Die Aldous Huxley Revival Serie Brave new world (3)

REMEMBER SEATTLE

Einen Monat ist es nun fast schon her - aber auch in einem Jahr wird es nicht vergessen sein: Die massenhaften Proteste gegen die WTO Tagung in Seattle.

Zunächst war noch manch hochbezahlter Medienmensch auf hohem Roß daher geritten: Was das denn für eine Versammlung sei, die hätten ja alle verschiedene Anliegen.

Ja, da waren die Arbeitslosen - diejenigen, die eben Menschen sind. Also: Nehme nicht jeden Job an. Und die Wohnungslosen - diejenigen, die noch Stolz haben: Beißen auch die Christenhand, die sie füttert. Und die Staatenlosen - die eben nicht zuerst Amis sind, sondern Menschen: Keine humanitäre Intervention in Kolumbien. Und die Parteilosen: GewerkschafterInnen - die Ihre Wünsche keinem sozialdemokratischen Mainstreamler anvertrauen, sondern: Unser Bestes behalten wir selbst. Und noch viele Andere, die wesentliches vermissen in dieser neuen hightech-Konsumwelt.

Daran ist die WTO Tagung geplatzt. Daran, daß Clinton vor diesem gewaltigen Druck seine soziale Ader - vorübergehend, keine Aufregung - entdecken mußte. Daran, daß die Medien - ihre Arroganz in der Regel nur von ihrer Sensationsgeilheit übertroffen - plötzlich jeden Bericht mit Protest und Kritik anfingen. Weil da ständig was los war - trotz Polizeistaat, Notstand und aller Brutalität, die manche humanitäre Intervention gerechtfertigt hätte.

Die Arbeitslosen, Wohnungslosen, Staatenlosen - alle gegen die Schamlosen. Die internationalen Raffkes und vornedran die strammteutschen Arbeitsplatzschaffer. Schön zu sehen, wie schnell die die Fassung verlieren, wenn es nicht nach ihrem Taktstock geht.

Seattle hat es gezeigt: Mensch muß nicht Arschkriecher werden. Muß nicht sabbernd und jammernd nach einem Investor schreien, der zur Rettung mit der Peitsche kommen soll. Mensch muß nicht seine Bildungsbürger-, Nike- oder Lacoste - Individualität ausleben, um ansonsten umso mehr fatalistisch auf dem Bauch zu kriechen.

Seattle hat es auch gezeigt: Diejenigen, die immer über die Amis schimpfen, sollen erst mal von sich selbst reden. Mag sein, daß die nicht wissen, wo Deutschland liegt. Aber: Warum sollten sie? Was ist interessantes an einem armseligen Land, das als Alternative zu den Henkels, Siemens, Thyssen und Co gerade mal einen Schröder oder Fischer kennt?

Und die Burger King Fensterscheiben? Werden eh draufgeburgert, merkt keine/r, essen alles.

Und Seattle hat es gezeigt: Gewerkschaften, die lediglich nicht allzu dumpfbackig sind - à la "Panzer für die Türkei sichern unsere Arbeitsplätze" - können zu einem Kristallisationspunkt für emanzipatorische Bewegungen werden.
Nein - nicht dieser DGB. Die haben noch ihre Gebetsmühle betätigt: "Sozialklauseln! Sozialklauseln!", als alle anderen längst die WTO in Frage stellten. Es wäre so peinlich, wenn es nicht so normal wäre.

Und es ist ja auch nicht nur so, daß - von Schulte bis zum Ortskartellvorsitzenden - auch noch die teuersten Maßanzüge an ihnen aussehen wie von C&A: Sie denken auch so. Auf der EXPO 2000 werden sie dementsprechend auch nicht protestieren, sondern: auf dem Karneval des Kapitalismus die Narren machen. Remember Seattle - forget dingens da.

Helmut Weiss