letzte Änderung am 26. Juni 2002

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Die ‘befriedete’ Stadt und ein Embargo

Eine Ortsbesichtigung beim paramilitärischen Pilotprojekt im Magdalena Medio

In Barrancabermeja zeigen sich die kolumbianischen Verhältnisse seit je her besonders deutlich. Die 350.000 Einwohner zählende Erdölstadt am Magdalena-Strom gilt seit ihrer Gründung als Brennpunkt der sozialen Konflikte im Land. Das ist auch heute, ein Jahr nach der "Rückeroberung" der Stadt durch die Armee, noch so. In den nordöstlichen Vierteln, die noch vor eineinhalbJahren von Guerillamilizen kontrolliert wurden, stehen heute an allen strategischen Punkten Gruppen auffälliger Zivilisten herum: junge Männer mit Sonnenbrillen, Mobiltelefonen und kleinen Taschen. Es sind Paramilitärs, die im vergangenen Jahr allein in Barrancabermeja mehr als 500 Menschen umgebracht haben - erschossen, zerstückelt, zu Tode gefoltert. Inzwischen, heißt es, ist die Stadt weit gehend ‘befriedet’, und die paramilitärischen Stützpunkte in den Armenvierteln stehen für neue Aufgaben zur Verfügung. Sie dienen als Wahlkampfbüros für den aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, den Rechtsradikalen Alvaro Uribe Vélez, der nach Meinungsumfragen um die 50% der Wählerschaft hinter sich hat. Uribe Vélez, den zu kritisieren nur noch ausländische Korrespondenten wagen, steht für eine autoritäre Lösung des kolumbianischen Konflikts: Aufrüstung der Armee, Einbindung von 1 Million Kolumbianern in zivilmilitärische Verbände, Verschärfung der Gesetze und Anforderung von US-Truppen. Als Gouverneur von Antioquia hat Uribe Mitte der 90er Jahre seine Politik "der harten Hand", wie er sie selbst nennt, bereits erproben können. Die Folge war der Anstieg von straflos gebliebenen Massakern in Medellín und Umgebung. Auch Verbindungen zum Drogenhandel, der sich in Kolumbien Hand in Hand mit dem Paramilitarismus ausbreitet, werden Uribe nachgesagt.

Am Magdalena-Strom, 150 Kilometer östlich von Medellín, fragt man sich, was sich durch eine Law & Order-Politik noch verschärfen ließe. Im Umfeld der größten Raffinerie des Landes, bislang eine Art Trutzburg der gewerkschaftlichen Linken, leistet heute nur noch eine Handvoll Unerschütterlicher Widerstand - zu einem hohen Preis. "Wir haben noch Mitglieder, aber es gibt keine Leute mehr, die sich in Ämter wählen lassen wollen", antwortet der Gewerkschafter Rafael Jaimes Torra auf meine Frage nach der Situation der Erdölgewerkschhaft Unión Sindical Obrera (USO) in der inzwischen seit 10 Jahren von Paramilitärs kontrollierten Kleinstadt Sabana de Torre, eine halbe Stunde nordöstlich von Barrancabermeja. "Wir befürchten, dass es hier bei uns auch bald so sein wird." Ich versuche meinen Gesprächspartner aufzumuntern: ‘So schlimm wird es nicht werden. Das hier ist Barranca, eine einzigartige Stadt’. Doch neun Stunden später ist der 38-jährige Jaimes Torra tot. Paramilitärs erschießen ihn und seinen 24-jährigen Neffen vor der Tür seines Hauses. Auf der Beerdigung versammeln sich 200 Gewerkschafter mit ihren Leibwächtern sowie die Aktivistinnen der autonomen Frauenorganisation Organización Feminina Popular, der es dank internationaler Unterstützung als einziger gelungen ist, die Arbeit in den Armenvierteln aufrecht zu erhalten. Man lacht, keine 5 Meter vom Sarg Rafael Jaimes entfernt. Der Terror ist alltäglich in Barrancabermeja. Und er folgt offensichtlich einem Kalkül: Jaimes Torra ist nach Aury Sarat in Cartagena und Gilberto Torres in Casanare der dritte führende USO-Gewerkschafter, der innerhalb kurzer Zeit ermordet wird. Alle drei waren Organisatoren von regionalen "Erdölforen", groß angelegten Veranstaltungen, bei denen kritisch über die staatliche Energiepolitik und die Verwendung der Exporterlöse debattiert wird.

