"Was ist 'Globalisierung'?"

 

Das Wort 'Globalisierung' ist in den letzten Jahren allgemein in Gebrauch gekommen. Regierungspolitiker, Parteiführer, Geschäftsleute, Akademiker, Gewerkschaftsführer und die Massenmedien sprechen von den Auswirkungen der Globalisierung und davon, wie diese unser Leben verändert. Regierungspolitiker reden häufig davon, wie wichtig Globalisierung ist, und obwohl sie uns sagen, daß sie 'gut' für uns sei, sagen sie auch, daß heute viele Probleme auf uns zukommen an denen die Globalisierung, und nicht die Regierungspolitik, schuld sei. Was also ist 'Globalisierung'?

Wir wollen mit einer einfachen Definition des Begriffs 'Globalisierung' anfangen. Viele Menschen verstehen unter Globalisierung die rasche internationale Ausweitung des Handels und der Investitionen während der letzten 20 Jahre. Hierdurch würden die nationalen Grenzen gesprengt und es bildete sich eine einzige globale Wirtschaft, von manchen auch 'globales Dorf' genannt, heraus. Obwohl sie alle unterschiedliche Ansichten darüber haben, ob dies gut oder schlecht sei, begreifen die meisten Menschen Globalisierung als 'Prozess' oder sogar als 'natürlichen' Prozess.

Daran anknüpfend lassen sich vier nützliche Aspekte festhalten, um zu definieren, was 'Globalisierung' bedeuten könnte:

1. Der 'Veränderungsprozess' bezieht internationale Handels- und Investitionstätigkeit ein. Offensichtlich spielen also Großunternehmen und deren Auslandsaktivitäten (vor allem in Übersee) eine Schlüsselrolle in diesem Prozess.

2. Basierend auf diesen internationalen Handels- und Investitionstätigkeiten sind die Nationalwirtschaften in einer Weltwirtschaft zusammengeschlossen.

3. Diese Weltwirtschaft ändert sich heute sehr viel schneller.

4. Der 'Veränderungsprozeß' den der Ausdruck Globalisierung beschreibt, hat während der letzten 20 Jahre stattgefunden.

Diese Definition von 'Globalisierung' ist jedoch aus drei sehr entscheidenden Gründen problematisch:

1. Wenn wir Globalisierung als 'Prozess' zunehmender internationaler Handels- und Investitionstätigkeiten verstehen, dann ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, daß dies nicht neu ist. Das Wachstum moderner internationaler Handels- und Investitionstätigkeit begann vor über 500 Jahren im Zuge des europäischen imperialistischen Expansionsprozesses. Die jüngsten Veränderungen, die wir verstehen wollen, drehen sich also nicht nur um internationale Handels- und Investitionstätigkeiten, da dies schon seit 500 Jahren passiert. Der Prozeß der 'Veränderung' beinhaltet sehr viel mehr als dies.

2. Es stimmt nicht, daß die nationalen Grenzen verschwinden. Wir leben in einem internationalen oder 'globalen' Wirtschaftssystem, aber nationale Grenzen sind nach wie vor so fest wie sie waren. Für Unternehmen ist es einfacher geworden ihre Investitionen von einem ins andere Land fließen zu lassen, aber meistens geschieht dies durch aktive Unterstützung der nationalen Regierungen. Die Regierungen unterzeichnen internationale Abkommen und treffen Vereinbarungen, um den Firmen zu erlauben, sich frei überall hin zu bewegen. Aber für normale Menschen ist es nicht so leicht sich von einem Land zum anderen zu begeben. Nationale Grenzen sind weiterhin sehr fest, so daß normale Menschen immer noch Visa und Pässe brauchen, sowie sich engmaschigen Einreisekontrollen gegenübersehen. Sie können sich nicht so einfach wie reiche Leute oder Unternehmen von einem zum anderen Land bewegen. So sieht also das 'globale Dorf' eher wie ein Dorf der Reichen und Mächtigen aus. Eigentlich ist es überhaupt kein Dorf, sondern es ist eher eine massiv ausgebaute Garnisonstadt in der eine Handvoll mächtiger und reicher Leute von der Mehrheit bedient werden.

