letzte Änderung am 16. Dez. 2002

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Frankreich: Die "Sozialwahlen" und die Veränderungen der gewerkschaftlichen Landschaft

Inhalt :

1. Der Einbruch von Force Ouvrière (FO) und das Scheitern ihrer Doppelstrategie
2. Zwei Gewinner auf der Rechten: CFTC und UNSA
3. Stabilisierung der CGT... und was sich links von ihr tut    
4. Höhere Angestellte: Die Rückkehr der CGC
5. Die CFDT, stabiler (liberaler) "Reform"-Pol
6. Die neokonservative Regierung auf der Suche nach Unterstützern

Einleitung : Die "Sozialwahlen" vom 11. Dezember

Bei diesen Wahlen werden die mit Laien besetzten Arbeitsgerichte, Prud`hommes-Räte genannt, frankreichweit neu besetzt. Die paritätisch funktionierenden Laiengerichte existieren seit 1806, die Neuwahlen finden alle fünf Jahre statt. Jedes Gericht besteht aus fünf Kammern -Industrie, Handel, sonstige Dienstleistungen, Landwirtschaft, leitenden Angestellte -, von denen jede mit je vier gewählten Vertretern der Arbeitgeber- und der Lohnabhängigenseite besetzt ist. (Falls in einer Angelegenheit keine Mehrheitsentscheidung gefällt werden kann, wird die Sache einem Berufsrichter übergeben, der zusammen mit zwei der Laienrichter erneut darüber zu urteilen hat.)

Frankreichweit sind dabei auf beiden Seiten jeweils rund 7.000 Sitze zu vergeben. 15 Millionen Lohnabhängige und zwei Millionen (kleine, mittlere und große) Arbeitgeber sind wahlberechtigt. Stimmberechtigt sind allerdings nur die abhängig Beschäftigten im Privatsektor, und nicht im öffentlichen Sektor, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad besonders hoch ist - mit Ausnahme der Eisenbahner, die aufgrund ihres besonderen Statuts im Sektor `Handel? mitstimmen. (Bei der sektorellen Einteilung wurde die Bahngesellschaft SNCF als `Handelsgesellschaft` eingeordnet.)

Deswegen handelt es sich um den wichtigsten Kräftetest für die verschiedenen Gewerkschaftsbünde und -organisationen überhaupt, die regelrechte Wahlkampagnen durchführen. Allerdings hat die Beteiligung an diesen Wahlen in den letzten 20 Jahren konstant abgenommen. Das ist u.a. Ausdruck des Niedergangs des gewerkschaftlichen Organisationsgrads infolge von Erwerbslosigkeit und daraus folgendem Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt, oder von Repression gegen Versuche gewerkschaftlicher Organisierung vor allem in den kleinen und mittelständischen Betrieben. Es ist ferner auch Ausdruck einer Vertrauenskrise in die etablierten Institutionen der Arbeiterbewegung, die u.a. aus den Ergebnissen sozialdemokratischer Politik in mehreren Jahrzehnten resultiert. Hinzugefügt sei, dass die Lohnabhängigen in Frankreich weniger stark auf die Gewerkschaften angewiesen sind, um ihre Rechte geltend zu machen - das Streikrecht kann in Frankreich durch die abhängig Beschäftigten auch völlig unabhängig von jeder Gewerkschaft ausgeübt werden.

Die Wahlbeteiligung ist in diesem Jahr (gegenüber den voran gegangenen Sozialwahlen vom 10. Dezember 1997) erneut leicht rückläufig, was sich aber auch mit zahllosen organisatorischen Problemen und Schlampereien bei der diesjährigen Durchführung der Sozialwahlen erklärt. Die Beteiligung betrug 1997 im nationalen Durchschnitt 34,4 Prozent, bei diesem Mal noch 32,7 Prozent. Dass die Arbeitgeber in geringerem Maß teilnehmen, ist in gewissem Sinn normal, da 98 Prozent der Prud'hommes-Entscheidungen von Lohnabhängigen angestrengt werden. Allerdings  ist sie von 20 auf 26,6 Prozent angestiegen. Gründe dafür sind darin zu suchen, dass die Briefwahl erleichtert wurde - aber auch, dass dieses Jahr erstmals eine Liste der "Arbeitgeber der sozialen Ökonomie" (Kooperativen, Vereine, humanitäre Organisationen...) zur Wahl stand. Letztere erhielt 11,3 Prozent, die Liste der "klassischen" Arbeitgeberverbände hingegen 80,1 Prozent, 1997 waren es 88 Prozent gewesen..                

