letzte Änderung am 21. Juni 2002

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Zur Situation der dänischen Gewerkschaften

Ende März 2001 machte der Gewerkschaftsbund (Landsorganisationen, LO) überraschend die letzte Arbeiterzeitung dicht. »Aktuelt« hatte immerhin seit 1871 existiert. Arbeiterzeitung war sie allerdings inzwischen nur insofern, als die Arbeiter über die Gewerkschaftsbeiträge den Unterschuss der Zeitung deckten, inhaltlich hatte sie seit mehreren Jahren schon keine Berührung mehr zu Fragen oder Problemen der Arbeiter. Der Unterschuss der Zeitung war in der Nachkriegszeit immer höher geworden, die Auflagenzahl stagnierte und fiel dann zum Schluss recht schnell, die Zeitung hatte im März noch eine Auflage von ca. 25.000, der Unterschuss betrug jährlich etwa 65 Millionen DKK (etwa 8.5 Mill. Euro).

Die Gewerkschaften hatten diese beträchtliche Summe bezahlt und darüber hinaus noch in verschiedene Versuche die Zeitung neu aufzubauen etliche Millionen investiert. Alles war vergebens, weil die Zeitung, die sich von ihrem sozialdemokratischen Ursprung trennen wollte, keine Linie finden konnte, die genügend Abonnenten bzw. Leser ansprach. »Aktuelt« wurde weiterhin als Organ der Gewerkschaften aufgefasst und nicht als die liberal-bürgerliche Zeitung, die sie gern sein wollte. Trotzdem war sie aber noch ein gewisser Garant dafür, dass Sozialdemokraten und Gewerkschafter notfalls ihre Einschätzungen auch an die Öffentlichkeit bringen konnten. Dass der Geldhahn dann plötzlich zugedreht wurde; ist also ein Verlust für die Führungsschicht der sozialdemokratischen Organisationen. Es gibt noch einige wenige Teile des alten Pressehauses, aber diese werden nur weitergeführt, wenn sie genügend verdienen. Die LO verlässt sich auf die neo-liberalen Manager, die sie angestellt hat, und in deren Verständnis kann man nur »markt-gerecht« handeln.

Dies ist kein isoliertes Phänomen; geschlossen wurde weiterhin eine der drei Volkshochschulen der LO, die gewerkschaftliche Bildungsarbeit wurde stark reduziert, d.h. die Ausbildung soll sich weitgehend selbst finanzieren, wie aus den Ankündigungen der LO hervorgeht. Den bisher von der LO unterstützten Kulturorganisationen der Arbeiterbewegung wurden die Zuschüsse gekürzt; noch vor wenigen Jahren waren diese Organisationen z.T. erst neu aufgebaut bzw. in ihrer Aktivität gestärkt worden. Diese Kürzungen trafen schließlich auch das Arbeitermuseum und die zentrale Arbeiterbibliothek und -archiv in Kopenhagen. Im Frühjahr 2002 wird diskutiert, ob auch die letzten genossenschaftlichen Betriebe – die etwa 6000 Arbeiter beschäftigen – abgestoßen werden sollen. Ausgelöst wurde das durch einen kleineren Korruptionsfall in einer Gewerkschaft.

Warum aber diese Erscheinungen gerade jetzt? Seit einigen Jahren steigen die Mitgliedszahlen der der LO angeschlossenen Organisationen nicht mehr, im Gegenteil ist ein leichter Mitgliedsrückgang festzustellen: die LO organisiert etwa 50.000 Mitglieder weniger als noch vor 5 Jahren. Dabei sind weiterhin knapp 1,5 Mill. in den Organisationen der LO vereinigt, der Organisationsgrad weiterhin über 80% (der Organisationsgrad ist offensichtlich schwer zu berechnen, die Angaben schwanken zwischen 80 und 90%). Auf jeden Fall ist kein Mitgliedsrückgang eingetreten, der auch nur annähernd dem der übrigen EU-Gewerkschaftsverbände entspricht (nur Schweden und Finnland haben entsprechend hohe Organisationsgrade).

