Die Konstruktion einer Einheit

Studien über Jörg Haider und sein Publikum / Von Klaus Weber

 

Auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ, die doch lediglich das propagiert, was andere Politiker in ihren Ländern ungestraft durchführen (Abschiebung von bedrohten Flüchtlingen; Relativierung und Historisierung der NS-Zeit; Förderung der Fitten und Reichen; Ausgrenzung der Ohnmächtigen und Armen), reagieren die "demokratischen" EU-Länder mit Sanktionen. Haider schert sich nicht drum. Viele NichtösterreicherInnen sind entsetzt, einige erfreut über Haiders kometenhaften und scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg. Wirklich "verstehen" können es aber die Wenigsten, wieso Haider einen solchen Erfolg haben konnte und hat.

Ein Team um den Klagenfurter Sozialpsychologen Klaus Ottomeyer versucht seit fast einem Jahrzehnt die Politik Haiders zu verstehen. Die drei Psychologen besuchen seine Veranstaltungen und lassen seine Reden auf sich wirken. Anschließend reflektieren und diskutieren sie gemeinsam, wie es Haider schafft, individuelle Bedürfnisse anzusprechen und Faszination zu wecken. Dabei geht die Gruppe davon aus, dass Haiders Auftritte Inszenierungen darstellen, die den neuen "Führer" mit den "Geführten" erst verbinden. Wissenschaftlich unorthodox und klug ist die Überlegung, dass Forschende nicht von außen auf den Gegenstand Haider und sein Publikum schauen sollten, um das Phänomen zu untersuchen. Die Überheblichkeit vieler Sozialwissenschaftler im Verhältnis zu ihrem Gegenstand, der scheinbar nichts mit ihnen selbst zu tun hat, ist dem Forscherteam um Ottomeyer fremd. Im Gegenteil: tabuisierte und schambesetzte Gefühle, die dann auftauchen, wenn Teile des Haider-Auftritts ihre Wirkung auch bei den Forschern nicht verfehlten, werden offengelegt, beschrieben und somit der Bearbeitung zugänglich gemacht. Die psychodynamische Wirksamkeit von Haiders Inszenierungen und die enormen Kräfte, mit denen er sein Publikum zu fesseln versteht, können so nachvollzogen werden, und nur dann – so wissen die Forscher – kann Haider auch entsprechend bekämpft werden. Und obwohl es aus lauter Psychologen besteht, versteht es das Forscherteam, den Widerspruch zwischen den Zielen von Haiders Politik und seiner Beliebtheit gerade bei denen, die ökonomisch den Kürzeren ziehen werden, nicht zu psychologisieren. Vielmehr stellt es einen Zusammenhang zwischen Leistungsideologie und Gewerkschaftsfeindlichkeit auf der einen und dem individualisierenden Fitness- und Skifahrerkult auf der anderen Seite her, um deutlich zu machen, wie der moderne Kapitalismus in Haider einen seiner besten Vertreter findet: Als "Container", in den die Verängstigten, Hilflosen und Ohnmächtigen ihre Ängste und Hoffnungen werfen, weil er die vermeintlich "Schuldigen" dieser Verhältnisse (Ausländer, Parteibonzen etc.) zu bestrafen vorgibt. Moralische Schuldigkeit bezieht sich auf Menschen und nicht auf Strukturen und Verhältnisse. Wenn Ernst Bloch mit seinem Hinweis in "Erbschaft dieser Zeit" Recht hatte, dass die Linken "wahr, aber von den Sachen" redeten, während die Faschisten "falsch, aber zu den Menschen" sprachen, so bestätigt die Gruppe um Ottomeyer Blochs Analyse. Solange die "guten Europäer", die "wahrhaften Demokraten", die "intelligenten Künstler" und die "empörten Antirassisten" nicht mit "den Menschen" über die Gründe von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Rassismus, sondern an den Menschen vorbei über die Hintergründe reden, bleibt Haider erfolgreich: als Vertreter eines Publikums aus verfolgten Verfolgern.

H. Goldmann/ H. Krall/ K. Ottomeyer (1992): »Jörg Haider und sein Publikum.« Drava Verlag. Klagenfurt

 

Diese Rezension ist erschienen in: "express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit" Heft 2/2000

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