"Armut trotz Arbeit

in Mannheim"

Arbeitsgruppe "Arbeit" August 1999

Herausgeber:

Sozialpolitische Offensive Mannheim

Arbeitsgruppe „Arbeit"

Mitarbeiter/innen der Arbeitsgruppe, die die Mannheimer Erhebung durchgeführt und ausgewertet haben und presserechtlich für diese Broschüre verantwortlich sind:

Dr. Renate Breithecker-Amend Biotopia e.V. (Leitung der Arbeitsgruppe)

Horst Hembera Paritätischer Wohlfahrtsverband

Peter Hübinger Diakonisches Werk Mannheim

Andreas Ullrich Arbeitsloseninitiative Mannheim

Dr. Rudolf Walter Caritasverband Mannheim

Diese Broschüre kann unter Angabe des Herausgebers „Sozialpolitische Offensive Mannheim" kopiert werden.

VORWORT

Armut trotz Arbeit – dies scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Auch in Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die vollzeit erwerbstätig sind und dennoch an oder unter der Armutsgrenze leben. Lange Zeit wurde diese Entwicklung nicht wahrgenommen, man ging selbstredend davon aus, daß Arbeit den Lebensunterhalt – auch den der Familie – gewährleistet. „Working Poor" galt als amerikanisches Phänomen, das in Deutschland allenfalls eine kleine Randgruppe betraf. Doch mit der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit gibt es auch hier eine wachsende Zahl von Arbeitsverhältnissen, die Erwerbstätigen und ihre Familien kein ausreichendes Einkommen sichern.

Die Arbeitsgruppe „Arbeit" beschäftigt sich seit Mitte 1998 mit dem Thema „Armut trotz Arbeit". Entsprechend dem Grundsatz der Sozialpolitischen Offensive Mannheim, auf soziale Probleme in der Stadt aufmerksam zu machen, stand dabei die Situation in Mannheim im Mittelpunkt: Die finanzielle und gesellschaftliche Lage „armer Erwerbstätiger" und ihrer Familien, aber auch die Folgen zunehmender Einkommensarmut, z.B. für die kommunalen Sozialausgaben. Um Genaueres über die Situation dieser Gruppe in Mannheim zu erfahren, hat die Arbeitsgruppe eine Erhebung unter Betroffenen durchgeführt. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen von Einkommensarmut auf den Alltag der Betroffenen, ihre gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten bzw. ihre Ausgrenzung aus vielen Lebensbereichen. Diese Erhebung ersetzt keinesfalls eine systematische Armutsberichterstattung, ihre Ergebnisse machen aber deutlich, daß es auch in Mannheim zahlreiche Menschen gibt, die arbeiten, deren Monatslohn aber nicht oder kaum ausreicht, um davon menschenwürdig zu leben.

Die Ergebnisse dieser Erhebung wurden auf der Fachtagung „Wieviel Armut wollen wir uns leisten?", die die Sozialpolitische Offensive Mannheim anläßlich ihres 5-jährigen Bestehens im Mai 1999 durchführte, vorgestellt. Außerdem referierte Wolfgang Strengmann-Kuhn über seine repräsentative Untersuchung zum Thema „Erwerbstätigkeit und Einkommensarmut".

Mit dieser Broschüre legen wir die leicht überarbeitete Fassung der Mannheimer Erhebung ergänzt durch einen Beitrag von Wolfgang Strengmann-Kuhn und eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse von Rainer Roth. Wir möchten damit die Diskussion zum Thema „Armut trotz Arbeit" weiter vorantreiben, auf die Folgen eines Niedriglohnsektors hinweisen und zu einer Verbesserung der Situation armer Haushalte beitragen.

Mannheim, im August 1999

Arbeitsgruppe „Arbeit" der Sozialpolitischen Offensive Mannheim

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Inhalt

Vorwort

A. Zusammenfassung

B. Sozialpolitische Forderungen

C. „Armut trotz Arbeit" in Mannheim

Ergebnisse der Erhebung der Sozialpolitischen Offensive Mannheim

1. Einleitung

2. Was heißt „Armut"?

3. Zielsetzung der Erhebung der AG Arbeit

4. Rücklauf

5. Armut trotz Arbeit – Ergebnisse der Erhebung in Mannheim

5.1. Einkommenssituation

5.2. Einkommensarten und Zusammensetzung des Haushaltsnettoeinkommens

5.3. Ursachen der Einkommensarmut

6. Folgen von Einkommensarmut

6.1. Materielle Folgen: Einschränkung hinsichtlich der Versorgung mit Konsumgütern

6.2. Einschränkungen in der persönlichen Lebensgestaltung

7. Fazit: Armut grenzt aus

Anhang:

1. Erläuterungen zur Mannheimer Untersuchung der AG Arbeit

2. Wichtige Quellen und Literaturhinweise

D. Erwerbstätigkeit und Einkommensarmut: Armut trotz Erwerbstätigkeit?

von Wolfgang Strengmann-Kuhn, Goethe Universität Frankfurt/Main

1. Einleitung

2. Datengrundlage und Messung von Armut

3. Erwerbsbeteiligung der Armutspopulation

4. Gründe für die Armut von Erwerbstätigen

5. Sozialpolitische Konsequenzen

6. Zusammenfassung

Literatur; Tabellen

E. Über den Lohn am Ende des Monats. Ergebnisse einer Befragung von 211 Haushalten von ArbeiterInnen und Angestellten

Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung von Rainer Roth.

1. Einleitung

2. Die wichtigsten Egebnisse

3. Zum 50 %-Begriff als Armutsgrenze.

Teil A: Zusammenfassung

Die AG Arbeit der Sozialpolitischen Offensive Mannheim führte im Winter 1998/99 eine Erhebung zur Einkommens- und Lebenssituation „armer Erwerbstätiger" und ihrer Familien durch. Die zentralen Ergebnisse dieser Erhebung sind:

- von den 96 an der Erhebung beteiligten Haushalte leben 52 unterhalb des vergleichbaren Sozialhilfeniveaus, weitere 15 an oder knapp über dieser Armutsgrenze;

- besonders betroffen von „Armut trotz Arbeit" sind Alleinerziehende sowie Paare mit Kindern;

- wesentliche Ursache dafür ist neben dem relativ geringen Erwerbseinkommen, daß in „armen" Familien häufig nur eine Person vollzeiterwerbstätig ist; aber auch wenn beide Eltern arbeiten, reicht das Einkommen häufig nicht aus, um ein Abgleiten in Armut zu verhindern;

- nur wenige der beteiligten Haushalte erhalten Wohngeld oder ergänzende Sozialhilfe, obwohl die Mehrheit der armen Haushalte nach unseren Berechnungen Anspruch auf diese Leistungen hätte;

- die Konsummöglichkeiten armer Haushalte sind erwartungsgemäß stark eingeschränkt, größere Anschaffungen sind meist nur über Kredite oder Ratenzahlungen zu realisieren;

- Einkommensarmut ist mit starken Einschränkungen der Kontaktmöglichkeiten verbunden und beeinflußt die Freizeitgestaltung nachhaltig.

Armut – so das Fazit – grenzt aus: Sie schränkt die Möglichkeiten der Lebensgestaltung ein und vermindert die Partizipationsmöglichkeiten „armer Erwerbstätiger" und ihrer Familien.

Wolfgang Strengmann-Kuhn kommt aufgrund seiner Untersuchungen zu folgendem Ergebnis:

In Deutschland ist das Ausmaß von Armut trotz Erwerbstätigkeit ähnlich hoch wie in anderen westlichen Industrieländern. Die Ursachen liegen aber weniger in geringen Löhnen begründet als vielmehr in der geringen Erwerbsbeteiligung von Frauen in Paarhaushalten, insbesondere, aber nicht nur, wenn Kinder vorhanden sind. Das Einkommen des Mannes reicht dann alleine häufig nicht aus. Als Lösungsansätze sind daher in erster Linie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und/oder ein verbesserter Familienlastenausgleich zu nennen. Die armutsverhindernde Wirkung von Mindestlöhnen oder Niedriglohnsubventionen ist dagegen fraglich und müßte ebenso wie andere sozialpolitische Maßnahmen, z.B. eine eigenständige Grundsicherung für Erwerbstätige, noch näher analysiert werden.

Beide Untersuchungen wurden im Rahmen der Fachtagung „Wieviel Armut wollen wir uns leisten?" vorgestellt und diskutiert. Als Ergebnis formulierte die Arbeitsgruppe verschiedene sozialpolitische Forderungen.

Teil B: Sozialpolitische Forderungen

Aufgrund der Ergebnisse der Mannheimer Erhebung sowie der Diskussion im Rahmen der Fachtagung hat die Sozialpolitische Offensive Mannheim folgende sozialpolitischen Forderungen formuliert, die einerseits die kommunalpolitische Ebene betreffen, z.T. aber nur auf bundespolitischer Ebene durchsetzbar sind:

1. Sozialpaßregelung in Mannheim

Da es in Mannheim eine relevante Zahl Erwerbstätiger gibt, deren Einkommen an der Grenze oder unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegt, sollte der Sozialplaß in Richtung einer einkommensbezogenen Regelung geändert werden, so daß er auch für „arme Erwerbstätige" und ihre Familien zugänglich ist.

2. Beratungsangebot für „arme Erwerbstätige"

Ein Großteil der „armen Erwerbstätigen" realisiert den Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe, Wohngeld und andere Unterstützungsleistungen nicht. Daher halten wir die Einrichtung einer Beratungsstelle für Erwerbstätige im unteren Einkommensbereich für geboten, die Betroffene über entsprechende Leistungen informiert und sie bei der Beantragung unterstützt. Damit soll auch ein Beitrag zur Bekämpfung der hohen Dunkelziffer im Bereich erwerbstätiger Armer geleistet werden.

3. Beratungs- und Hilfeführer

Der von der AG Grundsicherung der Sozialpolitischen Offensive Mannheim geplante Beratungs- und Hilfeführer sollte möglichst schnell fertiggestellt werden, damit alle Ratsuchenden einen Überblick über die Stellen erhalten, die in Mannheim allgemeine Sozialberatung anbieten.

4. Armutsberichterstattung

In Deutschland fehlt nach wie vor eine systematische und kontinuierliche Armutsberichterstattung. Die Sozialpolitische Offensive Mannheim fordert die Einführung einer Armutsberichterstattung unter Einbeziehung der „working poor" auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, um fundierte Informationen über das Ausmaß von Armut in Deutschland zu erhalten.

5. Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen

Da Familien zunehmend nicht mehr von einem Erwerbseinkommen leben können, sollte die Erwerbsbeteiligung von Frauen stärker gefördert werden. Dies setzt einerseits eine offensive Arbeitsmarktpolitik, andererseits den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten (Anzahl der Plätze vor allem im Krippen- und Hortbereich, erweiterte und benutzerfreundliche Öffnungszeiten) voraus.

6. Familienlastenausgleich

Von „Armut trotz Arbeit" betroffen sind in besonderem Maße Familien mit Kindern unter 16 Jahren. Daher kommt der finanziellen Entlastung bzw. der Erhöhung staatlicher Transferleistungen für Familien (Kindergeld, Erziehungsgeld, steuerliche Freibeträge) besondere Bedeutung zu.

7. Abgesenkte Eingangstarife

Die in einigen Tarifverträgen, aber auch im SGB III festgelegten abgesenkten Eingangstarife für zuvor arbeitslose Menschen führen insbesondere in den unteren Lohngruppen zu einer Einkommenssituation, die sie – und ihre Familien – an die Grenze zur oder in die Armut führt. Wir fordern daher eine nachhaltige öffentliche Beschäftigungspolitik, die ausreichend Mittel zur Verfügung stellt, um Arbeitslose zu tariflichen Bedingungen wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

8. Niedriglohnsektor

Einen Niedriglohnsektor nach dem amerikanischen Muster der „working poor" ("arbeitende Arme") - der teilweise auch in der Bundesrepublik bereits besteht - lehnen wir ab, weil er die Verarmung breiter Bevölkerungskreise fördert und zu einer wachsenden sozialen Ausgrenzung führt, die unabsehbare Folgen für die soziale und politische Stabilität in Deutschland hat. Ein Vollzeitarbeitsplatz sollte existenzsichernd sein und niemanden an den Rand oder unter die Armutsgrenze drücken.

Teil C: „Armut trotz Arbeit" in Mannheim

Ergebnisse der Erhebung der Sozialpolitischen Offensive Mannheim

1. Einleitung

Vollzeit arbeiten und trotzdem arm sein, das ist Realität für eine wachsende Zahl von Menschen in Deutschland. Und es ist ein Thema, das lange Zeit in der Armutsforschung wie auch in der Politik nicht wahrgenommen, sondern verdrängt wurde. Erst seit kurzem gibt es Daten zum Umfang dieser Gruppe. Hier sind insbesondere die Untersuchungen von Walter Hanesch, Rainer Roth und Wolfgang Strengmann-Kuhn zu nennen.

