letzte Änderung am 24.Juni 2003

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Ein Gewerkschafter hinter Gittern: José Bové

80 Gendarmen kamen kurz vor 6 Uhr in der Frühe, mit einem Hubschrauber, mit schusssicheren Westen und schwerer Bewaffnung, um ihn aus dem Bett zu ziehen. Ein solcher Aufzug ist normalerweise für affaires du grand banditisme, für Fälle schwerer Bandenkriminalität, und Terrorismusprozesse reserviert. Doch wir befinden uns nicht im texanischen Waco, wo eine irre Selbstmordsekte sich verschanzt hat und Feuer zu legen droht. Nein, hier wird ein Gewerkschafter zu Hause abgeholt, um in eine Haftanstalt umzuziehen. Wir schreiben den Sonntag, 22. Juni 2003 auf einem Schafzüchterhof des französischen Larzac-Massivs.

José Bové ist seit 1999 das wohl bekannteste Gesicht der französischen linksalternativen Bauerngewerkschaft, der Confédération paysanne (ungefähr: Bäuerlicher Zusammenschluss), wo er zeitweise Sprecher für internationale Kontakte war. Die Conf‘ (Conf ­ Apostroph), wie sie kurz genannt wurde, ist seit einigen Jahren zur großen Herausfordererin des konservativen bzw. reaktionärenLobby-Bauernverbands FNSEA (Fédération nationale des syndicats d’exploitants agricoles) geworden. Bei den letzten Wahlen zu den Landwirtschaftskammern, im Frühjahr 2001, erhielt die Conf‘ landesweit 28 Prozent der Stimmen, während der frühere Quasi-Monopolverband ­ die FNSEA ­ auf einen historischen Tiefstwert von 53 Prozent der Stimmen fiel. Das hätte man sich seitens der FNSEA, die lange Zeit ­ durch ihre Stellung etwa in den landwirtschaftlichen Genossenschaftsbanken, die über Kredite an Bauern entscheiden, und den Landwirtschatskammern - eine kaum zu umgehende materielle Vormachtstellung inne hatte, früher nicht träumen lassen.

Die Conf‘ ging 1987 aus dem Zusammenschluss zweiter linker Vorläuferorganisationen, darunter die Paysans travailleurs (ungefähr: Bauern als Arbeiter) des Bernard Lambert, hervor. Von Anfang an hatte sie ein stark internationalistisches Profil und knüpfte Kontakte zu bäuerlichen Organisationen gerade auch in der so genannten Dritten Welt. Heute ist sie Mitglied im internationalen Dachverband Via Campesina.

Während die FNSEA oft ­ geht es darum, Lobbyinteressen (etwa das Verlangen nach Subventionen auch für intensive und Umwelt zerstörende Produtkion) durchzusetzen ­ vor roher Gewalt und Zerstörungsaktionen nicht zurück scheute, machte die Conf‘ eher durch „Nadelstichaktionen“ auf sich aufmerksam. Es handelt sich um weit weniger brutale, aber dafür öffentlichkeitswirksame Aktionen, durch welche auf breitere Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden sollte. Eine davon war die symbolische Demontage der im Bau befindlichen McDonalds-Filiale im südfranzösischen Millau, durch welche José Bov é im Hochsommer 1999 bekannt und populär wurde. (Siehe dazu auch unten stehendes Interview-Dokument, das anlässlich des Prozesses in dieser Sache entstand.)

Es handelte sich mitnichten um eine brutale Gewaltaktion: Die Demontage ging spielerisch vor sich, sie war vorher angekündigt, 400 Personen nahmen daran ­ am hellichten Tag und unter den Augen der Öffentlichkeit ­ teil, und zahllose Kinder turnten auf den säuberlich abmontierten Einzelteilen herum. Die Aktion diente dazu, den Protest gegen den WTO-Gipfel in Seattle im November 1999 vorzubereiten und zugleich gegen die Handelsentscheidung der USA, durch Sanktionen die EU zum Einfuhr ihrer Hormonfleisch-Exporte zu zwingen, zu protestieren. Sie war mitnichten antiamerikanisch im chauvinistischen Sinne, sondern eine politisch-symbolische Aktion, die auch in den USA selbst viel Rückhalt fand: Eine US-Bauerngewerkschaft zahlte die Kaution, die José Bové im September 1999 aus der Haft befreite, und eine Weinbar in Brooklyn (New York) trägt seit damals den Namen José Bovés. Der mittlerweile durch die folgende brachiale Verhaftungsaktion prominent gewordene José Bové nahm auch bei den Protesten in Seattle, Ende desselben Jahres, in der ersten Reihe teil.