                 

1. Einbruch für Force Ouvrière (FO) und das Scheitern ihrer Doppelstrategie

Seitens der Gewerkschaften kam es nicht zu dramatischen Erschütterungen der Landschaft-. Dennoch kam es zu bedeutsamen Umgruppierungen sowohl (in geringerem Maße) auf der gewerkschaftlichen Linken, als auch - vor allem - auf der Rechten. Innerhalb der gewerkschaftlichen Rechten ist der Einbruch des Dachverbands Force Ouvrière (FO), das ist der drittgrößte französische Gewerkschaftsbund, am bedeutungsvollsten. FO fiel von 20,55 Prozent (1997) auf nur noch 18,3 Prozent, nachdem ihr Generalsekretär Marc Blondel eher großspurig auf Gewinne in Höhe von 2 Prozent gesetzt hatte. Dies ist zu einem guten Teil als Quittung für die populistische Politik des Dachverbands zu werten. FO ist traditionell ein reformistisch-"unpolitisch" orientierter und eher rechter Verband, der 1947/48 all jene Strömungen aufnahm, die sich von der CGT abspalteten, weil sie die Vorherrschaft der Kommunistischen Partei ablehnten. Das waren teilweise Gaullisten, am Anfang sogar Rechtsextremen, aber auch einige Sozialdemokraten und - das ist eine der Besonderheiten von FO - eine besonders sektiererische trotzkistische Strömung, jene der "Lambertisten" (deren Organisation heute, nach einigen Namensänderungen, "Parti des travailleurs" heißt). Das Ganze wurde dadurch zusammengehalten, dass man sich über den strikten Antikommunismus bzw. Antistalinismus (je nach Strömung variierte die Bezeichung) einig war. Und dass man sich dazu verpflichtete, eine "unpolitische" Organisation zu sein. Die Praxis war Jahrzehnte lang sehr "gemäßigt" und konservativ. Eine stattliche Minderheit von knapp 20 Prozent der FO-Sympathisantenbasis wählt heute Le Pen.

Doch seit Mitte der 90er Jahre schlug die FO-Führung einen stark verbalradikal geprägten Kurs ein. Ein Grund dafür war das Kalkül einiger Fraktionen in der FO-Führung, nach dem Ende des Realsozialismus ließen sich vermeintlich rasch die "Reste der kommunistischen CGT" einsammeln - ein Kalkül, das nicht aufging. Ein zweiter Grund hängt mit den Sonderinteressen der Organisation zusammen. Dabei spielte eine Rolle, dass der Gewerkschafts-Apparat von FO besonders eng mit den Leitungsstrukturen der öffentlichen Sozialversicherungssysteme verwoben ist - ein bedeutender Teil der FO-Apparatschiks werden durch die Sozialversicherungskassen bezahlt, agieren aber dort vor allem als Hauptamtliche ihrer Organisation. 1967 hatte FO - dank der damaligen gaullistischen Regierung - die Präsidentschaft der (durch Repräsentanten der "Sozialpartner" verwalteten) Krankenkasse übernommen, und erst 1996 gab FO sie wieder ab. Dieses Mal war es die neokonservative Regierung unter Alain Juppé, die Force Ouvrière die Führung der Krankenkasse entzog, um sie der sozialliberalen CFDT (deren damalige neoliberale Führung unter Nicole Notat)-die  Reform bzw. Deform der Sozialversicherungssysteme durch die Juppé-Regierung offen befürwortete) zu übertragen. Zur Verteidigung ihrer ureigenen Apparatinteressen hat FO daher, sofern es um die Sozialversicherungssysteme geht, immer stark verbalradikale Positionen eingenommen, die über den tatsächlichen Charakter dieser eher konservativ-populistisch geprägten Organisation nicht hinwegtäuschen dürfen.

