SPD und Grüne lehnten Wiederherstellung des bis 1986 geltenden Streikrechts ab

Regierungsparteien stimmten gegen ihre eigenen Anträge aus der Oppositionszeit

Die PDS-Bundestagsfraktion ist am Mittwoch dem 8. 9. mit ihrer Absicht gescheitert, den Antistreikparagraphen im Arbeitsförderungsrecht zu novellieren. Die Regierungsparteien lehnten einen entsprechenden Antrag mit der Begründung ab, daß die Korrektur des alten § 116 AFG, beziehungsweise des heutigen § 146 im Sozialgesdetzbuch III, im kommenden Jahr Rahmen einer geplanten Novellierung des Sozialgesetzbuches erfolgen soll. Der PDS-Antrag entsprach wortgetreu all den gleichlautenden Anträgen die in den vergangenen Jahren von ihr, der SPD und den Grünen gestellt worden waren, um die Wiederherstellung des alten Rechtszustandes durchzusetzen.

Eine besondere Aktualität erhielt die Debatte durch die parallel in Berlin stattfindende Festveranstaltung der IG Metall zum 50. Jahrestag der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes, in deren Rahmen auch ein Podium zur Aktualität des Antistreikparagraphen stattfand. Wie immer war die PDS vom Podium ausgeschlossen, obwohl auf ihre Initiative fast zeitgleich im Bundestag über die Abschaffung dieses Paragraphen beschlossen wurde. Dafür konnte Adi Ostertag für die SPD erklären, daß sie im kommenden Jahr den § 116 AFG/146 SBG III "auf den Prüfstand" stellen werde. Die Verabschiedung der Novelle wird frühestens im Sommer 2001 erwartet.

Wie wichtig der Vorgang der SPD-Bundestagsfraktion ist, zeigte sich dann auch bei der Behandlung des PDS-Antrages. Bis auf dle PDS verzichteten alle Parteien auf eine Aussprache, gaben ihre Reden zu Protokoll und machten die Ablehnung der sofortigen Wiederherstellung des Streikrechts zu einer Sache von 20 Sekunden.

Nur die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PDS, Heidi Knake-Werner, nutze die ihr zustehenden fünf Minuten für eine Begründung. Hier der Wortlaut ihres Beitrages:

Ich kann es mir sparen, die Argumente für unseren Antrag zur Abschaffung des Antistreikparagraphen hier noch einmal auszubreiten, weil die Mehrheit des Parlaments und zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung über ein Jahrzehnt lang leidenschaftliche Bekenntnisse und Versprechungen zur Wiederherstellung des Streikrechts abgegeben haben.

Wir befinden uns also in vollkommener Übereinstimmung, wenn es darum geht, die strukturelle Benachteiligung der Gewerkschaften in Arbeitskampfsituationen endlich wieder zu beseitigen.

Für die Abschaffung des damaligen § 116 AFG sind nach 1986 Hunderttausende auf die Straße gegangen. 1992 zogen SPD-Bundestagsabgeordnete und sozialdemokratisch geführte Landesregierungen um die Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien im Arbeitskampf wieder herzustellen, vor das Bundesverfassungsgericht. Beide Regierungsparteien haben in der 13. Legislaturperiode fast gleichlautende Anträge zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit eingebracht. Auch für die PDS ist dies der dritte Antrag, in drei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden, mit dem versucht wird den alten, bis 1986 geltenden Rechtszustand und damit die Kampfparität zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern wiederherzustellen.

Der Kollege Ostertag erklärte schon 1994, eine sozialdemokratische Bundesregierung werde nach der Wahl in einem sozialpolitischen Sofortprogramm für die ersten 100 Tage den § 116 AFG entsprechend ändern. Und weiter: "Diese Korrektur gehört zu einer glaubwürdigen sozialdemokratischen Politik." Das dachte ich auch.

Nun, diese ersten 100 Tage sind längst vorbei und Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Sie haben zwar bereits ein Vorschaltgesetz zum SGB III vorgelegt, aber die Neuregelung des Streikrechts im jetzigen § 146 haben Sie sich dabei leider nicht vorgenommen. Obwohl Sie dies nach eigenem Bekunden für ein Gebot des sozialstaatlichen Anstandes halten. Und unseren parlamentarischen Vorstoß werden Sie wieder einmal ablehnen, weil Ihr Alleinvertretungsanspruch, was Interessen von Beschäftigten und Gewerkschaften angeht, ungebrochen ist. Aber Sie werden es damit zunehmend schwer haben. Zu häufig haben Sie das Gleiche gefordert, die gleichen Formulierungen benutzt und auf den gleichen Demonstrationen und Gewerkschaftstagen leidenschaftlich die Herstellung des alten Rechtszustandes gefordert und auch versprochen.

Auf dem kommenden Gewerkschaftstag der IG Metall stehen 17 Anträge zur Abstimmung, die sich wie seit Jahren für die Wiederherstellung des alten Streikrechts aussprechen.

Morgen findet hier in Berlin im Rahmen einer Festveranstaltung der IG Metall zum 50. Jahrestag der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes eine Podiumsdiskussion unter dem Motto statt: "Die Aktualität des Streikparagraphen § 116 AFG /§ 146 SGB III"

Ich bin sehr gespannt, Herr Kollege Ostertag, wie Sie dort argumentieren, fast ein Jahr nach der Regierungsübernahme durch die SPD.

Natürlich nennen Sie auch Gründe für Ihre Ablehnung. Zum Beispiel sei manches rechtlich fragwürdig. Ich frage Sie, was kann heute rechtlich fragwürdig sein, was Sie selbst bis zu Ihrem Regierungsantritt gefordert haben.

Was war falsch an Ihren Klagebegründungen vor dem Bundesverfassungsgericht, Ihre "Anträge" in diesem Hause und all den öffentlichen Bekenntnissen zur umgehenden, schnellen und umstandslosen Wiedereinführung der alten Formulierungen aus dem § 116 AFG? Sie haben es im Laufe der Beratungen auch nicht versäumt, der PDS Aktionismus, Populismus und weiß nicht was vorzuwerfen. Während Sie sich Zeit lassen wollen, um die Vorhaben der Koalitionsvereinbarung gründlich abzuarbeiten. Lassen Sie sich nicht zuviel Zeit, zu häufig ist in den letzten Wochen erklärt worden, der Koalitionsvertrag sei schließlich keine Bibel. Sie wollen die Novellierung des Streikparagraphen in eine große Reform des Arbeitsförderungsrechts verschieben. Ich habe Zweifel, ob Sie dazu wirklich noch die Chance haben. Denn: Die Politik der Neuen Mitte verträgt sich nicht mit der Wiederherstellung der gewerkschaftlichen Streikfähigkeit. Das Schröder-Blair-Papier läßt keinen Platz mehr für Verteilungskämpfe und wen das leiseste Hüsteln auf der Unternehmer Seite zum heftigen Rückwärtsrudern bewegt, der bringt wahrlich nicht die besten Voraussetzungen mit, um den Herren Hundt und Henkel ein verbessertes Streikrecht zuzumuten.

(Es gilt das gesprochene Wort)