Können die ArbeiterInnen die Globalisierung besiegen?

 

In Malaysias großen Elektronik-Fabriken arbeiten über 160.000 Menschen, meist Frauen - eine industrielle Arbeitskraft von der Größe des Silicon Valley. Die Unternehmer sind allesamt multinationale High-Tech-Giganten. Chips und Schaltkreise, die in Penang am Fließband montiert werden, werden exportiert, in der überwältigenden Mehrzahl in die USA, nach Japan und Westeuropa. - reiche Länder mit den entsprechenden Märkten. Wie ihre Schwestern an den Bändern in Sunnyvale, müssen malaysiche Elektronik-ArbeiterInnen harte Zeiten überstehen, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren wollen. Faktisch ist die Anzahl der gewerkschaftlich organisierten Fabriken in beiden Regionen dieselbe: 0.

Dies liegt nicht etwa daran, dass die Arbeiterinnen keine Gewerkschaften wollten. Vor 10 Jahren haben die Fließband-ArbeiterInnen von RCA Malaysia eine gegründet. Sie wollten sie vom Staat registrieren lassen, und ihnen wurde gesagt, dass sie nicht Mitglied einer Gewerkschaft sein können, die eine ganze Branche organisiert. Erlaubt sei lediglich eine gewerkschaftliche Organisation auf der Ebene eines einzelnen Betriebs. Als die ArbeiterInnen daraufhin die Gewerkschaft als Betriebsgewerkschaft anerkennen lassen wollten, nannte sich RCA um in Harris Solid State und behauptete, eine völlig neue Firma zu sein. Über die Jahre hinweg hat RCA seit dem dreimal den Namen geändert, jedesmal, um keine Gewerkschaften anerkennen zu müssen. Die ArbeiterInnen bei RCA haben immer noch keine kollektiven Verhandlungsrechte.

"ArbeiterInnen können dort wirklich keine Gewerkschaft aufbauen", sagt G. Rajasekaran, Generalsekretär des malaysischen Gewerkschaftsdachvebandes. "Die Gesetze lassen das zwar zu, aber in der Praxis ist es unmöglich. Die Regierung behauptet, dass in Malaysia Tausende von Jobs verloren gehen, weil die Gewerkschaften zu militant seien. Es scheint, als hätten die Unternehmer alle Regierungen in Asien davon überzeugt, den ArbeiterInnen gewerkschaftliche Organisierung und kollektive Verhandlungsrechte zu verweigern. Und US-Firmen sind mit an der Spitze, wenn es um Verstöße gegen gewerkschaftliche Rechte geht."

Rajasekaran äußerte sich in Seattle, auf einem Forum anlässlich der WTO-Verhandlungen im letzten Jahr. Seine Beschreibung des Klassenkampfs bei RCA würde den ArbeiterInnen und Gewerkschaften in vielen Ländern der Dritten Welt bekannt vorkommen. Sie sind hier mit einem Aspekt der globalen Ökonomie konfrontiert. Die transnationalen Konzerne errichten Fabriken in den Trikont-Staaten, um die niedrigen Löhne auszunutzen; sie produzieren aber für die Märkte der Industrieländer, wo der Lebensstandard sehr viel höher ist. Die Regierungen unterstützen sie bei der Kontrolle und Knebelung der Gewerkschaften und bei der Begrenzung der sozialen Rechte und Errungenschaften, die ausländische Direktinvestitionen abschrecken könnten.

Das WTO-Treffen in Seattle wurde aber auch von großen ArbeiterInnendemonstrationen begleitet, die die andere Seite der Globalisierung thematisierten - den Arbeitsplatzabbau in den Industrieländern, wo die Konzerne sich ein Wettrennen bei der Verlagerung von Produktionsstandorten zur Reduktion der Arbeitskosten liefern. Gewerkschaften demonstrierten zusammen mit Ökologen, mit Jugendlichen und mit den AktivistInnen der "Fair Trade"-Kampagne. Sie alle haben den gemeinsamen Feind erkannt - ein Weltwirtschaftssystem, das von den großen Konzernen dominiert wird.

