letzte Änderung am 17.Oktober 2003

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"Befürchten Sie nicht, aufgrund Ihrer Beteiligung am Regierungsrat als eine Art „Kollaborateur“ betrachtet zu werden?"

Interview von Bernard Schmid mit Raid Fahmi (KP Irak) vom 1.Oktober 2003.

Frage: Im Irak scheint ein Guerillakrieg zu toben, folgt man den Fernsehbildern. Bewaffnete Gruppen erklären, sie leisteten Widerstand gegen die Besatzungsmacht. Was hat es damit auf sich, welche gesellschaftlichen Kräfte widerspiegeln sie?

R.F.: Mehrere unterschiedliche Gruppen nehmen am bewaffneten Untergrund teil. Zunächst ehemalige Militärs und Mitarbeiter der Sicherheits- und Geheimdienste (mukhabarat) des Regimes von Saddam Hussein. Man kann davon ausgehen, dass sie die stärksten Kräfte unter den derzeit bewaffnet Kämpfenden stellen. Das Regime hat bereits vor zehn Jahren begonnen, Planungen für einen Untergrundkrieg im Falle einer Besetzung des Irak aufzulegen.
Sodann gibt es eine Strömung aus dem radikalen Islamismus. Es gibt Kämpfer, die mit dem internationalen Netzwerk Al-Quaida verbunden sind, und von denen einige aus dem arabischen Ausland gekommen sind - aber auch eine irakische Strömung aus dem sunnitischen Fundamentalismus. Diese ist aber nicht an eine der großen islamistischen Parteien gebunden, wie etwa an den irakischen Ableger der Muslimbrüder. Die schiitischen Parteien unterstützen den bewaffneten Untergrund nicht. Manche Berichte aus dem Irak sprechen von Wahhabiten, das ist aber keine traditionell im Irak wirklich verbreitete Konfession. Wir haben es also mit einer minoritären Fraktion des radikalen Islamismus zu tun.
Schließlich gibt es auch tribale Kräfte, Bewegungen lokaler Natur. Sie werden häufig von Mitgliedern einer Bevölkerungs- oder Stammesgruppe getragen, die vielleicht bei Bombenangriffen im Krieg einige ihrer Angehörige verloren oder schwer verletzt gesehen hat. Aus Rache nahmen sie den Kampf gegen die US-Soldaten auf. Und ferner gibt es auch Kräfte, die der Organisierten Kriminalität nahe stehen. Ihnen geht es vor allem um ein Ziel: Es soll zu keiner Stabilisierung der Lebenssituation im Irak kommen, damit sie ihren Geschäften nachgehen können.

Frage: Wie können Sie sich da sicher sein, dass keine anderen Gruppen sich im Untergrund befinden?

R.F.: Die große Mehrheit der Bevölkerung im Irak ist gegen die Besatzung. Die Frage, die gestellt ist, lautet nur: Wie soll man die Besatzung beenden?
Und was kommt danach, wie sieht die Alternative aus? Für die Untergrundgruppen sieht die Antwort, nachdem sie die Amerikaner hinaus geworfen haben, folgendermaßen aus. Einige wollen eine Wiederkehr des Regimes von Saddam Hussein; sie haben es in Interviews gegenüber arabischen Medien klar zum Ausdruck gebracht. Das will der Großteil der Bevölkerung nicht. Andere wollen ein despotisches islamistisches Regime. Die Frage der Demokratie im Irak ist für sie gar nicht gestellt.
Übrigens widersetzten sich die höchst plazierten Kader und Funktionäre des alten Regimes auch gar nicht prinzipiell den Amerikanern; sie versuchten nur, ihren Kopf oder ihre Position zu retten. Der größere Teil der Chargen des Regimes hat den heran nahenden Amerikanern keinen Widerstand entgegen gesetzt; und sein Informationsminister Mohammed Al-Sahaf hat später klar gegenüber einem arabischen Fernsehsender aus Abu Dhabi zum Ausdruck gebracht: „Wir haben versucht, mit den Amerikanern zu verhandeln. Wir waren ihnen gegenüber zu allem bereit“, im Gegensatz übrigens zur Haltung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung, „aber die Amerikaner wollten nicht verhandeln“. Diese Leute haben keine Alternative für die Bevölkerung zu bieten, das interessiert sie nicht. Sie suchen aber die Destabilisierung, um jede Normalisierung des sozialen Lebens zu verhindern, und ihre eigene Situation zu retten.

