letzte Änderung am 16. Sept. 2003

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Die aktuelle Debatte:

"Linkskräfte und soziale Bewegungen - welche Zusammenarbeit ist möglich?"

 

Manchmal haben Widrigkeiten auch ihr Gutes. Eigentlich hätte José Bové, der Sprecher der französischen linksalternativen Bauerngewerkschaft "Confédération paysanne", in diesen Tagen im mexikanischen Cancun weilen sollen ­ aus nahe liegenden Gründen. Doch die französische Justiz verbot ihm am 1. September die Ausreise.

Die Möglichkeit dazu hatte sie, weil Bové noch immer unter Justizaufsicht steht: Der Gewerkschafter hatte am 22. Juni dieses Jahres eine zehnmonatige Haftstrafe wegen seiner Teilnahme an Zerstörungen genmanipulierter Pflanzen(setzlinge) angetreten. Zwar entschied der Haftprüfungsrichter am 1. August, Bové unter Auflagen zu entlassen, damit dieser einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne; das ist im Rahmen geringfügiger Freiheitsstrafen (unter 12 Monaten) der Regelfall. Doch damit bleibt Bové bis zum Jahresende unter der Aufsicht der Staatsanwälte und Haftprüfungsrichter, ohne deren Zustimmung er Frankreich nicht verlassen darf.

Doch damit stand Bové ­ anders als vorgesehen ­ plötzlich wieder für  Debatten in Frankreich zur Verfügung. Damit wurde er, in fast letzter Minute, zum Quasi-Stargast der "Fête de l`Humanité", des Pressefests der französischen KP und ihrer Tageszeitung, an dem auch in diesem Jahr mehrere hunderttausend Menschen teilnahmen. Das hatte manchmal auch einen ärgerlichen Zug, wenn der "Star" ­ eigentlich nicht im Programm vorgesehen ­ in eine Debattenrunde um die "Pax americana" aufgenommen wurde, aber die Diskussion mit Tribüne und Publikum sich nach seinem Eintreffen nur noch um die Frage "Das Verhältnis zwischen Bové und die Linke" drehte. Die Pax americana war damit als Thema gegessen, obwohl kurz zuvor noch der Exil-Iraker Michel Daoui interessante und differenzierte Eindrücke von seiner kürzlichen Reise in den besetzten Irak vorgestellt hatte. Die Schuld daran kann man wohl nicht in erster Linie Bové geben, sondern dem Funktionieren eines ­ auch hier ­ stark auf Personen und Schlagzeilen zugeschnittenen Politik- und Medienbetriebs.

So kam die Debatte über das Verhältnis zwischen Linksparteien und sozialen Bewegungen, die seit August an Fahrt gewinnt, noch mal richtig in Schwung. Doch blenden wir erst um ein paar Wochen zurück, um einen Überblick über die Lage zu geben.

1. Wo stehen Frankreichs soziale Proteste ?

Meistens kommt es anders, als es im "Fahrplan" seht. Ende Juni dieses Jahres hatten das Herannahen der Sommerferien und die urlaubsbedingte Schließung der, besonders in den Streik involvierten, Schulen zu einem Aussetzen der breiten Protestmobilisierung gegen die so genannte "Rentenreform" geführt. Die regierenden Konservativen nutzten daraufhin die Sommerpause ­ während derer Paris gewöhnlich politisch ausgestorben ist -, um das Parlament zu einer Sondersitzung zu verdonnern; so konnten sie ihre umstrittene "Reform" am 24. Juli verabschieden.

Im Gegenzug schworen viele Aktive der sozialen Bewegungen, zuletzt auf einer recht flotten Spontandemonstration am 14. Juli ­ dem französischen Nationalfeiertag -, der regierenden Rechten ein rasches Wiederaufflammen der Proteste im Herbst. Allgemein erwartet wurde in ihren Reihen, dass die Raffarin-Regierung dann alsbald, nach den Rentenkassen, auch das Gesundheitssystem attackieren würde. Tatsächlich ist dessen "Reform" bereits angedroht. Dessen drohende Teilprivatisierung, davon gingen viele aus, würde sehr schnell erneut verschiedene Protestpotenziale zusammenführen.