Warum diese verzögerte und zögerliche Wahrnehmung? Für die Tabuisierung von Armut gibt es zwei wesentliche Ursachen: Zum einen gelten Arme als kleine gesellschaftliche Randgruppe, Armut ist ein individuelles Problem, das im übrigen mit der Gewährung von Sozialhilfe für viele als bekämpft gilt – denn wer laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, gilt nicht mehr als arm. Zum anderen ist Einkommensungleichheit in einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft zwar gesellschaftlich akzeptiert und legitim, Armut aber gilt als illegitim: Sie verstößt gegen das Grundgesetz, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Armut aber erlaubt es nicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Betrifft nun Armut einen relevanten Teil der Bevölkerung und insbesondere Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, dann sind damit Grundwerte der Gesellschaft in Frage gestellt.

Mit der deutschen Wiedervereinigung und der seit Beginn der 90er Jahren bestehenden Massenarbeitslosigkeit – nicht nur, aber vor allem in den neuen Bundesländern - hat Armut eine Größenordnung erreicht, die nicht mehr übersehen werden kann. Arbeitslosigkeit ist die wesentliche Ursache für die zunehmende Armut in Deutschland: Sie führt bei den direkt Betroffenen zu einem drastisch verminderten Einkommen; sie hat darüber hinaus zur Folge, daß Arbeitsplatzangebote auch bei vergleichsweise geringer Entlohnung angenommen werden und dadurch Haushalte trotz Vollzeit-Erwerbstätigkeit an oder unter der Grenze zur Armut leben.

2. Was heißt „Armut"?

Die Verwendung des Begriffs Armut in einem der reichsten Länder der Erde löst die unterschiedlichsten Reaktionen aus. Wir möchten deshalb vorausschicken, daß es eine definitive Armutsgrenze weder in der Bundesrepublik noch in anderen Staaten gibt. Es existieren lediglich Annäherungswerte und Konventionen, die sich in der Wissenschaft, in der Politik und bei Betroffenen herausgebildet haben. Bei der Armutsbegrifflichkeit sind stets auch politisch-normative, ethische oder ideologische Aspekte zu berücksichtigen.

Wir betonen selbstredend, daß es nicht um absolute Armut gehen kann. Hungertote, von denen wir fast regelmäßig in Krisengebieten wie der Sahelzone Kenntnis nehmen müssen, gibt es in der Bundesrepublik nicht. Ein solcher absoluter Armutsbegriff, der nur auf das rein physische Überleben abzielt, wird deshalb in der Armutsforschung auch nicht verwendet.

Wir sprechen daher von relativer Armut, die immer nur im Verhältnis zum gesellschaftlichen Reichtum in einem Land gesehen werden kann. Menschen, die in relativer Armut leben, verfügen über relativ wenig materielles Einkommen, sind im Verhältnis zum Durchschnitt der Bevölkerung in vielerlei Hinsicht benachteiligt und können nur marginal am sozialen und kulturellen Leben teilhaben. Oft treten aufgrund mangelnder Versorgung neben einem geringen verfügbaren (Netto-) Einkommen gesundheitliche und Wohnprobleme hinzu. Kinder, die in relativer Armut aufwachsen, haben oft schlechtere Entwicklungschancen und schlechtere berufliche Perspektiven als ihre AltersgenossInnen.

In der Bundesrepublik gilt die Sozialhilfe als das letzte Auffangnetz für Personen oder Haushalte, die aus den vorgelagerten Sicherungsystemen herausgefallen sind. Sozialhilfe betrifft - entgegen dem ursprünglich gedachten Zweck - mittlerweile nicht mehr nur eine verschwindend geringe Minderheit von Menschen, sondern ist zum Massenphänomen geworden, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes unzweideutig belegen. Erst in jüngster Zeit haben verschiedene Untersuchungen (hier sind hauptsächlich Rainer Roth, Wolfgang Strengmann-Kuhn und Wolfgang Hanesch zu nennen, vgl. das Literaturverzeichnis) sich einem besonderen Aspekt von Armut zugewendet: Armut trotz (Vollzeit-) Erwerbsarbeit. Gemeint ist damit, daß es auch in der Bundesrepublik einen unteren Erwerbsbereich, den sog. Niedriglohnsektor, gibt, der vor Armut nicht mehr schützt.

Bei der Interpretation von Zahlen und bei der Messung von Armut beginnen allerdings die interpretatorischen Probleme, die wir hier nur kurz skizzieren können. Während die ehemalige Bundesfamilienministerin und andere die Auffassung vertreten, daß es in Deutschland keine Armut gibt, weil der Bezug von Sozialhilfe vor Armut schützt (Sozialhilfe = "bekämpfte Armut"), mehren sich die Stimmen von Kritikern und Wohlfahrtsverbänden, die darauf hinweisen, daß aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und anderer sozialer Ausgrenzungsprozesse sowie Kürzungen bei den Regelsätzen und im Bereich einmaliger Leistungen in der Sozialhilfe die relative Armut in der Bundesrepublik zugenommen habe. Indiz hierfür sind auch die zahlreichen Armutsberichte, die seit Beginn der 90er Jahre erstellt wurden (vgl. dazu das Literaturverzeichnis). Mittlerweile wird auch im Spektrum der politischen Parteien die Forderung nach einer regelmäßigen und systematischen Armutsberichterstattung immer lauter, manche fordern zusätzlich auch eine Reichtumsberichterstattung.

Bei der Bestimmung von Armut haben sich verschiedene methodische Herangehensweisen entwickelt. Wir können hier nur auf die zwei gebräuchlichsten eingehen, den Ressourcenansatz und den Lebenslagenansatz, sowie die jeweilige Kritik an diesen Ansätzen.

Beim mehrdimensionalen Lebenslagenansatz werden sowohl materielle wie soziokulturelle und psychische Phänomene verknüpft. Bestimmte Versorgungskategorien wie Einkommen, Wohnen, Bildung, Gesundheit oder Partizipationschancen werden operationalisiert (z.B. Unterschreiten einer bestimmten Wohnungsgröße). Liegen mehrere dieser ausgewählten Lebensbereiche unter einem bestimmten Level, so wird von Unterversorgung oder Armut gesprochen (so im gemeinsamen Armutsbericht von DGB und Paritätischem Wohlfahrtsverband nach der deutschen Wiedervereinigung, vgl. Literaturverzeichnis).

Beim Ressourcenansatz wird davon ausgegangen, daß die Ausstattung mit finanziellen Mitteln den Kern der Lebenslagen bildet. Einkommensarmut wird als bestimmender Faktor für die anderen Lebensbereiche betrachtet. Versucht wird, die Lebenssituation armer Personen und Haushalte ins Verhältnis zum gesellschaftlich durchschnittlichen Lebensstandard zu setzen und danach bestimmte Armutsquoten zu ermitteln.

Diesem Ansatz folgend, hat sich in der Wissenschaft vor allem der EU-Armutsbegriff durchgesetzt. Danach gilt eine Person als einkommensarm, wenn ihr weniger als 50 vH des durchschnittlichen bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommens (= Haushaltsäquivalenzeinkommen) zur Verfügung stehen. Das individuelle Haushaltsäquivalenzeinkommen ergibt sich dadurch, daß das jeweilige Haushaltsnettoeinkommen nicht durch die Zahl der Personen im Haushalt (das wäre das Pro-Kopf-Einkommen), sondern durch die Summe der Personengewichte dividiert wird. Die Personengewichte entsprechen den Regelsatzproportionen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (Haushaltsvorstand = 1,0 / weitere Person über 18 = 0,8 / 15-18 Jahre = 0,9 / 8-14 Jahre = 0,65 / bis 7 Jahre = 0,5 / bei Einelternhaushalt bis 7 Jahre = 0,55; vgl. Bäcker/Hanesch, Landessozialbericht, S. 202f.).

Eine weitere Armutsgrenze zur Bestimmung des Äquivalenzeinkommens wäre die alte OECD-Skala, die dem Haushaltsvorstand ein Gewicht von 1, allen Kindern unter 15 Jahren ein Gewicht von 0,5 und allen weiteren Personen ein Gewicht von 0,7 zuordnet (vgl. Strengmann-Kuhn, Statistische Instrumente, S. 9f.).

Kritik an der Verwendung der 50%-EU-Armutsgrenze wird von zwei Seiten geübt. Konservative und Liberale monieren, daß mit dem EU-Armutsbegriff Armut nicht gemessen werden könne, weil damit z. B. bei einem Vergleich der Armutsquoten von Ländern mit höchst unterschiedlichen Versorgungsstrukturen keine qualitativen Aussagen über das tatsächliche Lebensniveau getroffen werden könnten. Es seien höchstens Aussagen zur Verteilungs(un)gerechtigkeit innerhalb eines bestimmten Landes möglich.

Auf der anderen Seite kritisiert Rainer Roth, der die erste, allerdings nicht repräsentative Armutsuntersuchung zu „Armut trotz Arbeit" durchführte und den Vorstellungen der Sozialhilfeinitiativen am weitesten entspricht, die 50%-EU-Armutsgrenze: Sie sei willkürlich festgelegt und führe zu einem Niveau noch unter dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialhilfebedarf (vgl. AG TuWas, Leitfaden, S. 183 f.). Er vertritt einen eher bedürfnisorientierten Ansatz und plädiert dafür, das Sozialhilfeniveau als steuerfreies Existenzminimum und auch als zu kritisierenden Maßstab für die Armutsdiskussion zu verwenden (Roth, Armut trotz Arbeit, S. 194ff.). Man müsse empirische Befragungen bei den von Sozialhilfe Betroffenen durchführen und deren Wünsche berücksichtigen, um einer Armutsgrenze näherzukommen, die ein menschenwürdiges Leben garantiere.

3. Zielsetzung der Erhebung der AG Arbeit

Vor diesem Hintergrund hat die Arbeitsgruppe Arbeit eine Erhebung zur Situation „armer Erwerbstätiger" in Mannheim durchgeführt. Denn gerade in Mannheim, das durch die landesweit höchste Arbeitslosenquote und eine hohe Sozialhilfedichte gekennzeichnet ist, steht zu vermuten, daß es es immer mehr Menschen gibt, die nicht mehr genug verdienen, um davon die laufenden Ausgaben für Lebensmittel, Wohnung, Versicherungen und Kleidung zu bezahlen. Von größeren Anschaffungen und Urlaub ganz zu schweigen.

Daß es in Mannheim „arme Erwerbstätige" gibt, zeigt bereits ein Blick in die Sozialhilfestatistik: In 7 % der Haushalte, die ergänzende Sozialhilfe erhalten, ist (mindestens) eine Person erwerbstätig. Dies liegt unter dem bundesdeutschen Durchschnitt, den Strengmann-Kuhn errechnet: Danach machen Haushalte mit Erwerbspersonen 10 % und damit zwar einen geringen Anteil der SozialhilfebezieherInnen aus. Unter Erwerbstätigen ist aber die verdeckte Armut am höchsten, d.h. der Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe wird nur selten realisiert. Den unterdruchschnittlichen Anteil „arbeitender SozialhilfeempfängerInnen" in Mannheim führen wir auf die insgesamt hohe Sozialhilfedichte sowie die überdurchschnittliche Arbeitslosenquote – die Hauptursache für Armut und Sozialhilfebezug – in Mannheim zurück.

Ziel unserer Erhebung war nicht, repräsentative Daten über die Situation und den Anteil armer Erwerbstätiger in Mannheim zu erhalten. Dies ist nicht leistbar und auch nicht Aufgabe der Sozialpolitschen Offensive, sondern einer – in Deutschland nach wie vor fehlenden – systematischen und kontinuierlichen Armutsberichtserstattung. Vielmehr möchten wir aufzeigen, daß es auch in Mannheim zahlreiche Menschen gibt, die arbeiten, deren Monatslohn aber nicht oder kaum ausreicht, um davon menschenwürdig zu leben. Im Mittelpunkt unserer Erhebung stehen die Folgen von Einkommensarmut auf den Alltag der Betroffenen – ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bzw. ihre Ausgrenzung aus vielen Lebensbereichen. Daher enthielt der Fragebogen neben Angaben zum Haushaltsnettoeinkommen und den durchschnittlichen Ausgaben vor allem Fragen zu den Kontaktmöglichkeiten und der Freizeitgestaltung. Insofern verbindet diese Erhebung Elemente des Ressourcen- und des Lebenslagenansatzes.

4. Rücklauf und Auswertungsmethode

Insgesamt wurden 101 Fragebögen an uns zurückgeschickt, davon waren drei unvollständig ausgefüllt, in zwei Fällen waren Rente bzw. Arbeitslosengeld die Haupteinkommensquelle. Diese Fragebögen wurden nicht berücksichtigt, so daß 96 Haushalte zur Auswertung kamen. Die Auswertung erfolgt für die Gesamtgruppe, aber auch nach Haushaltstypen. Allerdings dominieren bei den Antwortenden alleinlebende Männer und Frauen, Haushalte mit Kindern sind unterrepräsentiert bzw. bilden nur kleine Gruppen. Da Aussagen nach Haushaltstypen – insbesondere zu Familien mit mehr als 2 Kindern und zu Alleinerziehenden – nur schwer zu treffen sind, wurden für die Auswertung „armer Haushalte" drei Gruppen gebildet: Alleinstehende, Paare ohne Kinder und Haushalte mit Kindern.

