letzte Änderung am 26. Juni 2002

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Von Krieg und Koka

Raul Zelik

 

5 years ago.

Es ist heiß. Zwei ausgemergelte Bauern stapfen barfuss in einer Pampe aus Kokablättern herum. Es riecht nach Benzin, Schwefelsäure und irgendwelchen anderen Chemikalien, Zementsäcke liegen am Boden, allerlei leere Plastikbehälter. Die Vorstellung, dass man sich das Destillat dieses stinkenden Breis später einmal freiwillig in die Nase ziehen wird, erzeugt einen brackigen Geschmack im Mundraum. Ich habe das mit dem Koksen sowieso nie richtig verstanden. Von der kolumbianischen Seite her betrachtet ist die ganze Angelegenheit ekelhaft – was nicht unbedingt mit dem Geruch zu tun hat. Ein Bauer erklärt uns den Verarbeitungsprozess vom Kokablatt zur Basuco-Paste. Ich nicke, ohne zuzuhören. Von mir aus könnten sie die Pflanzungen ausrupfen; lieber heute als morgen. Nicht weil am Ende eine Droge herauskommt, weil die Flüsse hier nach Benzin stinken oder das Zeug als Legitimation für eine kaum verhohlene Militärintervention herhalten muss. Eher wegen der Art, wie das Zeug das Leben hier verändert. Es sind eben nicht nur Persönlichkeitsstrukturen, die eine Droge umzukrempeln vermag.

Wir gehen den Hang zu einem Bach hinunter, zwischen Kokasträuchern hindurch. Ich mag den Anblick, wenn man aus dem dampfigen Regenwald auf eine Lichtung mit Pflanzungen heraustritt. Die Büsche sind klein, hellgrün und widerspenstig. Ich denke für einen Augenblick an das europäische Frühjahr, man kann die Jahreszeiten hier in den Tropen sehr vermissen. Leonor setzt sich auf einen Felsen im Flussbett und erzählt von ihrem Vater. Er lebt auf der anderen Seite der Bergkette, in Antioquia. Fünf Jahre lang hätten sie und ihr Bruder ihn bekniet, den Kokaanbau aufzugeben, sagt sie. Man sollte glauben, dass Waffen, familiäre Bindungen und der geschulte Tonfall von Politaktivisten eine gewisse Autorität verleihen. Leonor und ihr Bruder sind bei der ELN "Aber erst jetzt hat er wirklich aufgehört." Sie grinst. Ironie ist ein gutes Mittel, um Realität zu ertragen. "Er hat auch aufgehört zu trinken. Er ist jetzt in einer Sekte, sie singen sehr viel."

Das stimmt. In den Dörfern des Departement Bolívar reißen einen die adventistischen Gottesdienste, die nicht ‚Messen’ heißen, sondern ‚Kulte’, als handele es sich um irgendeine archaische Zusammenkunft, im tiefsten Morgengrauen, gegen halb 5, aus den Träumen. Sie wiegen einen auch in den Schlaf, denn die Pfingstler beten viel. Und immer singen sie.

Wir schmeißen Steine ins Wasser. Betrachten die Äste und Lianen, die ins Flussbett hineinwuchern. Genießen den Geruch der Holzfeuer, der von einem nahgelegenen Dorf herüberzieht, und fragen uns, wie lange die Idylle noch Bestand haben wird. Koka ist ein Vorbote des Krieges. Es ist kapitalistische Erschließung in ihrer ungezügeltsten, rabiatesten Form. Wo sich der illegale Handel mit der Droge etabliert, bleibt kein Stein auf dem anderen. Bis dahin verschlossene Türen werden aufgebrochen und Räume geflutet: ‚Modernisierung’. Aber ohne ‚Zivilität’.

Zu diesem Zeitpunkt können wir unsere Befürchtungen nicht artikulieren. Wir haben nur Vorahnungen. Koka ist unmoralisch, sagen die Politischen – sehr unpolitisch. Man tut sich hier schwer mit Begriffen. Wenige Monate später wird die ELN ein Projekt beschließen, um den Kokaanbau innerhalb von fünf Jahren aus der Region zu verdrängen. Ein aussichtloses Unterfangen, wie man schon zu diesem Zeitpunkt wissen könnte. Aussichtslos, aber wahrscheinlich trotzdem richtig. Wir werfen Steine ins Wasser und sagen, dass es eine gute Idee wäre, die Bauern zur Substitution zu ermuntern. Dass man Projekte fördern müsste, die Perspektiven eröffnen – ohne genau zu wissen, was für Projekte. Leonor erzählt von den Demonstrationen der Bauern gegen die Herbizidbesprühungen aus der Luft, und ich denke, dass der Widerstandsgeist der Bauern bewundernswert ist. Vielleicht hat er auch damit zu tun, dass man hier trotz der Kriegführung aus der Luft immer noch das Gefühl hat, auf einer Insel zu sitzen. Aber wir wissen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie fällt

 

2002.