Doch dann kam alles ein wenig anders. Als durch die Neokonservativen erhofft und durch viele andere befürchtet, kam es zu keinem politischem Stillstand während der Sommermonate Juli und August. Die Protestpause fand nicht statt: Die Streikwelle im Kulturbetrieb und der oft mit spektakulären Aktionsformen einhergehende Ausstand der "intermittents du spectacle", der prekär lebenden Kulturschaffenden, hielt die Medien auch im Hochsommer in Atem. Und die Versammlung von rund 250.000 Menschen, unter ihnen viele Angehörige der Streikbewegungen der voran gegangenen Monate ­ insbesondere LehrerInnen und Kulturschaffende -, auf dem Larzac-Plateau mitten im August stellte "das" Großereignis der sozialen Bewegungen dar. Dort ging es unter anderem darum, die Proteste gegen den Gipfel der Welthandelsorganisation WTO in Cancun zu strukturieren und inhaltlich vorzubereiten.

Umgekehrt wird den Protesten in naher Zukunft ein alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche zusammenführendes, übergreifendes Thema möglicherweise fehlen. Denn die Attacke auf das öffentliche Gesundheitswesen bleibt zwar auf dem Fahrplan der Regierung. Doch diese ist ihrerseits nicht selbstmörderisch veranlagt oder taktisch dumm ­ und hat daher mitbekommen, dass zahlreiche Protestaktivisten nur darauf warteten, durch einen besonders skandalösen sozialen Angriff das Signal zum Loslegen zu bekommen. Ferner hat die Regierung an den Folgen der Sterbewelle in Frankreichs Krankenhäusern und Alternheimen im August zu tragen ­ das Land verzeichnete 15.000 Tote oberhalb der statisch "normalen" Sterberate, eine Folge der schlechten Ausstattung und des  Personalmangels in den Kliniken, welche die Konsequenzen der Hitzewelle nicht verkraften konnten. Vor diesem Hintergrund ist die Regierung, die im Angesicht der Katastrophe viel zu spät aufwachte, in den letzten Wochen harsch kritisiert worden. Daher ist ihr klar, dass sie derzeit den Gesundheitswesen nicht nach Belieben attackieren kann. Als wahrscheinlich gilt, wie aus einer Ankündigung von Staatspräsident Jacques Chirac in seiner Rede zum 14. Juli zu schließen ist, dass es gar keine große und einheitliche "Reform" des Gesundheitswesens geben wird. Stattdessen wird es wohl eine Serie kleiner und, für sich genommen, unspektakulärer Maßnahmen geben, die über drei Jahre gestreckt werden sollen. Die Summe all dieser "Reformen" und Reförmchen wird zweifellos dennoch eine außerordentliche soziale Regression im Gesundheitswesen ausmachen.

Ein weiterer Faktor, der ein stärkeres gleichzeitiges Aufflammen der sozialen Proteste in allen gesellschaftlichen Bereichen und den von vielen erhofften Generalstreik in den kommenden Monaten eher unwahrscheinlich macht, sind die Lohnverluste der letzten Monate. Die Beschäftigten der öffentlichen Dienste sind derzeit dabei, ihre Lohnabzüge für den Streik im Frühsommer abzuzahlen. In Frankreich gibt es keine Streikkassen, und die Streikteilnehmer müsssen ihre Gehaltsverluste selbst tragen (was im Gegenzug den immensen Vorteil hat, dass kein Gewerkschaftsapparat ihnen bei der Ausübung ihres Streikrechts hineinzureden hat).