Zunächst wurde für jeden Haushalt das Haushaltsnettoeinkommen berechnet. In die Berechnung flossen allen Einkommensarten (Erwerbseinkommen, Kindergeld, Wohngeld, ergänzende Sozialhilfe, Unterhaltsgeld etc.) ein. Voraussetzung war, daß mindestens ein Haushaltsmitglied vollzeit erwerbstätig ist bzw. das Einkommen aus Erwerbstätigkeit die Haupteinnahmequelle darstellt.

In einem zweiten Schritt wurde innerhalb der Gesamtgruppe nach armen und nicht-armen Haushalten differenziert. Als Armutskriterien haben wir zwei Bezugsgrenzen angewendet (vgl. dazu auch den Anhang):

a. der Sozialhilfebedarf, d.h. wir haben je nach Haushaltstyp berechnet, wieviel Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt dem Haushalt zustehen würde; dabei wurden neben dem Grundbetrag einmalige Leistungen (20 %) sowie ein Mehrbedarfszuschlag für die arbeitenden Haushaltsmitglieder (270 DM) berücksichtigt; vom Haushaltsnettoeinkommen wurde die Miete abgezogen, die im Falle von HLU-Bezug vom Sozialamt übernommen wird;

b. Berechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen.

Auf dieser Grundlage liegen 52 Haushalte unterhalb der Armutsgrenze, weitere 15 an oder knapp über der Grenze (max. 20 %), 29 an der Untersuchung beteiligte Haushalte sind nach keinem der beiden Kriterien als arm einzustufen. Die Überschneidung zwischen beiden Kriterien beträgt bei den „armen" Haushalten 60 %. In der Gesamtgruppe ergibt sich folgende Verteilung nach Haushaltstypen:

Tabelle 1: Anzahl armer und nicht-armer Haushalte nach Haushaltstypen

 

Unterhalb der Armutsgrenze

An der Armutsgrenze oder knapp darüber

nicht arm

Gesamt

Alleinlebende Frauen

6

2

8

16

Alleinlebende Männer

16

8

13

37

Paare ohne Kind

7

1

5

13

Alleinerziehende

5

   

5

Paare mit 1 Kind

5

3

 

8

Paare mit 2 Kindern

9

1

3

13

Paare mit 3-4 Kindern

4

   

4

Gesamt

52

15

29

96

Die Festlegung einer Armutsgrenze und die genaue Berechnung nach Haushaltstypen gestaltet sich schwierig und ist, wie oben ausgeführt wurde, in der Armutsforschung wie auch in der Politik heftig umstritten. Da wir mit unserer Erhebung keinen statistisch abgesicherten Armutsbericht vorlegen wollen, sondern auf die Folgen von Einkommensarmut für die Lebenssituation und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hinweisen möchten, ist das von uns gewählte Vorgehen vertretbar.

An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, daß unsere Erhebung nicht repräsentativ ist: So haben sich an der Erhebung überproportional viele Beschäftigte in geförderten Arbeitsverhältnissen beteiligt. Sie sind aufgrund der abgesenkten Eingangstarife bzw. der 80 %-Regelung für ABM besonders von Niedriglöhnen betroffen. In den uns bekannten Untersuchungen zu armen Erwerbstätigen tauchen sie nicht als spezielle Gruppe auf, insofern wird hier auch eine Informationslücke geschlossen. Beteiligt haben sich Beschäftigte aller großen Träger in Mannheim (AWO, BIOTOPIA, Diakonie, IB etc.). Zudem waren alle Angaben freiwillig und enthalten möglicherweise Ungenauigkeiten bei den Angaben zum Einkommen und den Fixkosten, die von unserer Seite nicht nachgeprüft werden konnten.

5. Armut trotz Arbeit – Ergebnisse der Erhebung in Mannheim

5.1. Einkommenssituation

Auch wenn die Einkommenssituation nicht im Mittelpunkt steht, möchten wir doch einen Überblick über die finanzielle Situation der beteiligten Haushalte geben. Für die Gesamtgruppe zeigt sich folgendes Bild: Das höchste Pro-Kopf-Einkommen hat die Gruppe der alleinlebenden Frauen, gefolgt von den alleinlebenden Männern. Dies ist etwas überraschend, da Männer i.d.R. mehr verdienen als Frauen. Der Hauptgrund dafür liegt in einer Gruppe von 6 jungen Männern, die ein sehr geringes Einkommen haben (Maßnahmeteilnehmer, Verdienst von ca. 500 DM/Monat) und häufig noch bei den Eltern leben oder von ihnen finanziell unterstützt werden.

Es folgen Paare ohne Kinder, Alleinerziehende und Familien mit Kindern; insgesamt gilt: Mit der Haushaltsgröße sinkt das Pro-Kopf-Einkommen. Allerdings muß bei Ein-Personenhaushalten berücksichtigt werden, daß die Fixkosten - insbesondere Miete und Nebenkosten, aber auch Versicherungen - überproportional hoch sind und alleine getragen werden müssen. Nach Abzug der Fixkosten verbleibt auch in Ein-Personen-Haushalten nur wenig frei verfügbares Geld. Auffällig ist an den Ergebnissen, daß Familien mit 3 und 4 Kindern durchschnittlich über ein geringeres Haushaltsnettoeinkommen verfügen als Familien mit zwei Kindern. Und das verfügbare Einkommen von Paaren ohne Kinder liegt nur knapp unter dem von Paaren mit einem Kind.

Tabelle 2: Haushalte nach durchschnittlichem Einkommen

Haushaltstyp

Anzahl

Durchschnittl. Einkommen

Pro-Kopf-Einkommen

Alleinlebende Frauen

16

1.770 DM

1.770 DM

Alleinlebende Männer

37

1.574 DM

1.574 DM

Paare ohne Kind

13

2.786 DM

1.393 DM

Alleinerziehende

5

2.781 DM

979 DM

Paare mit 1 Kind

8

2.833 DM

944 DM

Paare mit 2 Kindern

13

3.324 DM

831 DM

Paare mit 3 - 4 Kindern

4

3.315 DM

578 DM

Ein Vergleich von armen und nicht-armen Haushalten macht deutlich, daß auch die nicht-armen Haushalte kaum als wohlhabend oder gar „reich" bezeichnet werden können. Vielmehr verfügen sie tendenziell über ein unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen.

Tabelle 3:

Durchschnittl. Haushaltseinkommen armer und nicht-armer Haushalte

 

Arme Haushalte

Nicht-arme Haushalte

Alle Haushalte

Alleinlebende Frauen

1.556 DM

1.974 DM

1.773 DM

Alleinlebende Männer

1.380 DM

1.909 DM

1.574 DM

Paare ohne Kind

2.284 DM

3.588 DM

2.786 DM

Alleinerziehende

2.781 DM

-

2.781 DM

Paare mit 1 Kind

2.833 DM

-

2.833 DM

Paare mit 2 Kindern

3.037 DM

4.407 DM

3.324 DM

Paare mit 3-4 Kindern

3.315 DM

-

3.315 DM

5.2. Einkommensarten und Zusammensetzung des Haushaltsnettoeinkommens

Wie setzt sich das Haushaltseinkommen zusammen? Tabelle 4 macht deutlich, daß insbesondere Haushalte mit Kindern bei nur einem Vollerwerbstätigen unter die Armutsgrenze fallen.

Dies entspricht auch den Ergebnissen von Strengmann-Kuhn: Während die ganz überwiegende Mehrheit der Alleinstehenden auch mit vergleichsweise niedrigem Lohn noch über der Armutsgrenze liegt, steigt das Armutsrisiko trotz Erwerbstätigkeit für Alleinerziehende und vor allem für Familien mit Kindern, wenn nur eine Person erwerbstätig ist. Diese Gruppe macht über die Hälfte der „armen Arbeitenden" aus (vgl. dazu den Beitrag von Strengmann-Kuhn). In unserer – nicht-repräsentativen – Untersuchung dominieren allerdings auch in der Gruppe der Alleinlebenden die armen Haushalte.

Aber auch wenn beide Partner arbeiten – meist in der Kombination Vollzeit/Teilzeit – liegt das Haushaltseinkommen von Familien häufig noch unter der Sozialhilfeschwelle. Und schließlich sind in der Stichprobe 3 Familien, in denen einer oder beide Partner zusätzlich zu ihrer „normalen" Arbeit noch 630-DM-Jobs angenommen haben und die dennoch an oder unter der Grenze zur Einkommensarmut liegen. Kindergeld und auch die von 3 (anderen) Familien in Anspruch genommenen sozialstaatlichen Leistungen (Wohngeld, ergänzende Sozialhilfe) sichern allenfalls ein Leben auf Sozialhilfeniveau.

In den nicht-armen Haushalten überwiegt Vollerwerbstätigkeit beider Partner, in keinem der nicht-armen Familien- oder Paarhaushalte arbeitet nur eine Person, auch alle Alleinstehenden sind vollzeit erwerbstätig, eine Frau hat zusätzlich einen Nebenjob. Zwei der drei nicht-armen Familien erhalten zusätzlich Wohngeld bzw. einen Kindergartenzuschuß.

Zusammenfassend können wir festhalten, daß in den unteren Einkommensschichten ein Erwerbseinkommen – trotz zusätzlicher sozialstaatlicher Leistungen – nicht mehr ausreicht, um Armut zu verhindern. Vielmehr ist die Vollzeit-Erwerbstätigkeit beider Partner eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, damit das Haushaltsnettoeinkommen über dem Sozialhilfeniveau liegt.

Tabelle 4: Einkommensarten nach Haushaltstypen

 

Arme Haushalte

   

Nicht-arme Haushalte

 
 

Allein-stehende

Paare ohne Kind

Haushalte mit Kind(ern)

Allein-stehende

Paare ohne Kind

Haushalte mit Kind(ern)

1 Person Vollzeit

30

2

12

20

   

1 Person Teilzeit

2

         

2 Personen VZ

 

3

3

 

4

2

1 VZ, 1 TZ

 

3

9

1

1

1

1 VZ, 1 TZ,

1 Nebenjob

   

2

     

2 VZ, 2 Nebenjobs

   

1

     

Kindergeld

   

27

   

3

Wohngeld

1

1

3

   

1

Ergänz. Sozialhilfe

   

1

     

Sonstiges

   

3

1

 

2

Gesamt

32

8

27

21

5

3

5.3. Ursachen der Einkommensarmut

Warum sind arme Haushalte trotz Vollerwerbstätigkeit arm? Die einfachste Antwort lautet: Weil sie (zu) wenig verdienen. Dies trifft auf einen Großteil der hier betrachteten Haushalte zu – insgesamt verfügen 39 Haushalte nur über ein sehr niedriges Erwerbseinkommen. Hinzu kommt in 25 Fällen eine überdurchschnittlich hohe Miete, dies führt insbesondere bei Alleinlebenden dazu, daß sie an der Grenze zum Sozialhilfeniveau liegen. Deutlich wird aber auch, daß ein Erwerbseinkommen, das alleinlebende Personen oder Paarhaushalte ohne Kinder oberhalb der Armutsgrenze ansiedeln würde, für Haushalte mit Kindern nicht ausreicht. Sie liegen trotz Kindergeld an der Grenze oder unterhalb des Sozialhilfeniveaus. Besonders groß ist das Armutsrisiko für Alleinerziehende und für Familien mit Kindern, in denen nur eine Person – i.d.R. immer noch der Mann – arbeitet. Diesen „klassischen" Familientyp zu realisieren, birgt damit große Risiken: Es bedeutet nicht nur erhebliche materielle Einschränkungen, sondern hat nachhaltigen Einfluß auf die Chancen der gesellschaftlichen Teilhabe.

6. Folgen von Einkommensarmut

6.1. Materielle Folgen: Einschränkung hinsichtlich der Versorgung mit Konsumgütern

Welche Folgen hat Einkommensarmut für die Ausstattung mit bzw. die Anschaffung von Konsumgütern? Dazu enthielt der Erhebungsbogen zwei Fragen: Zum einen, ob der Haushalt ein Auto besitzt, zum anderen, wie teuer die letzte größere Anschaffung war. Die nachfolgende Tabelle zeigt, daß arme Haushalte im Vergleich zu nicht-armen Haushalten deutlich seltener über einen eigenen PKW verfügen. Dies gilt vor allem für Alleinstehende, während Haushalte mit Kindern mehrheitlich ein Auto besitzen.

Tabelle 5: Anteil der Haushalt, die über ein Auto verfügen

 

Arme Haushalte

Nicht-arme Haushalte

Alleinstehende

21,9%

42,9%

Paare ohne Kind

25,0%

40,0%

Haushalte mit Kindern

51,9%

66,7%

Gesamt

34,3%

44,8%

Hinsichtlich größerer Anschaffungen – i.d.R. Elektrogeräte (10 Nennungen), Möbel (9) oder ein Auto (5) – ist der Unterschied in den durchschnittlichen Kosten zwischen den armen und den nicht-armen Haushalten nicht sehr groß, aber arme Haushalte geben seltener an, überhaupt eine größere Anschaffung getätigt zu haben.

