letzte Änderung am 21. Juni 2002

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Palästinensische Wahlen jetzt

Der bekannteste palästinensische Intellektuelle, der Kuturwissenschaftler Edward Said, hat in seiner Kolumne bei der ägyptischen "Al Ahram Weekly" sofortige Wahlen für Palästina gefordert: Die korrupte Arafat Bürokratie könne nicht länger Repräsentant der Palästinenser sein, sie verbinde mit dem Slogan "Reform" genauso eigensüchtige Ziele wie Sharon, Bush, die EU und die arabischen Regierungen.

Untenstehend Saids Kolumne in (leicht gekürzter) deutscher Übersetzung von Helmut Weiss.

Link zum englischen Original bei Al Ahram: http://www.ahram.org.eg/weekly/2002/590/op2.htm


Edward Said

Palästinensische Wahlen - jetzt!

Sechs verschiedene Aufrufe für eine Reform und für Wahlen in Palästina werden gegenwärtig diskutiert: fünf davon sind für die palästinensische Sache sowohl nutzlos als auch irrelevant.

Sharon will die Reformen als eine Möglichkeit, weiterhin palästinensisches Leben zu unterbinden, seine gescheiterte Politik permanenter Intervention und Zerstörung fortzusetzen. Er möchte Yasser Arafat loswerden, die Westbank in umzäunte Kantone teilen, wieder eine Besatzungsbehörde installieren - vorzugsweise mit einigen Palästinensern besetzt, die ihm helfen - die Siedlungspolitik fortsetzen und die israelische Sicherheit in seiner gewohnten Weise aufrecht erhalten. Er ist von seinen eigenen ideologischen Halluzinationen und Obsessionen zu verblendet um zu sehen, dass dies weder Frieden noch Sicherheit bedeutet, und sicher auch nicht die "Ruhe" bringen wird, die er sucht. Palästinensische Wahlen nach Sharons Schema sind völlig unwichtig.

Die USA, zweitens, wollen Reformen vor allem als Methode des Kampfes gegen den "Terrorismus" - ein Wortungeheuer, das weder Geschichte, Kontext, Gesellschaft noch irgend etwas anderes berücksichtigt. Georg Bush mag Arafat nicht und versteht die palästinensische Situation auch nicht ansatzweise. (....)

Drittens, die Forderung der arabischen Regierungen die, soweit ich es beurteilen kann, eine Kombination verschiedener Elemente darstellt, von denen keines den Palästinensern hilfreich ist.

Zunächst ist da die Furcht vor ihrerer eigenen Bevölkerung, die Zeuge der israelischen Zerstörung war, die keine wesentliche Opposition fand, keine arabischen Versuche hervorrief, Einhalt zu gebieten. Der Friedensplan von Beirut bietet Israel genau das, was Sharon abgelehnt hatte - Land für Frieden - hat keinen Biss und weniger noch einen Zeitplan. Auch wenn die Existenz solch eines Planes als Gegengewicht zu Israels nackter Kriegspolitik positiv sein mag, sollten keine Illusionen über die wahren Absichten bestehen, die dahinterstehen - wie auch die Reformforderungen, dient der Plan vor allem dazu, die arabische Bevölkerung zu beruhigen, die die mittelmäßige Inaktivität ihrer Herrscher satt hat.

Zweitens ist er auch Ausdruck der bloßen Verzweiflung der arabischen Regimes am Palästina-Problem. Sie scheinen keine ideologischen Probleme zu haben mit der Existenz Israels als eines jüdischen Staates ohne Grenzen, der seit 35 Jahren Jerusalem, Gaza und die Westbank illegal militärisch besetzt hält, und auch nicht mit Israels Vertreibung der Palästinenser. Sie würden sich damit gut abfinden können, wenn nur endlich Arafat und seine Leute sich benehmen würden, oder still weggehen.

Drittens gibt es den seit langem gehegten Wunsch der arabischen Führer, sich mit den USA ins Benehmen zu setzen sowie ihre interne Konkurrenz um die Rolle des wichtigsten Verbündeten der USA. Sie sind sich wahrscheinlich nicht bewußt, wieviel Mißtrauen die meisten Amerikaner ihnen gegenüber hegen, und wie wenig sie und ihr politischer und kultureller Status in den USA verstanden werden.

