letzte Änderung am 05. Juni 2002

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Die aktuellen GATS Verhandlungen – ein genereller Angriff, der über die öffentliche Dienstleistungen hinaus geht

Am Samstag den 29. Juni 2002 soll in Genf, dem Sitz der WTO, im Zusammenhang mit der Frist zur Hinterlegung der Wünsche nach Marktzugang, eine Demonstration stattfinden, zu der Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen aufrufen werden.

Bis zum 30. Juni 2002 müssen die Mitgliedsstaaten in Genf hinterlegen, in welchen ausländischen Märkte sie für ihre eigenen Anbieter einen Zugang haben möchten. Die Liste dieser Liberalisierungsforderungen der EU ist schon über 1.000 Seiten stark. Bis zum 31.03.2003 müssen im Gegenzug Angebote hinterlegt werden, welche Märkte geöffnet werden sollen. Die Regierungen sammeln also derzeit die Wünsche der Wirtschaft und es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass beispielsweise die Vertreter der Banken und Versicherungen neue Märkte erschliessen möchten.

Richtigerweise ist dies auch die Stossrichtung der meisten Gewerkschaften (wenn überhaupt darüber gesprochen wird) und Nichtregierungsorganisationen (wie beispielsweise WEED oder die Erklärung von Bern EvB), denn es ist damit zu rechnen, dass weitere Bereiche der öffentlichen Dienste zur Liberalisierung frei gegeben werden sollen. Doch die GATS- Vorhaben gehen weit über einen Angriff auf den öffentlichen Dient hinaus, sie sind nicht nur zutiefst undemokratisch, sondern auch eine versteckte Neuauflage eines Investitionsabkommens und sollen mit Entsendung von Arbeitnehmern und Leiharbeit Lohndumping ermöglichen.

Die gegenwärtigen GATS Verhandlungen haben eine ähnliche Brisanz wie vormals das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) und die Milleniumsrunde der WTO. Beide sind im Hinblick auf die Interessen der Arbeitnehmenden und deren Familien glücklicherweise gescheitert. Ein vorzeitiges Verhindern der Verschlechterung unserer Rahmenbedingungen durch die gegenwärtigen Verhandlungen des GATS erspart uns später viel Ärger und Arbeit.

 

Hintergrund - Was ist das GATS ?

Mitte der 1990er Jahre wurde mit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) die neoliberale Wirtschaftspolitik global institutionalisiert. Damit wurde faktisch eine neue Weltwirtschaftsordnung verankert, welche im Hintergrund, ohne dass die Bevölkerung etwas davon mitbekommt, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Milliarden von Menschen betrifft und zumeist verschlechtert.

Das GATS ist das "General Agreement of Trade in Services", also das Dienst-leistungsabkommen, welches parallel zum GATT (Allgemeines Handels- und Zollabkommen) in der Uruguay Runde geschaffen wurde und unter dem Dach der WTO angesiedelt ist.

Die Dienstleistungen werden hier in 4 Bereiche gegliedert:

Bereich

1

Grenzüberschreitendes Angebot

(Cross-Border-Supply)

Die Dienstleistung wird vom Ausland* über die Grenze ins Inland geliefert.

(z.B. per Post oder Telekommunikation)

Service Anbieter
nicht im Land
präsent

Bereich

2

DL Bezug im Ausland

(Consumption Abroad)

Ein Kunde geht ins Ausland um dort eine Dienstleistung zu erhalten.

(z.B. Inländische Touristen im Ausland, aber auch Besuche von Seminaren im Ausland)

Bereich

3

Niederlassung des Anbieters

(Commercial Presence)

Der ausländische Anbieter der Dienst-leistung hat eine Niederlassung im Inland (auch Joint Ventures)

Service Anbieter
im Land
präsent

Bereich

4

Personelle Anwesen-heit zur Service-erbringung

(Presence of Natural Person)

Hierunter fallen sowohl selbständige Serviceanbieter, als auch Angestellte der Dienstleistungsanbieter.

