letzte Änderung am 26.März 2004

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Militärisch-industrieller Komplex?

Zwei Rüstungsindustrielle kontrollieren in Bälde 75 Prozent der französischen Presse
Gewerkschaften fürchten um Arbeitsplätze und Unabhängigkeit

Eine Frage braucht man nicht mehr zu stellen: Seit dem 11. März dieses Jahres ist aufgeklärt, warum 10 von insgesamt 13 Erben des französischen Medienzaren Robert Hersant es in den letzten Monaten plötzlich eilig hatten, ihren Wohnsitz zu wechseln. Die Mehrzahl von ihnen zog es in die Schweiz (wo etwa Philippe Hersant, Chef des Konzerns France-Antilles, am 1. September 03 seinen Wohnsitz nahm) oder in europäische Steuerparadiese. Nunmehr ist auch klar geworden, warum.

An jenem Donnerstag vorletzter Woche wurde bekannt, dass 500 Millionen Euro in nächster Zukunft ihren Besitzer wechseln werden ­ nunmehr wohl am französischen Fiskurs vorbei. Die Erben des vor acht Jahren, im April 1996, verstorbenen "Papierfressers" (papivore), des Presseindustriellen Hersant, hatten bisher einige Probleme beim Berappen ihrer Erbschaftssteuer gezeigt. Jetzt dürften sie wohl ausgesorgt haben. Im Gegenzug verkaufen sie 50 Prozent der Anteile an dem Presseunternehmen Socpresse, die ein gutes Drittel des französischen Markts für Printmedien kontrolliert, an den Rüstungsindustriellen Serge Dassault.

Da er bereits seit Januar 2002 über 30 Prozent der Kapitalanteile an der Holding verfügte, wird der Großunternehmer jetzt also 82 Prozent der Aktien halten und die Socpresse allein kontrollieren. Letztere gibt über siebzig Zeitungen und Zeitschriften heraus, darunter die konservative Tageszeitung Le Figaro, das Wochenmagazin L’Express, die Wirtschaftszeitschrift L’Expansion und eine Reihe von Regionalzeitungen. Beispielsweise in Lyon, Grenoble, Lille, Angers oder Nantes.