Natürlich gibt es auch in DK strukturelle Probleme, die es ja schon immer gegeben hat: Bestimmte Ausbildungen verlieren ihren Wert, im 18. Jahrhundert gehörten die Verbände der Schneider, Schuster, Stellmacher und weitere zu den zentralen Organisationen der Arbeiterbewegung. Heutzutage verlieren viele Industriearbeiterberufe ihre Bedeutung – am deutlichsten ist das im Druckgewerbe. Dafür steigt aber die Zahl der Beschäftigten in den Dienstleistungsgewerben schnell an; ebenso wächst die Bedeutung von Berufen wie Kindergärtnern, Krankenschwestern, Lehrern usw. Die Organisationen dieser Berufe entwickeln sich von Standesorganisationen zu richtigen kampfbereiten Gewerkschaften (dazu: Arbeiterpolitik Nr. 2 und 3/1995, 3/1996, 3/1999 über Streiks der Krankenschwestern. Nr. 2/3-1998 über den allgemeinen Streik). Diese Organisationen haben einen eigenen Zentralverband (FTF), wie auch die Gewerkschaften der akademisch Ausgebildeten (AC) und nehmen also der LO die Mitglieder weg – der Anteil der LO-Gewerkschaften an sämtlichen Organisierten dürfte heute bei 68 – 70% liegen. Darüber hinaus gibt es noch einige kleinere Zusammenschlüsse; die meisten sind ohne große Bedeutung, weil sie kein Verhandlungsrecht haben. Dieses liegt weiterhin bei den LO-Verbänden, die das Gros der Arbeiter organisieren. Es gibt einige kleine Verbände wie die EDV-Arbeiter (Prosa) und Korrespondentinnen, die beide gute Arbeit leisten und zumindest Prosa möchte gern der LO beitreten, aber die LO-Angestelltengewerkschaft (HK) verhindert dies aus organisationsegoistischen Gründen.

Der nominelle Rückgang bei den LO-Gewerkschaften lässt sich nicht durch organisatorische Zusammenschlüsse aufhalten. Diese sind seit einigen Jahren verstärkt worden, weil die finanziellen Belastungen für kleine Gewerkschaften zu groß geworden sind: die Gewerkschaften und ihre Arbeitslosenkassen erfordern immer größere Verwaltungskosten und u.a. deswegen werden Zusammenschlüsse notwendig – im wesentlichen bedeutet es aber nur, dass es weniger, aber größere Organisationen gibt. Bisher fanden diese Vereinigungen sozusagen »in der Familie« statt – zwischen den LO-Gewerkschaften.

Die drei größeren Gewerkschaftsbünde – LO, FTF und AC – arbeiten auf der europäischen Ebene (gut) zusammen; die Entwicklung drängt auch im nationalen Rahmen auf verstärkte Zusammenarbeit und Verhandlungen zwischen den drei Organisationen sind eingeleitet. Das bedeutet, dass vor allem LO dazu gezwungen werden könnte, Befugnisse abzugeben, und wie die Mitgliederentwicklung ist, meinen die zwei kleinen Dachverbände, dass sie etwas mehr Zeit haben als LO. Trotzdem haben FTF und AC beschlossen, im Oktober Gespräche einzuleiten, Gespräche die die schon bestehende Zusammenarbeit z.B. in Fragen des Arbeitsmilieus fördern soll, aber durchaus weitergehende Folgen haben könnte.