Die vierten im Reformchor sind die Europäer. Aber die schicken nur eifrig Emissäre umher, machen großartige Erklärungen in Brüssel, sponsoren einige wenige neue Projekte - und belassen es mehr oder weniger dabei, so dass sie im Schatten der USA bleiben.

Fünftens sind da Yasser Arafat und seine Leute, die plötzlich - zumindest theoretisch - die Vorzüge der Demokratie entdeckt haben.

Ich weiss, dass ich von weit weg spreche, und ich kenne auch all die Argumente über den belagerten Arafat als ein mächtiges Symbol palästinensischen Widerstands gegen die israelische Aggression, aber ich bin an einen Punkt gelangt, an dem ich denke, dass all das nicht mehr wichtig ist. Arafat hat nur ein Interesse daran, sich selbst zu retten.

Er hatte beinahe 10 Jahre, um sein kleines Königreich zu betreiben, und hatte vor allem Erfolg dabei, sich selbst und die meisten seiner Mannschaft mit Schimpf und Schande zu beladen. Die "Autorität" ist zum Synonym geworden für Brutalität, Autokratie und unvorstellbare Korruption. Es ist nicht nachvollziehbar, warum irgendjemand auch nur für einen Augenblick daran glauben sollte, daß er - oder sein neues, stromlinienförmiges Kabinett (das von denselben alten Gesichtern beherrscht wird, die für Niederlage und Inkompetenz stehen) - zu anderem fähig sei, eine echte Reform durchführen würden.

Er ist der Führer eines Volkes, das seit langem leidet, das er im vergangenen Jahr unannehmbaren Schmerzen und Leiden ausgesetzt hat - alles wegen einer Kombination aus mangelnder Strategie und seinem unentschuldbaren Vertrauen auf die süße Gnade Israels und der USA via Oslo. Führer von Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen dürfen ihr unbewaffnetes Volk der Wildheit von Kriegsverbrechern wie Sharon nicht aussetzen - gegen den es keine wirkliche Verteidigung oder Vorbereitung gegeben hat.

Warum dann einen Krieg vom Zaun brechen, dessen Opfer zumeist unschuldige Leute sind, wenn man weder die militärische Kapazität zum Kampf hat, noch die diplomatischen Möglichkeiten, ihn zu beenden? Nachdem er dies nun dreimal betrieben hat (in Jordanien, im Libanon, an der Westbank) sollte er nicht die Möglichkeit bekommen, ein viertes Desaster anzusteuern.

Arafat hat angekündigt, die Wahlen würden zu Beginn des Jahres 2003 stattfinden, aber seine eigentliche Sorge gilt der Reorganisation seiner Sicherheitsdienste. Ich habe in dieser Kolumne immer wieder darauf hingewiesen, dass Arafats Sicherheitsapparat vor allem ihm und Israel dient, weil die Osloer Verträge darauf basieren, dass er einen Deal mit der israelischen militärischen Besetzung machte. Israel kümmerte sich nur um seine eigene Sicherheit, für die es Arafat verantwortlich machte - im übrigen eine Rolle, die er bereits 1992 gerne akzeptierte. In der Zwischenzeit benutzte Arafat die 15 oder 19 oder wieviele Gruppen es auch immer sein mögen, um sie gegeneinander auszuspielen - eine Taktik, die er in Fakahani perfektionierte und die dann besonders blöde ist, wenn das Allgemeinwohl betroffen ist. Er beherrschte die Hamas und den Islamic Jihad niemals wirklich - was Israel perfekt nützte. Es würde immer eine vorgefertigte Entschuldigung haben, indem die sogenannten Märtyrer, die hirnlosen Selbstmordattentate als Vorwand genutzt werden können, weiterhin das ganze Volk zu bestrafen und zu erniedrigen.

Wenn es neben Arafats ruinösem Regime etwas gegeben hat, was uns noch mehr geschadet hat, dann ist es diese wahnsinnige Politik, israelische Zivilisten zu töten, was der Welt einmal mehr beweist, dass wir Terroristen sind und eine unmoralische Bewegung. Niemand kann die Vorteile einer solchen Politik nennen.