Frage: Aber gibt es keine Unterstützung oder Zustimmung in der Bevölkerung für diese Gruppen, im Namen eines Kampfes gegen die Besatzung?

R.F.: Bisher haben diese Gruppen sich als unfähig erwiesen, ihre gesellschaftliche Basis zu verbreitern. Ihre Aktionen sind tatsächlich auf bestimmte Zonen des Irak beschränkt und ziemlich genau lokalisierbar.
Da sind zunächst die alten, traditionellen Unterstützungsbasen der Diktatur unter Saddam Hussein. Das sind im Wesentlichen arabisch-sunnitische Gebiete im Kernland des Irak, die unter dem damaligen Regime privilegierte Bedingungen genossen ­ etwa in Tikrit, der Geburtsstadt Saddam Husseins, oder westlich von Bagdad. Hinzu kommt, dass die Änderungen bisher die schiitische Bevölkerungsgruppe zu begünstigen schienen, die ja auch die Mehrheit der irakischen Bevölkerung stellen. Die Furcht, künftig benachteiligt zu werden, motiviert daher wohl auch manche Bewohner der sunnitischen Zonen. Hinzu kommen ferne jene Orte, an denen die Amerikaner als Provokationen empfundene Fehler begangen haben. Nehmen wir das Beispiel der Stadt Falluja, wo die Amerikaner wirklich kriminelle Fehler verübt haben. Sie töteten 16 junge Leute anlässlich einer Demonstration, es kam zu Protesten, daraufhin töteten US-Militärs Mitglieder der Familien, später auch irakische Polizisten. Dies führt zu Racheakten.

Frage: Kommen wir zur Linken und zur irakischen KP. Ihr wird von einigen Linken im europäischen Ausland vorgeworfen, dass sie sich an dem Regierungsrat beteiligt, der eingerichtet wurde, während die USA den Irak besetzt halten.

R.F.: Die Frage der Haltung zu den Amerikanern und jene der Präsenz in der irakischen provisorischen Regierung sind zwei verschiedene Fragen. Mehrere politische Kräfte, die politisch gegen die militärische Präsenz der USA im Irak opponieren, gehören zugleich dem Regierungsrat an. Das gilt für die KP, für national-demokratische Parteien und auch für einige der islamistischen Parteien. So für die schiitische Partei Al-Dawa, die auch gegen den Krieg im Frühjahr 2003 eintrat, und auch sunnitische Parteien.
Dabei ist das politische Problem nicht auf die Frage zu reduzieren, ob die Amerikaner im Irak stationiert bleiben oder abziehen. Denn die USA können im Prinzip auch gehen, und trotzdem ihre politischen Ziele erreicht haben. Die zentrale Frage ist die nach den wirklichen Zielen der Amerikaner. Worum geht es ihnen? Sie wollen einen Irak, der liberalisiert und wirtschaftlich vollständig geöffnet ist; einen Irak, der sich in die neoliberale Globalisierung einbettet und enge Beziehungen zu den USA unterhält. Einen Irak, der eine bestimmte strategische Rolle im Nahen und Mittleren Osten spielt, etwa im Hinblick auf seine Position im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Frage: Und wie verorten Sie sich gegenüber diesen Zielen ?

R.F.: Wir können uns in der Frage der politischen Liberalisierung, also der Demokratisierung, im Einverständnis mit den pro-liberalen Kräften im Irak befinden - die oftmals im Gepräck der Amerikaner eintrafen wie etwa Ahmad Chalabi. Aber bezüglich der Fragen der wirtschaftlichen Liberalisierung, der Öffnung zur freien Konkurrenz, der Einbindung in die Globalisierung streben unsere Optionen auseinander. Hier findet der wirkliche Kampf statt! Er setzt voraus, dass eine Einmischung seitens der Bevölkerung, eine soziale Organisierung stattfindet.
Wir streben einen möglichst progressiven, zumindest aber demokratischen Irak an. Aber wir befinden uns nicht mehr in der Situation der 1940er oder 50er Jahre, in denen breite Nationalbewegungen gegen die Kolonialmächte und antiimperialistische Kämpfe existierten, die sich an die Linke annäheren ließen. Das Nationalgefühl kann heute oft identitäre Formen annehmen, die eine Abgrenzung zum Anderen predigen und über kein Zukunftsprojekt verfügen. Deswegen muss die Opposition gegen die Besatzung zumindest an die Demokratie angebunden werden.