(z.B. Mitarbeiter einer ausländischen Firma mit einem dortigen Arbeitsvertrag, der im Inland eine Dienstleistung erbringt)

* Inländer sind hier die im Markt residierenden Personen und Firmen, Ausländer sind nicht im Markt residierende Personen, jeweils unabhängig von der Nationalität.

 

Demokratiedefizit

Die Dokumente sind unter Verschluss, um bei den eigentlichen Verhandlungen dann "Trümpfe" ausspielen zu können. Ergebnisse intergouvermentaler Verhandlungen sind immer Paketlösungen, d.h. es werden Zugeständnisse quer über alle möglichen Bereiche gemacht. Um die strategischen Vorteile bei den Verhandlungen zu wahren, werden nicht einmal die Räte informiert.

Diese vertrauliche Behandlung von Verhandlungsinhalten ist höchst Besorgniserregend, da so keine öffentliche Diskussion geführt werden kann. Es gibt bei den Verhandlungen keinerlei Transparenz, im Prinzip handelt es sich um Geheimverhandlungen, da selbst das Parlament keine genauen Auskünfte erhält.

Neue und regionale Regulierungen im sozialen und Umweltbereich können von ausländischen Anbietern als "diskriminierend" und "wettbewerbshemmend" angesehen werden und vor das Schiedsgericht kommen. Die bundesdeutsche Nichtregierungs-organisation WEED schreibt dazu:

"Die WTO begrüßt sogar diesen antidemokratischen Aspekt des GATS: In ihren eigenen Publikationen empfiehlt sie liberalisierungswilligen Regierungen das GATS gerade wegen der politischen Unterstützung, die das Abkommen bei der <Überwindung innenpolitischer Widerstände> bietet."

Nun, die Gewerkschaften und alle die einen Ausverkauf des öffentlichen Dienstes verhindern wollen, sind ein solcher innenpolitischer Widerstand.

 

Angriff auf die öffentlichen Dienstleistungen

Da die Ergebnisse der Liberalisierungsverhandlungen in Form von Paketen mit Gegenleistungen geschnürt werden, und anzunehmen ist, dass die Schweizer Verhandlungsdelegation einen vereinfachten Marktzutritt für die Schweizerischen (und natürlich auch alle anderen für ihre jeweiligen Bereiche) Finanzdienstleister erreichen will, muss sie auch einzelne Bereiche im Gegenzug öffnen. Die Landwirtschaft wäre zwar der Wunschkandidat des Weltmarktes, aber da wird die Regierung, wie schon bei den Bilateralen Verträgen mit der EU, wenig Zugeständnisse machen. Nach der Begierlichkeit auf den Marktzutritt auf den Agrarsektor sind die öffentlichen Dienstleistungen (Post, Telekommunikation, Verkehr, Bildung, Gesundheitswesen, Strom- u. Wasserversorgung, etc.) ein anderer Zielbereich und hier dürfte der Bundesrat zu wesentlich mehr Zugeständnissen bereit sein, wie seine Possition zum Energiemarktgesetz zeigt.

In Staaten mit bereits fortgeschrittener Liberalisierung des öffentlichen Dienstes kann deutlich eine Zweiteilung der Gesellschaft beobachtet werden. In jenen Teil, welcher sich die auf hohem Niveau privat angebotenen Dienste leisten kann, und einem sehr grossen Teil der Gesellschaft, dem nur noch die notdürftigen, da chronisch unterfinanzierten, staatlichen Angebote offen stehen.

Infolge der Strukturanpassungsmassnahmen von IWF und Weltbank wurde in Mittelamerika bereits der ÖD weitgehend privatisiert. Das Gesundheitssystem ist zweigeteilt in ein für die einfache Bevölkerung unbezahlbares Privates und ein chronisch mangelhaft ausgestattetes öffentliches. Krankenversicherung ist individualisiert und meist nur bei einem formalen Arbeitsplatz gewährleistet. In Rahmen der Liberalisierung, sind aber viele Arbeitnehmenden entlassen worden und Arbeitslos, die Mehrheit der Bevölkerung lebt von prekärer Beschäftigung ohne jegliche soziale Absicherung. Die Menschen werden nicht nur aus dem aktiven gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, sondern auch von den Sozialen Sicherungssystemen. Nach jeder Rezession sind dies mehr, wie wir am gegenwärtigen Aufschwung in den USA sehen können, bei dem das Bruttosozialprodukt wieder ansteigt, die Beschäftigungssituation jedoch immer prekärer wird. Für uns in der Schweiz ist es gegenwärtig noch undenkbar, sich ein privatisiertes Bildungssystem vorzustellen, doch in einigen Länden ist dies schon jetzt Realität. Dort gibt es gut ausgerüstete Privatschulen welche eine gute Ausbildung für ein hohes Schulgeld anbieten und die schlecht ausgerüsteten staatlichen Schulen, die nur einen geringen Zuschuss bekommen, und ihre Ausgaben durch individuelle monatliche Gebühren finanzieren müssen.