Im Schulwesen, wo viele LehrerInnen bis zu zwei Monate am Stück im Ausstand waren, fallen die Lohnabzüge besonders hart aus. Zugleich werden sie von Ort zu Ort sehr unterschiedlich gehandhabt. Viele verdächtigen dabei die Regierung, bewusst auf eine Strategie des "Spalte und herrsche" zu setzen. Wahrscheinlicher aber ist eine andere Erklärung: Die konservative Regierung ordnete gegenüber der Verwaltung maximale Härte im Umgang mit den Streikteilnehmern an, aber da sich viele Verwaltungsangestellte und auch Schuldirektoren eher solidarisch zeigen, werden die LehrerInnen durch sie in vielen Fällen oft "gedeckt". Daher ziehen manche Schulbehörden nur den Lohn für die, durch die LehrerInnen selbst deklarierten Streiktage ab. In anderen Schulbezirken dagegen weht ein schärferer Wind, und die Lohnabzüge fallen dort extremer aus.

Die starke Ungleichheit zwischen einzelnen Bezirken und auch einzelnen Schulen aber trägt faktisch eher dazu bei, die Wut an der "Basis" zu steigern. Allerdings ist der ökonomische Druck der Lohnabzüge derzeit so stark, dass eine verallgemeinerte Streikbewegung im Moment eher unwahrscheinlich ist. Zumindest wer eine Familie zu ernähren hat, muss sich das im Moment aus wirtschaftlichen Gründen genau überlegen. Zwar finden eine Reihe von Demonstrationen statt ­ 7.000 Kulturschaffende in Paris am 4. September, ungefähr so viele Demonstranten gegen den WTO-Gipfel von Cancun zwei Tage später, einige tausend LehrerInnen in verschiedenen Städten am 10. September... Doch mit einem breiten Streik auf breiter Front ist wohl nicht unmittelbar zu rechnen.

Daher scheint sich der soziale Protest derzeit eher auf ein anderes Terrain zu verlagern, jenes der ­ mehr oder minder spektakulären ­ "Guerillaaktionen". Das bedeutet, dass kleinere Gruppen von Aktivisten an zahlreichen Stellen in Form von "Nadelstichaktionen" aktiv werden, um Regierung oder Arbeitgeber zu "belästigen" und zugleich in Medien und Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Die Erfahrung musste etwa Bildungsminister Luc Ferry kürzlich machen, der am vorigen Montag in einer Fernseh-Talkshow auftreten sollte. Deren Übertragung wurde plötzlich für 15 Minuten unterbrochen, angeblich wegen einer "technischen Störung". Nach kurzer Pause begann der Sender, einen Krimi ­ mit Kommissar Maigret ­ auszustrahlen, der seinerseits nach wenigen Minuten abgebrochen wurde, um inšs Studio zurück zu schalten. Der wirkliche Grund für die vorgebliche "technische" Panne hat sich aber schnell herumgesprochen, und zwei Tage lang alle Zeitungen beschäftigt: Einer Gruppe gemeinsam agierender, hoch motivierter LehrerInnen und Kulturschaffender war es gelungen, ins Fernsehstudio einzudringen und den Minister zur Rede zu stellen. Alles in allem eine eher peinliche Schlappe für die Regierung.

Derzeit ist bereits von zahlreichen Aktivistengruppen angekündigt, die konservativen Parlamentarier hätten mit ähnlichen "Belästigungen" zu rechnen. Der Arbeitgeberverband MEDEF seinerseits musste etwa am Dienstag dieser Woche (= 16. September) mit Fassadenkletterern an seinem Hauptsitz, die aus den Reihen der streikenden Kulturschaffenden stammten, herum kämpfen.

2. Soziale Bewegungen und Linksparteien - Die Polemik

Seit Mitte August und dem Erfolg der Larzac-Großveranstaltung hält unterdessen die Debatte, und oftmals auch die Polemik, über das Verhältnis zwischen parlamentarischer Opposition und außerparlamentarischen Oppositionskräften an.