Die Mehrheit der befragten Haushalte finanziert die Anschaffungen über Kredite und Ratenzahlung, wobei arme Haushalte häufiger auf Ratenzahlungen zurückgreifen oder sich Geld leihen; in vier Fällen übernahm das Sozialamt (einen Teil) der Kosten. Zudem können arme Haushalte auch außerplanmäßige Ausgaben in relativ geringer Höhe (unter 1000 DM) häufig nicht direkt zahlen, in 15 Fällen erfolgte eine Ratenzahlung, es wurde Geld von Verwandten geliehen oder das Sozialamt übernahm die Kosten.

Tabelle 6:

Kosten und Finanzierung größerer Anschaffungen

 

Arme Haushalte

Nicht-arme Haushalte

Durchschnittl. Preis der letzten Anschaffung

3.663 DM

4.415 DM

Angaben von

65,8%

79,3%

Finanzierung

   

Bar/direkt

36,4%

39,1%

Kredit

27,3%

17,4%

Raten

29,5%

43,5%

Geld geliehen

18,2%

13,0%

Sozialamt

4,5%

8,7%

Daß eine direkte Finanzierung außerplanmäßiger oder größerer Ausgaben aus dem normalen Budget kaum zu tätigen ist, verweist auf die angespannte finanzielle Situation armer Haushalte. Hier bleibt auch kaum noch Geld zum Sparen. Die Antworten auf die entsprechende Frage ergeben folgendes Bild: Nur in knapp einem Viertel der Haushalte bleibt (etwas) Geld zum Sparen, vor allem Familien mit Kindern schaffen sich ein (kleines) Polster, um größere oder unvorhergesehene Ausgaben finanzieren zu können. Insgesamt besteht aber nur selten die Möglichkeit, Rücklagen zu bilden.

Tabelle 7: Es bleibt noch Geld zum Sparen

 

Arme Haushalte

Nicht-arme Haushalte

Alleinstehende

21,9%

23,8%

Paare ohne Kind

0,0%

40,0%

Haushalte mit Kind(ern)

29,6%

33,3%

Gesamt

22,4%

27,6%

6.2. Einschränkungen in der persönlichen Lebensgestaltung

Armut bedeutet: Einschränkungen in jeder Hinsicht. Wenig Geld zu verdienen hat nicht nur einen materiellen Aspekt, vielmehr wirkt sich Armut auf alle zentralen Lebensbereiche aus: Soziales Umfeld und Wohnraumversorgung, Freizeitgestaltung und soziale Kontakte sind ebenso betroffen wie Bildung und Mobilität, Information und Gesundheit. Armut grenzt aus. Auf einige dieser Aspekte geht die Untersuchung ein.

„Wer arm ist, bleibt (allein) zu Hause" – so könnte man die Ergebnisse zu den Kontaktmöglichkeiten zusammenfassen: Arme Haushalte sehen sich mehrheitlich in ihren Kontaktmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Der Unterschied zwischen armen und nicht-armen Haushalten ist bei Alleinstehenden am geringsten – hier sehen sich auch nicht-arme Haushalte in ihren Kontaktmöglichkeiten mehrheitlich eingeschränkt. Für Familien mit Kindern, vor allem aber für Paare ohne Kinder zeigen sich dagegen deutliche Unterschiede.

Tabelle 8: Kontaktmöglichkeiten

 

Arme Haushalte

   

Nicht-arme Haushalte

 

Kontaktmöglichkeiten eingeschränkt

Ja

Manchmal

Nein

Ja

Manchmal

Nein

Alleinstehende

59,4%

6,3%

31,3%

52,4%

4,8%

42,9%

Paare ohne Kind

75,0%

12,5%

12,5%

20,0%

0,0%

80,0%

Haushalte mit Kind(ern)

59,3%

0,0%

40,7%

33,3%

0,0%

66,7%

Gesamt

61,2%

4,5%

32,8%

44,8%

3,4%

51,7%

Ähnliche Ergebnisse zeigen sich im Hinblick auf die Möglichkeiten bzw. Einschränkungen der Freizeitgestaltung. Arme Haushalte weisen in allen Bereichen z.T. drastische Unterschiede zu nicht-armen Haushalten auf: In’s Kino gehen ist die Aktivität, die sich arme Haushalte noch am ehesten leisten können, andererseits ist hier aber der Unterschied zu den nicht-armen Haushalten am größten. In Urlaub fahren können arme Haushalte kaum, allenfalls machen sie gelegentlich Ausflüge in die nähere Umgebung. Auch die Mitgliedschaft in einem Verein ist zu teuer, und den Besuch von Konzerten oder Sportveranstaltungen können sich nur arme Alleinstehende leisten. Besonders deutlich sind die Einschränkungen im Hinblick auf „Essen gehen" – für arme Haushalte ein kaum zu finanzierender Luxus. Die nachfolgende Tabelle gibt den jeweiligen Anteil der Ja-Antworten wieder, also die Freizeitaktivitäten, die sich der Haushalt leisten kann.

Tabelle 9: Möglichkeiten der Freizeitgestaltung

 

Arme Haushalte

   

Nicht-arme Haushalte

   
 

Allein-stehende

Paare ohne Kinder

Haushalte mit Kind(ern)

Gesamt

Allein-stehende

Paare ohne Kinder

Haushalte mit Kind(ern)

Gesamt

Kino

31,3%

25,0%

18,5%

25,4%

61,9%

100,0%

33,3%

65,5%

Ausflüge

25,0%

0,0%

25,9%

22,4%

42,9%

20,0%

33,3%

37,9%

Urlaub

21,9%

0,0%

0,0%

10,4%

33,3%

20,0%

33,3%

31,0%

Verein

21,9%

0,0%

7,4%

13,4%

19,0%

20,0%

33,3%

20,7%

Konzerte

21,9%

0,0%

0,0%

10,4%

28,6%

0,0%

0,0%

20,7%

Sportveran-staltungen

15,6%

0,0%

3,7%

9,0%

14,3%

0,0%

0,0%

10,3%

Restaurant

18,8%

0,0%

0,0%

9,0%

42,9%

60,0%

33,3%

44,8%

Die festgestellten Einschränkungen in der Freizeitgestaltung treffen Kinder vermutlich am stärksten: In einer konsumorientierten Umwelt, in der die Wertschätzung des einzelnen eng mit seinen materiellen Ressourcen verknüpft ist, können sie nicht mithalten. Sie können nach den Ferien nicht über einen tollen Urlaub berichten, haben die neuesten Kinofilme nicht gesehen und keine Konzerte besucht. Folglich können sie nicht „mitreden" und sehen sich Ausgrenzungsprozessen gegenüber.

Ein weiterer Aspekt unterstreicht dies: Kinder armer Familien sind auch bei schulischen Aktivitäten seltener dabei. Nur 4 von 30 Familien mit Kindern geben an, daß ihre Kinder an allen Schulausflügen und Klassenfahrten teilnehmen können, bei 16 Familien geht dies nur manchmal und von 6 Haushalten wird die Frage mit einem Nein beantwortet.

Tabelle 10:

Nutzung von Kleiderkammern oder Second-Hand-Läden

 

Arme

Haushalte

Nicht-arme Haushalte

Alleinstehende

21,9%

19,0%

Paare ohne Kind

37,5%

0,0%

Haushalte mit Kind(ern)

48,1%

33,3%

Gesamt

34,30%

17,20%

Und schließlich gibt es deutliche Einschränkungen hinsichtlich der Kleidung: Marken-Klamotten können sich Haushalte, deren Einkommen an der Grenze zum oder unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegt, nicht leisten. Stattdessen nutzen viele Familien, aber auch Alleinstehende die Möglichkeiten, sich gebrauchte Kleidung zu kaufen, um so Geld zu sparen. Für Kinder ist dies u.U. mit Diskriminierung in der Schule, z.T. auch schon im Kindergarten verbunden.

7. Fazit: Armut grenzt aus

Armut beeinflußt die Möglichkeiten der indivduellen und familiären Lebensgestaltung, sie führt zu Einschränkungen in den zentralen Lebensbereichen Gesundheit, Wohnen, Bildung, Mobilität, Information und sozialer Schutz. Aber auch die Umweltdimension ist betroffen – wer sehr wenig verdient, kann sich weder teure energiesparende und umweltschonende Haushaltsgeräte und Autos leisten, noch ökologisch sinnvoll ernähren.

Armut und die damit verbundene Tendenz zur sozialen Ausgrenzung können aber auch zu politischer Instabilität führen: Arme und ausgegrenzte Menschen gehen weniger wählen, sie haben weniger Vertrauen in das demokratische System. Setzen sich die Ungleichheitstendenzen der letzten Jahre fort und nimmt Armut weiter zu, dann kann dies zu einer Gefährdung der gesellschaftlichen Legitimationsgrundlagen führen.

Für einige dieser Aspekte konnte dies durch unsere Untersuchung bestätigt werden: Arme Haushalte sind in ihren Konsummöglichkeiten und ihren sozialen Kontakten, in ihrer Mobilität und ihrer Freizeitgestaltung stark eingeschränkt. Und ein weiteres in der Armutsforschung festgestelltes Phänomen trifft auch auf Mannheim zu: Kinder haben sich einerseits zu einer Hauptursache für Armut entwickelt, andererseits leiden sie am stärksten an deren Folgen.

Welche Forderungen lassen sich daraus an die Sozialpolitik ableiten? Im Hinblick auf die besonders von „Armut trotz Arbeit" betroffenen Familien geht es zum einen um eine finanzielle Entlastung bzw. um eine Erhöhung der staatlichen Transferleistungen (Kindergeld Erziehungsgeld, steuerliche Freibeträge). Entsprechende Schritte sind durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Anfang 1999 vorgezeichnet, es bleibt abzuwarten, wie die konkrete Ausgestaltung aussehen wird. Zum anderen ist ein Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen dringend erforderlich, um beiden Eltern die Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit zu eröffnen. Um diese Möglichkeit realisieren zu können, aber auch um der von Armut besonders betroffenen Gruppe der Arbeitslosen die gesellschaftliche Teilhabe und ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, ist der Abbau der Massenarbeitslosigkeit die entscheidende Voraussetzung. Und schließlich geht es darum, arme Haushalte über die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren: Nur 5 der 67 an oder unter der Armutsgrenze liegenden Haushalte erhalten Wohngeld, lediglich eine Familie bezieht ergänzende Sozialhilfe. Dies entspricht der allgemeinen Beobachtung, daß gerade Haushalte mit geringem Erwerbseinkommen ihnen zustehende Hilfen nicht wahrnehmen. Es gilt daher, sie bei der Beantragung entsprechender Leistungen zu unterstützen.

Die Diskussion um das „Lohnabstandsgebot" rollt dieses Problem unserer Auffassung nach von der falschen Seite auf: Es kann nicht darum gehen, die sozialstaatlichen Leistungen (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) weiter abzusenken. Vielmehr muß eine Diskussion darüber geführt werden, wieviel Geld bzw. welche Ressourcen ein Haushalt braucht, um ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft führen zu können.

Anhang 1:

Erläuterungen zur Mannheimer Untersuchung der AG Arbeit

Wie oben ausgeführt, haben wir als ein Armutskriterium den Sozialhilfebedarf der befragten Haushalte zugrunde gelegt. Das genaue Vorgehen möchten wir etwas näher erläutern.

Einmalige Leistungen

Wir haben in unserer Erhebung einmalige Leistungen in Höhe von 20 % angenommen, also ein Sozialhilfeniveau, das die insgesamt möglichen Ansprüche auf einmalige Beihilfen, nicht nur die tatsächlichen Zahlungen enthält. Die übliche Annahme von 15 % an einmaligen Beihilfen resultiert aus einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes (Bechthold u. a. 1993), bei der nur die SozialhilfebezieherInnen aufgenommen wurden, die im ganzen Jahr Sozialhilfe bezogen haben und mindestens eine einmalige Beihilfe beantragt haben. Zudem nehmen viele Sozialämter erst nach einem halben Jahr Sozialhilfebezug Anträge auf einmalige Beihilfen (z.B. Kleiderpauschale) an. Es gibt praktisch kein Sozialamt, das die vom Deutschen Verein empfohlenen Kleiderpauschalen Anfang der 90er Jahre übernommen und der Preissteigerungsrate bis heute angepaßt hat. Eher Kürzungen sind die Regel (vgl. Baden-Württemberg). Der hohen Dunkelziffer und Rainer Roth - der allerdings sogar 25 % einmalige Leistungen veranschlagt - folgend, halten wir 20 % für durchaus gerechtfertigt (vgl. Roth, Armut trotz Arbeit, S. 214 f.). Auch im Landessozialbericht NRW wird auf die Ergebnisse der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes aus 1993 Bezug genommen, wo für Haushaltsvorstände 16 % des Regelsatzes, für erwachsene Haushaltsmitglieder 17 % des Regelsatzes und für Kinder 20 % des Regelsatzes als einmalige Leistungen ermittelt wurden. Auch dort findet sich unter Verweis auf den Zeitverzug und dem Druck kommunaler Einsparungen der Hinweis, daß einmalige Leistungen mittlerweile deutlich restriktiver bewilligt würden (vgl. Bäcker/Hanesch, Landessozialbericht NRW, S. 288).