Die Gegend ist staubiger, als ich sie in Erinnerung habe. Das kann an der außergewöhnlich langen Trockenzeit, aber auch an der Abholzung liegen. Auf dem Weg in die Serranía San Lucas kommen wir nur einmal an Kokapflanzungen vorbei – im flachen, von der Armee kontrollierten Teil der Region. Das hat nichts damit zu tun, dass die Anbaufläche abgenommen hätte, schon eher mit dem von uns gewählten Weg. Die Straße von Santa Rosa del Sur ist die einzige Verbindung, auf der man noch in die Serranía gelangt. Die Stimmung ist gespannt. Wir stehen zu zwanzigst auf der Ladefläche eines Pickups; so dicht gedrängt, dass man sich kaum setzen kann. Darunter ein paar Ausländer, zwei Dokumentarfilmer: Wir wollen zeigen, dass der Kessel, den Armee und Paramilitärs um die Serranía errichtet haben, durchlässig ist und Bilder mit hinausnehmen. Der Staub sticht im Gesicht, trotzdem starren wir mit zusammen gekniffenen Augen nach vorn und beobachten, was uns nach der nächsten Kurve erwartet. Der letzte Armeeposten liegt etwa eine Stunde hinter uns, aber immer noch können wir auf Paramilitärs stoßen, aus der Luft von Helikoptern beschossen werden, in die Hände von Eliteeinheiten der Armee fallen, auf der Piste verunglücken, von einem umstürzenden Jeep begraben werden oder in ein Gefecht geraten. Es gibt 100 Gründe, sich zu fürchten.

Die Straße führt hinauf in die Berge. Ich spüre das warme, klebrige Gefühl, das die Luftfeuchtigkeit auf der Haut hinterlässt, fast wie Leim, erkenne den Geruch von Grasland und Wald wieder. Die Höhenlagen sind immer noch von Dschungel bedeckt, aber überall steigen die Rauchschwaden der Brandrodungen auf. In den letzten fünf Jahren hat sich vieles verändert. Der Kokaanbau hat sich ausgebreitet, doch das Gebiet, in dem die meisten Pflanzungen liegen, ist für uns unerreichbar. Die Ortschaften zwischen dem Magdalena-Strom und den Ausläufern der Serranía sind fest in den Händen der Todesschwadronen. San Blas, früher nur ein Dorf, ist zum größten Koka-Umschlagplatz geworden, gleichzeitig ist es die wichtigste Basis der Paramilitärs. Zwischen Ultrarechter und Koka sind die Verbindungen eng. Man kann sagen, dass das Koka den Paramilitärs die Tür geöffnet hat: Das schnelle Geld hat gewachsene Strukturen zerstört und die Besetzung erleichtert. Man kann aber auch sagen, dass Koka den Anreiz für die Paramilitärs erhöht hat, die Region zu erobern. Eine illegale Armee zu unterhalten, kostet viel Geld, und für Todesschwadronen gilt das erst recht. Während der Guerilla wenigstens zum Teil aus politischer Überzeugung beigetreten wird, ist die Bezahlung das einzig ernstzunehmende Motiv für die Mitgliedschaft bei einem Mordkommando.

An einem Hang kommt uns plötzlich ein Jeep entgegen, auf der Ladefläche zwei Bewaffnete in Camouflage-Uniform. Ich zucke zusammen, aber die Bäuerin neben mir sagt nur "Guerilla ... ELN". Ich bin erleichtert, aber auch irritiert. Wohin fahren wir? So weit hinein? Als wir den nächsten Kamm erreichen, sieht man die Teta de San Lucas, den höchsten Berg der Region. Dunkelgrüner Wald, wohin das Auge reicht. Neben der Erdpiste handgemalte Schilder, die vor Minenfeldern warnen. Ich bin durcheinander, seltsame Erinnerungen.