Einer der DemonstrantInnen war Michael Everett, ein Arbeiter aus den Filmstudios Hollywoods. Everett und die "Hollywood Fair Trade Campaign" beschuldigt die Studios, ihre Produktionen nach Kanada und Mexiko zu verlagern und dabei die Investitionserleichterungen auszunutzen, die das NAFTA-Abkommen zwischen diesen drei Staaten ermöglichen. "Die politisch Verantwortlichen in den USA haben ein Handelssystem installiert, das die Unternehmensprofite dadurch sichert, dass unsere Arbeitsplätze exportiert werden", sagt Everett. "Im Austausch für die bisherigen Subventionen aus Kanada, die das NAFTA-Abkommen verbietet, kehren die Studios jetzt den bisherigen Standorten und den dortigen Gemeinden den Rücken und betreiben den kompletten Ausverkauf der Arbeitsplätze in Hollywood."

Im letzten Herbst haben Everett und andere GewerkschaftsaktivistInnen in Hollywood Demonstrationen zu einem Gala-Dinner bei den Sony-Studios organisiert, das die Motion Picture Association of America zu Ehren von Wirtschaftsstaatsekretär Bill Daley und seiner "Freihandels-Erziehungs-Tour" gegeben hat. Daley's Variete-Show bemüht sich um die simple Botschaft: Wenn die Regierung die US-Konzerne bei ihren Freihandelsbemühungen unterstützt, nützt das der Bevölkerung.

Doch gehen nach Gewerkschaftsangaben die Hollywood-Jobs nicht nur nach Kanada. Twentieth Century Fox drehte den Kassenschlager "Titanic" letztes Jahr in einer Maquiladora in Rosarito, 60 Meilen südlich der mexikanischen Grenze. In einem Szenario, das frappierende Ähnlichkeiten mit den Problemen der malaysischen Elektronik-ArbeiterInnen aufweist, wurde die unabhängige und militante mexikanische Gewerkschaft mit Regierungshilfe aus den Studios verdrängt und durch eine unternehmerfreundliche Gewerkschaft ersetzt.

Während Everett den Effekt der Globalisierung im Arbeitsplatzabbau in Hollywood sieht, drückt sich für südkoreanische GewerkschafterInnen die Globalisierung in der vollständigen Zerstörung der koreanischen Filmindustrie aus. "Die enorme Macht der Hollywood-Studios - eine der größten Quellen US-amerikanischer Dominanz in der Welt - zerstört die fragile koreanische Filmindustrie", heißt es in einem Statement des kämpferischen koreanischen Gewerkschaftsdachverband KCTU. Die KCTU wirft der koreanischen Regierung unter Kim Dae Jung vor, die Quoten für im Ausland hergestellte Filme fallen gelassen zu haben. Koreanische Regisseure und Schauspieler haben sich aus Protest sogar die Köpfe kahl scheren lassen. Mit dieser Maßnahme - vom Internationalen Währungsfond als Bedingung für Bürgschaftskredite gefordert - gebe die Regierung amerikanischem Druck nach, so die KCTU. In keinem Land haben die ArbeiterInnen irgend etwas von Hollywoods globalen Operationen. In Seattle wurde klar, dass Gewerkschaften und ArbeiterInnen weltweit glauben, dass die globalisierte Ökonomie ihren Lebensstandard, ihre Jobs und ihre ArbeiterInnenrechte angreift. Auf beiden Seiten der großen globalen Scheidelinie zwischen arm und reich ist das die gemeinsame Überzeugung.

Die KCTU z.B. verurteilt den "strukturell undemokratischen Charakter der Globalisierungsideologie". Dieser führe "trotz aller Rhetorik seitens der Institutionen des globalen Kapitalismus von den Vorzügen des freien Marktes und der Libearlisierung" zu einer "immer tiefer werdenden Kluft in der Entwicklung und beim Wohlstand zwischen reichen und armen Ländern sowie zwischen den Reichen und dem Rest der Bevölkerung in jedem einzelnen Land."