Dieses Presseimperium wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch Robert Hersant aufgebaut, den auch seine Kollaborateursvergangenheit nicht daran hinderte, beginnend mit dem Ankauf des Auto-Journal 1950 ein Presseimperium zusammenzukaufen. Das Kronjuwel dabei bildet die bürgerliche Tageszeitung "Le Figaro", die Hersant 1975 erwarb (die Zeitung selbst war bereits 1826 gegründet worden), übrigens mit einem Kredit von Dassault aufgrund einer Bitte des damaligen Premierministers Jacques Chirac. Hersant brachte das Blatt auf strammen Rechtskurs und fusionierte es mit der 1978 von ihm erworbenen Tageszeitung "L’Aurore" (Das Morgenrot), die aus einer wesentlich weiter rechts stehenden Tradition stammt. Noch bis in die Neunziger Jahre trug das Zentralorgan der französischen Konservativen, denn als solches trat die Tageszeitung auf (ihr Tonfall hat sich in jüngerer Zeit leicht gemildert), deswegen den doppelten Titel "Le Figaro ­ L’Aurore". Hersant schuf daneben das samstäglich erscheinende, stockreaktionäre Wochenmagazin "Figaro-Magazine" sowie die ebenfalls samstägliche Beilage Frauenbeilage für die bürgerlichen Damen, "Madame Figaro". Im berüchtigten "Figaro-Magazine" unter seinem Gründer und Direktor, dem Schriftsteller und rechten Esoteriker Louis Pauwels, dem Autor des mystischen Schinkens "Le matin des magiciens" (Der Morgen der Zauberer), schrieben lange Zeit hindurch offene Rechtsextreme. Viele Köpfe der so genannten Nouvelle Droite, der intellektuellen "Neuen Rechten", konnten hier publizieren; das sorgte im Jahr 1979 für einen handfesten Skandal, da Redakteure und Autoren des "Fig-Mag" öffentlich die Idee einer "natürlichen Ungleichheit der Menschen" predigten, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Aus ihren Reihen stammte auch der "Fig-Mag"-Chefedakteur (von 1978 bis 1996) Patrice de Plunkett, der zuerst dem GRECE unter Alain de Benoist - der Denkfabrik der Nouvelle Droite - angehörte, sich später aber den rechtskatholischen Traditionalisten annäherte. Ebenfalls für Aufsehen erregte Louis Pauwels, die graue Eminenz der Redaktion, als er 1986 die Formulierung vom "geistigen AIDS" prägte, an der die damals gegen die Regierung von Premierminister Chirac streikenden und demonstrierenden StudentInnen litten. (Diese biologistische Metapher vom "geistigen AIDS", von ihm ergänzt um eine "politische Syphilis", avancierte in den frühen Neunzigern zu einer der zeitweise beliebtesten Formulierungen von Jean-Marie Le Pen.) Doch in den späten Neunziger Jahren kam es zu einer "Normalisierung" des Wochenmagazins im bürgerlich-konservativen Sinne. Patrice de Plunkett wurde im November 1996 vom "Figaro"-Geschäftsführer Yves de Chaisemartin gefeuert, und im April 1997 verstarb Louis Pauwels. Unter dem neuen "Fig-Mag"-Chefredakteur Franz-Olivier Giesbert wurde Kurs auf die bürgerliche, rechte "Mitte" genommen. Mit der Übernahme des Hersant-Presseimperiums durch Dassault ist der historische Krieg zwischen zwei französischen Wirtschaftsgrößen jetzt zu Ende. Beide hatten wesentlichen Einfluss auf der französischen Rechten entfaltet, doch lieferten sie sich einen harten Konkurrenzkampf. Die Gründerväter haben eine unterschiedliche persönliche Geschichte: Robert Hersant wurde 1947 wegen Kollaboration zu zehn Jahren Haft verurteilt, die er leider nicht absitzen musste; Marcel Dassault (der Vater) dagegen war als Häftling in Buchenwald inhaftiert. Dieser historische Unterschied hat aber keine prägende Wirkung bis heute hinterlassen: Die Dassault-Dynastie hat später mindestens so reaktionär gewirkt, wie die Familie von Robert Hersant. Und von Serge Dassault kann man in dieser Hinsicht nur Übles erwarten.

Wer ist Serge Dassault?

Dassault, mit 78 Jahren ein scharfer Hund, steht an der Spitze des gleichnamigen Konzerns, der jetzt erstmals größer in’s Mediengeschäft einsteigt. Dieser ist ansonsten vor allem im militärischen Flugzeugbau aktiv und baute beispielsweise die französischen Kampfdüsenjäger "Rafale" (‚Gewehrsalve‘ oder ‚Windstoß‘) und den Kampfjet "Mirage" (‚Luftspiegelung‘). Doch auch in der Presselandschaft ist er bereits vor einigen Jahren aktiv geworden. 1997, im Jahr der Rückkehr der französischen Sozialdemokraten in’s Regierungsgeschäft, begann er sich für die Medienwelt zu interessieren. Damals hielt er nicht mit seinen Absichten hinter dem Berg. Ende 1997 erklärte er im Kabal-Fernsehkanal LCI, ein Konzern wie der seine benötige "eine Zeitung, um seine Meinung ausdrücken und auch einigen Journalisten antworten zu können." Er setzte hinzu: "Ich habe es satt, mich in bestimmten Zeitungen beleidigen zu lassen, weil dort inkompetente Leute sitzen, die die wahren Probleme nicht erkannt haben. Also will ich antworten können." Sein erster Versuch galt 1997 der Übernahme des konservativ-liberalen Wochenmagazins "Le Point", wobei er jedoch scheiterte; die Wochenzeitschrift wurde von seinem Milliardärskollegen François Pinault aufgekauft. Auch eine Übernahme der Wochenzeitschrift "L’Express" scheiterte Ende 1997 ­ vorläufig. Er wurde durch den Vivendi-Konzern erworben. (Und im September 2002, als Vivendi in die Krise taumelte, dann durch die Hersant-Erben - die dafür einen Kredit über 230 Millionen Euro bei Dassault aufgenommen hatten. Dieser war mit der Option verbunden, im Fall einer Nicht-Rückzahlung in Aktien bei der Socpresse umgewandelt zu werden. Damit hatte Dassault den ersten Fuß in die Tür, um den zweiten später nachzusetzen.) Für Serge Dassault war es im Januar 1998 soweit: Er konnte seine ersten Schritte als Presseunternehmer zurücklegen, mit dem Ankauf der Unternehmensgruppe Valmonde. Diese gibt, neben einigen kleineren Fachzeitschriften, vor allem das stark rechtsorientierte Wochenmagazin "Valeurs actuelles" (Aktuelle Werte) heraus, das vor allem über Wirtschafts- und Armeethemen berichtet. An der Spitze des Aufsichtsrats installierte der Rüstungsindustrielle seinen Sohn Olivier Dassault. Letzterer ist zugleich Abgeordneter der konservativen Regierungspartei UMP und Präsident einer parlamentarischen Studiengruppe zur internationalen Wirtschaftspolitik (deren Arbeitsgebiet, genauer gesagt, das Funktionieren der Welthandelsorganisation WTO betrifft).