Da er jenen Deal mit der Besatzung qua Oslo gemacht hat, war Arafat niemals in der Lage, eine Bewegung wirklich zu führen - und sie zu Ende zu bringen. Ironischerweise versucht er nun einen neuen Deal, und will den USA, Israel und den anderen Arabern beweisen, dass er eine neue Chance verdient. Ich meinerseits kümmere mich keinen Deut darum, was Bush, die arabischen Führer oder Sharon sagen: Mich interessiert was wir als Volk von unserem Führer denken, und da müssen wir ganz klar sein ganzes Reformprojekt sant Wahlen, Regierungsumbildung und Geheimdienstreform ablehnen.

Seine Versagensbilanz ist zu gross und seine Führungsqualitäten sind zu schwach und zu sehr von Inkompetenz geprägt, als dass er eine neue Chance erhalten sollte, sich zu retten.

Sechstens schliesslich, ist es das palästinensische Volk, das Wahlen und Reformen fordert. Ich denke, diese ist die einzig legitime der sechs Forderungen die ich hier skizziert habe.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass sowohl Arafats gegenwärtige Verwaltung, wie auch der gesetzgebende Rat ihre ursprüngliche Amtszeit überzogen haben, die mit neuen Wahlen 1999 enden sollten. Darüberhinaus: Die Wahlen 1996 standen auf der Grundlage der Vereinbarungen von Oslo, die Arafat und seine Leute einfach dazu ermächtigten Stücke der Westbank und von Gaza für Israel zu organisieren, ohne wirkliche Souveränität oder Sicherheit, da Israel die Kontrolle über Grenzen, Sicherheit und Land, über Wasser und Luft behielt (und auf diesem Land seither die Zahl der Siedlungen verdoppelte oder verdreifachte).

Mit anderen Worten: Die alte Grundlage für Wahlen, die Oslo gewesen war, ist nunmehr null und nichtig. Jeder Versuch von da aus weiter zu machen, ist nur ein unnützer Trick und wird weder Reformen noch wirkliche Wahlen bringen. Von daher kommt die gegenwärtige Verwirrung, die jedem Palästinenser überall Kummer und Frustration bringt.

Was soll denn geschehen, wenn die alte Basis der palästinensischen Legitimität nicht mehr existiert ? Sicher kann es sowenig zurückgehen zu Oslo, wie zu jordanischen oder israelischen Gesetzen. Als jemand, der Perioden wichtiger historischer Veränderungen studiert, würde ich gerne unterstreichen, daß immer wenn ein wichtiger Bruch mit der Vergangenheit stattfand (wie in der Zeit nach dem Sturz der Monarchie in der Französischen Revolution oder in der Zeit der Überwindung der Apartheid bis zu den Wahlen 1994), eine neue Basis für Legitimität geschaffen werden musste, von der einzigen und letzten Quelle der Autorität, dem Volk selbst.

Die wichtigen Interessen in der palästinensischen Gesellschaft, jene, die das Leben aufrecht erhalten haben, von den Gewerkschaften bis zu den Beschäftigten im Gesundheitswesen, Lehrer, Bauern, Anwälte Ärzte und all die vielen NGOs - das muss jetzt die Basis werden auf der die palästinensische Reform vollzogen wird - trotz Israels Einmischung und Besatzung.

Es scheint mir nutzlos zu sein, auf Arafat, Europa, USA oder die arabischen Regierungen zu warten, um dies zu verwirklichen - es muss von den Palästinensern selbst organisiert werden, mit einer Verfassungsgebenden Versammlung, in der alle wesentlichen Elemente der palästinensischen Gesellschaft vertreten sind.

Nur solch eine Gruppe, vom Volk selbst organisiert - und weder durch die Überbleibsel der Osloer Abkommen noch bestimmt nicht durch die schäbigen Reste von Arafats diskreditierter Autorität - kann darauf hoffen, die Gesellschaft zu reorganisieren, um den ruinösen, katastrophal inkoherenten Zustand zu überwinden. Das grundlegende Ziel einer solchen Versammlung ist es, ein Notsystem zu etablieren, das vor allem zwei Aufgaben hat.