"Unsere Priorität Nummer 1 ist die Bekämpfung der Selbstverteidigungsgruppen." Der Polizeikommandant von Barrancabermeja Alvaro Becerra weiß, wie man Ausländern gegenüber aufzutreten hat, die sich wegen der Menschenrechtssituation sorgen. Die Ermordung des USO-Gewerkschafters bezeichnet er als schreckliche Tat und verspricht, die Schuldigen zu verfolgen. "Allerdings haben wir nur 300 Polizisten zur Verfügung. 300 Mann in einer Stadt von 350.000 Einwohnern." Man möchte dem Mann fast glauben, so eindringlich trägt er seine Erklärungen vor. Doch die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Der Paramilitarismus wird in der Stadt - wie in allen kolumbianischen Konfliktgebieten - von den Sicherheitsorganen gedeckt und militärisch abgesichert. Menschenrechtsaktivisten berichten, dass während der paramilitärischen Offensive im vergangenen Jahr Sondereinheiten der Polizei in die Stadt verlegt wurden. Während die schwer bewaffneten Polizisten in einem Straßenzug Häuser durchsuchten, ermordeten Paramilitärs eine Straße weiter angebliche Guerillasympathisanten. Doch davon will Polizeikommandant Alvaro Becerra nichts wissen. "Es gibt immer noch viel zu viele Tote, aber die Tendenz ist positiv. 2001 hatten wir in diesem Zeitraum 167 Morde. Dieses Jahr sind es nur 17." Ein verschmitztes Lächeln. "Das ist immer noch viel zu viel. Aber unsere Leute hier sind explosiv. Diese Mischung aus Spaniern und Chibcha, das ist nicht einfach."

Bei den staatlichen Stellen in Barrancabermeja- vom Menschenrechts-Ombudsmann Jorge Gómez, der selbst im Exil war, einmal abgesehen - bekommt man viele seltsame Theorien zu hören. Die Procuradora Giorgina Hernández zum Beispiel, eigentlich damit beauftragt, staatliche Vergehen zu überprüfen und Disziplinarverfahren einzuleiten, setzt kurzerhand die Theorie in Umlauf, die USO-Gewerkschafter würden sich kurz vor Führungswahlen häufig gegenseitig umbringen, und im Militärbataillon Nueva Granada hat natürlich alles "mit Terrorismus" zu tun. Doch es fügt sich auch ein Bild zusammen. So wie es logisch ist, dass die Mordrate sinkt, wenn die potenziellen Opfer tot oder vertrieben sind, so ergibt auch die neue Politik der Sicherheitsorgane in der Stadt ihren Sinn. Generalleutnant Gilberto Ibarra Mendoza, zuständig für das "Comando de Acción Social", erzählt stolz von einem von ihm geleiteten Pilotprojekt. "Wir müssen die Legitimität des Staates wieder herstellen, wir müssen ihm Anerkennung verschaffen." Aus diesem Grund lässt der Generalleutnant Soldaten Sportplätze bauen und Parks anlegen, kümmert sich für Bedürftige um Behördengänge oder sammelt Medikamente. "Diese Tüte hier", er hält sie lächelnd in die Luft, "geht in ein besonders armes Dorf in unserer Region - nach San Blas." San Blas, im Süden des Departements Bolívar gelegen, ist einer der wichtigsten Paramilitärstützpunkte und Drogenumschlagplätze in der Region. Nichts bewegt sich dort ohne Zustimmung der Todesschwadrone. So greift ein Rädchen ins andere. Die Paramilitärs ermorden oder vertreiben eine als aufsässig geltende Bevölkerung, die Polizei weiß von nichts, die staatlichen Strafverfolgungsbehörden verdächtigen die Opfer, und die Armee schließlich kümmert sich darum, in gesäuberten Vierteln die Lage mit zivilen Projekten zu konsolidieren. Terrorismus und Entwicklungsprojekte Hand in Hand - ein strategisches Projekt.