Ein Konzern mit gewisser Tradition...

Das Agieren im Familienclan ist Serge Dassault bestens vertraut, ist er doch selbst als Alleinerbe seines prominenten Vaters ­ des Flugzeugbauers Marcel Dassault ­ aufgestiegen. Die Geschichte des väterlichen Konzerns ist über lange Jahre hinweg eng mit der Karriere eines gewissen Jacques Chirac verbunden. Den Erzählungen nach soll Marcel Dassault den derzeitigen Staatspräsidenten Ende der 30er Jahre ­ Sohn eines befreundeten Bankiers - als kleinen Jungen kennen und wegen seiner tollen Automobilkenntnisse schätzen gelernt haben. Dassault begleitete schon in den 60er Jahren den ehrgeizigen Jungpolitiker, der damals in der ländlichen Region Limousin als Parlamentskandidat antrat, indem er eigens zu dessen Unterstützung eine Zeitung aufkaufte, L’Essor du Limousin. Viel später, 1980, würde Marcel Dassault in der Regenbogenzeitschrift Paris Match sagen: "Das RPR", die 1976 von Chirac gegründete neogaullistische Partei, "ist eine meiner Tänzerinnen, die ich subventioniere". Zwischendurch, 1977, hatte Marcel Dassault allerdings kurzzeitig versucht, eine eigene Partei unter dem Namen "Französische Christdemokratie" zu lancieren, die neben dem neogaullistischen RPR der bürgerlich-konservativen Parlamentsmehrheit angehören sollte. Bei der Beerdigung von Marcel Dassault im Jahr 1986, die wie ein Staatsakt zelebriert wurde, hielt Jacques Chirac, damals gerade zum zweiten Mal in seinem Leben Premierminister, die feierliche Totenrede. Natürlich profitierte auch der Dassault-Konzern selbst von dem engen Verhältnis. Im September 1975 empfing Jacques Chirac, der damals (zum ersten Mal) Premierminister unter Präsident Valéry Giscard war, einen besonderen Staatsgast im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles. Einen gewissen Saddam Hussein, damals noch Vizepräsident, aber bereits der eigentliche starke Mann im Irak. Unter den geladenen Gästen befand sich Marcel Dassault. Keine zwei Monate später kamen Offiziere der irakischen Luftwaffe, um die Dassault-Flugzeugwerke zu besichtigen, und den Kampfjet Mirage F1 zu erwerben. Diese sollten, nach dem irakischen Überfall auf den Iran, in den frühen Achtziger Jahren ihren Dienst tun; neben jenen Mirage-Exemplaren, welche die französische Armee dem Land 1983 zusätzlich aus ihren eigenen Beständen auslieh. Daran wollten Dassault und Chirac zwar später nicht mehr gern erinnert werden, denn 1991 nahm Frankreich am damaligen Angriff der US-geführten Allianz auf den Irak teil. Chirac bemängelte als Oppositionspolitiker damals nur, dass Präsident François Mitterrand freiwillig den Verzicht auf Einsatz von ABC-Waffen in diesem Krieg erklärt hatte, was der rechte Opponent als schwächliche Politik deutete. Und Dassault bestückte damals die französische Armee. Allerdings vertitt Sohn Serge Dassault auch heute noch öffentlich die Ansicht, die früheren Geschäfte mit dem Irak seien richtig gewesen, denn "ein Unternehmer muss vor allem an die Steigerung seines Umsatzes und an die Arbeitsplätze denken".