Dass die Aktion auf dem südfranzösischen Larzac-Massiv stattfand, ist auch kein Zufall: Dieses wurde zu einem Zentrum und Symbol vielfältiger Widerstände, seitdem hier von 1974 bis 1981 gegen die Errichtung eines gigantischen Übungsgelände für die französische Armee protestiert wurde ­ letztendlich erfolgreich, da das militärische Testgelände am Ende verhindert wurde. So entstand eine eigentümliche Mischung aus städtischen Linken, widerständigen Bauern und Einwohnern, frühen Umweltschützern und einigen Hippies, welche die Region bis heute geprägt hat. José Bové ist im übrigen ursprünglich kein Bauer, sondern ein städtischer Intellektueller, der sich ­ Philosophiestuden aus Bordeaux ­ im Zuge der Kämpfe auf dem Larzac-Plateau niedergelassen hat und vom Schafezüchten lebte. Dabei hat Bové nie eine bornierte Verteidigung seiner Scholle im Sinn gehabt: Er hat stets in internationalen Zusammenhängen gedacht und argumentiert. Vom mexikanischen Chiapas über den Pazifikatoll Mururoa ­ wo gegen die französischen Atomwaffenteste protestiert wurde ­ bis zu den Dörfern palästinensischer Bauern war er stets rund um den Erdball zu finden, wo gegen die Mächtigen protestiert wurde. (Seine Positionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt mag man dabei als zu schwarz-weiß empfinden, im Frühjahr 2002 hatte er sich damit vorübergehend in die Nesseln gesetzt. Am Gesamtzusammenhang seines Engagements mindert das jedoch nichts.) Und auch mit anderen gesellschaftlichen Akteuren in Frankreich selbst waren die engagierten Landwirte der Conf‘ stets verbunden. Anlässlich der breiten Proteste, die zu Bovés „Mc Donalds“-Prozess in Millau am 30. Juni / 1. Juli 2000 stattfanden, verteilte etwa die CGT-Sektion beim Autokonzern Renault im normannischen Cléon ein Flugblatt unter den in Millau Anwesenden, auf dem es u.a. hieß : “Anlässlich unseren lang dauerenden Streiks im Jahr 1991 hat die Confédération paysanne uns stets auf den Streikposten mit Lebensmittelpaketen und Besuchen unterstützt. Wir haben Euch die Solidarität nicht vergessen…“

Die derzeit zu verbüßende Strafe trifft José Bové allerdings nicht wegen der McDo-Affäre ­ dafür hat er bereits drei Monate im Hochsommer 2002 abgesessen (bzw. 44 Tage, der Rest war mit der U-Haft von 1999 abgegolten). Am 26. Februar dieses Jahres verhängte das Revisionsgericht von Montpellier eine zehnmonatige Haftstrafe ohne Bewährung gegen ihn, die sich aus zwei Strafurteilen zusammensetzt. Erstens geht es um eine Aktion des Ausreißens genmanipulierter Reissetzlinge, für die Bové im Jahr 1998 im südwestfranzösischen Bové zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt worden war. Aufgrund der Mc Donalds-Affäre wurde die Berufung für die Hälfte, also vier Monate, aufgehoben. Zu den vier Monaten ohne Bewährung kommt eine zweite Haftstrafe hinzu, die im Dezember 2001 vom Revisionsgericht Montpelliert verhängt wurde. Auch hier geht es um eine Aktion gegen genmanipuliertes Saatgut, die im Zusammenspiel mit indischen Bauern ­ die gegen die Praktiken von Agrar-Multis in ihrem Land protestierne und sich auf einer Tour durch Südfrankreich befanden - durchgeführt worden war.

In allen Fällen handelt es sich also um öffentliche Aktionen politischen Gehalts, für die man „normalerweise“ gewerkschaftliche Aktivisten nicht hinter Gitter schickt. Zumal im landwirtschaftlichen Bereich die Aktionen der reaktionären FNSEA ­ die jedoch keinerlei gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen beabsichtigt, sondern lediglich Lobbyinteresssen durchdrücken will ­ meist ungleich härter sind. Insgesamt sind in den letzten sechs Jahren jedoch lediglich zwei Fälle bekannt geworden, in denen FNSEA-Mitglieder wegen Sachbeschädigung (also vergleichbaren Delikten) zu Haftstrafen ­ auf Bewährung ­ verknackt wurden.