Erstens das palästinensische Leben in vernünftiger Weise aufrecht zu erhalten, mit der vollen Beteiligung aller Betroffenen. Zweitens ein Notexekutivkomitee auszuwählen, das die Besatzung beendet, nicht mit ihr verhandelt. Es ist leicht ersichtlich, dass wir militärisch kein Gegner für Israel sind - Kalashnikows sind bei der militärischen Lage keine Hilfe. Was Not tut, ist eine kreative Art zu kämpfen, die alle uns zur Verfügung stehenden menschlichen Ressourcen mobilisiert, um die Hauptbestandteile der israelischen Besetzung sichtbar zu machen, zu isolieren und schrittweise unhaltbar zu machen - also Siedlungen, Straßen dorthin, Straßensperren und das Zerstören der Häuser. Die gegenwärtige Gruppe um Arafat ist hoffnungslos unfähig, eine solche Strategie auch nur zu denken, geschweige denn, sie umzusetzen. Sie ist zu bankrott, zu sehr in korrupter Selbstsucht gefesselt, zu sehr mit dem Versagen der Vergangenheit belastet.

Damit eine solche palästinensische Strategie funktioniert, muss auch eine israelische Komponente existieren, die aus Personen und Gruppen bestehen muss, mit denen eine gemeinsame Basis im Kampf gegen die Besatzung erreicht werden kann - und muss.

Dies ist die grosse Lehre des südafrikanischen Kampfes: Er hat die Vision einer gemischtrassigen Gesellschaft vorgeschlagen, aus der weder Gruppen noch Führer ausgeschlossen sein sollten.

Die einzige Vision, die heute aus Israel kommt, ist Gewalt, erzwungene Trennung und fortgesetzte Unterwerfung der Palästinenser unter die Idee einer jüdischen Suprematie.

Natürlich glaubt nicht jeder Israeli an diese Vorstellung: Aber es ist unsere Aufgabe die Idee der Koexistenz in zwei Staaten zu verbreiten, die auf der Basis von Souveränität und Gleichheit gegenseitig normale Beziehung haben.

Die Hauptströmungen des Zionismus waren bisher nicht fähig, eine solche Vision zu entwickeln, deswegen muss sie vom palästinensischen Volk kommen und seinen neuen Führern, deren Legitimität jetzt geschaffen werden muss, in dem Augenblick, da alles zusammenbricht und jeder gerne Palästina wieder aufbauen möchte, getreu seinen Vorstellungen und Ideen.

Wir haben nie einen schlimmereren und zur selben Zeit fruchtbareren Zeitpunkt erlebt.

Die arabische Ordnung ist in voller Auflösung, die US Regierung ist in Wahrheit unter der Kontrolle der christlichen Rechten und der israelischen Lobby (..); und unsere eigene Gesellschaft ist durch armselige Führung und die Wahnvorstellung, Palästina würde durch Selbstmordattentate zu einem islamischen Staat, nahezu ein Trümmerhaufen.

Es gibt immer Hoffnung für die Zukunft - aber man muss in der Lage sein, zu sehen, woher sie kommt.

Es ist klar dass, in Ermangelung jeglicher ernsthafter arabischer oder palästinensischer Informationspolitik in den USA (vor allem im Kongress) wir uns nicht einen Augenblick lang der Vorstellung hingeben können, dass Powell und Bush es sind, die die Tagesordnung für eine palästinensische Rehabilitation setzen werden.

Deshalb beharre ich daraf zu sagen, dass diese Anstrengung von uns, durch uns, für uns kommen muss. Wenigstens versuche ich, einen anderen Weg dahin vorzuschlagen.

Wer - ausser dem palästinensischen Volk - kann jene Legitimität schaffen, die es braucht, um die Besatzung mit Waffen zu bekämpfen, die nicht Unschuldige töten und uns mehr isolieren als je zuvor ?

Eine gerechte Sache kann ganz leicht durch üble, unangemessene oder korrupte Praktiken desavouiert werden. Je früher wir das begreifen, um so grösser ist unsere Chance uns aus der Sackgasse herauszubringen in der wir jetzt stecken.

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