Dassault(s) in der Politik

Araber, die nicht zahlungskräftige Diktatoren sind, haben bei dem Erben, Serge Dassault, dagegen wesentlich schlechtere Karten. Denn der Junior, der auf dem rechten Flügel der Konservativen politisch aktiv ist, amtiert seit 1995 auch als Bürgermeister der südlich von Paris gelegenen Trabantenstadt Corbeil-Essonnes. Damals hatte der neofaschistische Front National (FN) in dieser Stadt darauf verzichtet, eine eigene Kandidatenliste aufzustellen, um den Wahlsieg Serge Dassaults - der nach 36 Jahren eine KP-Kommunalregierung stürzte - nicht zu behindern. Drei Mitglieder des FN mussten sogar von der Parteileitung des neogaullistischen RPR von seiner Kommunalwahl-Liste entfernt werden. Seitdem ist Dassault mehrfach von Gerichten aufgrund diskriminierender Praktiken verwarnt oder verurteilt worden. So hatte er 1998 seine (rechtswidrige) Absicht erklärt, in seiner Kommune keine einzige Sozialwohnung mehr neu an Immigranten vergeben zu wollen. Und im Januar 2003 musste ihn ein Gericht dazu zwingen, als Vorgesetzter der örtlichen Standesamts die Eheschließung eines 25jährigen Tunesiers, der keine gültige Aufenthaltspapiere hatte, mit einer Französin zuzulassen. Denn nach damaliger Gesetzeslage wurde auch einem "illegalen" Einwanderer das Recht auf Eheschließung zugebilligt; später hat die rechte Parlamentsmehrheit diese Bestimmung allerdings abgeändert. Außerhalb Frankreichs ist Serge Dassault auch von der belgischen Justiz, 1997, verurteilt worden. Die Ursache war, dass er sozialdemokratische Politiker in Belgien aktiv bestochen hatte, um einen Auftrag für Armeeflugzeuge einzuheimsen.

"Rosige" Aussichten für die französische Presse

Es ist offenkundig, dass Serge Dassault sich nicht damit begnügen wird, als Besitzer eines so bedeutenden Presseimperiums passiv zu bleiben. Angesichts seines damaligen Fehlschlags beim Versuch, L’Express zu übernehmen ­ den er jetzt, über die Holding Socpresse, ebenfalls kontrolliert - erklärte der Industrielle Ende 1997, es mache "nicht viel Sinn", eine Zeitung zu übernehmen, wenn "man nicht in der Redaktion intervenieren" kann. Er fügte hinzu: "Aber ich will vielleicht eines Tages eine liberale Zeitung machen". Liberal ist in Frankreich - anders als in Deutschland - in der Praxis ein eindeutiger politischer Kampfbegriff, der auf Marktliberalismus und die Durchsetzung des wirtschaftlich Stärkeren verweist. Denn der Bürgerrechtsliberalismus, den die deutsche Wortbedeutung ebenfalls umfasst, wird im Französischen mit dem Adjektiv "citoyen" bezeichnet. Dem Begriff "libéral" geben dagegen in Frankreich nur wirtschaftspolitische rechte Hardliner eine positive Bedeutung; im politischen Streit wird er oftmals eher als Quasi-Schimpfwort benutzt. (FUSSNOTE 1)