Den Anfang machten führende Politiker der französischen Sozialdemokraten, die sich derzeit durch die Virulenz gesellschaftlicher Widerstandsbewegungen an ihrem Vorhaben gehindert sehen, sich auf den Oppositionsbänken zu regenieren und zur "großen Alternative" gegenüber der Rechtsregierung und ihren antisozialen Attacken aufzuschwingen. Dabei hat sie ohnehin mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die daher rühren, dass viele frühere LinkswählerInnen sich an die Politik der Jospin-Regierung (1997 bis 2002) erinnern, die auf vielen Feldern bereits den regressiven "Reformen" der jetzigen Regierung den Boden bereitet hatte. Etwa mit den "Studien" und "Kommissionen" zur Entwicklung der Rentensysteme, in denen vieles vorgenommen wurde, was die Rechtsregierung derzeit in Angriff genommen hat ­ nur wollten die Sozialdemokraten mit ihren konkreten Plänen nicht vor den Wahlen von 2002 herausrücken...

Hinzu kommt erschwerend, dass eine gewisse Kakophone in den Reihen der sozialdemokratischen Opposition herrscht. Etwa im Frühjahr, als der sozialistische Parteikongress in Dijon sich mit Kritik an der Rentenpolitik der Regierung Raffarin zu profilieren versuchte, während aber gleichzeitig führende Parteipolitiker (wie der frühere Premierminister Michel Rocard) öffentlich erklärten, sie selbst hätten ­ wären sie an der Regierung - eine ganz ähnliche "Reform" betrieben. Was wenigstens ehrlich war... Im Übrigen aber erklärte man sich, wie "Le Monde" (vom 10. September) kolportiert, in der sozialdemokratischen Führung "durch die Blume gesprochen, erfreut über den Misserfolg der Protestbewegung gegen die Reform, denn dies rehabilitiere die Idee des Regierungswechsels". Das bedeutet: In ihren Augen legt es die Iniative für Veränderungen erneut ausschließlich in die Hände der parlamentarischen Opposition.

Unmittelbar nach dem Widerstandsfestival auf dem Larzac kamen daher die ersten Vorstöße, die dazu dienen sollten, den Spielraum der Sozialdemokraten etwas zu erweitern, der durch den Erfolg der außerparlamentarischen Opposition verringert wurde. Jean-Christophe Cambadélis etwa, der innerhalb der Sozialistischen Partei für die Beziehungen zu anderen Linkskräften zuständig ist, warnete bezüglich der Larzac-Versammlung vor dem "neuen Populismus, ja Poujadismus". Der Poujadismus war um die Mitte der 50er Jahren eine kleinbürgerliche Protestbewegung gegen die Steuern, die manche prä-faschistischen Züge trug; in ihren Reihen begann etwa ein gewisser Jean-Marie Le Pen 1956 seine Politikerkarriere. Der Vergleich zu der Versammlung auf dem Larzac, auf dem gewerkschaftliche und internationalistische Kräfte das Bild bestimmten, war freilich grotesk.

In den kommenden Wochen, vor allem anlässlich der "Sommeruniversität" der Sozialdemokraten in La Rochelle Ende August, begannen führende Politiker aus ihren Reihen, sich auf die radikale Linke in den Reihen der Protestbewegungen einzuschießen. Diese habe angeblich politisch nur "Sackgassen" zu bieten, da sie nicht zu einem Regierungs- und Politikwechsel beitragen könnten und wollten. Ferner gehe mit ihr die Gefahr des Totalitarismus einher.