Frage: Befürchten Sie nicht, aufgrund Ihrer Beteiligung am Regierungsrat als eine Art „Kollaborateur“ betrachtet zu werden und damit diskreditiert zu sein?

R.F.: Zu dem Zeitpunkt, als sich für uns die Frage der Beteiligung stellte, haben wir eine Befragung unter unseren Mitgliedern, aber auch im gesellschaftlichen Milieu rund um die Partei herum vorgenommen. Sie ergab, dass eine große Mehrheit dafür eintrat; eine Minderheitenposition innerhalb der Partei trat für eine Haltung „konstruktiver Opposition“ ein.
Wir stellten uns die Frage, mit wem wir zusammenarbeiten könnten. Wären wir außerhalb des Regierungsrats geblieben, hätten wir nur mit sehr wenigen Kräften eine minimale Basis für Zusammenarbeit finden können. Die einzigen Bündnispartner wären Kräfte aus dem arabisch-nationalistischen Spektrum, das außerhalb der Tradition der Baath-Partei steht, gewesen. Diese Strömung besteht aus drei oder vier (kleineren) Parteien, wie der nasseristischen Partei oder der arabisch-sozialistischen Partei, und sie ist nicht im Regierungsrat vertreten ­ weil sie nicht eingeladen worden ist, an ihm teilzunehmen. Mit ihnen hätten wir eventuell gemeinsame Grundlagen finden können. Aber im Wesentlichen finden sich die Kräfte, mit denen wir Formen von Zusammenarbeit finden können, derzeit innerhalb des Regierungsrats.
Zugleich bleibt es für uns eine Option, zu konkreten Fragen eine Koalition von Kräften innerhalb und außerhalb des Rats zu bilden. Eine politische Oppositionsrolle einzunehmen, bleibt für uns eine Option, die keineswegs ausgeschlossen ist; allerdings denken wir, dass wir derzeit die Möglichkeiten unserer Beteiligung am Regierungsrat noch nicht ausgeschöpft haben. Was aber politisch für uns nicht in Frage kommt, das ist eine Unterstützung für die bewaffneten Untergrundgruppen.

Frage: Sie sprachen vorher die Frage der wirtschaftlichen Orientierung an, und damit auch die sozialen Probleme...

R.F.: Der Druck hin zu einer Privatisierung, einerm Öffnung der Ökonomie, zum Verkauf der irakischen Erdölindustrie hat bereits begonnen. Zugleich können die USA ihre Ziele nicht geradewegs in die Realität umsetzen. So hatten sie ursprünglich das Ziel, die irakische Erdölproduktion relativ rasch auf 6, später 10 Millionen Barrel Öl pro Tag zu steigern, um ihre Importquellen zu diversifizieren und so strategisch unabhängiger zu werden, auch gegenüber den Golfmonarchien. Vor Beginn des Kuwait-Krieges betrug die tägliche Förderung aber nur 2,2 Millionen Barrel, und seitdem sind viele Anlagen zerstört worden oder verrottet. Das angestrebte Ziel kann also erst in frühestens nach mehreren Jahren erreicht werden, und nur, wenn 30 oder 40 Milliarden Dollar investiert würden. Ein anderer Programmpunkt war, dass sie den Irak aus der OPEC herauslösen und so das OPEC-Kartell deutlich schwächen wollten. Dagegen trafen die USA aber auf erhebliche Widerstände in der irakischen Ölindustrie, seitens des technischen Personals, ohne das sie nicht auskommen können. Daher ist dieses Ziel auf kürzere Frist hin unerreichbar.

Frage: Gibt es also derzeit keine Auseinandersetzungen um die wirtschaftliche Zukunft?