Berechnung der Regelsätze für Kinder

Bei Kindern liegt uns keine Altersdifferenzierung vor, so daß beispielsweise bei Haushalten mit Kindern entsprechende Mehrbedarfszuschläge nicht berücksichtigt werden konnten. Außerdem mußten Durchschnittsregelsätze für Kinder gebildet werden.

Miete

Unterkunftskosten müssen in der Regel vom Sozialamt getragen werden, so daß wir diese beim Sozialhilfeniveau außer Betracht gelassen haben. Auf der Gegenseite wurden vom Einkommen die angegebenen Mietkosten abgezogen.

Mehrbedarfszuschlag

Als Mehrbedarf für Erwerbstätige wurden 270.-DM, also ca. 50 % des Regelsatzes, angesetzt, was allgemeine Praxis ist.

Auf dieser Grundlage kommen wir auf folgendes Sozialhilfeniveau bei Erwerbstätigen (ohne Kosten der Unterkunft, einmalige Beihilfen 20 % des jeweiligen Regelsatzes sowie Mehrbedarf für Erwerbstätige):

Befragung der AG Armut Zum Vergleich:

Haushaltstyp 1 Person 2 Personen Empfehlung der BAG-SHI

erwerbstätig erwerbstätig von 1998, ab welchem

Nettolohn Sozialhilfe

beantragt werden sollte

(Betrag inkl. Miete)

Alleinstehende: 920 DM 1536.-DM

Alleinerziehende mit 1 Kind: 1342 DM keine Angabe

Paar ohne Kind: 1438 DM 1710 DM 2128.-DM

Paar mit 1 Kind: 1862 DM 2137 DM 2481.-DM

Paar mit 2 Kindern: 2284 DM 2555 DM 2774.-DM

Paar mit 3 Kindern: 2707 DM 2977 DM 2987.-DM.

Paar mit 4 Kindern: 3130 DM 3400 DM keine Angabe

Ab welchem ungefähren Brutto-Einkommen

haben Erwerbstätige Sozialhilfeansprüche?

(aus: Gerhard Bäcker / Wolfgang Hanesch: Landessozialbericht NRW, S. 318 f.)

Bruttosozialhilfeschwelle in Nordrhein-Westfalen

unter Berücksichtigung des Absetzbetrages

1996 in DM/Monat

     

Ehepaare

 

Allein-

Stehende

Ehepaar

ohne Kind

mit 1 Kind1)

mit 2 Kindern1)

mit 3 Kindern1)

mit 4 Kindern1)

Sozialhilfeniveau

1.137

1.803

2.312

2.779

3.254

3.753

Nettosozialhilfeschwelle

(= Sozialhilfeniveau + Absetzbetrag von 264 DM)

1.401

2.067

2.576

3.043

3.518

4.017

= Verfügbares Einkommen

1.401

2.067

2.576

3.043

3.518

4.017

Wohngeld

-

-

133

230

268

342

Kindergeld

-

-

200

400

700

1.050

+ Sozialversicherungsbeiträge

377

526

577

635

682

709

+ Steuern

81

-

21

80

127

156

= Bruttlohn und -gehalt

= Bruttosozialhilfeschwelle

1.860

2.593

2.841

3.128

3.358

3.491

1) Berechnet mit dem Mittelwert bei der Alterszusammensetzung der Kinder.

Bruttosozialhilfeschwelle in Nordrhein-Westfalen

unter Berücksichtigung des Absetzbetrages

1996 in DM/Monat

 

Alleinerziehende

 

mit 1 Kind1

mit 2 Kindern1

Sozialhilfeniveau

1.803

2.315

Nettosozialhilfeschwelle

(= Sozialhilfeniveau + Absetzbetrag von 264 DM)

2.067

2.579

= Verfügbares Einkommen

2.067

2.579

Wohngeld

200

182

Kindergeld

200

400

+ Sozialversicherungsbeiträge

448

509

+ Steuern

-

-

= Bruttolohn und -gehalt

= Bruttosozialhilfeschwelle

2.209

2.506

1) Berechnet mit dem Mittelwert bei der Alterszusammensetzung der Kinder

Arbeiten für 'n Appel ohne Ei?

Hallo Kolleginnen und Kollegen,

wir sind ein Aktionsbündnis aus Sozialhilfebezieherlnnen, Erwerbslosen und engagierten Gewerkschafterlnnen.

Es heißt immer, daß die Löhne zu hoch seien. Wir haben für Sie mal ausgerechnet, ob Sie trotz Arbeit so arm sind, daß Sie Sozialhilfe beantragen könnten.

Haushalt Nettolohn

Alleinstehende 1.536DM

Paar (2 Erwachsene) 2.128 DM

Paar mit einem Kind 2.481 DM

Paar mit zwei Kindern 2.774 DM

Paar mit drei Kindern 2.987 DM

Wenn Ihr Nettolohn geringer ist als oben angegeben, sollten Sie Ihren Anspruch auf Sozialhilfe überprüfen lassen (bei Ihrer Gewerkschaft, einer Soziahilfeberatung oder dem Sozialamt).

Wir sind davon ausgegangen, daß Sie alleine verdienen, außer Ihrem Lohn nur noch Kindergeld als Einkommen haben und eine durchschnittliche Miete zahlen.

Ein Bruttolohn von über 4.000 DM plus Kindergeld reicht einem Facharbeiter im Durchschnitt nicht aus, um eine vierköpfige Familie auf einem Niveau über der Sozialhilfe zu unterhalten. Es sei denn, es gibt noch einen Zweitverdiener oder er kloppt Überstunden oder hat einen Zweitjob. Jede Sonderausgabe haut rein. Höchstens Weihnachts- und Urlaubsgeld können kurzzeitig sanieren.

Sozialhilfe stockt Lohn und Kindergeld auf das heute geltende Existenzminimum auf. Und das ist mehr als bescheiden. Urlaub, Geselligkeit, Video, CD-Player, Telefon, Auto usw. sind für die Sozialhilfe Luxus.

Die Bundesregierung kassiert auf das Sozialhilfe-Existenzminimum auch noch Lohnsteuern. Unternehmerverbände und Bundesregierung wollen die Armutslöhne sogar noch senken und untertarifliche Einstiegslöhne durchsetzen oder wenigstens Nullrunden. Im Krankheitsfall streben sie eine 20%ige Lohnkürzung an. Gleichzeitig wird die Sozialhilfe abgesenkt, die so etwas wie ein individueller Mindestlohn ist. Und es ist inzwischen sogar zumutbar, für Löhne in Höhe der Arbeitslosenunterstützung zu arbeiten, also z.B. für 1.000 DM.

Was sollen wir noch alles verkraften? Wenn wir etwas gegen die schon sprichwörtlichen ,,amerikanischen Verhältnisse" tun wollen, in denen man trotz Arbeit unter der Armutsgrenze lebt, dann müssen wir gemeinsam - Erwerbslose und Erwerbstätige - für Löhne und Sozialleistungen kämpfen, von denen man leben kann.

Gemeinsam gegen Lohnsenkungen und Lohndumping!

Für eine drastische Senkung der Lohnsteuern:

18.000 DM Steuerfreibetrag statt 12.095 DM!.

Für die Erhöhung der Sozialhilfe und der Bezüge Erwerbsloser!

v.i.S.d.P. und Bestelladresse für dieses Flugblatt:

Cora Molloy, BAG-Sozialhifeinitiativen, Moselstr. 25, 60329 Frankfurt.

Anhang 2:

Wichtige Quellen und Literaturhinweise

Teil D:

Erwerbstätigkeit und Einkommensarmut:

Armut trotz Erwerbstätigkeit?

von

Wolfgang Strengmann-Kuhn,

Goethe Universität Frankfurt/Main

Ausarbeitung des

Vortrags auf der Tagung

Polarisierung von Berufs- und Lebenschancen

- Bekommt Deutschland seine "underclass"

Berlin, 30.9. bis 2.10. 1998

(Stand: 22.05.99)

Dieser Beitrag erscheint in:

Büchel, Felix; Diewald, Martin; Krause, Peter; Mertens, Antje; Solga, Heike (Hrsg.): Soziale Ausgrenzung am deutschen Arbeitsmarkt. Opladen: Leske+Budrich

1. Einleitung

Armut wird in der politischen Diskussion in der Regel mit Nichterwerbstätigkeit gleichgesetzt. Auch in der wissenschaftlichen Behandlung von Armut spielte das Problem von Armut trotz Erwerbstätigkeit in Deutschland eine untergeordnete Rolle. Erst in neuerer Zeit gab es einige Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich (Strengmann-Kuhn 1997, Bäcker et al. 1998, Andreß et al. 1999).

Nach der Einleitung und der Beschreibung der verwendeten Datensätze und Verfahren der Armutsmessung geht es zunächst darum, darzustellen, wie groß rein quantitativ die Bedeutung von Erwerbstätigkeit für die Armutspopulation ist. Dazu werden auf der Basis des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) und des Mikrozensus die Erwerbsbeteiligungsquoten und die Anzahl der am Erwerbsleben Beteiligten berechnet, wobei zwischen individueller Erwerbsbeteiligung und Erwerbsbeteiligung im Haushaltskontext unterschieden wird (Abschnitt 3). Ergebnis ist, daß es sich bei den erwerbstätigen Armen weder von ihrem Anteil an den Armen noch von ihrer absoluten Anzahl her um eine Randgruppe handelt. Um dann die Gründe für Armut von Erwerbstätigen zu analysieren (Abschnitt 4) und sozialpolitische Schlußfolgerungen (Abschnitt 5) zu ziehen, macht es Sinn, mehrere Stufen des Einkommensverteilungsprozesses zu untersuchen (vgl. Hauser 1994). Erster Ansatzpunkt ist dabei das individuelle Arbeitseinkommen, zweiter Ansatzpunkt ist das Arbeitseinkommen des Haushalts, dritter Ansatzpunkt sind staatlicher Transfers. Der Beitrag endet mit einer kurzen Zusammenfassung (Abschnitt 6).

2. Datengrundlage und Messung von Armut

Den empirischen Analysen werden zwei Datensätze, das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) und der Mikrozensus, zugrunde gelegt. Der Mikrozensus ist eine jährlich vom Statistischen Bundesamt durchgeführte 1%-Stichprobe der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Teilnahme an der Befragung sind die ausgewählten Personen gesetzlich verpflichtet. Hier wird der Mikrozensus 1995 untersucht, und zwar in der Version, die der Wissenschaft als faktisch anonymisierter public use file, einer 70%-Stichprobe des Original-Mikrozensus, zur Verfügung steht.

Das Sozio-Ökonomische Panel ist eine repräsentative Längsschnittbefragung, die seit 1984 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführt wird. 1984 wurden etwa 6.000 Haushalte befragt. 1990 wurde das SOEP auf die neuen Bundesländer ausgedehnt. Schließlich wurde die Stichprobe 1994 und 1995 um zwei Stichproben von Haushalten ergänzt, die nach 1984 in die Bundesrepublik eingewandert sind. Um eine möglichst große Vergleichbarkeit zu den Ergebnissen mit dem Mikrozensus zu erreichen, wird auch das Sozio-Ökonomische Panel für das Jahr 1995 ausgewertet, in dem etwa 7.000 Haushalte mit annähernd 13.000 Personen interviewt wurden.

In diesem Beitrag wird als einziges Kriterium für Armut das Einkommen verwendet, da andere Armutsindikatoren nicht in ausreichendem Maße in beiden Datensätzen zur Verfügung stehen. Beim Mikrozensus wird die Armutspopulation nur auf der Basis des Haushaltsnettoeinkommens des Befragungsmonats bestimmt. Informationen über andere Einkommensbestandteile gibt es nicht. Auch beim SOEP werden daher die Analysen zunächst auf Grundlage einer globalen Frage nach dem Haushaltsnettoeinkommen des Befragungsmonats, dem sogenannten Screener-Einkommens, durchgeführt. Die Verwendung dieses Einkommen für Armutsanalysen kann aber insbesondere in Bezug auf die Untersuchung von Armut von Erwerbstätigen kritisiert werden. Ein Einwand ist, daß der Mietwert der eigenen Wohnung bzw. eines eigenen Hauses dabei nicht berücksichtigt ist. Ein zweiter Einwand ist, daß es neben dem regelmäßigen Monatseinkommen für Erwerbstätige ja auch weitere einmalige Leistungen gibt, wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld etc., die möglicherweise das Risiko, arm zu werden, verringern. Daher wird in diesem Beitrag neben dem Screener-Einkommen auch noch ein bereinigtes Haushaltsnettoeinkommen verwendet, bei dem der Mietwert der eigenen Wohnung berücksichtigt wird und im Jahresverlauf unregelmäßige Zahlungen an Erwerbstätige auf den Befragungsmonat umgelegt werden.