Seine Orientierung hinsichtlich der imperativen Notwendigkeiten, welche die Presse zu respektieren habe, machte Serge Dassault auch anlässlich seiner Teilnahme an einer Wirtschaftssendung im französischen öffentlichen Fernsehen (France 2) deutlich. Dort erklärte er am 30. November 2002 zunächst, beim Warmlaufen mit allgemeinen Statements: "Ich kritisiere die Journalisten nicht, aber mit der Geisteshaltung, in welcher Frankreich lebt, befinden wir uns noch in einem sozialistischen System, in einem System mit einer Linken und einer Rechten. Das ist vorbei." Später, als er genauer nach der Orientierung des "Figaro" befragt wurde, führte Dassault aus: "Ich sage nicht, dass er zu links sei" ­ was auch zu komisch wirken würde, da die Zeitung offener rechts auftritt als die deutsche FAZ. ABER... um hinzuzusetzen: "Ich sage nur, dass man nicht genügend der öffentlichen Meinung erklärt, was die wirtschaftliche Realität ist, so wie sie wirklich in den Unternehmen aussieht."

Vor einigen Monaten, Dassault hielt damals "erst" 30 Prozent der Anteile an der Socpresse und damit am Express, hat Dassault bereits offensiv in die Tätigkeit der Redaktion einzugreifen versucht. Im November 2003 hatte die Wochenzeitschrift auf ihrer Titelseite gefragt, ob "das Ende Raffarins?" bevor stehe. Daraufhin rief Dassault nicht nur am Amtssitz des wirtschaftsliberalen Premierministers an, um sich vielmals zu entschuldigen, sondern beschimpfte auch die zuständigen Redakteure am Telefon. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft der französischen Presse? Im Gegenzug könnte Dassault dem Premierminister einen bedeutenden Gefallen erweisen. Ende Februar 2004 soll Jean-Pierre Raffarin gegenüber Führungskräften des Hersant-Unternehmens seinen Willen bekundet haben, künftig Luc Ferry als Chefredakteur beim Wochenmagazin "L’Express" zu sehen. Es handelt sich dabei nicht nur um Einfluss-, sondern zugleich um eine Form von Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Denn es würde darum gehen, den derzeitigen konservativen Bildungsminister nach einer allfälligen Auswechslung oder Regierungsumbildung (die nach der aktuellen Wahlniederlage der Konservativen bei den Regionalparlamentswahlen als wahrscheinlich gilt) wieder in Lohn und Brot zu bringen. Der Premierminister, sofern er selbst bei der Regierungsumbildung im Amt bleibt, wäre damit einen Klotz am Bein los, denn des Ministers Dämlichkeit ist fast sprichwörtlich geworden. Einziger Trost: Das konservative Wochenmagazin würde mit einer solchen Flasche an der Spitze (die sich aber selbst für einen großen Philosophen hält) vielleicht in Schwierigkeiten rutschen...

Arbeitsplätze gefährdet?