In den letzten Wochen hatte FO ihr altes Doppelspiel erneut aufgeführt. Am Aktionstag des 26. November hatte die Eisenbahner-Sektion von FO als einzige Gewerkschaft, im Alleingang zusätzlich zu den Demonstrationen einen Streik angemeldet. FO-Generalsekretär Marc Blondel malte schon einmal öffentlich das (wie es aus Sicht der Gegenseite heißt) "Gespenst" des Generalstreiks an die Wand. Zur gleichen Zeit war aber, anlässlich eines der wichtigsten Konflikte der letzten Zeit im Privatsektor - dem Streik der LKW-Fahrer Ende November, für bessere Bezahlung in dem extremen Niedriglohnsektor  - die dortige FO-Sektion nach rechts ausgeschert. Der Streik wurde am 24./25. November, einen Tag vor dem Aktionstag der öffentlichen Dienste, durch zwei Faktoren gestoppt. Einerseits hatten vier Minderheitsgewerkschaften, die zusammen höchstens 25 Prozent  der Beschäftigten vertreten - die wichtigste darunter war FO - ein Kollektivabkommen mit den Arbeitgebern unterschrieben. Aus Sicht der Mehrheitsgewerkschaften, die den mit Abstand größte Teil der Beschäftigten vertreten, fiel dieses Abkommen ungünstig für die Lohnabhängigen aus. Doch daraufhin setzte, vor dem Hintergrund der Spaltung, ein harter Polizeieinsatz gegen die Streikenden deren Straßenblockaden ein Ende. Dabei wurden auch Führerscheine, die für die LKW-Fahrer als "Arbeitsgerät" unerlässlich sind, bbeschlagnahmt. FO-Generalsekretär Marc Blondel heftete sich das unterzeichnete Abkommen als persönlichen Erfolg an's Revers.

 

 2. Zwei Gewinner auf der Rechten

Diese bestenfalls inkohärent erscheinende, demagogische Politik konnte nicht attraktiv wirken. Ein Teil der FO-Strukturen im Privatsektor, darunter die Mehrheit der Pariser FO-Sektion-, waren Ende der 90er Jahre zum Verband der "autonomen", also nicht konföderierten (nicht in einem Dachverband zusammen geschlossenen), Gewerkschaften UNSA übergetreten. Dort suchten sie eine neue Heimstatt für "moderate", eher unpolitische - und auch ohne Verbalradikalismus auskommende - Gewerkschaftstätigkeit.

Die UNSA zählt nunmehr zu den großen Gewinnern der "Sozialwahlen".. Frankreichweit kletterte ihr Ergebnis von vorher 0,7 Prozent auf glatte 5 Prozent. Zuvor hatte sie einen recht aufwendigen Wahlkampf betrieben. Die "moderat-unpolitische" UNSA hat ihre Hochburgen vor allem im Schulwesen (14 Prozent) und im öffentlichen Dienst (12,7 Prozent) - diese Sektoren wählen aber bei den Prud`hommes-Wahlen nicht mit. Dort stützt sie sich auf bereits seit längerem bestehende "unabhängige" Gewerkschaften, die dort den korporatistischen, rein berufsgruppen-egoistische Interessen verteidigenden Flügel darstellen. Bei den jüngsten Sozialwahlen gewann der Unabhängige-Verband UNSA vor allem unter den höheren bzw. leitenden Angestellten dazu (mit einem Stimmanteil von 8,2 Prozent) sowie in der Landwirtschaft (9 Prozent), dort auf Kosten des christlichen Dachverbands CFTC.