3. Globalisierung ist kein 'natürlicher' Veränderungsprozess, da alle Handels- und Investitionsaktivitäten absichtlich getroffene Entscheidungen von Unternehmen und Regierungen sind. Diese, von Regierungen und Unternehmen getroffenen Entscheidungen, sind Teil einer bewußten Strategie, um ihre eigenen, sich üblicherweise deckenden, Interessen voranzutreiben. Um dieses zu erreichen üben sowohl Regierungen als auch Unternehmen Macht aus, um die stattfindenden Veränderungen der Weltwirtschaft durchzusetzen. Die wichtigste Form der Macht in der Weltwirtschaft ist dabei die Macht der Unternehmen, und das Interesse der Unternehmen ist der Profit. Auch das ist nichts Neues! Und es ist keinesfalls natürlich! Aber trotzdem bleibt die Frage: Wenn dieses seit über 500 Jahren vonstatten geht, inwiefern waren dann die letzten 20 Jahre anders? Oder andersherum gefragt: Warum haben wir die 'Globalisierung' erst in den letzten 20 Jahren bemerkt?

Um darauf zu antworten müssen drei Aspekte berücksichtigt werden:

1. Die technologischen Fortschritte der letzten 20 Jahre, insbesondere in der Computertechnologie, hatten zur Folge, daß Kommunikation, Information und Transport sehr viel schneller wurden und immer mehr Länder auf der Erde erreicht haben. Diese neuen Technologien wurden von den Unternehmen benutzt, um ihre ausländischen Aktivitäten auszubauen und, selbstverständlich auch, um ihre Profite zu erhöhen. Darum haben manche Menschen Globalisierung auch als "Kapitalismus im Zeitalter der Elektronik" bezeichnet. Aber es ist natürlich noch sehr viel mehr als nur dies.

2. In den letzten 50 Jahren sind die ausländischen Investitionen von Unternehmen aus Europa, Nordamerika und Ostasien sehr viel stärker angewachsen als früher. Insbesondere ist hier die ausländische Expansion von britischen, französischen, deutschen, US-amerikanischen, kanadischen und japanischen Unternehmen zu nennen. Diese Firmen wurden immer mächtiger und haben eine immer wichtigere Rolle in der Weltwirtschaft gespielt, während gleichzeitig ihre Produkte immer stärker die Verbrauchermärkte auf der ganzen Welt dominierten. Diese großen Unternehmen wurden unter den Begriffen multinationale oder transnationale Unternehmen (MNC, TNC = Multis) bekannt und wiesen in den letzten 20 Jahren einen Macht- und Größenzuwachs auf. Die zunehmende Bedeutung dieser Multis und ihr Machtzuwachs sind ein entscheidender Aspekt der Globalisierung, der in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift behandelt wird.

Obwohl diese zunehmende ausländische Investitionstätigkeit eine wichtige 'globale Veränderung' ist, müssen wir berücksichtigen, daß die Mehrzahl dieser Investitionen in nahegelegenen Ländern stattfand und nicht auf der ganzen Welt. US-Unternehmen investierten in Lateinamerika, japanische Unternehmen in Südostasien, und britische, französische und deutsche Unternehmen innerhalb Europas. Diese Veränderungen in der Tradition ausländischer Investitionstätigkeit machen deutlich, daß es eher zu einer Regionalisierung, als einer Globalisierung der Investitionen gekommen ist.

3. Vor 20 Jahren, Mitte der 70er, sahen sich die Unternehmen in den entwickelten Ländern mit einer ernsthaften Energie-/Ölkrise konfrontiert, die ihre Profite bedrohte. Selbstverständlich machten sie immer noch Profite aber sie befürchteten, ihre Profite in der Zukunft nicht mehr erhöhen zu können. Um diese Krise zu überwinden taten sie drei Dinge: (1) sie erhöhten die Investitionen in Ländern, in denen die Arbeit billiger war und in denen die Arbeiter stärker unterdrückt wurden, (2) sie schufen neue Geschäftsaktivitäten um größere Profite zu machen. (3) sie brachten Regierungen dazu, ihre "Barrieren" aufzuheben, welche sie daran hinderten ihre Profite zu erhöhen.