Seit Ende 2000 verhandelten die Gewerkschaft der Kindergartenhelfer (PMF, d.h. ungelernte) mit der der Kindergärtner (BUPL, die Facharbeiter). PMF mit ca. 30.000 Mitgliedern ist in der LO, während BUPL mit nicht ganz 50.000 im FTF ist. Die Frage war offen, ob die vereinigte Gewerkschaft sich der LO oder dem FTF anschließen würde. Wenn sich die vereinigte Gewerkschaft der LO angeschlossen hätte, wäre das eine wichtige Vorentscheidung für die Vereinigung von LO und FTF geworden und zwar unter Führung der LO-Gewerkschaften. Dazu müssen aber einige Voraussetzungen erfüllt sein. Eine der wichtigsten ist, dass die LO umfassendere gemeinsame Aufgaben erfüllt als die FTF, und dass der Beitrag der Einzelgewerkschaften an die LO daher höher ist als im FTF. Die Schließung der Zeitung ermöglicht ab 2002 eine Kürzung der Beiträge der Einzelgewerkschaften an den Dachverband und ist schon angekündigt (die Kürzung soll angeblich pro Mitglied ca. 65 DKK jährlich betragen, etwa der Preis von 40 Zigaretten). Wenn auch diese Kürzung für das einzelne Mitglied ohne große Bedeutung sein wird, macht es natürlich etwas aus, wenn es sich um 50.000 Mitglieder handelt, deren Beitrag an die LO gehen soll. Die Führungen von BUPL und PMF wurden sich aber nicht einig und aus dieser Vereinigung wird nichts; gleichzeitig ist das ein Rückschlag für die LO.

Längerfristig wird es aber doch zu einer Vereinbarung kommen müssen und hier liegt einer der Gründe für die Schließung der Zeitung und für die anderen Sparmaßnahmen, mit den u.a. der hohe »Gewerkschaftsbeitrag« gekürzt werden soll: Dieser setzt sich zusammen aus dem Mitgliedsbeitrag, dem Beitrag für die Arbeitslosenversicherung und einem Beitrag für Vorpensionierung, insgesamt eine Summe von jährlich 13.000 Kronen (ca. 1800 Euro); manche Mitglieder überlegen sich dann doch, ob da nicht gespart werden kann und treten aus der Gewerkschaft aus, oder aus der Arbeitslosen-Versicherung bzw. bezahlen nichts für die Vorpensionierung ein. Den LO-Gewerkschaften ist klar, dass sie derzeit nicht die Beiträge erhöhen dürfen/können, wenn sie nicht mehr Mitglieder verlieren wollen. [Die Arbeitslosenkassen sind seit dem 19. Jh. mit den Gewerkschaften gekoppelt; erst seit einigen Jahren kann man Mitglied einer Arbeitslosenkasse sein, ohne gleichzeitig auch gewerkschaftlich organisiert sein zu müssen].

Ein weiterer Hemmschuh bei dem Zusammenschluss der drei Gewerkschaftsbünde ist, dass die LO-Gewerkschaften offen politisch sind und vor allem die Sozialdemokratie, in geringerem Maß auch die Sozialistische Volkspartei, bei Wahlen mit einem Beitrag von 10 DKK pro Mitglied unterstützen (jedes Mitglied kann eine Erklärung einschicken, dass es diesen Beitrag nicht bezahlen will, der Beitrag wird dann zu humanitären Zwecken verwendet – derzeit haben etwa 84.000 Mitglieder (etwa 7%) diesen Wunsch geäußert). Von Bürgerlichen wird den Gewerkschaften immer wieder vorgeworfen, sie würden die Beiträge ihrer Mitglieder missbrauchen, wenn sie einseitig eine der Arbeiterparteien in den Wahlkämpfen unterstützen, oder etwa gemeinsame Projekte mit ihnen durchführen. Sie würden damit auch die Grenzen der eigentlichen gewerkschaftlichen Aufgaben überschreiten. Die beiden anderen Dachverbände wollen nicht in dieser Form politisch arbeiten, vor allem sich nicht an die Sozialdemokratie binden. Offiziell ist daher die gegenseitige Vertretung in den Hauptvorständen des Gewerkschaftsbundes und der Sozialdemokratie schon 1996 aufgehoben worden. Aber das ist noch nicht genug, die Entpolitisierung muss weiter voran getrieben werden, bevor eine Vereinigung möglich sein wird. Die LO-Gewerkschaften sind willig, diese Schritte zu tun, denn die Vereinigung ist notwendig, um eine doch insgesamt nicht unbedeutende gewerkschaftliche Einflussnahme zu bewahren. Da auf EU-Ebene der gewerkschaftliche Einfluss unterminiert wird, muss versucht werden dem entgegenzuwirken. Der Zusammenschluss ist ein Schritt dazu. Ob das helfen wird, ist alles andere als sicher, aber es gehört zu den wenigen Maßnahmen, die die LO von sich aus einleiten kann. Eine weitere Maßnahme ist eine aufgebauschte Werbekampagne, die in diesem Frühjahr abläuft. Die Kampagne hat als Ziel, die 60.000 bis 200.000 Unorganisierten, Gelbe und Junge Leute in die Gewerkschaften zu locken. Aber hier ist das Problem, dass es an gewerkschaftlichen Vertrauensleuten fehlt, die die Aufgaben der Gewerkschaften kennen und sie offensiv vertreten können. Der Widerspruch zwischen dem Abbau der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und der Werbekampagne ist der Leitung bisher nicht aufgefallen, zumindest ist das Ruder bisher nicht rumgerissen worden.