Daneben steigerte sich beim landesweiten Ergebnis auch die (eher rechte) christlische Gewerkschafts-Konföderation, die CFTC, von zuvor 7,5 Prozent auf jetzt 9,65 Prozent. Die CFTC profitierte mit Sicherheit auch davon, dass sie in neuerer Zeit gerade in vielen kleineren und mittleren Betrieben präsent ist und durch die Arbeitgeber toleriert wird, um mit ihr Abkommen zu unterzeichnen. Etwa im Rahmen der 35-Stunden-Reform der Jospin-Regierung, das einzelbetriebliche Abkommen zu ihrer Umsetzung vorsah und diese (aufgrund fetter Subventionen, die dafür in Aussicht gestellt worden, v.a. in Form von Nachlässen bei den Sozialversicherungsabgaben der Betriebe) den Arbeitgebern attraktiv machte. Ferner kehrt die CFTC,  relativ stark ihr Eintreten für kürzere Arbeitszeiten oder gegen Sonntagsarbeit nach außen - im Hintergrund mit christlicher Begründung, im Namen von Familienleben und katholischem Sonntag. Allerdings neigt die CFTC sehr leicht dazu, unvorteilhafte Abkommen (wie etwa jüngst jenes bei den Fernfahrern, siehe oben unter 1.) zu unterzeichnen. Mit Sicherheit hegt die Organisation keine kämpferische Vorstellung von sozialer Interessenvertretung, sondern steht der Soziallehre der katholischen Kirche nahe. Und einige ihrer Elemente sind in gesellschaftspolitischer Hinsicht deutlich konservativ oder schlimmeres. Als jüngst die Einstellungspraxis in einigen öffentlichen Diensten (etwa im Spätherbst bei der Pariser Metro) erstmals auch für Ausländer bzw. Immigranten geöffnet wurde, war die CFTC die einzige Gewerkschaft der Pariser Transportbetrieben, die explizit dagegen Stellung bezog. Zu viele Afrikaner und Asiaten als Metro- und Busfahrer-, so die Begründung, schade dem Pariser Erscheinungsbild....

Beide eher rechten Organisationen profitierten von der Krise von FO, aber auch vom Rückgang der kleinen Organisationen, die unter "Sonstige" verbucht werden. Die "Sonstigen" fielen zusammen von 6,7 auf 2,8 Prozent. Deren wichtigste war früher die teilweise rechtsradikale CSL, die vor zwei Monaten ihre Auflösung erklärt hatte ; die CSL alleine hatte 1997 knapp über 4 Prozent erhalten. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe ihrer Auflösung hatte diese ehemalige "Konföderation der freien Gewerkschaften" (Confédération des syndicats libres), die an so manchem Ort mit  Werkschutz oder Arbeitgebern zusammenarbeitete, zur Wahl von FO aufgerufen. Ihre Stimmen mögen nun entweder (statt FO) den anderen eher "moderaten", also nicht kämpfersichen Organisationen zugute gekommen sein - oder auch FO selbst, aber mit dem Effekt, andere Wähler von FO wegzutreiben. Das Abkommen, das kurz vor deren Auflösung zwischen CSL und FO geschlossen wurde, hat jedenfalls zum diffusen Erscheinungsbild von FO noch zusätzlich beigetragen.


             
3. Stabilisierung der CGT... und was sich links von ihr tut

(Relativ) links im gewerkschaftlichen Spektrum konnte sich die CGT, die nach ihrer "Abnabelung" von der KP insgesamt eher orientierungslos dahin driftet, einigermaßen stabilisieren. Sie erhielt, nach 33,11 Prozent im Jahr 1997, bei diesem Mal 32,13 Prozent. Damit konnte ihre Erosion (bei den "Sozialwahlen" des Jahres 1979 hatte sie noch 42,4 Prozent der Stimmen erhalten) jedenfalls verlangsamt werden. Diese ist seit Anfang der Achtziger Jahre im Gang, aufgrund des Niedergangs traditioneller Industriezweige, aber auch aufgrund der desillusionierenden Bilanz der französischen KP - mit der die CGT lange Zeit identifiziert wure - und ihrer Regierungsbilanz. Allerdings hatte die CGT zwischen 1992 und 1997 hatte die CGT sich stabilisieren können (sie hatte zwischen zwei Sozialwahmen nur 0,1 Prozent verloren), vor allem dank ihrer Beteiligung an der Streikbewegung im Herbst 1995.

