letzte Änderung am 16. Februar 2004

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Streik bei Radio nach 18 Tagen beendet, Zoff in öffentlichen Medien

Rund um die Uhr rieselt klassische Musik aus dem Radiosender France Info, der sonst 24 Stunden am Tag Nachrichten ­ alle sieben Minuten von Neuem ­ ausstrahlt. Was ist los: Ein Staatsbegräbnis? Hat ein Militärputsch den Präsidenten entmachtet? Nein, es ist ­ Streik. 18 Tage lang war die große Mehrheit der Journalisten bei France Info, mit 5,5 Millionen Hörern einer der beiden meist gehörten Radiosender im Land, im Ausstand. Am Mittwoch voriger Woche schlossen sich dann auch die anderen Sender der öffentlichen Unternehmensgruppe Radio France dem Streik an, vor allem der französische Auslandssender RFI (Radio France international).

Radiojournalisten erhalten in Frankreich keine Spitzengehälter, sondern verdienen in der Regel nicht besser als mittlere Angestellte. Im Jahr 1994 wurde für die öffentlichen audiovisuellen Medien Frankreichs ein Manteltarifvertrag geschlossen, der die Angleichung der Löhne bei Radio France an den Verdienst der Mitarbeiter beim Fernsehsender France-3 vorsieht. Das hätte zur Folge gehabt, dass die Gehälter beim Radio tendenziell nach oben gezogen werden. Doch obwohl rechtsgültig, fand der Tarifvertrag nie Anwendung. Schlimmer: Seit nunmehr sieben Jahren hat es keine kollektive Erhöhung der Gehälter beim öffentlichen Radio mehr gegeben. Allenfalls individuelle Gehaltserhöhungen, nach "persönlichem Verdienst" und Wohlgefälligkeit oder in Form von Prämien, hielten den Kaufkraftverlust auf oder besserten den Lohn Einzelner auf.

Zu Anfang dieses Jahres nun hatten die Radiojournalisten endgültig die Schnauze voll. Die Antwort ihrer Direktion unter Jean-Marie Cavada ebenso wie jene des zuständigen Kulturminister Jean-Jacques Aillagon war klar und eindeutig: Es gibt nichts zu verhandeln, Punkt. Dasselbe Signal wird derzeit von der neokonservativen Regierung an alle gesellschaftichen Gruppen ausgesandt, die sich dagegen wehren, dass soziale Errungenschaft zur Disposition gestellt oder abgebaut werden. Eine erste Verhandlungsrunde am 5. Februar dauerte keine Viertelstunde: Die Vertreter der Streikenden bissen auf Granit. Daraufhin luden sie zu einer Diskussionsrunde Sozialwissenschaftler in`s Studio, die im Äther scharfe Reden über historische Beispiele an sozialen Konflikten, über den Verrat der Gewerkschaftsbürokraten im Mai 1968 und ähnliches halten durften.


Das Streikende - Was wurde erreicht?

Am Freitag voriger Woche (dem 13. Februar) kam es dann doch noch zum Abkommen bei France Info, da die Streikenden einsehen mussten, dass mehr als das Angebot vom Vortag nicht herauszuholen sein würde. Es beinhaltet eine Lohnerhöhung ab kommendem Jahr, die aber den Schönheitsfehler hat, dass zwar der Mechanismus ihrer Aushandlung festgeschrieben wird ­ die Direktion sich aber bisher auf keinerlei Zahl festlegen wollte.

Bis zum 30. April dieses Jahres soll also der Mechanismus der künftigen Lohnfestlegung ausgehandelt werden. Allein für das kommende Jahr 2005 scheint eine Erhöhung um 3 Prozent festzustehen (nachdem die kollektive Lohnbasis seit sieben Jahren nicht mehr erhöht worden ist!) Und im März 2004, also kommenden Monat, gibt es eine einmalige Zahlung von 400 Euro, als "Vorschuss" auf die Lohnerhöhung. Die 400 Euro sollen aber von der Lohnerhöhung, die 2005 ansteht, wieder abgezogen werden!

Ferner wurde ausgehandelt, dass die Beschäftigten von (je nach Beteiligten) 17 bzw. 18 Streiktagen "nur" 14 Tage Lohn einbüßen sollen. In Frankreich existieren keine gewerkschaftlichen Streikkassen, so dass die Beschäftigten auf ihren Lohnverlusten i.d.R. selbst "sitzen bleiben" (was aber den immensen Vorteil hat, dass die Lohnabhängigen selbst über den Zeitpunkt ihrer Arbeitsniederlegung und -wiederaufnahme entscheiden.)