Parallel dazu begann auch innerhalb des, politisch heterogen zusammen gesetzten, Netzwerks Attac Frankreich ein politischer Richtungskampf. Der derzeitige Attac-Präsident Jacques Nikonoff publizierte am 18. August einen ganzseitigen Gastbeitrag in der Pariser Tageszeitung "Libération" , in dem er seinerseits die radikale Linke angriff. Anlass dazu bot ihm u.a. eine Episode auf dem Larzac, wo zehn Tage zuvor vorwiegend anarchistisch orientierte junge Leute den Infotisch der Sozialdemokraten demoliert hatten. Eine tatsächlich eher dämliche Aktion, da nur die örtliche Bezirkssektion der Sozialisten aus dem Département Aveyron ­ wo der Larzac liegt ­ anwesend war, die tatsächlich unterstützend zu den Protesten auf dem Larzac-Plateau beigetragen hat. Dagegen hatte die nationale Politikerprominenz der Sozialdemokraten sich wohlweislich vom Larzac ferngehalten, wo sie wohl auch nicht gerade willkommen gewesen wäre.

In seinem Beitrag bemühte Nikonoff sich zwar um Differenzierung und unterschied auch zwischen verschiedenen Kräften der radikalen Linken. Der undogmatisch-trotzkistischen LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) bescheinigte er vorab, tatsächlich konstruktive und "ehrliche" Arbeit in den verschiedenen Attac-Strukturen zu leisten. Das gelte so nicht für die andere größere Partei der radikalen Linken, Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf), die tatsächlich nicht viel von der Mitarbeit an der globalisierungskritischen Bewegung ­ die nur vom "echten" Klassenkampf ablenke ­ hält. In der Folge bestand Nikonoff aber darauf, dass Attac "keine Kraft der radikalen Linken" zu sein habe, was er mit "Fanatismus" und Gewalttätigkeit gleichsetzte. Stattdessen habe Attac "im demokratischen Rahmen" auf  die Institutionen einzuwirken.

Zwei Tage später wiederholte Nikonoff seinen Vorstoß in einem Interview mit "Le Monde". Dort schränkte er einerseits die Orientierung auf die Institutionen ein ­ angesichts der kapitalistischen Globalisuierung hätten die Nationalstaaten ohnehin nicht mehr viel Reformspielräume -, weitete aber andererseits auch seine Angriffe auf die radikale Linke aus. Dieser warf er vor, bestimmte radikale Aktionen wie die Zusammenstöße auf der Pariser Place de la Concorde am 10. Juni ­ die real durch polizeiliche Provokationen verursacht worden waren, die eine spontane und nicht organisierte Gegenwehr aus sehr unterschiedlichen Spektren hervorriefen ­ hätten zum Scheitern der Proteste gegen die Rentenreform beigetragen. Damit gab er dem radikaleren Flügel der sozialen Bewegung deutlich die Schuld an der Niederlage. Eine Interpretation, die durch die meisten Teilnehmer der damaligen Proteste als eigenwillig betrachtet werden dürfte.

Auf der Attac-Sommeruniversität, die am 22. August im südfranzösischen Arles begann, ging es entsprechend hoch her. Teilweise heftig wurde über die Vorstöße Nikonoffs gestritten. Die linken SUD-Basisgewerkschaften etwa, die Attac Frankreich als Kollektivmitglieder  angehören, beklagten einen Versuch der Ausgrenzung radikalerer Kräfte. Die Wohnungsloseninitiative DAL (Droit au logement) war allerdings die einzige Attac-Mitgliedsstruktur, die sich mit der Aktion gegen den PS-Infostand auf dem Larzac explizit solidarisierte.