Ron Judd, Vorsitzender des zentralen Arbeitsrates in Seattle, sagte, die WTO-Proteste sollten eine Botschaft "an alle Administrationen auf der ganzen Welt" sein, "dass nämlich die von ihnen formulierten Regeln den ArbeiterInnen und den lokalen Communities keinerlei Vorteil bringen und dass sie Ökologie- und Gesundheitsstandards untergraben. Es muss etwas passieren." Doch obwohl sie alle vor einem gemeinsamen Problem stehen, wurde in Seattle auch klar, dass die Gewerkschaften international keineswegs darin einig sind, was denn zu geschehen habe. Die AFL-CIO glaubt, dass zukünftige Welthandelsregularien so fixiert werden können, dass sie ArbeiterInnenrechte und die Umwelt genauso schützen wie die jetzigen Regeln die Unternehmensprofite sichern. Der Gewerkschaftsdachverband forderte die WTO auf, in zukünftige Verträge fünf internationale Konventionen in Bezug auf die Arbeit aufzunehmen. Diese fünf Vereinbarungen - von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) übernommen - sollen ArbeiterInnen überall das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und auf kollektive Verhandlungen mit den Unternehmern gewährleisten. Sie sollen Kinderarbeit drastisch einschränken, Zwangsarbeit verbieten und Diskriminierung ächten. Sie sollen von der WTO durchgesetzt werden, die bereits bei Verstößen gegen die bestehenden Handelsregularien drastische finanzielle Sanktionen gegen die betreffenden Regierungen verhängen kann.

Der jetzige ILO-Generalsekretär Juan Somavia sagt, dass seine Organisation "dabei ist, die sozialen Grundregeln der Weltwirtschaft zu etablieren." Doch auch Somavia glaubt nicht, dass Konventionen ein Allheilmittel sein können. "Es gibt keinen Impfstoff gegen die Krankheiten der Arbeit", gibt er zu.

Dennoch geht Barbara Shailor, Vorsitzende des Büros für internationale Beziehungen der AFL-CIO, davon aus, dass Schutzkonventionen, die in Handelsabkommen verankert sind, ArbeiterInnenrechte schützen können. Sie vergleicht sie mit den Bemühungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, faire Bestimmungen über Arbeitsbedingungen, wie den Mindestlohn und den Acht-Stunden-Tag, in den nationalen US-amerikanischen Gesetzen zu verankern. "Wir müssen den politischen Willen schaffen, solche Bestimmungen in einer durchsetzbaren Form in den Handelsabkommen zu implementieren", betont Shailor. "Dieser Herausforderung stehen wir gegenüber. Wenn wir nicht glauben würden, dass dies möglich ist, wüßte ich nicht, warum wir diese ganze Mobilisierungsarbeit tun sollten. Wie Sie wissen, gibt es Regeln zum Wohle des Kapitals, die sehr erfolgreich in solchen Abkommen verankert sind. Nun ist es an der Zeit, solche Regeln zum Wohle der Arbeit aufzustellen."

Die Forderung, die WTO solle Arbeitsstandards durchsetzen, wird von einigen Gewerkaschaften aus den Industrieländern unterstützt, von anderen, vornehmlich aus den armen Ländern des Südens, jedoch abgelehnt. "Einige unserer Kollegen fürchten die Verbindung von Handelsregularien mit Arbeitsstandards. Sie fürchten, dass solche Standards als protektionistische Mittel missbraucht werden", erklärt Rajasekaran. "In Indien z.B.gibt es sehr viel Kinderarbeit, und die Kollen fürchten deswegen, dass sich solche Standards gegen sie richten könnten."

Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des südafrikanischen Gewerkschaftsdachverband COSATU, bemerkt: "Es gibt eine Kontroverse in den Ländern des Südens über Arbeitsstandards. Die Arbeiter sorgen sich um ihre Jobs und misstrauen diesen Vorschlägen als verkappter Protektionismus seitens der Gewerkschaften in den Industrieländern." Dennoch ist diese Idee für Vavi, Vorsitzender eines der weltweit kämpferischsten Gewerkschaftsdachverbände, einen Versuch wert. "Diese Standard sind nicht wirklich neu - sie schwirren seit Jahrzehnten herum. Der eigentliche Grund für den ganzen Protest liegt darin, dass jeder weiß, dass die ILO über keinerlei Durchsetzungsmechanismen verfügt. Viele Länder wissen, dass sie gegen die ILO-Konventionen verstoßen, aber die ILO kann nichts dagegen tun. Dieser Mangel an Durchsetzungsfähigkeit ist selbst ein Faktor, der in den betreffenden Ländern Investitionen attraktiv macht."

Vavi gibt zu, dass "es ein innerer Widerspruch ist, der WTO diese Verantwortung zu übertragen. Das heißt aber nicht, dass wir Gewerkschaftsrechte aus den Handelsabkommen heraushalten sollten. Das ist halt ein Kampf."

Das Mißtrauen in den Trikont-Staaten wuchs noch, als US-Präsident Clinton das Thema der Arbeits- und Sozialstandards vor dem WTO-Treffen zur Sprache brachte. Lauthals verkündete er die Annahme einer ILO-Konvention zur Kinderarbeit durch die USA und forderte die anderren Regierungen auf, dasselbe zu tun. Was Clinton nicht sagte, war, dass diese Konvention lediglich Kinderprostitution und die extremsten Formen der Ausbeutung von Kindern verbietet. Die sehr viel weitergehende ILO-Konvention 138, die gegen die Arbeit von Kindern unter 14 Jahren gerichtet ist, wurde nicht ratifiziert. "Einer der wesentlichsten Kritikpunkte an der Haltung der US-Regierung ist ihre Doppelmoral", sagt Vavi. Die meisten ILO-Konventionen hat sie selbst nicht ratifiziert. Gleichzeitig schreit sie nach der Durchsetzung der Konventionen überall sonst auf der Welt."

Doch die Differenz in der Sichtweise zwischen den Gewerkschaften des Südens und des Nordens ist sehr viel grundsätzlicher als der bloße Verdacht der Heuchelei. Bill Jordan, Vorsitzender der Internationalen Föderation Freier Gewerkschaften sagte vor dem Forum in Seattle: "Wenn die WTO den Ruf des US-amerikanischen Präsidenten nach einer sozialen Dimension der Globalisierung nicht aufgreift, wird die Globalisierung selbst scheitern." Das Scheitern der Globalisierung, zumindest in ihrer jetzigen Form, ist aber genau das, was viele fortschrittliche GewerkschafterInnen wollen. Und zwar aufgrund der momentanen Handelsstrukturen, die durch die WTO symbolisiert werden und die die armen Länder des Südens zwingen, ihre Ökonomien zu öffnen und für internationale Investoren herzurichten. Laut Nair Goulart von der brasilianischen Forza Sindical "ist die Kluft zwischen arm und reich in Brasilien nach einem Vierteljahrhundert der Wirtschaftsliberalisierung tiefer denn je." Die Arbeitslosenrate beträgt 9,5%, und die Kaufkraft der ArbeiterInnen liegt nur noch bei 27% des Niveaus der 80er Jahre. Das UN-Entwicklungsprogramm behauptet, dass die ausländischen Investitionen und Handelsliberalisierung die Lebensqualität verbessern. Statt dessen übertreffen wir uns aber damit, unsere natürlichen Ressourcen und unsere Arbeitskraft zum niedrigst möglichen Preis zu verscherbeln." Darüber hinaus nimmt auch die Kluft zwischen reichen und armen Ländern zu. Die Relation beim Lebensstandard zwischen den USA und Mexiko betrug in den 50er Jahren 3:1. Nach Angaben des mexikanischen Ökonomen Alejandro Alvarez Bejar ist das Verhältnis heute 16:1. Diese Differenz reflektiert die Verarmung der mexikanischen ArbeiterInnen und ist die Ursache für den Verlust von US-Jobs aufgrund von Produktionsverlagerungen.