Doch jetzt taucht auch auf ihrer Linken, deutlicher als vorher, eine Alternative auf. Die linksalternativen SUD-Gewerkschaften waren, unter dem Namen ihrer Koordinierungsstruktur "Solidaires", bei diesem Mal in deutlich mehr Bezirken und Prud¹hommes-Sektionen als 1997 angetreten. Vor 5 Jahren hatten sie rund 40 Listen aufgestellt, bei diesem Mal waren es insgesamt 175. Damit waren die SUD- bzw. Solidaires-Listen für rund ein Drittel der Stimmberechtigten auf dem Wahlzettel präsent. Ihr vorab definiertes Wahlziel bestand darin, 5 Prozent der Stimmen zu erreichen. Dieses Ziel wurde in über drei Viertel der Fälle auch erreicht. Frankreichweit ergibt dies ein nationales Durchschnittsgebiet von 1,5 Prozent (1997 waren es noch 0,31 Prozent) - das zwar nicht vernachlässigbar ist, die Bedeutung der SUD-Gewerkschaften dennoch eher unterschätzen lässt.

 

4. Höhere Angestellte : Die Rückkehr der CGC

Wahrscheinlich hat die CGT einige Stimmen zugunsten der SUD/Solidaires verloren, die aber wohl auch von anderen Gewerkschaften (vor allem der CFDT) Stimmen abgezogen hat. Aber die CGT hat, so mutmaßt die Wirtschaftszeitung ŒLes Echos¹, wohl auch bei den leitenden Angestellten (encadrement) zugunsten der Berufsgruppen-Gewerkschaft CGC verloren.

Die CFE-CGC, Dachverband der höheren Angestellten, konnte sich beim landesweiten Gesamtergebnis von 5,92 auf jetzt 7,01 Prozent steigern - und im Sektor encadrement von 21,88 auf jetzt 22,81 Prozent (was allein noch nicht ihren landesweiten Zuwachs erklären kann, hinzu kommen wohl Stimmengewinne in benachbarten sozialen Kategorien). Im gleichen Sektor, dem der leitenden Angestellten, fiel die CGT leicht von 16,22 auf 15,81 Prozent.

Dass die CFE-CGC, die historisch der bürgerlichen Rechten nahe steht und deren Anhänger zu rund 60 Prozent konservativ oder liberal wählen, im Bereich der cadres (höhere und leitende Angestellte) möglicherweise Stimmen von der CGT gewinnen konnte, hat damit zu tun, dass die CGT im Zeitraum 1997 bis 2002 bei bestimmten Fragen ein kämpferisches Profil hervor kehren konnte. Jedenfalls in Fragen, die auf spezifische Weise die höheren Angestellten betreffen. Als die Jospin-Regierung die Loi Aubry zur Arbeitszeitpolitik verabschiedete, sah sie für die höheren Angestellten die Verallgemeinerung von Arbeitszeit-Pauschalen vor. Das bedeutet, dass die Betroffenen legal bis zu einem Maximum von 13 Stunden am Tag arbeiten können und nicht in Freizeit, sondern lediglich in pauschal berechneten jährlichen Urlaubstagen abgegolten werden. Für Angestellte in höherer Position bedeutet dies mehr Stress. Die CGC nahm bei ihrer (im Kern berechtigten) Kritik umso weniger Rücksichten, als sie ohnehin kaum Gemeinsamkeiten mit der ³Links²regierung hatte... Jedenfalls zogen CGT und CGC ab 1999 gemeinsam vor den Europäischen Gerichtshof, um gegen die Loi Aubry zu klagen. Die Beschwerde wurde jedoch 2001 abgewiesen. - Dieser kämpferisch aussehende Einsatz für spezifische Interessen der "obersten" Kategorie von abhängig Beschäftigten darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die CGC in Betrieben und Branchen oftmals üble Abkommen und Vereinbarungen mit unterzeichnet. (Das hängt mit den sozialen Interessen ihrer Klientel zusammen.) So etwa beim jüngsten Abkommen, das dem Konflikt der Fernfahrer ein vorzeitiges Ende bereitete.