Eine dänische Gewerkschaft vertrat die Position, sie wären ja eine Gewerkschaft der Produktion, daher betreffe sie ein Dienstleistungsabkommen ja nicht, außerdem gibt es ja gute Arbeitsgesetze. Dem kann nur widersprochen werden und zum Glück wurde das auch gemacht, offen vom zuständigen Kollegen der IG BAU und dem zustimmend von der IGM.

 

Neuauflage eines multilateralen Investitionsabkommen

Unter den Bereich 3 des GATS Abkommens, den Niederlassungen (Comercial Presence), fallen ganz klar die Investitionen, dies ist also ein Wiederaufleben der MAI Kampagne (MAI = Multilaterales Abkommen über Investitionen). Es sei hier noch einmal daran erinnert, dass hier sowohl die Rechte der Arbeitnehmenden als auch der Staaten auf ein Minimum reduziert werden sollten. Eine Firma die Investitionen in einem Land tätigt, soll das Recht erhalten, den Staat zu verklagen, wenn dieser beispielsweise arbeits- oder umweltrechtliche Normen ändern würde! Hier muß man schon im Vorfeld aufpassen, dass sich Situationen wie im MAI nicht wieder ergeben.

Nach dem Inländerprinzip (national treatment) dürfen ausländische Firmen nicht schlechter gestellt werden, und inländische Firmen nicht bevorzugt werden, bzw. bessere Rahmenbedingungen als ausländische Anbieter erhalten. Nicht Verboten ist es jedoch ausländischen Anbietern und Investoren Vergünstigungen zu gewähren. Aus leidvoller Erfahrung wissen wir, dass das, was für Firmen eine Vergünstigung darstellt, für die Beschäftigten oftmals eine Verschlechterung bedeuten kann. Am Beispiel einer neuen Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) könnte eine Lösung im Geiste von WTO und GATS eine AVE mit Gültigkeit nur für Schweizer Unternehmungen sein, ausländische Anbieter müßten sich danach nicht an vereinbarte Mindestlöhne halten.

Anhand von bereits geschlossenen bilateralen Vereinbarungen lässt sich die Position des Schweizer Bundesrates hier in etwa abschätzen. Die bilateralen Abkommen mit der EU sind weitgehend bekannt, interessant ist es daher sich auch einmal anzusehen wie bilateralen Abkommen gestaltet sind, bei denen die Schweiz die Rolle des "starken" Vertragspartners hat. Als Beispiel führe ich hier ein Abkommen mit Mexico an. Das "Abkommen zur Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen (AFSI)", in Kraft seit März 1996, ist eines von vielen welche durch das MAI ersetzt werden sollte. Es ist beispielhaft für die Richtung welche der Bundesrat bestimmt auch jetzt wieder ganz im Sinne der Schweizerischen Multis bei den GATS-Verhandlungen zu den Investitionen einnehmen wird.

Hier einige Inhalte, entnommen der SECO Publikation DIE VOLKSWIRTSCHAFT 3/2002: "Das AFSI gewährt die Transferfreiheit von Gewinnen, Dividenden, Zinsen, Lizensgebühren etc. Von zentraler Bedeutung sind zudem die Vorschriften über die Enteignung ausländischer Investoren, welche die Spielräume für Enteignungen stark einschränken und überdies ein Recht auf Schadensersatz gewähren. Daneben verbietet das AFSI bestimmte Auflagen wie Exportauflagen, die Verpflichtung zur Verwendung lokal hergestellter Vorleistungen oder Technologietransferverpflichtungen." Also die übliche Prozedur um dem Kapital die bestmögliche Freiheit bei geringstnötigen Verpflichtungen zu sichern.