Cediel Mondragón, der uns am Ende der Erdpiste nach zwei Straßensperren der Guerilla erwartet, ist Sprecher einer Bauernorganisation, sieht aus wie ein Vietnamese, sagt von sich selbst, von den Chibcha abzustammen, und ist zweimal im Leben vertrieben worden – einmal von der Armut, ein zweites Mal von der Armee. Ich frage nach den Dörfern weiter südlich, wo ich das letzte Mal war. "10 Tage Fußmarsch", erwidert er, "wenn alles glatt geht." Hier in La Punta baut man kein Koka an; zum einen weil die Guerilla Neupflanzungen verboten hat, zum anderen weil in der Gegend Gold geschürft wird. Viel besser ist das nicht: Weniger Mafia, dafür noch mehr Gift. Das Wasser ist quecksilberverseucht, zwischen den Häusern stehen Zyanidfässer, es stinkt nach Blausäure. Ich hake nach, was mit der Idylle geschehen ist. "Viele Ortschaften sind abgebrannt, Vallecito haben sie dreimal angezündet. Die Wege sind abgesperrt, manche Täler durch Herbizideinsätze verwüstet, in den Bergen leben ein paar Tausend Menschen auf der Flucht. Sie haben Widerstandsdörfer gegründet und verstecken sich bei Armeeoffensiven." Genaues weiß auch Cediel nicht. Er telefoniert manchmal mit Gabriel, einem Bauernführer in jenem Teil der Serranía. Aber immer nur wenige Sätze. Andere Kommunikationswege haben sie nicht.

In Kolumbien heißt es, Koka sei zwar für keines der Probleme im Land verantwortlich, habe aber alle verschärft. Das stimmt auch hier. Die Kleinbauern in den abgelegenen Gebieten haben angefangen, Koka anzupflanzen, weil es ihnen als einziges Produkt das Überleben garantiert. Die ELN hat das toleriert, ohne davon zu profitieren, die FARC, die den Kokahandel besteuern und damit gut verdienen, sogar gefördert. Inzwischen haben sich völlig absurde Geschäftsbeziehungen herausgebildet: Aus den von der Guerilla kontrollierten Gebiete gelangt die Kokapaste über Zwischenhändler in die Laboratorien der Paramilitärs, wo das Zwischenprodukt zu Kokain weiterverarbeitet wird. Die Söldnertruppen im Dienste der Eliten vermarkten die Drogen und finanzieren damit ihren Krieg gegen die Guerilla. Weil sie diese nicht vernichten können, greifen sie die soziale Basis der Aufständischen an – es sind die Bauern, die Koka pflanzen, um zu überleben. So bezahlt die Pflanze, die die Bauern ernährt, auch ihre Vertreibung.

Doch über diese Verknüpfung von Drogenhandel und Krieg gegen die Bevölkerung wird wenig gesprochen, auffallend wenig. Wie auch über die anderen seltsamen Aspekte des drug business. Darüber z. B. dass Carlos Castano, Chef der Todesschwadronen, im Frühjahr dieses Jahres ein Treffen mit den wichtigsten kolumbianischen Drogenhändlern abgehalten hat. Oder darüber dass das größte Kartell des Landes, das Cartel del Norte del Valle, als Finanzunternehmen der Paramilitärs gilt. Dass Castano eine Schlüsselrolle bei der Festnahme der Kartellchefs von Medellín und Cali spielte und Anfang der 90er Jahre Chef der Pepes war, jener Todeskommandos, die Pablo Escobar und seine Leute zu Fall brachten. Dass er dabei von der Polizei-Eliteeinheit Bloque de Búsqueda und von der US-Drogenbehörde DEA unterstützt wurde und der damalige DEA-Verbindungsmann Javier Pena später zum Chef des DEA-Büros in Bogotá aufstieg. Darüber dass sich Mittelsmänner Castanos 1999 mit der US-Drogenbehörde trafen, so gut wie keine Drogenoperationen in den Gebieten der Ultrarechten durchgeführt werden oder die Paramilitärs mit Kokaingeldern im vergangenen Herbst 5000 automatische Gewehre bei der nicaraguanischen Polizei einkauften, ohne dass irgendeine internationale Kontrollinstanz eingeschritten wäre. Puzzlestücke, die an die Zeiten in Nicaragua und Afghanistan erinnern, als der Kampf gegen den Kommunismus mit drug money finanziert wurde.