 Die Gewinne der CGC erklären sich aber nicht hauptsächlich durch Stimmentransfers von der CGT, wie sich aus obigen Zahlen ablesen lässt. Der Löwenanteil der 2002 gewonnen, oder genauer "zurück eroberten", Stimmen besteht aus Anteilen, welche die CGC bei den Sozialwahlen vor 5 Jahren an die sozialliberale und "modernistische" CFDT verloren hatte. Im Dezember 1997 hatte die CFDT stattliche 8 Prozent in der Sektion encadrement dazu gewonnen, die CGC ihrerseits verlor dort 5 Punkte. Dies hängt damit zusammen, dass die CFDT-Führung  aufgrund ihrer Positionierung im Streikherbst 1995 - gegen die Streikwelle in den öffentlichen Diensten, für die konservative Regierung von Alain Juppé - als "Partei der Ordnung und der Modernität" in der gewerkschaftlichen Landschaft erschienen war. Damit wurde sie vor allem in der Kategorie der "weißen Kragen" - oder jenes Teils von ihnen, der ein Mindestmaß an gewerkschaftlicher Interessenvertretung wünscht - zum "vernünftigen Partner" von Staat und Kapital erhoben. 1997 schien sie allmählich die spezifische Berufsgruppen-Organisation CGC zu verdrängen. Dieser Prozess scheint jetzt gestoppt. Die CFDT verlor 2002 in der Kategorie encadrement  rund 3 Prozent (von 31,52 Prozent auf jetzt 28,64 Punkte). Die CGC gewann ein Prozent wieder zurück. Daneben scheinen viele "reformerische" Stimmen an die UNSA (siehe oben) gegangen zu sein, die in dieser Kategorie von zuvor 2,05 Prozent auf jetzt 8,16 Prozent kletterte.



Die CFDT, stabiler (liberaler) "Reform"-Pol

Zwischen dem linken Pol, der aus den SUD-Gewerkschaften und (kritischen) Teilen der CGT besteht, und dem Zuwachs für eher rechts angesiedelte Organisationen bleibt die tendenziell sozialliberale CFDT stabil. Diese Organisation - die heute, mit offiziell 800.000 Mitgliedern (die realen Zahlen dürften ein bisschen darunter liegen), vor der CGT inzwischen den an Mitgliedern stärksten Dachverband bildet - war in den 70er Jahren eher linkssozialistisch und sozialutopisch geprägt, vollzog in den 80er Jahren jedoch eine Rechtswende parallel zu jener der regierenden Sozialdemokraten. Heute besteht das zentrale Element in der Ideologie des CFDT-Apparats vor allem darin, dass man politische Strategien und gesamtgesellschafliche Perspektiven zu scheuen habe wie der Teufel das Weihwasser, da man damit bereits gescheitert sei, als die Sozialdemokraten in den frühen 80ern erstmals regierten. Die Führungsspitze ist eindeutig neoliberal geprägt und weist einen tief sitzenden Hass auf staatliche bzw. politische Regulierung auf, welcher eine "sozialpartnerschaftliche" (mit dem Kapital konsensfähige) Regelung unter "vernünftigen Partnern" vorzuziehen sei.  

Die Basis ist jedoch teilweise noch links, sofern die Sektionen nicht "gesäubert" wurden - im letzteren Fall finden sich die früheren CFDT-Linken meist bei den SUD-Gewerkschaften wieder, deren erste 1988/89 durch (wegen Streikaktivitäten ausgeschlossene) CFDT-Kritiker gegründet worden waren. Aufgrund ihrer ziemlich breiten Präsenz kann die CFDT auch zahlreiche gewerkschaftliche Service-Aktionen anbieten. Daher erscheint die CFDT den abhängig Beschäftigten, trotz bestimmter klarer Richtungsentscheidungen der Führung (die bspw. die Streikwelle in den öffentlichen Diensten von 1995 verurteilte und die Juppé-Regierung unterstützte) nicht als feindliche Organisation. Sondern eher als "realistische" Interessenvertretung in Zeiten, die nun mal schlecht seien, weshalb auch eine Gewerkschaft manchmals zu bringenden "Opfern" zustimmen müsse. Die CFDT erscheint jedenfalls als weniger rechts und zweifelhaft als oftmals die CFTC oder in vielen Fällen auch, in ihrer konkreten Praxis in den beruflichen Branchen, FO.