Ein Stück flußabwärts, im Süden des Departements Bolívar, ist man noch nicht so weit. Knapp hinter der von Paramilitärs terrorisierten Kleinstadt Santa Rosa beginnt Guerilla-Gebiet. Vor 3 Jahren kündete der Kommandant der Todesschwadrone Carlos Castaño vollmundig an, er werde bis zum Jahresende 1999 seine Hängematte in den Wäldern der Serranía San Lucas aufspannen. Die bis 2200 Meter hohen Berge hinter Santa Rosa besitzen große Bedeutung: im nördlichen Zentrum Kolumbiens gelegen befinden sich hier die größten kolumbianischen Goldvorkommen, aber auch das wichtigste Rückzugsgebiet der ELN-Guerilla. Bis man die Minen oberhalb von Santa Rosa erreicht, muss man vier oder fünf Sicherheitskordons der ELN durchqueren: Straßensperren, mit Sandsäcken gesicherte Kontrollpunkte, Minenfelder - alles improvisiert und doch Ausdruck der Entschlossenheit, den Vormarsch der Paramilitärs zu stoppen. Die Fahrt auf der Erdpiste ist wie eine Reise in der Zeit zurück. Umso höher man kommt, desto schlechter wird die Straße und desto grüner die Vegetation. Während die tiefer gelegenen Täler der Serranía schon vor 20 Jahren abgeholzt wurden und nun, in der Trockenzeit, unter einer Staubschicht verschwinden, breitet sich auf den Bergkämmen immer noch majestätisch der dunkle Regenwald aus. Seine Tage dürften allerdings auch hier bald gezählt sein. Wo man hinschaut, sieht man die Rauchfahnen der Brandrodungen.

Bis zum Goldminen-Gebiet am Fuß des La Teta-Gipfels sind es vier Stunden Fahrt auf einem Pickup und weitere drei Stunden Fußmarsch. Mit Guerilla-Romantik haben die Lebensverhältnisse hier oben in der erstaunlich dicht besiedelten Serranía nichts zu tun. Der Goldrausch hat Tausende in den Wald gelockt, die in provisorischen Holzhütten leben und unter abenteuerlichen Bedingungen Gestein aus dem Berg schlagen. Zwischen den Waldflächen sieht man erodierte Hänge, Mineneingänge, Plastikverschläge, Müllhalden und die breiten, ausgetretenen Maultierpfade - alles, was in die Region gelangt, kommt auf den Rücken der Tiere hierher. Die Abbaumethoden sind eine einzige Katastrophe: Die Mineros fassen ohne Schutzhandschuhe in die Quecksilberwannen, die Zyanidbecken sind direkt neben den Wohnhütten angelegt, Kinder spielen in einem Sand, den man in Westeuropa auf Sondermülldeponien verscharren müsste. Unter solchen Bedingungen beginnt man für die Brandrodungen nach einiger Zeit fast schon Sympathien zu hegen. "Wir ermuntern die Leute Pflanzungen anzulegen", erklärt Cediel Mondragón von der Federación Agrominera del Sur de Bolívar, der regionalen Bauern- und Goldschürferföderation. "Wir wollen, dass die Leute zu Bauern werden und sich fest hier ansiedeln." Die Föderation schlägt vor, sich ähnlich wie in den 80er Jahren in Guatemala in Widerstandsgemeinden zu organisieren, um sich so gegen die drohende Vertreibung zu wehren. Der kolumbianische Staat versucht alles, um den Süden des Departements Bolívar unter Kontrolle zu bekommen und die Goldvorkommen gewinnträchtig an transnationale Unternehmen zu verscherbeln. Doch mit Goldschürfern lässt sich solch ein Widerstand nur schwer organisieren. "Die Mineros sind Vagabunden", sagt Mondragón. "Sie wohnen 2 Jahre hier und ziehen dann zur nächsten Mine." Seine Organisation hofft, dass sich die Bewohner der Region ähnlich wie die Bauern weiter im Süden des Departements fester organisieren, wenn sie erst einmal Land bestellen und sich fest angesiedelt haben. Der zweite, noch wichtigere Grund für die Kampagne der Föderation ist jedoch die ökonomische Not in der Region. Armee und Paramilitärs haben, nachdem die Guerilla ihre Offensiven mehrmals zurückschlagen konnte, ein Embargo gegen die Dörfer in den Bergen verhängt. Werkzeuge, Maschinen und Medikamente werden von den Paramilitärposten beschlagnahmt, Händler mit dem Tode bedroht oder gleich ermordet. Als Folge davon sind die - in Goldschürferregionen traditionell hohen - Preise noch weiter explodiert, im einzigen Gesundheitsposten in der Region, im Consultorio von Mina Vieja, sind die Regale leer. Medikamente im Wert von 4 Millionen Pesos, etwa 3500 Franken, hat die Armee, wie Mondragón berichtet, dem Gesundheitsposten gestohlen. Selbst Lebensmittel werden nicht mehr durchgelassen. "Wir haben keine andere Wahl, als so viel wie möglich in der Region selbst herzustellen. Wir müssen uns selbst versorgen." Die Zerstörung des Waldes mag einem in der Seele weh tun, aber sie ist immer noch erträglicher als die Vorstellung, dass auch hier wieder kleine Bauern und Goldschürfer den ökonomischen Großprojekten weichen werden.