Seit etwa fünf Jahren ist jedoch eine erhebliche Verschärfung der Repressions- und Strafpraxis gegen Aktivisten gewerkschaftlicher und sozialer Bewegungen bekannt geworden. Bové ist nicht der einzige „Fall“, so der normannische CGT-Gewerkschafter im Gesundheitswesen Alain Hébert zu einer Haftstrafe verurteilt, weil es anlässlich einer Demo (gegen Einsparungen im Krankenhausbereich) im Jahr 2001 n Caen ein wenig gerappelt hatte.

Um so heftiger fielen die Proteste zu Anfang dieser Woche aus. Dabei ist das politische Entscheidungsniveau zu berücksichtigen: Da im Falle der Verhängung einer Haftstrafe von weniger als einem Jahr de facto die Strafe häufig nicht vollstreckt wird ­ es sei denn, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung ohnehin schon in (Untersuchungs-)Haft einsaß ­ muss das Justizministerium in Paris entsprechende Anweisungen gegeben haben. Der konservative Justizminister Dominique Perben gab auch an, Bové habe eine Lektion erhalten, weil er die Zusammenarbeit mit dem Richter ­ die es erlaubt hätte, irgendwelche Strafmodalitäten (etwa mit Freigang zwecks Erwerbsarbeit) auszuhandeln ­ abgelehnt hätte. Tatsächlich hat Bové sich geweigert, mit der Justiz zu kooperieren. Er fordert nällich einen politischen Akt: Eine Begnadigung durch Präsident Jacques Chirac, die das Staatsoberhaupt jederzeit gewähren kann. Normalerweise verabschiedet das Parlament anlässlich jedes Präsidentschafts-Wahljahres ein Amnestiegesetz, so war es auch im Jahr 2002. Doch zum ersten Mal waren Delikte wie „gemeinschaftlich begangene Gewalt“ (das entspricht ungefähr dem deutschen Landfriedensbruch-Paragraphen), die quasi nur durch Gewerkschafter und soziale Bewegungen begangen werden können, im Jahr 2002 durch die neue rechte Parlamentsmehrheit aus dem Amnestiegesetzt ausgeklammert worden. Hier sollte eine harte Linie bewiesen werden. Allerdings wird von vielen Beobachtern erwartet, dass Chirac anlässlich des jährlichen Präsidenten-Gnadenakts zum Nationalfeiertag ((14. Juli) Bové begnadigen wird, um sich dieses „Problem“ vom Hals zu schaffen. Der politische Preis könnte ansonsten nämlich hoch sein. Bereits zwischen 600.000 und 800.000 Personen hatten sich vor der jüngsten Verhaftung Bovés in einen Gnaden-Aufruf an Präsident Chirac eingeschrieben.

Am Sonntag fanden bereits frankreichweit die ersten Demonstrationen statt ­ überall standen Leute (dem Aufruf der Conf‘ entsprechend) vor den örtlichen Gefängnissen, Justizpalästen oder Präfekturen (= Sitz der Vertretung des Zentralstaats). Vor der Haftanstalt Villeneuve-lès-Maguelone, wo Bové einsitzt, fanden sich spontan 600 Personen ein - darunter junge Anhalter, die durch die Region trampten, ebenso wie Einwohner und Landwirte der Conf‘. In Paris waren sie am Sonntag, kurzfristig vorgewarnt, 300 vor dem Justizministerium. Am Mittwoch um 18 Uhr wird es die erste größere Demonstration in der französischen Hauptstadt geben. Danach mehr - auch zu den Reaktionen von Gewerkschaften, Linksparteien und sozialen Bewegungen.