Neben der redaktionellen Unabhängigkeit sind Gewerkschaften und Betriebsräte bei den betroffenen Presseorganen, vor allem bei den ebenfalls durch die Socpresse kontrollierten regionalen Zeitungen und Zeitschriften, noch um Anderes besorgt. Bei einigen dieser Presseerzeugnisse könnte es um’s Eingemachte gehen, nämlich um die Zukunft der Arbeitsplätze oder gar um ihre Existenz überhaupt. Alle Beobachter sind sich darüber einig, dass Serge Dassault bei der Socpresse vor allem an zwei Titeln interessiert ist, die beide nationale Reichweite haben: "Le Figaro" und "L’Express". Die konservative Tageszeitung hat eine tägliche Auflage von rund 350.000 Exemplaren, während die Wochenend-Ausgabe mit ihren Beilagen ("Figaro-Magazine" und "Figaro-Madame") die 500.000-Grenze überschreitet. Neben der Abendzeitung "Le Monde", die nach eigenen Angaben rund 500.000 Exemplare verkauft, handelt es sich dabei um die größte überregionale Tageszeitung. Und das bürgerliche Wochenmagazin "L’Express" gibt seine wöchentliche Auflage mit 547.000 an. Dagegen dürften die übrigen Presseorgane, die in der Socpresse enthalten sind, Dassault im Prinzip schnurzegal sein ­ es handelt sich um Papier, das sich fleddern lässt, wenn das Profit zu bringen verspricht. Bei der Mehrzahl der Titel, die durch die Socpresse herausgegeben werden, handelt es sich um regionale Tageszeitungen oder auch um örtliche Wochenzeitungen mit begrenztem Verbreitungsradius. Es wird erwartet, dass Dassault nunmehr einige dieser Titel abstoßen könne, wenn das Gewinn abwirft, oder aber sie vielleicht eingehen lässt. So übertitelt die Pariser linksliberale "Libération" ihre Medienseite vom 24. März ziemlich treffend: "Die regionale Presse (steht) dem Panzer Dassault gegenüber". Der Socpresse gehören etwa: "Le Progrès" (Lyon), "Le Dauphiné Libéré" (Grenoble), zwei Tageszeitungen im Nord-Département ("La Voix du Nord" in der Regionalhauptstadt Lille und "Nord Eclair", der hauptsächlich in Roubaix verbreitet ist), sowie eine Reihe von Zeitungen in Westfrankreich beispielsweise um die regionalen Pole Le Mans, Angers ("Le Maine Libre") und Nantes (u.a. "Presse Océan"). In einer ersten Zeit fürchten die Redaktionen dieser schwächeren Presseorgane, dass die Anwendung der "Übernahmeklauseln" zu erheblichen Personaleinbußen führen könnte, die durch den neuen Eigentümer nicht ausgeglichen würden. Bei diesen Klauseln handelt es sich um Bestimmungen in den Kaufverträgen, die es im Falle eines Besitzerwechsels bei einer Zeitung deren JournalistInnen erlauben, von ihren Arbeitsverträgen zurückzutreten und dabei Abfindungen wie im Falle einer betriebsbedingten Entlassung zu kassieren. (Die geltenden Gesetze schreiben vor, dass eine solche Möglichkeit vorgesehen werden muss, aufgrund des notwendigen Schutzes der Gewissensfreiheit von JournalistInnen. Handelt es sich bei Presseorganen doch um so genannte Tendenzbetriebe.) Die nordfranzösische Tageszeitung "La Voix du Nord" (Lille, 330.000 Auflage) hatte bereits ab 1998, aufgrund der zeitlich aufeinander folgenden Anwendung zweier solchen Klauseln, 40 Prozent ihres Personals verloren. Damals war die Zeitung, deren Gründungstradition auf die französische Résistance zurückging, durch den Hersant-Konzern aufgekauft worden. Jetzt wird befürchtet, dass der redaktionelle Aderlass weitergehen könnte. In Lyon und Grenoble wurde den betroffenen regionalen Tageszeitungen ("Le progrès" und "Le Dauphiné Libéré") Mitte März bereits signalisiert, dass die zuvor geplanten Modernisierungsmaßnahmen für die Produktion durch den neuen Eigentümer gestoppt würden. Die neuen Druckmaschinen, die den Beschäftigten vor wenigen Wochen bereits versprochen worden waren, werden nun doch nicht angeschafft, wie ein Lokalkorrespondent für "Le Monde" (18. März) berichtet. Ein Journalist beim "Progrès" äußert sich gegenüber "Libération" (24. März): "Nachdem wir durch einen alten Kollaborateur (Hersant) aufgekauft worden waren, kommt jetzt der Aufkauf durch einen Waffenhändler. Hersant wurde, zu Recht, viel wegen seiner Vergangenheit und wegen seiner Praktiken kritisiert. Aber er war immerhin noch ein Presseunternehmer. Er wusste, wie eine Redaktion funktioniert, und verstand es, übermäßige Einmischung (in ihre Arbeit) zu vermeiden. Wenn ich Serge Dassault reden höre, dann kann ich mir nur Sorgen machen." Allerdings berichtet eine Gewerkschafterin beim "Progrès", dass die Abwehrreaktionen derzeit deutlich schwächer ausfielen, als beim Aufkauf der Lyoner Zeitung durch Robert Hersant 1986, der einen Aufschrei hervorrief: "Die Journalisten haben (heute) das Gefühl, dass sie keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Großkapitals nehmen können." In Westfrankreich schließlich sorgen die Beschäftigten der Regionalzeitungen sich ernsthaft darüber, dass Dassault die dort erworbenen Titel glatt abstoßen könnte. Und zwar wahrscheinlich an die große regionale Tageszeitung "Ouest France", die aufgrund ihres weiten Verbreitungsradius die auflagenstärkste Tageszeitung in ganz Frankreich (mit 762.000 Exemplaren) ist. Das aber würde bedeuten, dem stärksten lokalen Presseunternehmen, das die kleineren Konkurrenten ohnehin auszuschalten sucht, die letzteren an’s Messer zu liefern. In einem solchen Falle würden die schwächeren Zeitungen wahrscheinlich "ausgeschlachtet", um dem marktbeherrschenden regionalen Pressebetrieb nicht mehr gefährlich werden zu können. Mit entsprechenden Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und auf den Sinn der dann (wenn überhaupt) noch vorhandenen Arbeit. Aber selbst beim "Flaggschiff" des nunmehr durch Dassault erworbenen Presseimperiums, dem "Figaro", wird künftig wohl ein neuer, kälterer Wind wehen. Anlässlich einer Sondersitzeung des Betriebsrats am 17. März, bei dem "Figaro"-Geschäftsführer Yves de Chaisemartin (der als "der Mann Dassaults" bei der Zeitung gilt, und der vorab die Verhandlungen mit dem Industriellen über dessen Einstieg mit führte) von der FO-Journalistengewerkschaft einige kritische Fragen gestellt wurden, antwortete dieser: "Man wird auf die neuen Rentabilitäts-Anforderungen acht geben müssen, die strenge Auswirkungen haben werden, dann das liegt nicht in unserer (Unternehmens-, Redaktions-)Kultur. Wir sind in eine Ära eingetreten, in der wir ein normales Unternehmen darstellen, das seinem Aktionär die Wirtschaftlichkeit (rentabilité) garantieren muss."