Die CFDT erhielt bei den 1997er Sozialwahlen 25,34 Prozent der Stimmen, bei diesem Mal waren es 25,23 Prozent. Damit ist sie quasi stabil geblieben, nimmt aber nach wie vor den zweiten Platz hinter der CGT ein. Ihre Verluste in der Kategorie der höheren Angestellte (siehe oben unter 4.) glich die CFDT in anderen Sektoren wieder aus, darunter auch in der Industrie, wo sie 1,26 Prozent hinzu gewann - ihr Anteil dort beträgt jetzt 23,57 Prozent. Einige Stimmengewinne erklären sich, grob dem Phänomen bei der CFTC (siehe oben unter 2.) ähnelnd, teilweise aus ihrer Rolle als Verhandlungspartnerin der Arbeitgeber bei der Umsetzung der 35-Stunden-Reform. In diesem Zusammenhang war die Verankerung der CFDT in vielen mittelständischen und kleineren Betrieben durch die Arbeitgeber akzeptiert worden, da diese ihrerseits Vorteile aus dem Abschluss von Vereinbarungen zogen.



6. Die Neokonservativen auf der Suche nach Unterstützern

Der aus dem neogauillistischen Teil der bürgerlich-konservativen Einheitspartei UMP stammende Arbeits- und Sozialminister, François Fillon, begrüßte die Ergebnisse der Sozialwahlen. Er "schloss nicht aus", wie er diplomatisch formulierte, dass sich ein gewerkschaftlicher "Reformflügel" (im Originalton : pôle réformiste  = reformistischer Pol) um die drei Organisationen CFDT, CFTC und (als neuen Partner) UNSA herum herausbilde. Dies erleichtere es, vor der anstehenden (bzw. drohenden) "Rentenreform" zu einem "Konsens mit den Sozialpartnern" zu kommen. - Die CFDT-Führung hat bereits angekündigt, einem möglichen "Rentenkompromiss" ihre Zustimmung nicht zu verweigern.

Die Strategie der Regierungsseite, im Hinblick auf mögliche gewerkschaftliche Unterstützung für das neoliberale Vorhaben, liegt damit auf dem Tisch. Es bleibt abzuwarten, was sich andernorts tun wird.

Interessant ist im Übrigen, wie sich die Verwendung der Bezeichnung "reformistisch" gewandelt hat. Historisch bezeichnete der Begriff des "Reformismus" eine Strategie innerhalb der Arbeiterbewegung, die - im Gegensatz zu den revolutionären Strömungen - auf eine allmähliche Umwandlung des herrschenden Gesellschaftssystems mit legalen Mitteln, ohne Kraftprobe und Umsturz, setzte. Heute wird der Begriff hingegen im ideologischen Diskurs von Medien und Politik so benutzt, dass er nur noch jene Organisationen bezeichnet, welche bereit sind, die herrschende Ordnung weiter im negativen, pro-kapitalistischen und beschäftigtenfeindlichen Sinn verändern zu helfen. Nicht mehr die langsame und legale Veränderung hin zu einer besseren Gesellschaft, sondern lediglich das Tempo beim Marsch hin zu Verschlechterungen steht somit angeblich zur Debatte. Es bleibt die Hoffnung, dass Leute sich - bei einer Rückbesinnung auf die  echte historische Bedeutung von Begriffen "Reformismus" und "Revolution" - bewusst werden, dass auch noch ganz andere Optionen zur Debatte standen...


Bernhard Schmid, Paris

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