letzte Änderung am 4. Okt. 2002

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Gewerkschaften gegen geplante (Teil)privatisierung von EDF und GDF

PARIS - Das erste Kräftemessen der sozialen Opposition mit der Mitte-Rechts-Regierung von Jean-Pierre Raffarin endete mit einem relativen Erfolg für die Gewerkschaften (zur Einschätzung und Bilanz siehe unten). In einem Ambiente von Sylversterböllern und Leuchtraketen demonstrierten am Donnerstag, 3. Oktober rund 60.000 bis 70.000 Menschen gegen die Privatisierung der öffentlichen Strom- und Gaversorgungsunternehmen EDF und GDF.   

Nach ihrem Amtsantritt im Juni hatte die neokonservative Regierung angekündigt, das Kapital von EDF und GDF - die vor wenigen Jahren erst in zwei getrennte Unternehmen aufgesplittet wurden - für eine Teilprivatisierung privaten Investoren zu öffnen. Das wäre ein besonders bedeutsames Signal, denn die Nationalisierung der Energieversorgung und die Begründung des damaligen Einheitsunternehmens EDF-GDF im Jahr 1946 zählte zu den wichtigsten Veränderungen der Periode nach der Befreiung vom Faschismus, in der noch die KP an der Regierung teilnahm. Jahrzehnte lang war das Unternehmen in enger Verquickung mit den Gewerkschaften verwaltet worden, und das Personal bewahrte sich wichtige soziale Errungenschaften. Kritik sozialer Bewegungen gab es dennoch, etwa wegen der Atomenergiepolitik des Energieversorgers (der 75 bis 80 Prozent seiner Elektrizität aus AKWs bezieht), die im Gegenzug etwa durch die CGT voll mitgetragen wurde. In den letzten Monaten hatte aber die linksalternativen Basisgewerkschaft SUD, welche die Atomenergie ablehnt, Erfolge bei Personalwahlen bei EDF zu verzeichnen - nicht zuletzt auch wegen ihrer klaren Anti-Privatisierungs-Positionen.  

Die jetzt drohende Teilprivatisierung würde die vorhandenen Probleme nur noch verschlimmern, da zwangsläufig Rentabilitätskritierien die bisher auf auf Nicht-Lukrativität ausgerichtete öffentliche Verwaltung ablösen würden. Die Privatisierung des ausufernden AKW-Parks, mit den damit zu befürchtenden Auswirkungen auf die Sicherheit, gilt derzeit als Horrorszenario, könnte aber - wie im Großbritannien der 80er Jahre - mittelfristig drohen. Die erfolgreiche, und nicht auf Rentabilität ausgelägte, Krisenbewältigung nach dem verheerenden Strum vom Dezember 1999 sowie nach den jüngsten Überschwemmungen in Südfrankreich hat dem öffentlichen Dienst EDF zudem breite Sympathien eingetragen.   

Rund zwei Drittel der Demonstrierendern gehören der CGT an, aber alle bei EDF vertreteten Gewerkschaften hatten zu dem Pariser Protestzug mobilisiert. Über 300 Busse und 20 TGV-Sonderzüge brachten Demoteilnehmer aus der Bretagne, den Pyränäen, Marseille oder Lille in die Hauptstadt. Auffällig war die Dichotomie der Parolen: Einerseits wurde von vielen "Nein zur Privatisierung" gerufen. Andererseits lautete die Parole bei der sozialdemokratischen CFDT, aber auch vielerorts in den CGT-Zügen "Bewahrung des Personalstatuts bei EDF", dessen Beschäftigte ein spezifisches öffentliches Statut haben. Denn in den Verhandlungen, die die Raffarin-Regierung mit den Gewerkschaften - und vor allem der Mehrheitsorganisation CGT - begonnen hat, sieht so die Rückzugslinie aus: Für die vor Beginn der Teilprivatisierung eingestellten "alten" Beschäftigten wird das bisherige Personalstatut bewahrt (ansonsten würde die Regierung sich furchtbar die Finger verbrennen), im Gegenzug akzeptieren die Gewerkschaften den Einzug privaten Kapitals. In Teilen der CGT und bei SUD gibt es auch dagegen allerdings erhebliche Widerstände.  

Auch Beschäftigte des Privatisierungskandidaten Air France (bei dem der Staatsanteil bereits unter der Linksregierung Jospin auf 54 Prozent abgesenkt wurde, jetzt aber unter die 50-Prozent-Marke gedrückt werden soll) und Eisenbahner demonstrierten für das gemeinsame Anliegen, die Privatisierungsoffensive abzuwehren. Eine Delegation von Attac Frankreich ging ebenfalls für die Bewahrung und Demokratisierung der öffentlichen Dienste mit auf die Straße. Die politischen Parteien waren eher am Rande vertreten. Man erkannte den trotzkistischen Präsidentschaftskandidaten vom April, Olivier Besancenot - ein Postbeschäftigter, der an dem Tag selbst im Ausstand war - und Mitglieder des neu gegründeten linken Flügels der Sozialdemokratie, der auf den pompösen Namen Nouveau Monde (Neue Welt) getauft wurde, wie den Ex-Minister Jean-Luc Mélenchon. Auch die KP war vertreten.  

Gruppen aus der Argentiniensolidarität wiesen auf Flugblättern auf die immense Verantwortung der französischen EDF bei der Plünderung Argentiniens hin (der Konzern verhielt sich dort bereits wie ein Privatunternehmen und kaufte in dem südamerikanischen Land privatisierte Versorgungsunternehmen auf - die dabei erzielten Extraprofite sollten in Frankreich die Privatisierung vorbereiten helfen), erklärten sich aber zugleich mit dem Kampf der EDF-Beschäftigten solidarisch.    

Daneben waren auch Abordnungen von deutschen Ver.di-Betriebsräten, der belgischen Gewerkschaft öffentlich Bediensteter CGSP und der portugiesischen CGTP vertreten.  

Eine vorläufige Bilanz - Nur ein halber Erfolg:

Was die Mobilisierung der Beschäftigten von EDF und GDF betrifft, so kann von einem vollen Erfolg gesprochen werden. Angesichts von 113.000 Mitarbeitern der EDF und 25.000 Beschäftigten bei GDF bedeuten die Demonstrantenzahlen, dass fast die Hälfte der Beschäftigten für die Demo mobilisiert werden konnte. Umgekehrt ist jedoch der, von manchen erhoffte Effekt der unmittelbaren Ausweitung auf andere öffentliche Dienste ausgeblieben: Deutlich über 80 Prozent der Demoteilnehmer/innen waren (nach Eigenangaben der Gewerkschaften, die durch Beobachtung leicht zu bestätigen waren) Betriebsangehörige von EDF  oder GDF. Zwar nahmen auch Beschäftigte der Bahngesellschaft SNCF - die insgesamt 180.000 Mitarbeiter zählt - und von Air France (insgesalt 70.000 Mitarbeiter) an der Demonstration teil, doch handelt es sich hier nur um aktive Minderheiten. Eine allgemeine, Unternehmensgrenzen spontan überschreitende Bewegungsdynamik aller öffentlichen Diente wie im November/ Dezember 1995 ist derzeit nicht entstanden. Die nächsten Mobilisierungstermine - am 17. Oktober im Schulwesen, und am 26. November bei den Eisenbahnern - werden über die Möglichkeiten der sozialen Opposition gegen die Rechtsregierung nähere Auskunft geben.

Bernard Schmid, Paris
4.10.2002

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