Die Bewohner der Region ertragen ihre Lage mit erstaunlicher Geduld. Vielen von ihnen, v. a. den Führern der sozialen Organisationen, ist es unmöglich geworden, das Gebiet zu verlassen. Außerhalb der von der kontrollierten Guerilla kontrollierten Zone gelten die Mineros als "militärische Ziele", wie es euphemistisch heißt. Doch wie Widerstandsgemeinden wirken die Dörfer dennoch nicht. Weiter im Süden, wo der Ring der Armee so eng ist, dass manche Comunidades nur noch per 7tägigem Fußmarsch zu erreichen sind, soll sich die Bevölkerung fester zusammengeschlossen haben. Unter den Goldschürfern hingegen paart sich Widerstandswille auf seltsame Weise mit Lethargie. Niemand will hier den Drohungen der Paramilitärs weichen, aber auch kaum jemand ist bereit, sich zu organisieren. Man überlässt die Angelegenheit den Bauernführern und hält sich zurück. Selbst die banalsten gemeinschaftlichen Einrichtungen, ob nun die Einrichtung einer Müllentsorgung oder der Aufbau einer Schule, kommen meist nur auf Initiative von außen zustande - oft auf Vorschlag der ELN, die mit kleinen Gruppen den Dörfern präsent ist und als Autorität anerkannt ist. Wie es sein könne, das die Guerilla Aufgaben übernimmt, die eigentlich die Bevölkerung selbst lösen müsse, frage ich einen Kommandant der lokalen ELN-Front. Und ob die Guerilla die Menschen damit nicht bevormunde. Die Kritik sei berechtigt, antwortet der Mann nachdenklich - man merkt, dass er sich Sorgen macht. Aber man müsse auch verstehen, warum sich die Leute selbst so wenig einbringen. "Der Paramilitarismus richtet sich nicht gegen die Guerilla. Er bekämpft Gemeinderäte, Kooperativen, Bauernorganisationen. Das soziale Geflecht soll zerstört werden, jede Solidarität untereinander verschwinden. Was bleibt uns das anderes übrig, als jeden Tag zu versuchen, dieses soziale Geflecht wieder zusammen zu flicken?"

 

Der Krieg im Mittleren Magdalena

Die in Zentralkolumbien gelegene und relativ dicht besiedelte Region des Magdalena Medio gilt als wirtschaftlich und strategisch bedeutend. Neben den fruchtbaren Viehweiden sind vor allem Gold- und Erdölvorkommen sowie die Raffinerie von Barrancabermeja von ökonomischem Interesse. Vor diesem Hintergrund begannen Teile der kolumbianischen Eliten 1983 in der Region ein paramilitärisches Pilotprojekt, das sich mittlerweile im ganzen Land ausgebreitet hat. Finanziert bzw. logistisch unterstützt von Viehzüchtern, Armee, Regionalpolitikern, Texaco Oil Company und den Kokainhändlern des Medellínkartells wurden damals erste Todesschwadrone aufgebaut, die in den Folgenjahren die politische Opposition ausradierte, als aufsässig geltende Kleinbauern vertrieb und eine andere, ‘hörigere’ Bevölkerung neu ansiedelte. Auf diese Weise wurde die Bevölkerungszusammensetzung in der Region innerhalb weniger Jahre regelrecht umgepflügt.

1997 begann eine zweite Angriffswelle, die bis heute anhält. Das Ziel dieser von Sicherheitsorganen und Todesschwadronen gemeinsam getragenen Offensive waren die letzten beiden Enklaven in der Region: die als Gewerkschaftsbastion geltende Erdölstadt Barrancabermeja und die Guerillagebiete auf der westlichen Seite des Magdalena-Stroms. Dank zahlloser Massaker und Massenvertreibungen sind die Paramilitärs auch bei diesem Projekt ausgesprochen erfolgreich gewesen. Die Erdölstadt und die direkt am Fluß gelegenen Gebiete sind heute unter Kontrolle der Rechten. Nur in den Höhenlagen der Serranía San Lucas hat die Guerilla die Offensiven bislang zurückschlagen können. Aus diesem Grund hat die Armee um die Bergdörfer eine Art Embargo verhängt, das mehrere Zehntausend Bauern und Goldschürfer von der Grundversorgung abschneidet.

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