Die neue Zusammensetzung der Arbeiterklasse, der Zusammenbruch der früheren sozialistischen Staaten – d.h. der Wegfall der Systemkonkurrenz – die Entwicklung der EU, die verstärkte Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems, fordert Antworten von den Organisationen, die sie nur bedingt einlösen können; das Zerbröckeln der Reste alternativen Denkens in der traditionellen Arbeiterbewegung führt die Gewerkschaften zu dem Versuch, ihre Probleme organisatorisch zu lösen. Wenn das Einsparungen erfordert, dann wird eben gespart und zwar dort, wo die Bedeutung für die oberen Gewerkschaftskader (die »Bonzen«) am geringsten ist, also an der Kultur und der Geschichte. Das ist zwangsläufig, denn ihre Probleme offensiv zu lösen sind sie nicht im Stande, die Mitglieder sehen in den Verbänden weitgehend nur mehr eine Art Versicherung, um Arbeitsplatzprobleme zu lösen. Vor etwa 25 Jahren wurden noch Vorschläge entwickelt, die eine andere gesellschaftliche Entwicklung mit sich gebracht hätte. Heute ist eine Alternative offensichtlich nicht mehr denkbar.

Von ihrem Verständnis der Wirklichkeit her handeln die Gewerkschaftsführungen rationell, sind die Sparmassnahmen folgerichtig, und solange die Mitglieder das hinnehmen, kann man von außen nicht viel ändern. Die Mitglieder nehmen es hin, die Teilnahme an der gewerkschaftlichen Arbeit ist in den letzten ca. 10 Jahren gefallen, besonders nachdem die KP als Konkurrent der sozialdemokratischen Linie weggefallen ist. Die Teilnahme an den gewerkschaftlichen Versammlungen ist von durchschnittlich 10% der Mitglieder auf ca. 2% gefallen. Die Erklärung ist nicht nur der Wegfall der Konkurrenz, aber das ist ein wesentliches Element. Die bestehenden linken Kleinorganisationen einschließlich der Einheitsliste haben bisher keine Alternative zur Politik der Gewerkschaftsführung entwickeln können. Ein anderes Problem ist, dass eine recht beträchtliche Zahl von sowohl Facharbeitern wie Ungelernten politisch nach Rechts abgedriftet ist. Die rechtspopulistische/fremdenfeindliche Dänische Volkspartei hat mehr Arbeiterwähler als etwa die gleich große Sozialistische Volkspartei, die dafür aber bei Angestellten und Akademikern stärker ist. Metallarbeiter tendieren laut Meinungsumfragen dazu, die traditionellen rechtsbürgerlichen Parteien zu wählen. Der Aufbruch der traditionellen Strukturen hat bisher noch nicht dazu geführt, dass die Arbeiter ihre eigenen Interessen selber besser wahrnehmen wollen. Sie überlassen es weiterhin anderen.