Wie wir bereits bemerkt haben, war der rasche Anstieg ausländischer Investitionen während der letzten 20 Jahre von einem Machtzuwachs der Multis und deren wachsender Bedeutung in unserem Alltagsleben gekennzeichnet. Die Ausbeutung billiger ausländischer Arbeit war eine Schlüsselstrategie, um ihre Produkte billig zu produzieren, so daß sie Verbrauchermärkte auf der ganzen Welt dominieren konnten, während sie weiterhin riesige Profite machten. So läßt sich verstehen, daß viele europäische, US-amerikanische und japanische Großunternehmen sich in Multis verwandelten, als sie Mitte der 70er von einer Profitkrise getroffen wurden.

Für andere Kapitalisten beinhalteten neue profiterbringende Aktivitäten, mehr Geld in Finanzinvestitionen und weniger in industriellen Investitionen anzulegen. Offensichtlich war der Grund hierfür die Erbringung größerer Profite in kürzerer Zeit, während man sich gleichzeitig nicht um steigende Kosten für Öl, Stahl etc. sorgen mußte. Ein weiterer Grund jedoch war, daß die Kapitalisten so dem Forderungsdruck der organisierten Arbeiter ausweichen konnten. Diese 'Finanzkapital' genannten Finanzinvestitionen produzieren keine Gebrauchswerte und bestehen im wesentlichen darin, daß Geld schnell von einem Ort auf der Erde zum anderen bewegt wird, wobei es in solchen Sachen wie Währungen, Land und Krediten spekulativ angelegt wird. Statt also Sachen aufzubauen oder herzustellen, schafft Finanzkapital Profit, indem es zum Kauf und Verkauf eingesetzt wird, was auch den Kauf und Verkauf von Geld beinhaltet, und schafft so Riesenprofite in kurzen Zeiträumen. Es ist ein bißchen so wie beim Wetten, weshalb manche dies auch "Kasino-Kaptalismus" nennen. Die neue Computertechnologie spielte offensichtlich eine wichtige Rolle in der Entstehung dieser neuen Aktivitäten.

Wichtiger war jedoch das Aufbrechen von 'Barrieren', von denen die Unternehmen behaupteten, daß sie sie an der Gewinnung größerer Profite hinderten. Diese Barrieren beinhalteten internationale Handelsbarrieren, wie Zölle, Einfuhrsteuern und Importkontrollen.

Aber die Unternehmen wollten auch, daß die Regierungen die 'gesellschaftlichen' Barrieren brachen, also Gewerkschaften, Arbeitsschutzgesetze, Arbeits- und Einkommenssicherheit, öffentliche Dienste und soziale Sicherungssysteme. Eigentlich waren diese 'Barrieren' gar keine Barrieren, sondern Formen des 'Schutzes' der Rechte und des Einkommens Erwerbstätiger, die diese in langen Jahren des Kampfes erworben hatten. Es war ihr kollektives gesellschaftliches Recht diesen Schutz zu haben. Die Unternehmen und die sie unterstützenden Regierungen jedoch behaupteten, daß dieser Schutz die Fähigkeit der Unternehmen Profit zu machen einschränkte, und daß es notwendig wäre einen 'freien Markt' zu haben, in dem es für die Erwerbstätigen keinen Schutz und es weniger Regierungsausgaben gebe. Selbstverständlich bietet der Markt keine 'Freiheit'. In Wirklichkeit geht es um die größere Freiheit der Unternehmen Profit zu machen.

Natürlich gab es noch andere sogenannte 'Barrieren', die die Unternehmen einreißen wollten. Darunter fallen der Schutz der Umwelt und die öffentliche Gesundheitsfürsorge. Auch für diesen Schutz kämpften die Erwerbstätigen organisiert über lange Jahre. Aber die Unternehmen wollten diesen Schutz entfernen, damit sie ungehindert Profit machen könnten. Das bedeutete auch, die ganze natürliche Umgebung zu 'Sachen' zu machen, die Unternehmen zur Profiterhöhung kaufen, verkaufen und zerstören konnten.