Ein großartiger Sieg ist das vermutlich nicht. Doch nach Ansicht der Gewerkschaften und Delegierten der Streikenden war derzeit nicht mehr herauszuholen; und bei Nichtannahme der "Einigung" sei (ihrer Auffassung nach) zu befürchten gewesen, dass die Direktion den Fortgang des Konflikts einfach "ausgesessen" hätte.

Getrennt davon wird nunmehr die Frage der Einhaltung des rechtsgültigen Abkommens von 1994 (des accord Servat) behandelt werden, demzufolge "eigentlich" die Gehälter der Radio- an jene der öffentlichen Fernsehjournalisten hätten angeglichen werden sollen. Denn dazu wurde nunmehr das Pariser Zivilgericht angerufen, das sich am 23. März 04 über die Frage der möglichen Rechtsverletzung durch Nichteinhaltung des Abkommens beugen wird.

Bei Radio France international (RFI) dagegen hielt der Streik am Wochenende noch an, und sollte noch mindestens bis zu einer Vollversammlung im Laufe des Montag fortdauern.


Krisenstimmung beim öffentlichen Fernsehen

Krise herrscht auch beim derzeit größten öffentlichen Fernsehsender France-2. Dessen Nachrichten-Direktor Olivier Mazerolle ist soeben gefeuert worden, und Tagesschausprecher David Pujadas wurde für 14 Tage ­ ohne Gehalt ­ vom Dienst suspendiert. Der Grund: Am Abend des 3. Februar hatte die Tagesschau auf France-2 die Sensation verkündet, der Vorsitzende der konservativen Regierungspartei UMP, Alain Juppé, lege alle Ämter nieder und ziehe sich aus der Politik zurück. Drei Tage zuvor war Juppé - der ein breit angelegtes Korruptionssystem aus konservativer Partei, Pariser Rathaus und privaten Wirtschaftsunternehmen organisiert hatte - von einem Gericht in Nanterre zu 10 Jahren Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte, und damit auch des passiven Wahlrechts, veurteilt worden. (Die Urteilsbegründung hat es übrigens in sich: "Was Alain Juppé getan hat, ist aus Sicht der Gesellschaft unerträglich. Alain Juppé hat das souveräne Volk betrogen..." Auch die Richter hatten so langsam die Nase voll davon, dass die Chirac-Seilschaft die Justiz seit Jahren konstant an der Nase herumführt.)

Doch die Tagesschau lag mit ihrem Titelthema voll daneben: Zur gleichen Stunde war Juppé als Studiogast beim Konkurrenzsender TF1, den Jacques Chirac 1987 ­ er war damals Premierminister ­ privatisieren ließ. Wie angekündigt, nahm er am Ende seiner dreitägigen Bedenkzeit Stellung zu seiner politischen Zukunft. Und er verkündete: Ich bleibe, und behalte meine Ämter bis zum Ausgang des Berufungsverfahrens. Daraufhin traf sich die France2-Redaktion zu einer Vollversammlung und stimmte über die "Vertrauensfrage" ab. 70 Prozent der anwesenden Journalisten stimmten einem Misstrauensantrag gegen ihre Leitung zu.

Die erbitterte Konkurrenz darum, wer zuerst "Sensationen" und Nachrichten verkünden kann, zwischen den öffentlichen und privaten Sendern hat zu diesem Fauxpas beigetragen. Aber möglicherweise auch eine Finte der konservativen UMP. Mazerolle jedenfalls schwört felsenfest, er habe noch wenige Minuten vor der Tagesschau aus einer "sicheren Quelle" eine Bestätigung für den Rückzug Alain Juppés erhalten. Und was, wenn UMP-Politiker bewusst eine Falle aufgestellt haben? Fest steht, dass sie den Privatsender TF1 von vornherein bevorzugt haben, da Juppé diesem allein seinen Auftritt reservierte. Die Direktion von France 2 hatte deswegen bereits erheblich den Druck auf ihre Journalisten gesteigert, weil diese nicht freundlich genug im Umgang mit Politikern seien und diese deswegen zum Privatfernsehen "fliehen" müssten. Das hat das jetzige Misstrauen bestimmt befördert.


Im Hintergrund: Privatisierungsdrohung

Das verbindende Element der Vorgänge beim Radio wie bei France-2 ist, dass die konservative Rechte mit ihren Privatisierungsgelüsten gegenüber den öffentlichen Medien kaum hinter dem Berg hält. Deswegen auch die stiefmütterliche Behandlung der Journalisten in öffentlichen Redaktionen.

Bernhard Schmid (Paris)

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