Der folgende, höchst aufschlußreiche, Beitrag eines führenden Funktionärs der Metallarbeitergewerkschaft FIOM (die zum größten italienischen Gewerkschaftsbund CGIL gehört) zum Geschehen auf der Fincantieri-Werft von Ancona entstammt der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung "il manifesto" vom 15.12.1999.

 

Schiffswerften:

Ancona enthüllt die Krise der Gewerkschaft

Sandro Bianchi (Nationaler FIOM-Koordinator für den Bereich Schiffbau)

 

Die Niederlage der FIOM bei den Wahlen in der Werft von Ancona stellt für die dorische Stadt, wie Ugo Ascoli in "il Messaggero" (1) schreibt, ein historisches Ereignis dar. Zum ersten Mal hat eine, wenige Monate zuvor aus einer Rippe der FIOM entstandene, autonome Gewerkschaft die Mehrheit der Stimmen in einer Fabrik errungen, die seit jeher eine Hochburg der FIOM und der CGIL war. Am Vorabend der Wahl gab es in der CGIL Leute, die sich gefragt haben, ob es dem SALFA gelingen würde, einen Delegierten gewählt zu bekommen. Der SALFA hat jedoch 40,5% der Stimmen errungen und ist damit unter den Arbeitern wie unter den Angestellten Erster. Die FIOM ist Zweite mit 31,9%, Dritte ist die UILM mit 17,5% und Vierte die FIM mit 10%. Die massenhafte Wahlenthaltung beim letzten Referendum über den nationalen Tarifvertrag ist wieder absorbiert worden. Es haben 85% der Wahlberechtigten gewählt. Und die FIOM hat mit 310 Mitgliedern 195 Stimmen bekommen. Also hat mindestens ein Drittel unserer Mitglieder für den SALFA gestimmt, der unter seinen Gründern einige ehemalige Kader der FIOM hat, die seit langem als Kritiker in einer Auseinandersetzung mit der RSU-Leitung der Werft und mit der FIOM von Ancona standen.

Das ist ein äußerst harter Schlag. Aber es wäre heuchlerisch mit Überraschung auf ein angekündigtes Desaster zu reagieren. Die Warnsignale einer schweren Vertrauenskrise in die konföderale Gewerkschaft sind unterschätzt oder vernachlässigt worden, aber sie waren extrem deutlich. Bei den vorangegangenen RSU-Wahlen (1996 und 98) hatte die FIOM, obwohl sie die Mehrheit behielt, noch nicht einmal die Stimmen ihrer Mitglieder zusammenbekommen. Eine entgegengesetzte Tendenz zu derjenigen auf nationaler Ebene: In den Metallfabriken ist die Zustimmung zur FIOM bei Wahlen breiter (manchmal sehr viel breiter) als die Anzahl ihrer Mitglieder. In der Werft von Ancona hat die Krise 1995 mit der Dini-Reform (2) begonnen. In ganz Italien wiesen die Metallarbeiter das Abkommen über die Renten zurück, in Ancona aber ist der Dissens zu einem Bruch geworden. Die örtlichen Leitungsgruppen der FIOM und der CGIL waren – anstatt den Pluralismus und die Verschiedenheit der Meinungen anzuerkennen – der Auffassung, die FIOM auch ohne und gegen einen beträchtlichen Teil ihrer Mitglieder führen zu können.

In der Zwischenzeit hat sich die altersmäßige Zusammensetzung der Arbeiter der Werft mit dem Eintritt vieler Junger, die zusammen mit denen der Fremdfirmen mittlerweile die Mehrheit darstellen, grundlegend verändern. Diese Jungen, die die Superausbeutung der kleinen Privatwerften erfahren haben, haben ihre Erwartungen geschützterer Arbeitsbedingungen enttäuscht gesehen. Als die Unzufriedenheit der Jungen und der Dissnens des linken Flügels der FIOM zur Massenkritik geworden ist, ist die Werft für die RSU unregierbar geworden und der SALFA entstanden. Die Frage der Gesundheitsschädlichkeit der Verarbeitung des Inox-Duplex-Stahls, der ein ernstes Problem ist, ist nur der casus belli (3) gewesen. Im Juli gelang es auf der Versammlung über den Tarifvertrag fast nicht darüber zu diskutieren, weil die Arbeiter – mitgerissen vom Protest der Jungen – es mit der RSU hatten und eine Antwort in bezug auf den Stahl verlangten. Im September machten die Versammlungen der FIOM-Mitglieder zum Fall SALFA die Isolierung der RSU und die Tatsache, daß die Arbeiter sich nicht vertreten fühlten, überaus deutlich.