Um also die gegen die Unternehmensprofite, die Mitte der 70er in die Krise gekommen waren, gerichteten 'gesellschaftlichen Barrieren' aufzubrechen, wurde vor mehr als 20 Jahren begonnen, die kollektiven gesellschaftlichen Rechte Erwerbstätiger abzubauen. Dies bedeutete die Kürzung von Löhnen und Gehältern, Verlust sozialer Sicherungen der Erwerbstätigen, Kürzungen der Staatsausgaben, die Privatisierung öffentlicher Dienste und Einrichtungen und billigere, ungeschütztere Arbeit, die die Unternehmen ausbeuten können.

Im Zuge dieses Prozesses des Abbaus gesellschaftlicher Barrieren wurden auch Barrieren in anderen Ländern, in denen Unternehmen, vor allem Multis, Profit machen wollten, abgebaut. In den Ländern wo es der erwerbstätigen Bevölkerung gelungen war, ihre kollektiven gesellschaftlichen Rechte abzusichern, wurden die Regierungen aufgefordert oder gezwungen, diese Sicherheiten zu zerstören. In den Ländern, wo die erwerbstätige Bevölkerung diese Rechte noch nicht hatte absichern können, wurde auch ihnen der 'freie Markt' aufgezwungen, und die Regierungen weigerten sich, ihre Rechte anzuerkennen. Dabei waren die Arbeiterbewegung und andere soziale Bewegungen häufig gewaltsamer Repression durch die Regierung ausgesetzt.

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher und der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan gehörten zu den ersten Regierungsführern, die diesen Angiff gegen gesellschaftliche Barrieren, im Interesse der Unternehmensprofite, vorantrieben. Deshalb wird die Ideologie des 'freien Marktes' manchmal auch "Thatcherismus" oder "Reaganismus" genannt. Dieser Angriff auf die erwerbstätige Bevölkerung fand sowohl in Großbritannien und den USA, als auch in den Ländern der 3. Welt statt. Heutzutage haben fast alle Regierungsführer der Welt diese Ideologie des 'freien Marktes' angenommen und zerstören den Lebensunterhalt der Erwerbstätigen und die Umwelt in der wir leben, im Interesse von Unternehmensprofiten.

So verstanden, lassen sich die weltweiten Veränderungen, die wir Globalisierung nennen, als Teil einer politischen Lösung der Profitkrise, der sich die Großunternehmen vor 20 Jahren gegenübersahen, begreifen. Indem sie den Erwerbstätigen in allen Ländern der Erde dieselbe 'Lösung' des 'freien Marktes' auferlegten, haben Großunternehmen und Regierungen diese Veränderungen weltweiten Ausmaßes hervorgebracht.

Daran anschließend können wir Globalisierung folgendermaßen definieren: Globalisierung ist eine Strategie der politischen Eliten und Unternehmen um die Profitkrise, der sich die Unternehmen Mitte der 70er gegenübersahen, zu bewältigen. Diese Strategie beinhaltet die Ideologie des 'freien Marktes', mittels derer die Rechte und der Lebensunterhalt der Erwerbstätigen auf der ganzen Welt angegriffen werden und alles den Unternehmensprofiten untergeordnet wird.

Indem wir Globalisierung so auffassen, sehen wir uns mit einer wichtigen Schlußfolgerung konfrontiert. Wenn Globalisierung kein natürlicher Prozeß ist, und wenn es eine gezielte politische, gegen die Interessen, Rechte und den Lebensunterhalt der Erwerbstätigen gerichtete, Strategie von Regierungen und Unternehmen ist, dann können und sollten wir natürlich eine andere Strategie schaffen. Globalisierung ist keine Sache, sie ist nicht etwas, daß vom Himmel gefallen ist. Sie wurde geschaffen und uns aufgezwungen. Wenn dies der Fall ist, dann müssen wir sie beenden und für uns selbst eine Reihe von 'Veränderungen' schaffen, die unsere Interessen, unsere kollektiven Rechte und unser Wohlergehen vorantreiben.

Gerard Greenfield und Tim Levens

Erschienen in: Globalisation Monitor (chinesische Ausgabe), 1, September 1999, pp. 2-4.
Übersetzung: Lars Stubbe