Fast als ein Wort des Bedauerns folgt noch eine Anmerkung, dass Sektorausnahmen, und die Verpflichtungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Ausbildung von Arbeitskräften möglich sind. Welche und wieviel Arbeitsplätze geschaffen werden sollen wird nicht erwähnt, ebenso nichts über die Qualität der Ausbildung. Aus Erfahrung wissen wir aber zu gut, dass es sich bei Arbeitnehmerinteressen meist nur um wässerige Vertragszusätze handelt, die konkret nichts bringen, während die Kapitalinteressen wasserdicht abgesichert sind.

 

Entsendung von Arbeitnehmenden

Was die Gewerkschaften auch im Produktionsbereich ganz konkret betrifft, ist der Dienstleistungs-Bereich 4: Hier geht es um die Präsenz von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmenden. Gerade mit den Erfahrungen mit entsandten Kollegen auf den großen Baustellen (NEAT in der Schweiz, Bahnstrecke Frankfurt – Köln in der BRD) können wir uns ausmalen, was noch auf uns zukommen könnte. Dabei brauchen wir gar nicht lange zu überlegen inwieweit z.B. der Bausektor eine Dienstleistung ist, denn Entsendung und Leiharbeit sind Dienste; und hier könnten wir massiv Probleme mit versuchtem Lohndumping bekommen, wie wir es bei den Entsandten bisher auch schon in der Schweiz und in Europa erlebt haben.

Wer sich noch nicht ausmalen kann, was dies konkret auch für die Schweiz bedeuten kann, sei noch einmal an die Vorgänge in Sedrun mit den Mineuren aus Südafrika erinnert.

Eine Ermöglichung von grenzüberschreitender Leiharbeit muss verhindert werden. (Der einsatz von Leiharbeitern als Streikbrechern über die Grenze zwischen Baden und dem Elsass konnte gerade noch verhindert werden). Die Gefahr besteht bei einer entsprechenden Öffnung im Bereich 4 (Personelle Präsenz).

 

Gewerkschaftliche Positionen

Eine Öffnung der Märkte darf nicht zu Lohn- und Sozialdumping führen, daher ist eine Forderung der Gewerkschaften, eine weltweit gültige und sanktionierbare Entsenderichtlinie, welche unfairen Wettbewerb und Sozialdumping verhindern soll.

Die Lohn- und Arbeitsbedingungen müssen daher generell nach den am Ort der Erbringung der Leistung gültigen Regelungen garantiert sein. Dieser Grundsatz muss sowohl für die gesetzlichen als auch die kollektivvertraglichen Inhalte gelten. Auch die Durchsetzung dieser Rechte muss gewährleistet sein.

Komparative Kostenvorteile durch günstigere Kosten in einem Land sind in Ordnung, aber bei Lohn- und Sozialdumping (beispielsweise durch Entsendung oder Leiharbeit) handelt es sich nicht um komparative Kostenvorteile, sondern um eine menschenverachtende Ungleichbehandlung von Menschen, welche für die selbe Tätigkeit am selben Ort verschieden entlohnt und unterschiedlich sozialversichert werden sollen.

Eine andere Forderung ist auch, von Seiten des Bundesrates in den Verhandlungen keinen Druck auf Entwicklungsländer auszuüben, damit deren Regierungen die Märkte für ausländische Anbieter öffnen. Zum einen muss ein Aufweichen des Service public nicht nur hier sondern weltweit verhindert werden und zum anderen hat es aber auch direkte Rückwirkungen auf uns. Denn wenn ein Land einen Bereich für Schweizer Anbieter öffnet, muss die Schweiz im Gegenzug auch einen Bereich öffnen. Internationale Solidarität ist keine Einbahnstraße, sowohl die Menschen im Süden wie im Norden können von einem gemeinsamen Vorgehen profitieren.

David Zenth, Gewerkschaft Bau und Industrie der Schweiz

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