Um Einkommen von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung vergleichbar zu machen, werden Äquivalenzeinkommen, das sind bedarfsgewichtete Pro-Kopf-Einkommen (vgl. Hauser 1996), verwendet. Zur Berechnung der Äquivalenzeinkommen wird die alte OECD-Skala mit den Gewichten 1 für die erste Person im Haushalt, 0,7 für jede weitere Person ab 15 Jahre und 0,5 für alle Personen unter 15 Jahren, herangezogen. Diese Äquivalenzskala hat den Vorteil, daß sie sowohl international gebräuchlich ist als auch in etwa den sozialen Regelungen in der Bundesrepublik entspricht, weil diese Gewichte ungefähr mit denen übereinstimmen, die durch das Bundessozialhilfegesetz für die Berechnung der Sozialhilfehöhe impliziert sind.

Als Armutsgrenze wird die Definition verwendet, die auch Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Union, in seinen jüngsten Armutsanalysen verwendet hat (vgl. Eurostat 1998). Danach ist eine Person arm, wenn sie in einem Haushalt lebt, der über weniger als 50% des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens verfügt. Als Durchschnitt wird hier ein gesamtdeutscher Mittelwert verwendet, wobei die Einkommen in Ostdeutschland kaufkraftbereinigt werden.

Beim Mikrozensus gibt es das Problem, daß die Einkommensvariablen nur in Klassen vorliegen. Die Berechnung einer Armutsgrenze wie im SOEP ist daher nicht so ohne weiteres möglich. Um die Armutspopulation abzuschätzen, wird folgendes Verfahren gewählt, das hier aber nur kurz angedeutet werden kann (vgl. ausführlich dazu Strengmann-Kuhn 1999b). Auf Basis der Armutsgrenze im SOEP werden haushaltstypische Armutsgrenzen festgelegt, die sich durch Multiplikation der Summe der Bedarfsgewichte mit der Armutsgrenze für einen Einpersonenhaushalt ergeben. Für jede Kombination der Anzahl der Personen ab 15 Jahren und unter 15 Jahren resultiert daraus eine Armutsgrenze. Schließlich wird für die 20 häufigsten dieser Konstellationen, die 99% der Fälle im Mikrozensus abdecken, entschieden, bei welcher Einkommensklasse im Mikrozensus noch von Armut gesprochen werden kann.

3. Erwerbsbeteiligung der Armutspopulation

Werden die Anteile der Armen an den Erwerbstätigen untersucht (vgl. ausführlich zu dieser Fragestellung Bäcker et al. 1998), so ist festzustellen, daß die Armutsquoten bei den Erwerbstätigen geringer sind als im Durchschnitt der Bevölkerung. Erwerbstätige sind also keine übermäßig von Armut bedrohte Risikogruppe. Dadurch mag der Eindruck entstehen, daß Armut trotz Erwerbstätigkeit in Deutschland keine große Rolle spielt.

Die Bedeutung von Erwerbstätigkeit für die Armutspopulation wird aber dann deutlich, wenn ihr relativer Anteil an den Armen und ihre absolute Anzahl betrachtet werden. Zu diesem Zweck wird erstens untersucht, wie viele Personen gleichzeitig arm und erwerbstätig sind. Um aber insgesamt die Bedeutung von Erwerbstätigkeit für die Armutspopulation zu bestimmen, ist es nötig, auch den Haushaltskontext mit zu berücksichtigen. Die Frage ist dann, wie viele Arme in Haushalten leben, die am Erwerbsleben beteiligt sind.

Um die relative Bedeutung zu untersuchen, wird die Erwerbsbeteiligung nur für das primäre Erwerbsalter von 25 bis 55 Jahren berechnet. Auf Basis des unbereinigten Haushaltnettoeinkommens beträgt der Anteil der Erwerbstätigen an den Armen in diesem Alter etwa 40% (vgl. Tabelle 1). Zwei von fünf Armen zwischen 25 und 55 sind also erwerbstätig. Insgesamt (ohne Altersbeschränkung) sind das 1,7 Millionen Personen.

Werden zusätzlich unregelmäßige Zahlungen für Erwerbstätige und der Mietwert eigenen Wohnraums berücksichtigt, steigt der Anteil auf 46% an den 25- bis 55-jährigen und die absolute Anzahl (ohne Altersbegrenzung) auf 2,3 Millionen an. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen, da diese beiden Einkommenskomponenten vermutlich insbesondere das Einkommen von Erwerbstätigen erhöhen. Allerdings steigt mit der Berücksichtigung auch das Durchschnittseinkommen und damit die Armutsgrenze an, so daß dadurch insgesamt mehr Erwerbstätige als Arbeitslose und Nichterwerbspersonen zur Armutspopulation hinzukommen.

Der überwiegende Teil der erwerbstätigen Armen sind sogar vollzeit erwerbstätig. Je nach Operationalisierung beträgt die Anzahl der vollzeit erwerbstätigen Armen zwischen 1 Million und 1,4 Millionen. Der Anteil der Vollzeiterwerbstätigen an den Armen zwischen 25 und 55 ist mit 28% bis 34%, je nach Datensatz und verwendetem Einkommenskonzept, sogar höher als der der Arbeitslosen an den Armen mit 23% bis 28% (vgl. Tabelle 1).

Für die folgenden Untersuchungen der Erwerbsbeteiligung im Haushaltskontext können vier Gruppen unterschieden werden: Haushalte, in denen es weder Arbeitslose noch Erwerbstätige gibt, die also nicht am Arbeitsmarkt beteiligt sind. Eine zweite Gruppe von Haushalten sind die, die nur dadurch am Arbeitsmarkt beteiligt sind, daß es mindestens ein arbeitsloses Haushaltsmitglied gibt, aber keine Erwerbstätigen. Die dritte Gruppe sind die Haushalte mit sowohl Arbeitslosen als auch Erwerbstätigen und in der vierten Gruppe gibt es Erwerbstätige, aber keine Arbeitslosen. Tabelle 2 zeigt, wie sich die Armen auf diese vier Gruppen verteilen. Bei der Berechnung der Anteile werden nur die Haushalte berücksichtigt, in denen mindestens eine Person zwischen 25 und 55 lebt.

Nur ein kleiner Teil ist gar nicht am Arbeitsmarkt beteiligt. Im SOEP liegt der Anteil unter 10%, im Mikrozensus bei 14%. Sofern es möglich ist, wird also auch in armen Haushalten Arbeit angeboten. In etwa 20% der Fälle besteht die Arbeitsmarktbeteiligung aber nur in Arbeitslosigkeit. Zusätzlich gibt es noch einmal eine ähnlich große Gruppe von Haushalten, in denen sowohl Arbeitslose als auch Erwerbstätige leben. Insgesamt sind auf Basis des SOEP etwa 40% der Armen direkt oder indirekt von Arbeitslosigkeit betroffen, auf Basis des Mikrozensus etwa ein Drittel. Ohne Altersbeschränkung sind das zwischen 2,5 und 3,2 Millionen Arme. Weitaus mehr sind aber von Erwerbstätigkeit "betroffen". Wird nur das unbereinigte Haushaltseinkommen zur Berechnung verwendet, sind es bereits etwa 4,5 Millionen. Wird das bereinigte Einkommen (also unter Berücksichtigung des Mietwerts eigenen Wohnraums und unregelmäßigen Zahlungen an abhängig Beschäftigte) als Grundlage der Berechnung verwendet, sind es sogar fast 6 Millionen.

Bei Beschränkung auf die armen Haushalte mit Personen zwischen 25 und 55 bedeutet das einen Anteil zwischen zwischen 65% und 73%. Über die Hälfte der Armen (zwischen 56% und 60%) leben sogar in einem Haushalt, in dem mindestens eine Person vollzeit erwerbstätig ist. Insgesamt sind über 4 Millionen Menschen in Deutschland arm, obwohl mindestens eine Person im Haushalt vollzeit erwerbstätig ist. Diese Zahl übersteigt die Anzahl der Armen, die in einem Haushalt mit einem Arbeitslosen leben, also noch deutlich.

Armut trotz Erwerbstätigkeit ist rein quantitativ sowohl von den relativen Anteilen als auch von den absoluten Zahlen her ein großes Problem in Deutschland. Dabei steht Deutschland im internationalen Vergleich nicht alleine da. Die hier dargestellten Ergebnisse entsprechen in etwa denen in anderen westlichen Industrieländern (vgl. O’Connor/Smeeding 1993, Eurostat 1998, Caritas Schweiz 1998).

4. Gründe für die Armut von Erwerbstätigen

Eine mögliche Ursache dafür, daß Erwerbstätige arm sind, ist, daß sie ein geringes individuelles Arbeitseinkommen haben. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der Bezug eines niedrigen Lohns weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Einkommensarmut ist. Eine Person mit niedrigem Erwerbseinkommen ist dann nicht arm, wenn erstens noch andere Haushaltsmitglieder über Einkommen verfügen und/oder andere Einkommensquellen, staatliche oder private Transfers oder Vermögenseinkommen zur Verfügung stehen. Umgekehrt kann es sein, daß ein Erwerbseinkommen, das nicht zum Niedriglohnbereich gehört, möglicherweise nicht ausreicht, wenn mehrere Personen damit versorgt werden müssen.

Um diesen Zusammenhang empirisch zu untersuchen, muß zunächst festgelegt werden, wie "Niedriglohn" definiert wird. Um einen Niedriglohnsektor zu identifizieren, sind mehrere Verfahren möglich. Es wäre erstens zu überlegen, ob der Brutto- oder der Nettolohn und zweitens ob der Monats- oder der Stundenlohn zu Grunde gelegt werden. Des weiteren muß eine Grenze festgelegt werden. Dies kann z.B. ein Anteil am Durchschnittslohn sein. Hier wird eine Grenze gewählt, die in direktem Zusammenhang mit der Armutsdefinition steht. Es wird untersucht, ob der individuelle Nettomonatslohn unterhalb der Armutsgrenze für einen Alleinstehenden liegt (vgl. Atkinson 1983: 150).

Tabelle 3 zeigt, daß 26,7% der nicht armen Frauen und immerhin 6,1% der nicht armen Männer über ein Arbeitseinkommen verfügen, daß alleine nicht ausreichen würde. Umgekehrt ist zu sehen, daß die Mehrheit der erwerbstätigen Armen über ein Erwerbseinkommen verfügt, daß für sie alleine oberhalb der Armutsgrenze liegt. Allerdings ist auffällig, daß in armen Haushalten erwerbstätige Frauen in der Mehrheit ein Erwerbseinkommen unter, aber Männer in der Regel ein Erwerbseinkommen oberhalb der Armutsgrenze für Alleinstehende haben. Erwerbstätige arme Frauen sind also meistens auch Niedriglohnbezieherinnen, während dies bei den erwerbstätigen armen Männer in der Mehrheit nicht der Fall ist.

Ein Niedriglohn kann zu Armut führen, muß aber nicht. Das wird auch dadurch sichtbar, daß sich die Gruppen der Niedriglohnbezieher und der erwerbstätigen Armen deutlich voneinander unterscheiden. Erstere sind im wesentlichen Frauen, sie sind meist im Dienstleistungsbereich beschäftigt und die Erwerbstätigkeit ist häufig geringfügig oder befristet (vgl. Schäfer 1997). Bei der Gruppe der erwerbstätigen Armen hingegen handelt es sich eher um Männer, die meistens Arbeiter und die häufig im Fertigungsbereich tätig sind. Die überwiegende Mehrheit ist vollzeit und unbefristet beschäftigt (vgl. Strengmann-Kuhn 1999a).

Im folgenden wird die Armut von Erwerbstätigen nach Haushaltstypen untersucht. Dabei zeigt sich, daß insbesondere bei Alleinstehenden Erwerbstätigkeit in der Regel nicht Armut bedeutet. Die Armutsquote von alleinstehenden Erwerbstätigen liegt bei etwas über 3%, bei Vollzeiterwerbstätigen sogar unter 2%, wobei es kaum einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt.

Bei vollzeit erwerbstätigen Alleinerziehenden beträgt der Anteil derjenigen, die trotzdem arm sind, schon 13%, wobei insbesondere erwerbstätige allein erziehende Frauen von Armut betroffen sind. Besonders hoch ist aber der Anteil der Armen bei Paarhaushalten mit Kindern, sofern sie von einem Einkommen aus einer Vollzeiterwerbstätigkeit leben müssen. Fast jede vierte dieser Familien hat ein Einkommen unter der Armutsgrenze (vgl. Tabelle 4).

Wird untersucht, in welchen Haushalten erwerbstätige Arme leben, so ist zu sehen, daß es sich häufig um die zuletzt genannte Gruppe handelt (vgl. Tabelle 5). Ein Drittel der Erwerbstätigen Armen sind Vollzeiterwerbstätige, die in Paarhaushalten mit Kindern unter 16 leben und in denen sonst niemand erwerbstätig ist. Insgesamt lebt mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Armen in Paarhaushalten mit Kindern unter 16.