Die Zusammenlegung von Einzelgewerkschaften ist ein Prozess, der schon seit vielen Jahren läuft. Man hat verschiedene Modelle diskutiert und vor etwa 5 Jahren wurden Kartelle gegründet, die die Gewerkschaften aus miteinander verwandten Berufen zusammenführen sollten – z.B. Drucker, Lithografen, Fotografen und Kartonnagearbeiter, die verschiedenen Baugewerkschaften usw. Dieser Versuch ist mehr oder weniger gescheitert, die Kartelle bestehen zwar noch (bis auf das grafische Kartell, weil es keine selbständige Druckergewerkschaft mehr gibt), aber haben kaum noch eine Zukunft. Kleinere Gewerkschaften haben sich größeren angeschlossen, diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, es ist aber vorauszusehen, dass in wenigen Jahren nur noch 5 bis 10 LO-Gewerkschaften übrig sind. Diese Gewerkschaften übernehmen die meisten Aufgaben in eigener Regie, die Notwendigkeit, die seinerzeit, als es viele selbständige und kleine Gewerkschaften gab, gemeinsame Aufgaben gemeinsam zu lösen, gibt es nicht mehr in diesem Ausmaß. Damit verliert die LO immer mehr koordinierende Funktionen, weil die größeren Gewerkschaften die Aufgaben alleine lösen. Damit werden auch die Beiträge der Einzelgewerkschaften an die LO geringer, es wird evt. möglich, die FTF- und AC-Gewerkschaften eher für einen Zusammenschluss zu motivieren. Was aber fehlen wird, ist eben ein Organ das koordinieren kann, den gemeinsamen Willen zumindest der Gewerkschaftsbewegung zum Ausdruck bringen kann. Ob das eine Bedeutung haben wird, ist noch nicht abzuschätzen, aber es sollte durchaus in die Überlegungen mit einbezogen werden.

Im November 2001 wurden vorgezogene Neuwahlen zum Parlament durchgeführt – die sozialdemokratische Parteiführung hatte sich ausgerechnet, dass sie mit ihrer »staatsmännischen« Unterstützung der USA nach dem 11. September einige Pluspunkte eingehandelt hatte. Dies war aber weit gefehlt, die SP verlor schwer, sie ist nur mehr die zweitgrößte Partei im Parlament. Mit ihr verloren auch die Sozialistische Volkspartei und die Einheitsliste Stimmen, und bei den gleichzeitig durchgeführten Kommunalwahlen verloren mehrere kommunistische Gruppierungen ihre letzten Vertreter. Sehr viele Arbeiterwähler hatten nicht nur passiv Stimmenthaltung ausgeübt, sondern direkt entweder für die populistische Dänische Volkspartei (DF) oder die rechtsbürgerliche Venstre gestimmt. Etwa die Hälfte der organisierten Arbeiter haben diesen Parteien ihre Stimme gegeben.

Das Ergebnis war eine neue rechtsbürgerliche Minderheiten-Regierung, die aber durch die DF gestützt wird. Die neue Regierung verkündete ein großes Programm, das sie innerhalb von 100 Tagen eingeleitet haben würde. Sie hatte aber den Mund zu voll genommen, und musste manche ihrer Ankündigungen zurücknehmen, jedoch ist die Richtung deutlich: sie geht gegen erworbene Rechte der Arbeiter und der Gewerkschaften. Aber auch hier kann sie schlecht gegen die Regelungen der EU vorgehen, die sie prinzipiell für richtig hält. Außerdem ist die Rolle der DF unklar: deren Stimmen kommen zu einem sehr großen Teil aus den traditionellen Arbeiterschichten, die die Sozialdemokratie abgestoßen hat. Sie kann also nur begrenzt gegen unmittelbare Arbeiterinteressen vorgehen oder doch nur so lange, wie sie versprechen kann, die Konkurrenz der ungelernten Arbeiter, nämlich die Gastarbeiter, aus Dänemark zu verjagen, zum allermindesten verhindern kann, dass mehr ins Land kommen.