Die neue autonome Gewerkschaft hat sich Ende Juli gebildet und in wenigen Wochen ca. 100 Beitritte verzeichnet – die Hälfte davon Arbeiter, die ihr Mitgliedsbuch an die FIOM zurückgegeben haben. In der Diskussion über den Fall, die im September begonnen hat, überwog die These derjenigen, die die Meinung vertraten, daß es ein Fehler war den Deserteuren zuviel Gewicht beizumessen und daß der SALFA wie eine Seifenblase geplatzt wäre, <wenn man das nicht getan hätte /d.Ü.> – zum Schaden derjenigen, die dachten, daß der Dissens vielleicht noch zurückerobert werden könnte, aber nur wenn man sich mit seinen Begründungen auseinandersetzt und mit mehr Glaubwürdigkeit in bezug auf die Arbeitsbedingungen interveniert.

Die Entscheidung, die Wahl der RSU vorzuziehen, war absolut richtig. Selbstmord und auch ein bißchen stumpfsinnig ist die Art und Weise gewesen in der die FIOM und die CGIL von Ancona sie angegangen sind. Der einzige Weg, um den Dissens zurückzuerobern war es, Kandidaten zu präsentieren, die in der Lage sind mit dem kritischen Bereich der Fabrik in Dialog zu treten. Damit, daß man stattdessen von neuem die Linie des Bruches wählte, hat man auch diejenigen zum SALFA getrieben, die unsicher waren und abwarteten, um zu sehen was die FIOM tun würde. Am Ende haben die drei konföderalen Gewerkschaften die Mitglieder der auslaufenden RSU erneut aufgestellt und sind damit einer vorhersehbaren Niederlage entgegengegangen, die nur der Rettungsring des Drittels der reservierten Sitze z.T. abgemildert hat.

Ich bin überzeugt, daß die Bildung kleiner Do-it-yourself-Gewerkschaften Betrieb für Betrieb überhaupt keine Lösung der Krise der Gewerkschaft darstellt und nur die Zersplitterung betont. Aber jetzt wäre es unverantwortlich das Geschehene herunterzureden und zu meinen, daß die Zeit für uns arbeitet. Im Gegenteil, ich denke, daß wenn es keine radikale Selbstkritik gibt – mit einer Rückkehr in die Fabrik, wie der, die auf die Niederlage bei FIAT in den 50er Jahren folgte – diese Wahl für die konföderale Gewerkschaft in der Werft von Ancona einen Punkt ohne Wiederkehr bedeuten könnte.

Und es steht auf keiner Seite geschrieben, daß dieser Fall isoliert bleiben muß, weil die Signale für die Krise der konföderalen Gewerkschaftsbewegung äußerst akut sind. In Ancona ist die Blutung nach links gegangen, im Zusammenhang mit den Referenden der Radikalen Partei könnten wir entdecken, daß sie sich auch nach rechts ergießen kann.

Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

Anmerkungen der ÜbersetzerInnen:

1) Große, in Rom erscheinende, rechtsliberale italienische Tageszeitung (der FAZ vergleichbar).

2) Die von dem damals parteilosen Lamberto Dini und seiner "Techniker-Regierung" (die von der Mitte-Linken im Parlament gestützt wurde) "brüderlich" mit den Vertretern der Kapitalistenverbände und den Spitzen von CGIL-CISL-UIL ausgehandelte "Reform" war die bisher schwerwiegendste Gegenreform bei den Renten (u.a. durch schrittweise Abschaffung der Möglichkeit nach 40 Arbeitsjahren mit voller Pension in Rente gehen zu können). Dini ist ein Musterbeispiel für das in der italienischen Politik weit verbreitete politische Verwandlungskünstlertum (trasformismo) Zuerst stellvertretender Zentralbankchef unter einer christdemokratisch-"sozialistischen" Regierung, war er 1994 als Forza Italia-Mitglied Haushaltsminister der kurzlebigen Berlusconi-Regierung, 1995 selbst als Parteiloser Ministerpräsident und jetzt seit Mai 1996 Parteichef der kleinen, von ihm gegründeten konservativen Partei Rinnovamento Italiano (Italienische Erneuerung) und Außenminister der Mitte-Linksregierungen unter Romano Prodi bzw. jetzt Massimo D'Alema.

3) das kriegsauslösende Ereignis


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