R.F.: Der US-Verwalter im Irak, Paul Bremer, hat ein Vorhaben für ein Gesetzesdekret präsentiert, das in der amerikanischen und britischen Presse vom „Ausverkauf des Irak“ reden ließ! Wir haben begonnen, uns solchen Vorhaben zu widersetzen, und setzen dabei eine Doppelstrategie ein.
Als Mitglied im Regierungsrat streichen wir heraus, dass solch schwerwiegende Entscheidungen nicht ohne eine vorhergehende breite Debatte im Land, und nicht vor der Bildung einer souveränen irakischen Regierung gefällt werden dürften. Neben dieser eher formalen Position haben wir auch eine inhaltliche Position, die wir als Partei bereits zu verbreiten beginnen.
Der Druck aus dem gesamten Regierungsrat hat bisher zumindest dafür gesorgt, dass die irakische Erdölindustrie aus dem Anwendungsbereich des Dekrets ­ das noch nicht in Kraft ist ­ herausgenommen wurde. Derzeit kreist die Debatte um die Banken: Der Bremer-Entwurf will ausländischen, westlichen Banken alle Türen öffnen. Es gibt aber Druck aus den Reihen des Regierungsrats, der die Einführung der neuen Regeln, die durch Leute wie den Geschäftsmann Ahmed Chalabi bereits vor dem Krieg ausgearbeitet und in ihren Koffern mitgebracht wurden, zumindest stark bremsen will. Zugleich soll der Interessenwahrung der Beschäftigten Rechnung getragen werden.
Dieser Kampf um die Wahrung nationaler Interessen des Irak, und sozialer Interessen ist kein leichter. Das alte Regime hatte in seiner Frühphase einige soziale Errungenschaften, etwa im Bildungs- und Versorgungsbereich, aufgebaut, die jetzt gefährdet sein können. Zugleich sind die Eliten aus der Zeit des Baath-Regimes, die damals Reichtümer angehäuft haben, jetzt selbst an einer Liberalisierung interessiert, um Geschäfte zu machen. Bereits unter dem alten Regimes hatte es Ansätze zu einer wirtschaftlichen Liberalisierung gegeben, die aber aufgrund der internationalen Position des Irak begrenzt blieben. Fast alle politischen Gruppen sind in wirtschaftlichen Fragen liberal, auch die Islamisten! Diese Dimension, diese Interessen werden durch den Kampf der bewaffneten Gruppen nur verschleiert. Wie viel einfacher ist es doch, eine Bombe auf ein mit Amerikanern besetztes Auto zu werfen, als auf diese Fragen zu antworten: Welche sozialen Garantien können verteidigt werden? Wie soll die nationale Ökonomie, im internationalen Kontext, organisiert werden? Deswegen wollen wir die Arbeitenden, die Zivilgesellschaft organisieren.

Frage: Gibt es Ansätze für solche Organisierungsprozesse?

R.F.: Ja,es gibt eine Wiedergeburt einer Gewerkschaftsbewegung auf pluralistischer Basis, von Vereinigungen und Initiativen… Am spektakulärsten waren wohl die Demonstrationen von Arbeitslosen, aber da sollte man genauer hinsehen. Es kam zu Gewaltakten am Rande einer solchen Demonstration, aber es waren nicht erwerblos gewordene Arbeiter, die da protestierten, sondern frühere Militärs unter Saddam Hussein. Man sollte darauf achten, von welchen sozialen Kräften man spricht.
Es gibt inzwischen vier Gewerkschaftsorganisationen, die dabei sind, sich zu konstituieren. In einer von ihnen ist die KP eine wichtige Kraft; sie hat inzwischen in 12 Wirtschaftsbranchen gewerkschaftliche Gremien gewählt. Eine andere wurde vor allem von Einzelpersonen begründet, unter ihnen sind auch ehemalige Mitglieder der KP. Eine dritte kommt aus dem Umfeld des alten Regimes, aber mit einem ziemlich veränderten Diskurs, der mitunter demagogisch ist. Sie hat es geschafft, sich bei einem Besuch westlicher Gewerkschaft als „die“ Arbeiterorganisation anerkennen zu lassen…
Daneben gibt es eine Arbeitslosen-Union, in der vor allem eine andere linke Partei ­ die Kommunistische Arbeiterpartei des Irak ­ aktiv ist und die einige spektakuläre Aktionen durchführte, wie Kundgebungen vor dem Haus des Gouverneurs. Es gibt eine Frauenbewegung, in der sowohl unsere Partei als auch die Kommunistische Arbeiterpartei aktiv sind. Dabei gibt es gewisse taktische Divergenzen, weil diese Partei einen sehr weit gehenden, offensiven Diskurs für die umfassende Gleichheit von Männern und Frauen ausgibt. Wir sind nicht überzeugt, dass es im Moment klug ist, einen solchen globalen Diskurs offen nach außen zu kehren, und würden vielleicht lieber eine breitere Mobilisierung zu konkreten Punkten vorziehen. Denn man handelt sich derzeit ansonsten leicht den Vorwurf der „Unmoral“ ein und droht, Terrain an die Islamisten zu verlieren.

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