Der Katalog der Regierungsmaßnahmen umfasste einen Angriff auf die Verbindung zwischen Arbeitslosenkassen und Gewerkschaften, u.a. sollte eine billigere staatliche Arbeitslosenkasse ermöglicht werden (entfällt inzwischen), berufsunabhängige Kassen werden aber vermutlich eingeführt, ebenso verstärkte Möglichkeiten für die Arbeitgeber, Teilzeitarbeit ohne Konsultation der Gewerkschaften zu diktieren; ein Verbot von Exklusiv-Absprachen (das bedeutet, dass es nicht mehr erlaubt sein soll, in einem Betrieb nur gewerkschaftlich Organisierte zu beschäftigen) ist im Gespräch. Ebenso ein Gesetz, dass Blockaden und Boykotte gegen Betriebe, die Unorganisierte beschäftigen, verbietet. Unter dem Vorwand, Emigranten und Einwanderer integrieren zu wollen, ist vorgeschlagen, dass die diese zeitweise (zwischen 3 bis 12 Monate) kostenlos arbeiten. Diese Lohndrückerei ist den Arbeitgebern willkommen, aber werden die Flüchtlinge dadurch besser integriert? Gespart wird an den Bewilligung der Arbeitsaufsicht und Unfallverhütung Die Regierung steckt erstmal Grenzen ab, versucht wieweit sie gehen kann, ohne ihre neuen Arbeiterwähler zu sehr zu erschrecken.

Weder der Gewerkschaftsbund noch die linke Opposition wollen dies nur geschehen lassen: so wurde Anfang März eine »100-Tage-Konferenz« durchgeführt, um zu beraten, was gegen die 100 ersten Tage der Regierung unternommen werden konnte, wie man den Widerstand aufbauen könnte. An dieser Konferenz nahmen auch mehrere sozialdemokratische gewerkschaftliche Funktionäre teil. Die Sozialdemokratie will die Initiative nicht der linken Opposition überlassen. Für die Opposition ist es ein Problem, wie die Sozialdemokraten in den Prozess einbezogen werden können ohne dass sie im Endeffekt eine hoffentlich entstehende Bewegung lähmen. Dieses Problem ist nicht gelöst, und die Demonstration vom 20. März vor dem Parlament zeigte dieses Dilemma deutlich. Es nahmen höchstens 20.000 Menschen teil, davon waren gut die Hälfte Künstler, Schriftsteller, Studenten und ähnliche Gruppen, die ebenfalls stark von den Spar-Maßnahmen der Regierung betroffen sind. (In den 1980er Jahren war es kein Problem für den Gewerkschaftsbund, bis zu 250.000 Arbeiter zu Anti-Regierungsdemonstrationen zu mobilisieren.) Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes verkündete auf der Demonstration, dass der Klassenkampf wieder eingeleitet worden sei. Für diese rhetorische Meisterleistung erhielt er wenig Beifall: die Anwesenden wussten, wie sie das einschätzen sollten.

Für die zersplitterte Linke ist es ein Problem, wie sie verhindern kann, dass die Sozialdemokraten den Aufbau einer starken Opposition nur zu ihren Zwecken ausnutzt und gleichzeitig sie in den Kampf gegen die Regierung einzubeziehen. Die 100-Tage-Konferenz war erstmal ein Erfolg, es nahmen mehrere 100 Vertrauensleute an der Beratung teil. Aber wie die Demonstration vor dem Parlament zeigte, war es noch viel zu früh, um Massen zu mobilisieren. Zunächst halten noch die meisten Arbeiter an ihrer Wahlentscheidung vom November vorigen Jahres fest.

Unabhängig von der Konferenz wird versucht, ein Netzwerk der Vertrauensleute in den größeren Betrieben aufzubauen; der Versuch ist eingeleitet, die Verbindungen bestehen, aber bisher gab es noch keinen Fall, in dem das Netzwerk sich bewähren konnte. Aber die vergangenen vier Monate zeigen immerhin, dass sich verschiedene Initiativen entwickeln, dass die linke Opposition sich nicht ganz passiv verhält.