Der Vertreter der CGT-Gewerkschaften der höheren und leitenden Angestellten (UGICT) in Attac, Pierre Tartakowsky, der ebenfalls eher den Kritikern zugerechnet wird, sah sich durch die Leitung der "Sommeruniversität" gar seines ursprünglich geplanten Debattenforums beraubt. Tartakowsky hat sich seit einem Jahr darauf spezialisiert, die Gefahr möglicher scheinbarer Kompatibilitäten zwischen globalisierungskritischen und rechtsextremen Diskurses heraus zu arbeiten und entsprechend an Argumenten zu feilen, um die Unvereinbarkeit zwischen beiden betonen. In Arles sollte Tartakowsky ursprünglich zu den Hintergründen der Wahlerfolge von Jean-Marie Le Pen am 21. April 2002 referieren, mit der Absicht, die rechtsextremen Versuche der Anknüpfung an (vemeintlich) globalisierungskritische Diskurselemente zu bekämpfen und zu durchkreuzen. Dazu kam es dann nicht, die Attac-Führung hatte sein Forum einfach abgesagt. Jener staatstragend-patriotische Flügel innerhalb von Attac (die Anhänger des Linksnationalisten Chevènement und ein Teil der Sozialisten und KP-Leute), der tendenziell auf eine Rehabilitierung des Nationalstaats "gegenüber Globalisierung und Finanzmärkten" als zentrale politische Option setzt, beäugt Tartakowksys Arbeit ohnehin ein wenig argwöhnisch.     

Hintergrund des Richtungsstreits ist die Frage des Verhältnisses zwischen den parteien der etablierten Linken und den sozialen Oppositionskräften. Da die Regionalparlamentswahlen im März 2004 sowie die Europaparlamentswahlen im Juni 2004 näherrücken, sieht ein Teil der Oppositionsstrukturen sich versucht, nunmehr auf die etablierten Oppositionsparteien zu setzen und eventuell um Listenplätze für ihre Netzwerke und Strukturen zu kämpfen. Andere Kräfte wiederum lehnen dies energisch ab.

3. Drei Pole in der Debatte

Vor allem drei Pole stehen sich dabei im Wesentlichen gegenüber. Der erste setzt auf einen "Wiederaufbau" der Parteien der derzeitigen Parlamentsopposition (Sozialdemokratie, KP, Grüne), die durch die kritischen Ideen gestärkt werden sollten, wie sie etwa in Attac erarbeitet werden. Zu den Verfechtern dieser Option gehört auf jeden Fall Jacques Nikonoff, der bis 2001 selbst Mitglied der KP-Führung war und dort zu den Unterstützern der "Linie" des früheren Vorsitzenden Robert Hue ­ also eines privilegierten Bündnisses zwischen KP und Sozialisten als bevorzugter Option ­ zählte.

Zweitens besteht jener Teil der radikalen Linken, der (anders als LO sowie die kleineren autoritären Sekten) aktiver und nicht-sektiererischer Bestandteil der sozialen Bewegungen wie etwa der Globalisierungskritik ist. Dazu gehören besonders die LCR und libertäre Kommunisten wie jene von Alternative Libertaire (AL). Sie setzen vor allem auf die Schaffung einer kritischen Linken, die nicht (mittelfristig) auf erneute Regierungsbeteiligung setze. Für die LCR erklärte etwa deren Theoretiker Daniel Bensaid, Professor für Philosophie an der Universität Paris-8, in einem ganzseitigen Gastbeitrag in "Libération" am 5. September, es gebe in Wirklichkeit zwei Linke: Jene, die auf Verwaltung des Bestehenden setze und ­ unter dem Druck der Gegebenheiten der "Globalisierung" ­ immer stärker inšs Fahrwasser des Sozialliberalismus abdrifte; und jene, die den Forderungen sozialer Bewegungen den Vorrang einräume und den kapitalistischen Rahmen überwinden wolle. Zweitere müsse durch die anzustrebende Schaffung einer neuen, breiteren antikapitalistischen Kraft zusammengefasst werden. Diese soll bisherige Bestandteile linker Organisationen, aber auch bisher politisch nicht organisierte Aktive aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen umfassen.