Dassault + Lagardère = 70 %

Übrigens: Dassault ist als Rüstungs- und Pressemagnat nicht allein auf dem Sektor, denn da gibt es noch Arnaud Lagardère, der ebenfalls (über den Hachette-Konzern) im Medien- ebenso wie im Waffengeschäft aktiv ist. Ihm gehören etwa die Regenbogenzeitschrift "Paris-Match", die Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche), mehrere Regionalzeitungen im Südosten Frankreichs (La Provence, Var-Matin, Nice-Matin, Corse-Matin), die Frauenzeitschrift "Elle". Hinzu kommen 25 Prozent Anteil am Amaury-Konzern, der die bessere Boulevardzeitung "Le Parisien" und das Sportblatt "L’Equipe" herausgibt. Zusammen werden sie in Bälde weit über 70 Prozent des französischen Zeitungsmarkts kontrollieren. Bis dahin müssen nur noch die zuständigen Kartellämter den Aufkauf der 50 Prozent Kapitalanteile an der Socpresse durch Serge Dassault genehmigen. Dass das eher eine Formsache als ein ernsthaftes Problem darstellte, dürfte feststehen; mit dem grünen Licht wird bis in circa zwei Monaten gerechnet. Beobachter gehen davon aus, dass die Aufkaufoperation "niemals ohne das Einverständnis von Chirac und Raffarin" durchgeführt worden wäre ("Le Canard enchaîné", 17. März o4). Demnach habe man "seit Monaten im Elysée-Palast und im Hôtel Matignon", als am jeweiligen Amtssitz des Präsidenten und des Premierministers, die Verhandlungen zwischen Dassault, den Hersant-Erben und Yves de Chaisemartin (dem Geschäftsführer des ‚Figaro’) aus nächster Nähe verfolgt. "Bercy", also das Finanzministerium, hätte im Prinzip den Conseil de la concurrence (der über die Einhaltung des so genannten freien Wettbewerbs wacht) gegen den Ankauf der Socpresse-Anteile anrufen können. Das ist aber nicht passiert. Demzufolge war man im Finanzministerium auch über die Steuerflucht der Hersant-Erben in dreistelliger Millionenhöhe informiert. Aber wenn es um höhere Güter der Nation geht ... Militärisch-industrieller Komplex, haben Sie gesagt? Aber nein, das gibt es doch nur in den USA...? (Dort hatte ein aus dem Amt scheidender Präsident, Dwight D. Eisenhower, 1961 vor dem Übermächtigwerden des von ihm so getauften militärisch-industriellen Komplexes gewarnt.)