Kopenhagen, 20. 4. 02

Nachtrag: Am 30. April haben die 650 000 gewerkschaftlich organisierten Angestellten der dänischen Kommunen über einen neuen Tarifvertrag abgestimmt. Eine Schlichtung hatte ergeben, dass die Löhne um 9,27% erhöht werden sollen, wovon allerdings lediglich 5,5% generelle Lohnsteigerungen sein werden und der Rest sich auf andere Lohnbestandteile verteilt. 1,87% werden als "neuer Lohn" (ny løn) auf lokaler Ebene verteilt, was beinhaltet, dass dieser Lohnbestandteil auch als "Belohnung" für bestimmte Beschäftigte benutzt werden und zur Spaltung der Belegschaften beitragen kann. Es war insbesondere die letztere Regelung, die auf starke Widerstände in einzelnen Gewerkschaften stieß. Bei den Krankenpflegern stimmten 73,8%, in der Lehrergewerkschaft 94,5% und in der Ingenieurvereinigung sogar 100% der Abstimmenden gegen den Vertrag. Insgesamt ergab sich jedoch eine knappe Mehrheit von 51,9% bei einer Wahlbeteiligung von 45,8%. Das Ergebnis ist Ausdruck der krisenhaften Situation, in der insbesondere die Führung der dänischen Gewerkschaften sich z.Zt. befindet. Über die tarifpolitische Situation in Dänemark werden wir in der nächsten Ausgabe ausführlicher berichten. 12.5.2002

 

Landsorganisationen, LO [alle Daten per 31. Dezember 1999]

22 Einzelgewerkschaften mit insgesamt 1.458.742 Mitgliedern, davon 706.955 Frauen, knapp 110.000 Mitglieder sind auf Vorpension; die Postgewerkschaft (11.281 Mitglieder) und die Elektrikergewerkschaft (30.269 Mitglieder) verhandeln mit anderen LO-Gewerkschaften um einen Zusammenschluss. Die Gewerkschaft der Kindergartenhelfer, PMF, (29.193 Mitglieder) verhandelt mit einer Gewerkschaft außerhalb von LO (BUPL). Weitere Zusammenschlüsse sind in den vergangenen Jahren durchgeführt worden und werden in Zukunft noch stattfinden. Die vier größten Einzelgewerkschaften haben derzeit etwas über eine Million Mitglieder.

Funktionærernes og Tjenestemændenes Fællesraad (FTF) (Zusamenschluß von Angestellten- und Beamtengewerkschaften)

Ca. 60 Einzelgewerkschaften mit 350.255 Mitgliedern, davon sind 232.044 Frauen, keine Angaben zur vorpensionierten Mitgliedern. Die größten Einzelgewerkschaften sind die Kindergärtner mit 47.527 Mitgliedern (BUPL, verhandelt derzeit mit PMF von der LO), Polizeigewerkschaft (11.608), die Lehrergewerkschaft (59.653), die Gewerkschaft der Krankenschwestern (51. 912), die Bankangestellten (44.565).

Akademikernes Centralorganisation (AC) (Zentralorganisation der Akademiker)

19 Einzelgewerkschaften mit 150.060 Mitgliedern, davon 54.656 Frauen, keine Angaben zu vorpensionierten Mitgliedern. Die größten Einzelgewerkschaften sind die der Juristen (21.332), der Universitätslehrer (18.660), Ärzte (12.314), Gymnasiallehrer (10.973) und Ingenieure (39.987).
Außerhalb der drei Zentralorganisationen gibt es noch ca. 14 Gewerkschaften mit etwa 203.000 Mitgliedern, davon sind knapp 60.000 in der christlichen Gewerkschaft.
In der LO sind somit über 68% aller Gewerkschaftsmitglieder organisiert, im FTF knapp 16%, im AC ca. 7%, in den übrigen ca. 8%. In den letzten 15 Jahren sind die Anteile nicht wesentlich geändert, bis auf AC, der damals bei 4 % stand.

 

Artikel erschienen in: Arbeiterpolitik vom Mai 2002

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