Bernhard Schmid, Paris

Wer José Bové in der Haftanstaltet schreiben will ­ seine (vorläufige) Adresse lautet :
José Bové N° d'écrou 22377 Y
Bloc A 07
34753 Villeneuve-les-Maguelone
France


DOKUMENT:

Interview mit José Bové aus dem Jahr 2000

Er erinnert äußerlich ein wenig an Asterix, und ähnlich wie die Comicfigur ist er - in jüngerer Zeit - zu einer Symbolfigur des Widerstands gegen mächtige Imperien bzw. Interessen geworden. Im Gegensatz zu Asterix kämpft José Bové aber nicht gegen eine ausländische (Besatzungs-)Macht, seien es die Römer oder die Amerikaner - auch wenn man eine solche Stossrichtung oft in seinen Kampf gegen agroindustrielle Interessen und den (O-Ton Bové) “Gift- und Drecksfraß ” hinein zu lesen versuchte. Bei einer Podiumsdiskussion mit dem national-konservativen Politiker Charles Pasqua, der sich die Verteidigung des nationalen “Souveränismus” auf seine Fahnen geschrieben hat, am 20. Juni 2000 in Montpellier hielt Bové einen unauflöslichen Dissens fest : “Zwischen den Souveränisten (Anm.: französischen Nationalisten wie dem EU-Gegner Pasqua), die die Vergangenheit verkörpern, und uns - Gewerkschaften, alternativen Organisationen, Gegenmächten gegen die ‘Globalisierung’ -, die wir für die Zukunft stehen, gibt es keine Übergänge.” José Bové, Aktivist der linken französischen Bauerngewerkschaft Confédération paysanne, wurde im August 1999 bekannt, als Fotos von ihm in Handschellen auf und ab durch das Land gingen. Voraus gegangen war die - in aller Öffentlichkeit vorgenommene - Demontage einer MacDonalds-Filiale im südfranzösischen Millau. Dafür wurde ihm und neun Kollegen seiner linksalternativen Landwirte-Organisation am 30. Juni und 1. Juli in Millau der Prozess gemacht; aus diesem Anlass entstand unten stehendes Interview, das kurz vor dem Prozesstermin ­ in gekürzter Form ­ in Jungle World veröffentlicht wurde. Aus Solidarität mit den Angeklagten kamen am 1. Juli 2000 rund 100.000 Menschen in der Stadt am Tarn zusammen, wo 14 thematische Diskussionsforen sowie ­ als Höhepunkt ­ ein brechend volles Solidaritätskonzert stattfinden.

Frage : Der kommende Freitag ( 30. Juni 2000) ist in Frankreich als Tag eines “neuen Seattle” angekündigt, an dem massiv angelegte Proteste - wie anlässlich der Tagung der Welthandelsorganisation WTO im November 1999 - gegen den globalisierten Kapitalismus stattfinden sollen. Anlass ist der Prozess, der an diesem Tag gegen Sie eröffnet wird. Zusammen mit vier Mitangeklagten sollen Sie vor einem Strafrechts-Gericht im südfranzösischen Millau erscheinen. Warum eigentlich ?

Jose Bové : Dafür, dass wir am 12. August (1999) die im Bau befindliche MacDonalds-Filiale in Millau demontiert und deren Bestandteile vor der Unterpräfektur abgeladen haben. Wir sind im übrigen zehn Angeklagte, und nicht nur fünf. Fünf unter uns sind es, die in dieser Sache Ende August 1999 in Untersuchungshaft gelandet waren. Vier von uns wurden nach drei Tagen freigelassen, und der fünfte - nämlich ich selbst - blieb drei Wochen in der Untersuchungshaft, bis eine Kaution hinterlegt wurde. Wegen ‘gemeinschaftlich begangener Sachbeschädigung’ soll uns nunmehr der Prozess gemacht werden. Wir aber sind entschlossen, die Anklage umzudrehen und das Verfahren zu einem Prozess der herrschenden ‘Globalisierung’ umzuwandeln.

Frage : Wie stellen Sie sich das vor ?

José Bové : Wir haben insgesamt 16 Zeugen geladen, die von allen Kontinenten kommen und Zeugnis beibringen über die Auswirkungen der herrschenden Globalisierung auf die Landwirtschaft, die Ernährungs- und die Lebensbedingungen rund um den Erdball. So soll beispielsweise Raphaël Alegria bei dem Prozess in Millau auftreten, der - aus dem mittelamerikanischen Honduras stammende - Sprecher von ‘Via Campesina’. So heißt der internationale Zusammenschluss von Bauern-Gewerkschaften, dem auch die französische Confédération paysanne angehört. Daneben haben wir auch Landwirte aus Asien, aus Afrika und Nordamerika eingeladen, die entsprechende Zeugnisse ablegen sollen, ferner einen Repräsentanten aus Polen... Mehr will ich noch nicht vorwegnehmen. Ferner wollen wir, neben dem ‘Prozess der kapitalistischen Globalisierung’, aus dem Anlass auch den Prozess der Kriminalisierung sozialer Bewegungen machen. Seit zwei oder drei Jahren beobachten wir eine klare Verschärfung der Repression, der staatlichen Reaktionen darauf, dass Leute die herrschende Ordnung aktiv in Frage stellen. Ob die Repression nun ‘illegale’ Immigranten trifft und Aktivisten, die sich mit ihnen solidarisieren - wie den CGT-Gewerkschafter Michel Beurrier, der deswegen (1999) vor Gericht stand - oder Arbeiter, die ein Führungsmitglied ihres Betriebes in seinem Büro einsperren, um eine arrogante Leitung zu Verhandlungen zu zwingen… Auch die Confédération paysanne hat, bspw. bei ihren jüngsten Aktionen gegen gentechnisch veränderte Organismen - so haben wir in diesem Frühjahr genmanipulierten Raps demonstrativ niedergemäht -, diese Verschärfung zu spüren bekommen.