Reaktionen

Die Pariser Abendzeitung "Le Monde" jedenfalls kommentiert, in ihrer Ausgabe vom 14/15. März, die Ereignisse als eine "exception française" (ein französisches Ausnahmephänomen ­ ein Begriff, der im Munde beispielsweise von Wirtschaftsliberalen längst zum negativen Kampfbegriff geworden ist), die so in den USA nicht denkbar wäre: "Kann man sich die Reaktionen vorstellen, wenn in den USA die ‚Washington Post‘ von Lockheed-Martin übernommen würde, dem Hersteller der (Kampfflugzeuge) F-16?" Und weiter im Text: "Die Regierung müsste sich über dieses beklagenswerte französische Ausnahmephänomen alarmiert zeigen, und erachten, dass die Demokratie auf dem Spiel steht." Der scharfe Kommentar ist allerdings nicht eben aus völlig uneigennützigen Gründen geschrieben worden, denn schon im nächsten Absatz geht es direkt so weiter: "Diese Herausforderungen stehen im Zentrum der Engagements von ‚Le Monde‘, seien sie journalistischer oder wirtschaftlicher Art. Um ihnen standzuhalten, hat unsere Zeitung sich bemüht, andere Presseorgane in einer Unternehmensgruppe zu vereinigen, der auf die Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Mächten begründet ist." Ein ganz kleines bisschen, darf man hinzufügen, tut "Le Monde" das aber auch, weil dessen Presseunternehmen mittlerweile längst selbst eine Konzernpolitik betreibt. Und weil letztere selbst auf eine gewisse Pressekonzentration, rund um den Pol "Le Monde", hinausläuft.

Unter den Politikern reagierte als einer der Ersten der ehemalige grüne Präsidentschaftskandidat (der eher dem "Realo"-Flügel angehört) und auch ehemalige Fernsehjournalist Noël Mamère mit harscher Kritik: "Wir befinden uns in einer Bananenrepublik, wo ein Waffenhändler, der mit den Machthabern befreundet ist, 80 Prozent am ersten französischen Pressekonzern besitzen kann. Das ist ein Anzeichen sehr schlechten demokratischen Zustands. (...) Selbst in den USA gibt es (dagegen) Anti-Kartell-Gesetze. In Frankreich nicht."

Hingegen meinte der Fraktionssprecher der mit zwei Ministern mitregierenden christdemokratischen UDF (die sich in diesen Tagen bei den WählerInnen als "gemäßigte Alternative" zur konservativen Haupt-Regierungspartei UMP verkaufen will), François Sauvadet, dazu: "Es handelt sich um eine Entscheidung der Aktionäre. Selbst wenn sie nicht ganz genau Unternehmen wie alle anderen sind, so sind Pressekonzerne doch auch Unternehmen."

Die Druckergewerkschaft der CGT, die Filpac-CGT, nahm ihrerseits in einem Kommuniqué kein Blatt vor den Mund: "Dassault investiert in die Presse, um ihren Inhalt zu bestimmen", attackiert die Gewerkschaft. Und: "Dassault gesellt sich zu den Bouygues, Lagardère, Bernard Arnault, Seydoux und Konsorten. Die Zeitungen geraten unter die Kontrolle von Bossen, die Kampfflugzeuge und Jets für Milliardäre bauen." Die Filpac-CGT ruft die Beschäftigten zur Wachsamkeit für alle Folgen des Aufkaufs "für die Arbeitsplätze, die Löhne, die Herstellungsbedingungen" und zum "Kampf für den Pluralismus" auf.

Bernhard Schmid, Paris

(FUSSNOTE 1:) Dazu nur eine Anmerkung: Dabei gäbe es vielleicht in Wirklichkeit auch in deutschen Landen, angesichts der Vorgeschichte des deutschen Nationalliberalismus, sehr wenig Grund für eine positive Besetzung des "Liberalismus"-Begriffs. Siehe dazu Franz Neumann im "Behemoth", der unter anderem auf die Aktivitäten der Nationalliberalen im "Alldeutschen Verband" hinweist und Erstere darum unter die historischen Vorläufer der NSDAP einordnet.

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