Wird die Arbeits- und Erwerbsbeteiligung von armen und nicht armen Paarhaushalten im einzelnen analysiert (vgl. Strengmann-Kuhn 1997), so ist festzustellen, daß Männer in der Regel erwerbstätig sind, und zwar fast ausschließlich vollzeit. Die Erwerbsbeteiligungsquoten der armen Männer in Paarhaushalten sind dabei nur etwas geringer als die der nicht armen Männer. Arme Frauen in Paarhaushalten sind in der Regel weitaus seltener erwerbstätig als Männer und als vergleichbare nicht arme Frauen.

Besonders deutlich wird dies, wenn Paarhaushalte mit Kindern unter 16 untersucht werden (vgl. Tabelle 6). Fast drei Viertel der Männer in diesen Haushalten sind erwerbstätig, und zwar fast alle vollzeit. Im Vergleich dazu ist der Anteil von 8% Vollzeiterwerbstätigkeit der armen Frauen sehr gering. Nur 21% der armen Frauen in Paarhaushalten mit Kindern unter 16 sind überhaupt erwerbstätig. Zwei Drittel sind Nichterwerbspersonen. Ganz anders sieht dies bei vergleichbaren nicht armen Haushalten aus. Hier sind zwei Drittel der Frauen erwerbstätig, und immerhin ein Drittel vollzeit. Bei den armen Familien scheint es also häufig die Kombination zu geben, daß der Vater vollzeit erwerbstätig ist und die Mutter nicht oder maximal teilzeit.

Wird die Inanspruchnahme von staatlichen Transfers, insbesondere von Sozialhilfe analysiert, so fällt zunächst auf, daß der Anteil der Erwerbstätigen, die Sozialhilfe beziehen im Verhältnis zu den oben dargestellten Anteilen der Erwerbstätigen an den Einkommensarmen sehr klein ist. Am 31.12.95 betrug der Anteil der Erwerbstätigen an allen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern weniger als 10%, nicht einmal die Hälfte davon waren vollzeit erwerbstätig (Statistisches Bundesamt 1997). Umgekehrt ist aber der Anteil der Erwerbstätigen an den verdeckt Armen besonders groß (vgl. Neumann/Hertz 1998). Nach dieser Studie waren über 40% aller verdeckt Armen, also unabhängig vom Alter, erwerbstätig. Überhaupt ist die Bedeutung staatlicher Transfers bei bestimmten von Armut betroffenen Gruppen gering. Werden z.B. die Einkommensquellen von armen Familien, in denen wie gesehen der Anteil der Erwerbstätigen besonders hoch ist, untersucht, so ist das Ergebnis, daß nur ein relativ kleiner Teil von ihnen staatliche Transfers in nennenswertem Ausmaß erhält (vgl. Andreß et al. 1999).

5. Sozialpolitische Konsequenzen

Welche sozialpolitischen Schlußfolgerungen für die Bekämpfung von Armut von Erwerbstätigen können aus diesen Ergebnissen gezogen werden? Vier Ansatzpunkte für sozialpolitische Maßnahmen zur Verhinderung von Armut bei Erwerbstätigkeit sind denkbar.

Erster Ansatzpunkt wäre, das individuelle Arbeitseinkommen so auszugestalten, daß es armutsverhindernd ist, sei es durch Mindestlohnregelungen oder durch armutsverhindernde Lohnsubventionen für Niedriglöhne. Die empirischen Ergebnisse haben aber gezeigt, daß die Mehrheit der erwerbstätigen Armen bereits über ein Arbeitseinkommen verfügt, das für sie selbst ausreichen würde, um Armut zu verhindern.

Die Frage wäre dann also, ob das Erwerbseinkommen einer Person in jedem Fall hoch genug sein soll, um auch eine ganze Familie damit abzusichern. Würde diese Frage bejaht, wäre als nächstes zu entscheiden, ob es einen Mindestlohn für alle auf diesem Niveau geben soll oder ob die Löhne zwischen Alleinstehenden und Personen mit Kindern differenziert werden sollen. Im ersten Fall würden die Löhne wahrscheinlich so hoch, daß es nicht mehr finanzierbar wäre. Im zweiten Fall ergäbe sich das Problem, daß Eltern ein höherer Lohn gezahlt werden müßte, so daß sie auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen hätten als Alleinstehende und Vollzeiterwerbstätige. Ein Mindestlohn, der auch für Familien Armut verhindern würde, wäre also vermutlich nicht sinnvoll.

Für vollzeiterwerbstätige Alleinstehende reicht das Arbeitseinkommen in der Regel aus. Tabelle 5 zeigte allerdings, daß immerhin fast 10% der erwerbstätigen Armen zu dieser Gruppe gehören. Außerdem kann es sein, daß armutsverhindernde Löhne auch bei Familien die Armut reduzieren könnten. Der armutsverhindernde Effekt von Löhnen, die für eine Einzelperson ausreichen würden, ist also unklar und wäre noch weiter zu analysieren. Dabei wäre zu berücksichtigen, daß eine Mindestlohnregelung oder armutsverhindernde Lohnsubvention auch positive Wirkungen auf das Arbeitsangebot von bisher nicht am Arbeitsmarkt beteiligten Frauen haben dürfte (vgl. Andreß/Strengmann-Kuhn 1997).

Dies leitet über zu dem nächsten Ansatzpunkt zur Verhinderung von Armut von Erwerbstätigen, nämlich die Erhöhung des Arbeitseinkommens des gesamten Haushalts. Wie gezeigt wurde, sind erwerbstätige Arme häufig deswegen arm, weil ihr Einkommen das einzige der Familie ist. Eine Verringerung von Armut bei Erwerbstätigkeit könnte also dadurch erreicht werden, daß das Ausmaß der Erwerbstätigkeit, insbesondere von Frauen, in Paarhaushalten erhöht wird.

Für die Lösungsstrategien muß dabei zwischen Ost- und Westdeutschland differenziert werden, weil die Ursachen für die geringe Erwerbsbeteiligung unterschiedlich sind (vgl. Strengmann-Kuhn 1997). In Westdeutschland ist das Problem, daß ein großer Teil der Frauen in armen Paarhaushalten nicht am Arbeitsmarkt beteiligt sind, also weder arbeitslos noch erwerbstätig sind. Diejenigen, die erwerbstätig sind, sind vor allem teilzeit beschäftigt. Im Westdeutschland könnte also Armut bei Erwerbstätigen verringert werden, wenn das Arbeitsangebot von Frauen in Paarhaushalten in Westdeutschland erhöht würde. Werden die Ursachen für das geringe Arbeitsangebot betrachtet (vgl. Andreß/Strengmann-Kuhn 1997), dann folgen daraus vor allem zwei Lösungsansätze. Das Arbeitsangebot von armen Frauen würde sich erhöhen, wenn erstens ihre Verdienstmöglichkeiten und wenn zweitens die Kinderbetreuungsmöglichkeiten verbessert würden.

In Ostdeutschland ist das geringe Arbeitsangebot von Frauen nicht das wesentliche Problem. Hier sind die meisten nicht erwerbstätigen armen Frauen arbeitslos, sie bieten also Arbeit auf dem Arbeitsmarkt an. Eine Verringerung der Arbeitslosigkeit von Frauen würde auch das Problem von Armut bei Erwerbstätigkeit verringern.

Nun kann es aber sein, daß verbesserte Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit, insbesondere für Frauen, aus individuellen Gründen gar nicht genutzt werden, eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit zu einer Verringerung der Erwerbstätigkeit von Männern führt oder eine höhere Erwerbsbeteiligung aus gesellschaftspolitischen Gründen gar nicht gewünscht wird. Daher wäre ein dritter Ansatzpunkt eine verbesserte Absicherung durch staatliche Transfers für Familien, die ja im wesentlichen von Armut bei Erwerbstätigkeit betroffen sind.

Sollten alle vorher genannten Maßnahmen nicht ausreichen, um Armut trotz Erwerbstätigkeit zu verringern, wäre schließlich an eine eigenständige Grundsicherung bei Erwerbstätigkeit zu denken. Die Sozialhilfe scheint nicht geeignet zu sein, obwohl sie auch von Erwerbstätigen bezogen werden kann. Über die Ausgestaltung einer eigenständigen Grundsicherung für Erwerbstätige wäre allerdings noch nachzudenken. Insbesondere wären dazu die Gründe für die Nichtanspruchnahme von Sozialhilfe durch erwerbstätige Arme genauer zu analysieren.

6. Zusammenfassung

In Deutschland ist das Ausmaß von Armut trotz Erwerbstätigkeit ähnlich hoch wie in anderen westlichen Industrieländern. Die Ursachen liegen aber weniger in geringen Löhnen begründet als vielmehr in der geringen Erwerbsbeteiligung von Frauen in Paarhaushalten, insbesondere, aber nicht nur, wenn Kinder vorhanden sind. Das Einkommen des Mannes reicht dann alleine häufig nicht aus. Als Lösungsansätze sind daher in erster Linie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und/oder ein verbesserter Familienlastenausgleich zu nennen. Die armutsverhindernde Wirkung von Mindestlöhnen oder Niedriglohnsubventionen ist dagegen fraglich und müßte ebenso wie andere sozialpolitische Maßnahmen, z.B. eine eigenständige Grundsicherung für Erwerbstätige, noch näher analysiert werden.

Literatur

Andreß, Hans-Jürgen; Burkatzki, Eckhard; Lipsmeier, Gero; Salentin, Kurt; Schulte, Katja; Strengmann-Kuhn, Wolfgang (1999): Leben in Armut. Analysen der Verhaltensweisen armer Haushalte mit Umfragedaten. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Andreß, Hans-Jürgen; Strengmann-Kuhn, Wolfgang (1997): Warum arbeiten, wenn der Staat zahlt? Über das Arbeitsangebot unterer Einkommensschichten. Zeitschrift für Sozialreform, Heft 7/97, 43, 7: 505-525.

Atkinson, Anthony B. (1983): The Economics of Inequality. 2nd edition. Oxford: Clarendon Press.

Bäcker, Gerhard; Hanesch, Walter; Krause, Peter (1998): Niedrige Arbeitseinkommen und Armut bei Erwerbstätigkeit in Deutschland. Sozialer Fortschritt 7/98: 165-173.

Caritas Schweiz (1998): Trotz Einkommen kein Auskommen: working poor in der Schweiz. Luzern: Caritas-Verlag.

Faik, Jürgen (1997): Institutionelle Äquivalenzskalen als Basis von Verteilungsanalysen - Eine Modifizierung der Sozialhilfeskala. In: Becker, Irene; Hauser, Richard (Hrsg.): Einkommensverteilung und Armut in Deutschland. Frankfurt/Main: Campus

Hauser, Richard (1994): Armut im Sozialstaat als Problem einer Theorie der integrierten Sozial- und Verteilungspolitik. In: Hauser, Richard; Hochmuth, Uwe; Schwarze, Johannes (Hrsg.): Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik. Band 1: Ausgewählte Probleme und Lösungsansätze. Berlin: Akademie Verlag.

Hauser, Richard (1996): Zur Messung individueller Wohlfahrt und ihrer Verteilung. in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Wohlfahrtsmessung - Aufgabe der Statistik im gesellschaftlichen Wandel. Stuttgart: Metzler-Poeschel.

Neumann, Udo; Hertz, Markus (1998): Verdeckte Armut in Deutschland. Forschungsbericht des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung (ISL) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Frankfurt.

Statistisches Bundesamt (1997): Fachserie 13 Sozialleistungen Reihe 2: Sozialhilfe 1995. Stuttgart: Metzler-Poeschel.

Schäfer, Claus (1997): Empirische Überraschung und politische Herausforderung: Niedriglöhne in Deutschland. In: Becker, Irene; Hauser, Richard (Hrsg.): Einkommensverteilung und Armut in Deutschland. Frankfurt/Main: Campus

Strengmann-Kuhn, Wolfgang (1999a): Statistische Instrumente zur Erfassung von working poor: Die Situation in Deutschland. In: Fluder Robert; Nolde, Marion; Priester, Tom; Wagner, Antonin (Hrsg.): Berichterstattung zur Armut. Aktueller Stand und Perspektiven aus der Sicht der Statistik. Bern.

Strengmann-Kuhn, Wolfgang (1999b): Armutsanalysen mit dem Mikrozensus. In: Lüttinger, Paul (Hrsg.): Sozialstrukturanalysen mit dem Mikrozensus. ZUMA, Mannheim. ZUMA-Nachrichten Spezial Band 6.

Tabellen

Tabelle 1: Erwerbsbeteiligung von armen Personen

 

Mikrozensus

SOEP

Haushaltsnettoeinkommen

bereinigtes Haushaltsnetto-einkommen1

Anteil2 in %

Anzahl3 in Mio.

Anteil2 in %

Anzahl3 in Mio.

Anteil2 in %

Anzahl3 in Mio.

Erwerbstätige

39

1,7

42

1,7

46

2,3

darunter: vollzeit

28

1,2

31

1,0

34

1,4

Arbeitslos

23

1,0

28

1,1

26

1,3

Nichterwerbspersonen

38

5,9

30

4,9

28

5,7

 

100

8,6

100

7,8

100

9,4

Quelle: SOEP 1995 (inkl. Auswandererstichprobe), Mikrozensus 1995

Anmerkungen:

  1. erfragtes Haushaltsnettoeinkommen plus Mietwert der eigenen Wohnung plus einmalige Leistungen an Arbeitnehmer
  2. Anteil an den 25 bis 55-jährigen
  3. ohne Altersbeschränkung

Tabelle 2: Erwerbsbeteiligung von armen Personen im Haushaltskontext

 

Mikrozensus

SOEP

Haushaltsnettoeinkommen

bereinigtes Haushaltsnetto-einkommen1

Anteil2 in %

Anzahl3 in Mio.