Der dritte Pol, dem namentlich auch der prominenten Bauerngewerkschafter (und Anarchosyndikalist) José Bové zugehört, ist jener einer "Autonomie der sozialen Bewegungen gegenüber der Politik". Bové hatte etwa Ende August gegenüber der Sonntagszeitung "Journal du Dimanche" (vom 24. O8.) erklärt, seine Aufgabe sei es nicht, den ideenlos gewordenen Parteien wie Sozialdemokraten und Grünes neues Leben einzuhauchen. Soziale Bewegungen und politische Parteien hätte jeweils ihre eigenen Aufgaben, und wenn zweitere nichts anzubieten hätten, so hätten erstere sich um die drängenden gesellschaftlichen Probleme zu kümmern.

Anlässlich der "Fête de l`Humanité" modifizierte Bové seine Position, die zuvor aus Teilen der Linken als "keine Strategie der Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse bietend" kritisiert worden war. "Soziale Bewegungen und politische Opposition haben jeweils ihre eigenen Aufgaben, die nicht miteinander vertauscht werden können. Aber das schließt Konvergenzen nicht aus. Wenn ich denken würde, dass Konvergenzen nicht möglich sind, dann wäre ich heute nicht hier", erklärte er unter Applaus. Aber es dürfe nicht die Erfahrung von 1981 wiederholt werden, fügte er (ebenfalls unter starker Zustimmung) hinzu, als der Präsidentschaftskandidat François Mitterrand angetreten war, um "das Leben (zu) verändern" versprach ­ sein Hauptslogan im Wahlkampf lautete Changer la vie ­ und die Gewerkschaften schlagartig an Kampfkraft einbüßten, um "die Genossen an der Regierung" nicht zu behindern. "Oder habt Ihr etwa bemerkt, dass sich das Leben in Frankreich seit 1981 geändert hätte?", frage Bové in die Runde, was Zwischenrufer zu dem Einwurf veranlasste: "Ja, zum Schlimmeren!"

Innerhalb der KP selbst war es rund um den Auftritt Bové bei der Fête de lŒHumanité zu politischem Streit gekommen. Der ehemalige Parteivorsitzende und Präsidentschaftskandidat Robert Hue hatte am vorigen Freitag in der Boulevardzeitung Le Parisien eher harsche Worte benutzt: "Jene, die ihr Image auf eine Zurückweisung und Ablehnung der Politik begründeten, haben letztendlich nicht immer eine glückliche Hand gehabt", was (im Kontext seiner Äußerungen eine durchsichtige Kritik an Bové bedeutet). Der Vertreter des "orthodoxen" Flügels, Nicolas Marchand, erklärte seinerseits kurz und bündig: "Bové ist sehr sympathisch, aber er verkörpert keine politische Alternative."  

Nicht alle in der französischen KP sehen das so. Denn diese stellt sich zur Zeit sehr viele Fragen, sowohl im Hinblick auf ihre Bündnispartner bei den anstehenden Wahlen im Jahr 2004 ­ Sozialdemokraten und Grüne?, ein Teil der radikalen Linken?, oder ist eine Alleinkandidatur vorzuziehen? ­ als auch über ihre künftige Strategie. Das KP-Führungsmitglied Patrice Cohen-Séat etwa meinte öffentlich: "Bové steht für etwas. Ich möchte mit ihm diskutieren und mit allen, denn wenn man der Rechten eine Niederlage zufügen will, muss man links vereint sein."

Die aktuelle Parteisekretärin Marie-George Buffet versuchte in ihrer Abschlussrede am Sonntag auf der Fête de l`Humanité, gewissermaßen eine Synthese zu bilden: "Welche Zukunft hätte die Linke, wenn sie sich von den sozialen Bewegungen abschneidet? Und welche Zukunft hätten die sozialen Bewegungen, wenn sie die Politik für tot erklären?" Eine Synthese, die auf Dauer sicherlich auf wackeligen Beinen steht ­ vor allem, wenn sich in näherer Zukunft irgendwann wieder der Regierungsbeteiligung stellen sollte.

Bernhard Schmid (Paris)

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