Der Blick der US-Behörden geht in eine andere Richtung. Man betont, dass sich der Anbau in Kolumbien in den letzten Jahren stark ausgeweitet habe und zwar überwiegend in Gebieten, in denen die FARC präsent sind. Das stimmt, und es ist auch wahr, dass es hier, in der Serranía San Lucas schwere Konflikte zwischen den Guerillaorganisationen deswegen gab. Während die ELN eine Kampagne gegen den Kokaanbau durchführte, ermunterten die FARC die Kleinbauern dazu, neue Pflanzungen anzulegen. Wahr ist jedoch auch, dass das ein Nebenschauplatz des Geschäfts ist. Die großen Gewinne werden eben nicht beim Anbau gemacht, sondern bei der Vermarktung, und die kontrollieren die Todesschwadronen.

Cediel sagt, dass wir aufbrechen sollten. Inzwischen ist es 4 Uhr nachmittags. Auf einem staubigen Maultierpfad geht es von La Punta aus in Richtung der Goldgräberdörfer. Klondyke-Stimmung. Uns kommen Züge mit Lastentieren entgegen. Rufe von Maultiertreibern, lautes Schnalzen. Alles hier wird auf den Rücken der mulas hinein und hinaus transportiert: Benzinfässer, Zyanidtonnen, Bierkästen, Holzplanken, Dynamitstangen. Cediel erzählt von den Dörfern der Umgebung. Um das Gebiet liegt ein Ring der Zerstörung, überall ist gesprüht und bombardiert worden. Nach nicht mal einer Stunde bleiben wir erschöpft am Wegrand hocken – Gringos sind nicht besonders gut im Laufen, bei der Hitze schon gar nicht – und schauen ins Tal. Der Anblick, der sich uns von nun an bieten wird, ist trostlos: Erosion, verbrannte Erde, Plastikplanenverschläge, unter denen Mineros Gestein mahlen. Es gibt keine Idylle hier, aber eine Insel ist es immer noch. Ein schwitzendes Maultier kämpft sich den Hang hinauf, schnaufend: der Rücken ist blutig gescheuert. Cediel, der das belagerte Gebiet nicht verlassen kann, weil man ihn an der ersten Armeesperre verschwinden lassen würde, sagt, dass die Bauernorganisation, zu der er gehört, die Leute zu Rodungen und zum Anbau von Nahrungsmitteln ermuntert. Gold und Koka könne man nicht essen, und außerdem würden sich normale Bauern nicht so schnell vertreiben lassen wie coqueros oder mineros. Hinter dem Maultier kommt ein Junge her, vielleicht 10 Jahre alt. Er schlägt das Tier mit der Breitseite der Machete, das Mula schleppt sich weiter. Wir bleiben sitzen, es ist immer noch heiß. 20 Stunden am Stück, heißt es, sind die Treiber unterwegs. Man weiß nicht, wen man mehr bemitleiden soll – die Treiber oder die Tiere. Cediel zeigt Richtung Tiquisio, die Berge leuchten im Sonnenuntergang. Auch dort wird Koka gepflanzt. Eigentlich hätte er uns dort hinbringen sollen, aber jetzt scheint der Weg zu lang und wohl auch zu gefährlich. An den Rändern der Insel kommt man mit der Angst nicht gut klar. Ich denke: Kapitalismus rabiat. 2 Millionen Vertriebene, für den Aufbau einer Organisation wird man erschossen, das drug business hat Mord zum ganz normalen Konfliktbewältigungsmittel gemacht. In dieser Scheiße versucht sich jeder allein durchzuschlagen, und diejenigen, die das nicht tun, werden massakriert. Sicher, das alles hat nicht erst mit Koka angefangen, aber trotzdem stimmt der Satz auch in diesem Fall: Koka hat alles schlimmer gemacht. Es hat dazu geführt, dass man keine Hoffnung mehr hat, kein Licht am Ende des Tunnels mehr sieht. "Sie könnten ihn auch anders bezahlen", sage ich, "ihren Krieg. Z. B. mit Gold. "Sicher." Cediel lacht. Cediel scheint immer gut gelaunt, selbst mitten im Tunnel. Er macht sich einfach selbst Licht, wenn er keins hat. "Nur hätten sie dann nicht so viel Geld. Nicht einen Bruchteil so viel. Und dann würden sie den Krieg auch irgendwann mal verlieren."

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