcz - Geburtsort von Günter Grass) zum Badeort Sopot mit seinem netten Stadtkern und dem über 500 Meter langen hölzernen Seesteg und ließen uns den nasskalten Ostseewind um die Ohren wehen. Wir parkten vor dem Grand Hotel, wo Hitler hier als Gast am 1.9.1939 den Euthanasiebefehl unterschrieb. Als "unwürdiges Leben" oder "Ballastexistenzen" für die deutsche Gesellschaft wurden damit missgebildete Kinder, Geistesgestörte und Behinderte angesehen. Aufgrund dieses Befehls wurden innerhalb der nächsten fünf Jahre ca. 130 000 Menschen getötet. Am Abend in Gdynia (Tanztheater) und an den anderen Abenden hatten wir Gelegenheit zwei Geburtstage von Teilnehmerinnen zu feiern und am kulturellen Leben teilzunehmen. Es gab auch Gelegenheit in den zahlreichen Bernsteinschleifereien und -geschäften zu stöbern oder sich den Gründerzeit-Bahnhof (den Japaner bereits aus Begeisterung nachgebaut haben) anzusehen oder die Ausstellung über den Kampf (1972-80) in der Leninwerft zu besuchen. Viele wichtige Alltagsfragen konnten wir nur durch die tat- und sprachkräftige Mithilfe von Anita lösen. Trotz einer mitternächtlichen Reparatur des Busses (Dank an Rüdiger für seinen tollen Einsatz trotz eisiger Kälte) erreichten wir nach einer erlebnis- und eindrucksreichen Woche wieder Dortmund.

Georg Bückle - Naturfreunde Ortsgruppe Dortmund-Kreuzviertel

LabourNet Germany Top ^