Frage : Mutmaßlich wird das Gericht keine allzu große Neigung verspüren, diese Art von Prozess hinzunehmen..

José Bové : Der vorsitzende Richter hat bisher eine kurze Verhandlung angesetzt, die im Laufe eines einzigen Nachmittags durchgezogen werden soll - als Verhandlungsdauer ist bisher der Zeitraum von 14.30 bis 20 Uhr angesetzt. Bei zehn Angeklagten und sechs Anwälten der Verteidigung ist abzusehen, dass diese kurze Zeitspanne nie und nimmer für die Debatten ausreichen wird. Doch der Richter scheint einschlossen, sein Vorhaben durchzudrücken und die Angelegenheit so rasch wie irgend möglich abzuschließen. Von unserer Seite her ist klar : falls die von uns geladenen Zeugen nicht angehört werden, dann werden wir geschlossen den Sitzungssaal verlassen und den Prozess, unseren Prozess, auf den Straßen von Millau durchführen. Dazu werden bereits jetzt Tausende von Menschen erwartet ..

Frage : Warum eigentlich hatten Sie sich MacDonals als Zielscheibe Ihrer Aktionen ausgesucht ?

Jose Bové : Der Ausgangspunkt war, dass die Welthandels-Organisation WTO im Juli 1999 den Beschluss gefasst hat, den USA die Ergreifung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die EU-Länder zu erlauben, nachdem diese sich - seit 1987 - geweigert hatten, hormonbehandeltes US-Fleisch zu importieren. Die USA setzten daraufhin die Importsteuer für europäische Agrarprodukte hoch. Darunter litt besonders der französische Roquefort-Käse, dessen Preis sich durch die erhöhte Besteuerung um 100 Prozent erhöht hatte - ab August 1999 kam der Verkauf von Roquefort in die USA vollständig zum Erliegen. Die Roquefort produzierenden Landwirte gerade in dieser Region - im Zentralmassiv - vertretend, hatten wir daraufhin in Brüssel bei der EU Rechtsbeschwerde gegen die US-Sanktionen angemeldet. Doch in Brüssel beschied man uns, dass die Entscheidungen der WTO keine Beschwerdemöglichkeit und kein Berufungsverfahren kennen und man sich ihnen beugen müsse. Daraufhin beschlossen wir, eine Aktion gegen ein Symbol durchzuführen. MacDonalds - und damals befand sich in Millau gerade die Filiale im Bau - war als ein solches Symbol geeinget. Denn MacDonalds steht symbolisch für einen multinationalen Konzern, der zu einer Standardisierung der Essgewohnheiten auf dem ganzen Planeten treibt und damit die Vielfalt der Speisen gefährdet. Der die dort arbeitenden Beschäftigten oftmals wie wertlose Wesen behandelt, und der mit seinen Praktiken eine vollindustrialisierten und die Umwelt zerstörende Landwirtschaftsform befördert. Das Hormonfleisch, das den Anstoß zur Kontroverse gab, bildet für uns seinerseits ein solches Symbol für eben diesen Typ von landwirtschaftlicher Produktion.

Frage : Hatten Sie nicht zu befürchten, dass Ihre Aktion als antiamerikanische und nationalistische Manifestation aufgefasst wird ? Dass Sie damit falsche Freunde finden würden, Beifall von Neofaschisten und Rassisten ernten würden ? Der rechtsextreme Politiker Bruno Mégret hat ja dann auch ihre Freilassung gefordert, als Sie in U-Haft sassen ..