Anteil2 in %

Anzahl3 in Mio.

Anteil2 in %

Anzahl3 in Mio.

1) Erwerbstätige, aber keine Arbeitslosen

53

3,8

50

3,3

53

4,3

2) Erwerbstätige und Arbeitlose

12

0,8

20

1,2

19

1,4

3) Arbeitslose, aber keine Erwerbstätigen

21

1,7

22

1,5

20

1,8

4) weder Erwerbstätige noch Arbeitslose

14

2,3

8

1,8

8

2,0

 

100

8,6

100

7,8

100

9,4

mit Arbeitslosen (2+3)

33

2,5

43

2,7

39

3,2

mit Erwerbstätigen (1+2)

65

4,6

70

4,5

72

5,9

mindestens einmal vollzeit

56

4,0

57

3,4

60

4,7

Quelle: SOEP 1995 (inkl. Auswandererstichprobe), Mikrozensus 1995

Anmerkungen:

  1. erfragtes Haushaltsnettoeinkommen plus Mietwert der eigenen Wohnung plus einmalige Leistungen an Arbeitnehmer
  2. Anteil an den 25 bis 55-jährigen
  3. ohne Altersbeschränkung

Tabelle 3: Individueller Nettolohn und Einkommensarmut von Erwerbstätigen (ohne Altersbeschränkung)

   

arm1

 

nicht arm1

insges.

Männer

Frauen

insges.

Männer

Frauen

Höhe des individuellen Nettolohns

           

unter der Armutsgrenze2

38,9

24,7

58,1

14,6

5,9

26,3

über der Armutsgrenze2

61,1

75,3

41,9

85,4

94,1

73,7

 

Quelle: SOEP 1995(inkl. Zuwandererstichprobe)

Anmerkungen:

  1. 50%-Armutsgrenze basierend auf dem bereinigtem Haushaltsnettoeinkommen (erfragtes Haushaltsnettoeinkommen plus Mietwert der eigenen Wohnung plus einmalige Leistungen an Arbeitnehmer)
  2. Armutsgrenze für einen Alleinstehenden

Tabelle 4: Armutsquoten nach Haushaltstyp, Geschlecht und Erwerbsbeteiligung des Haushalts (nur Personen zwischen 25 und 55)

 

Alle

Armen

Erwerbstätige

insgesamt

Erwerbstätige

nach Ausmaß der Erwerbsbeteiligung des Haushalts

ohne Vollzeiterwerbstätige im Haushalt

eine vollzeit erwerbstätige Person1

mehr als eine vollzeit erwerbstätige Person2

Alleinstehende

11,7

3,3

19,3

1,6

-

Männer

12,3

3,2

22,9

1,7

-

Frauen

10,8

3,5

16,7

1,3

-

Alleinerziehende

36,5

21,6

35,6

13,1

-

Männer

20,4

9,7

27,3

6,9

-

Frauen

38,5

23,3

36,0

14,5

-

Paare

ohne Kinder

3,7

1,3

8,5

2,2

0,3

 

mit Kindern unter 16

16,0

13,1

37,9

23,6

4,5

 

mit Kindern, nicht unter 16

4,5

2,8

14,3

5,8

1,2

sonstige

9,0

5,8

26,9

12,2

2,2

Quelle: Mikrozensus 1995

Anmerkungen:

  1. genau eine Person erwerbstätig, diese aber vollzeit
  2. mehr als eine Person erwerbstätig, davon mindestens eine vollzeit

Tabelle 5: Zusammensetzung der Gruppe der erwerbstätigen Armen nach Haushaltstyp und Ausmaß der Erwerbsbeteiligung des Haushalts (ohne Altersbeschränkung)

 

Erwerbstätige

insgesamt

nach Ausmaß der Erwerbsbeteiligung des Haushalts

ohne Vollzeiterwerbstätige

eine vollzeit erwerbstätige Person1

mehr als eine vollzeit erwerbstätige Person2

Alleinstehende

16,9

7,0

9,9

-

Alleinerziehende

7,7

4,6

3,1

-

Paare ohne Kinder

4,3

1,5

1,9

0,8

Paare mit Kindern unter 16

54,9

3,4

33,8

17,7

Paare mit Kindern, nicht unter 16

8,0

1,0

3,7

3,3

sonstige

8,1

1,7

3,0

3,4

insgesamt

100,0

19,4

55,3

25,3

Quelle: Mikrozensus 1995

Anmerkungen:

  1. genau eine Person erwerbstätig, diese aber vollzeit
  2. mehr als eine Person erwerbstätig, davon mindestens eine vollzeit

Tabelle 6: Individuelle Erwerbsbeteiligung von Personen zwischen 25 und 55 nach Geschlecht und Armutsposition (Alleinstehende und Paare mit Kind. unter 16)

 

Alle

Erwerbstätige

Arbeitslose

Nichterwerbs-personen

 

insgesamt

darunter:

vollzeit

weniger als vollzeit

Alleinstehende

           

arm

           

Männer

100

21

10

11

39

41

Frauen

100

26

8

18

33

41

nicht arm

           

Männer

100

88

83

5

6

6

Frauen

100

88

77

11

5

7

Paare mit Kindern unter 16

arm

           

Männer

100

73

71

2

19

8

Frauen

100

21

8

13

13

66

nicht arm

           

Männer

100

97

95

2

2

2

Frauen

100

63

30

33

5

32

Quelle: Mikrozensus 1995

Teil E: Über den Lohn am Ende des Monats. Ergebnisse einer Befragung von 211 Haushalten von ArbeiterInnen und Angestellten

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung von Rainer Roth

1. Einleitung

Professor Rainer Roth hat als erster versucht, das heiße Thema "Armut trotz Arbeit" durch eine empirische Befragung von Erwerbstätigenhaushalten anzugehen. Seine Untersuchung ist zwar nicht repräsentativ, gibt aber dennoch wichtige Aufschlüsse über die Lebensverhältnisse von ArbeiterInnen und Angestellten in Deutschland sowie über die hohe Dunkelziffer, das heißt die Zahl derjenigen Haushalte, die trotz Erwerbsarbeit einen Anspruch auf Sozialhilfe hätten, aber keinen Antrag stellen.

Die Fragebögen wurden in der Zeit von Mai 1992 bis Mai 1994 ausgefüllt. In den 211 Haushalten gab 190 Vollzeitbeschäftigte, 21 Teilzeitbeschäftigte, 9 Auszubildende oder Praktikanten, 5 ABM-Kräfte und 3 Scheinselbständige. Drei Viertel der Vollzeitbeschäftigten waren Arbeiterhaushalte und Haushalte unterer Angestelltengruppen, die man dem unteren Einkommensbereich zuordnen kann.

Rainer Roth stellte das Sozialhilfeniveau - bestehend aus dem Sozialhilfebedarf (Regelsätze plus Mehrbedarfszuschläge plus Kosten der Unterkunft und Kosten der Heizung plus einmaligen Leistungen in Höhe von 25 %) dem realen Haushaltsnettoeinkommen gegenüber. Das reale Haushaltsnettoeinkommen wird ermittelt, indem vom Nettolohn die Werbungskosten (Fahrtkosten, Arbeitsmittel, Gewerkschaftsbeitrag, Kosten doppelter Haushaltsführung und angemessene Versicherungen) abgezogen und sonstige Einkommenszuflüsse (z. B. Sozialleistungen wie Wohn- oder Arbeitslosengeld, Weihnachts- und Urlaubsgeld) hinzugerechnet werden.

2. Die wichtigsten Ergebnisse

Auf diese Weise gelangt Roth zu folgenden zentralen Ergebnissen:

3. Zum 50%-Begriff als Armutsgrenze

Rainer Roth kritisiert die mittlerweile am häufigsten verwendete Armutsgrenze, die von der EU bei 50 % des durchschnittlichen gewichteten Haushaltsnettoeinkommens angesetzt wird. Diese Armutsgrenze liege unter dem jetzigen Sozialhilfeniveau und berücksichtige nicht, daß es eine spezifische Armutsgrenze für Erwerbstätige geben müßte, die oberhalb des Sozialhilfeniveaus liegen und auch Freibeträge und Werbungskosten mit in die Berechnung einbeziehen müßte. Die EU-Armutsgrenze führt für das Jahr 1995 zu folgenden, die Thesen von Roth bestätigenden Ergebnissen:

1995 4300,- DM durchschn. Haushalts-Nettoeinkommen (pro Haushalt 2,26 Personen)

1900,- DM Alleinstehende/r (4300 : 2,26)

950,- DM davon 50 % (= EU-Armutsgrenze für Alleinstehende/n)

1710,- DM Ehepaar, Gewichtung nach RS-Proportionen.

1995 522,- DM Regelsatz Westen

130,- DM 25 % Einmalige Beihilfen

652,- DM Summe.

Würde man diese EU-Armutsgrenze für einen Alleinstehenden in Höhe von 950,- DM nehmen und davon den Regelsatz mit einmaligen Beihilfen in Höhe von 652,- DM abziehen, so blieben für Miete und Heizung ganze 298,- DM übrig.

Allein die Kaltmiete eines Alleinstehenden betrug 1995 aber schon 410,- DM (Sozialpolitische Umschau 425/1997), die Heizkosten lagen bei ca. 60,- DM.

Nur sechs von 181 der von Roth befragten westdeutschen Haushalten könnten nach der 50%-Grenze als arm eingestuft werden, also 3,3 %. Die durchschnittliche Grenze der Sozialhilfeansprüche lag für diese 181 Haushalte bei 2.237,- DM pro Haushalt (im Westen), die 50%-ige Armutsgrenze derselben Haushalte lag im Durchschnitt bei 1.613,- DM. Die Sozialhilfegrenze lag also im Schnitt etwa 40% höher. Die 50%-Grenze ergibt insbesondere für Erwerbstätige eine deutliche Absenkung des Armutsniveaus.

Rainer Roth vertritt daher die Auffassung, als Maßstab für eine Armutsgrenze für Erwerbstätige müsse deshalb das Sozialhilfeniveau gelten, das heißt Sozialhilfebedarf plus einmalige Leistungen. Zur Bestimmung dieser besonderen Armutsgrenze für Erwerbstätige sei deshalb eine repräsentative Untersuchung notwendig, welche auf der Basis des Sozialhilfeniveaus unter Einbeziehung von Freibeträgen und Werbungskosten eine spezifische Armutsgrenze für Erwerbstätige ermittelt.

Tabelle

Ansprüche auf Sozialhilfe bei den untersuchten Erwerbstätigen-Haushalten nach Haushaltstyp in Prozent

Haushaltstyp

Zahl der

Haushalte

davon haben Sozialhilfe-ansprüche

Sozialhilfe-Ansprüche

in %

Alleinstehend

81

12

14,8

Paare ohne Kind

30

7

23,3

Haushalte ohne Kinder

111

19

17,1

Alleinerziehend

34

12

35,3

Haushalt mit 1 Kind

43

14

32,5

Haushalt mit 2 Kindern

41

19

46,3

Haushalt mit 3 u. mehr Kindern

16

8

50,0

Haushalte mit Kindern

100

41

41,0

Alle Haushalte

211

60

28,4

"So wird gerade der Umstand, der das Hauptglück eurer Insel zu bilden schien, durch die unverantwortliche Habgier Weniger in sein Gegenteil verkehrt. Denn die Teuerung der Lebensmittel ist die Ursache davon, daß jeder so viele Leute als möglich aus seinem Haushalte entläßt. Wohin aber muß das führen, wenn nicht zum Bettel, oder, bei herzhafteren Naturen, zum Diebstahl? Zu solcher Armut und Not gesellt sich andererseits aufdringlicher Luxus. Nicht nur die Dienerschaft der Adeligen und die Handwerker, sogar schon die Bauern und alle übrigen Stände treiben unverschämten Aufwand in der Kleidung und huldigen der Üppigkeit in den Lebensmitteln. ...

Dämmt diese Aufkäufe der Reichen ein, die ihnen die Möglichkeit gewähren, ein Monopol auszuüben. Es sollen sich immer weniger Leute vom Müßiggange ernähren können; der Ackerbau werde wieder eingeführt, die Wollindustrie wiederblühend gemacht, man schaffe ehrlichen Erwerb, der jener arbeitslosen Menge nützliche Beschäftigung bietet, die die Not bisher zu Dieben machte, und jenen umherschweifenden, stellenlosen Dienern, die bald zu Dieben werden müssen."

Zit. nach: Thomas Morus, Morus Utopia, im Jahr 1516

Kontaktadresse der Sozialpolitischen Offensive:

Sozialpolitische Offensive Mannheim

c/o Diakonisches Werk Mannheim

C 3, 5-6

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