José Bové : Diese Gefahr bestand in den ersten Tagen nach unserer Aktion und unserer darauf folgenden Verhaftung. Doch schon nach zwei, drei Tagen musste klar sein, dass diesen Kreisen eine politische Vereinnahmung unseren Vorgehens unmöglich sein würde - bereits die Zusammensetzung der Unterstützungskommission zeigte dies, die aus Linken und sozialen Aktivisten bestanden und den Rechtsextremen keinerlei Platz ließen. Und dann gab es die Zusammenarbeit namentlich auch mit us-amerikanischen Aktivisten und Organisationen, die ihren Höhepunkt anlässlich unserer Präsenz in Seattle im Herbst 1999 fand ..

Frage : ..diese us-amerikanischen Alternativ-Organisationen haben ja auch Ihre Kaution bezahlt, dank derer sie im September 1999 aus der Haft entlassen wurden ?

José Bové : Es handelt sich hier um die NFFC, die National Family Farm Coalition - eine US-Bauerngewerkschaft, die ebenfalls gegen die industrialisierte Agrarproduktion und die herrschende Form von Globalisierung eintritt und mit uns zusammen der internationalen Föderation ‘Via Campesina’ angehört. Sie hat damals eine Spendensammlung für mich gestartet und 30.000 der insgesamt 150.000 Francs an Kaution bezahlt. An ihrer Seite waren wir auch in Seattle präsent, und ihr Vorsitzender gehört zu den Zeugen, die wir nach Millau eingeladen haben. Die Rechtsextremen ihrerseits mussten rasch einsehen, dass sie mit unserer Sache nicht für ihre Konzepte werben konnten. In ihrer Presse wurde ich alsbald als verkappter, und dewegen umso gefährlicher, “Mondialist” (Anm.: Anhänger der Globalisierung, aber auch ‘Kosmopolit’ - von le monde, die Welt) entlarvt. Man grub aus, dass meine Eltern in den USA gelebt hätten, dass ich selbst dort erzogen worden sei ­ da mein Vater als Biologe und Genforscher in den USA arbeitete, habe ich mich von meinem 3. bis zu meinem 6. Lebensjahr dort gewohnt. Inzwischen fordert eine Neonazi-Organisation im Internet, dass ich bei dem anstehenden Prozess die “Höchststrafe” erhalten solle. Lassen Sie mich hinzufügen, dass es uns keineswegs um die Verteidigung der heiligen “nationalen Souveränität” gegen die USA oder sonstwen geht. Es geht uns um die Frage, wie man den internationalen Handel und die Weltwirtschaft organisieren soll, um die Ausbeutung des Südens durch den Norden, um eine Produktionsform, die zu einer intensivierten und industrialisierten Landwirtschaft führt und schädlich für Umwelt und Gesundheit ist. Das sind alles keine Probleme, die sich in einem engen nationalstaatlichen Rahmen lösen ließen.

Frage : Und was sind die Grundprinzipien Ihres Handelns oder Ihre Forderungen, im Hinblick auf diese Fragen ?

Jose Bové : Zum ersten die klare Weigerung, dass menschliche Grundbedürfnisse - wie die Ernährung - zum Kommerz- und Profitfaktor werden dürfen. So darf nicht hingenommen werden, dass Länder - bspw. des Südens - von multinationalen Konzernen abhängen, um die Nahrungsmittel-Bedürfnisse ihrer Bevölkerung abzudecken. Wir sprechen in diesem Sinne von “Ernährungs-Souveränität” : die Bedürfnis-Abdeckung der Bevölkerung - sowie deren Gesundheitsschutz - muss bei der Wahl eines landwirtschaftlichen Produktionstyps im Mittelpunkt stehen. Zugleich lehnen wir die Patentierung des Lebendigen, wie im Zusammenhang mit den gentechnisch veränderten Organismen, strikt ab. Daneben muss die Demokratie und Transparenz der weltwirtschaftlichen Strukturen, die Möglichkeit ihrer Kontrolle durch die Bevölkerungen der Welt, gewährleistet sein. Dies steht in diametralem Widerspruch zur Funktionslogik bspw. der WTO. Wir sind der Auffassung : entweder gelingt es, die Funktionsweise einer Organisation wie der WTO radikal umzuwandeln, dann kann sie in Zukunft einen Platz haben. Oder aber dies ist nicht möglich, dann muss eine solche Institution bekämpft werden und verschwinden.

INTERVIEW : BERNHARD SCHMID, PARIS

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