Mit Arbeitsstandards allein ist dieser Kluft nicht beizukommen. Dies erfordert einen größeren Kampf darüber, wer die Ökonomien des Südens kontrolliert und welches Entwicklungsprogramm von ihnen verfolgt werden soll. Die von der WTO gestärkte Handelsstruktur fördert ein freundliches Klima für ausländische Investitionen, einschließlich niedriger Löhne und schwacher Gewerkschaften. Nationale Entwicklungsprogramme stehen dazu in scharfem Gegensatz: Sie stärken die Herausbildung eines Binnenmarktes, der sich auf steigende Einkommen von ArbeiterInnen und Bauern, auf den Schutz nationaler Industrien (inklusive Verstaatlichung) und auf das garantierte ArbeiterInnenrecht zur gewerkschaftlichen Organisierung, zur kollektiven Verhandlung und zur Ausübung politischer Macht stützt.

Für die KCTU und andere linke Gewerkschaftsverbände in den Trikont-Staaten sind nationale Entwicklungspolitiken von zentraler Bedeutung bei der Kontrolle der nationalen Ökonomien. Sie repräsentieren " das Prinzip einer ausgewogenen Wachstumsstrategie, einer nachhaltigen Entwicklung und das Prinzip, dass die Bevölkerung das Recht hat, einen alternativen Weg einzuschlagen, der nicht von undurchschaubaren Kräften diktiert wird, sondern in einem demokratischen Prozess die die eigenen politischen und sozialen Bestrebungen bestimmt wird."

Doch internationale Institutionen wie WTO und ITF - unterstützt durch die US-Regierung - tun alles, um die Staaten des Südens von einer eigenständigen Entwicklung abzuhalten. Regierungen, die solche alternativen Wege einschlagen, werden zu Parias des Welthandelssystems. Sie sind "Rote" und sind mit Sanktionen konfrontiert.

"Man erzählt den Regierungen, dass ArbeiterInnenrechte und ökonomische Entwicklung ein Null-Summen-Spiel sei, dass die Verbesserung der Lebensbedingungen der ArbeiterInnen die ökonomischer Entwicklung bremst", sagt Vavi. "Das ist eine Einschüchterungstaktik. Auf der Jagd nach Profit wird ihnen gesagt, sie sollen die Schutzbestimmungen für ArbeiterInnen beseitigen und dies dann als Investitionsanreiz benutzen. Die Menschen und die Umwelt sind immer die Verlierer dieser Politik. Entwicklung ist ein weitergehenderes Konzept. Es beinhaltet soziale Entwicklung und die Lebensbedingungen der Menschen. Ein Ansatz, der darauf ausgerichtet ist, ArbeiterInnenrechte und Löhne aufzuweichen, unterminiert Entwicklung. Entwicklung kann es bei Massenarbeitslosigkeit und Armut nicht geben. ArbeiterInnenrechte sind ein Entwicklungsthema."

Sogar innerhalb der AFL-CIO glaubt eine Riege von Gewerkschaften nicht daran, dass die WTO ArbeiterInnenrechte durchsetzen kann. "Das ist, als wolle man den Fuchs zum Wächter des Hühnerstalls machen", sagt Brian McWilliams, Präsident der International Longshore and Warehouse Union (ILWU). Er bezeichnet die Position von Barbara Shailor als "durchaus ehrenhaft", aber "das reicht einfach nicht. Es ist auch keine Antwort auf die Ausbeutung von ArbeiterInnen. Es muß ein anderer Mechanismus außerhalb der WTO her, der ArbeiterInnerechte weltweit schützt."

Die ILWU, als Gewerkschaft der Hafenarbeiter, verdankt ihre Existenz dem internationalen Handel. Aber sie hat aus ihrer radikalen Vergangenheit auch eine starke Tradition des Arbeiterklassen-Internationalismus geerbt. Sie war eine der linken Gewerkschaften, die Ende der 40er Jahre, zu Beginn des Kalten Krieges auch in der internationalen ArbeiterInnenbewegung, die CIO verlassen hat. Und in den Jahren darauf hat die ILWU ihre Macht in den Häfen immer wieder zur Verteidigung von Gewerkschaften und ArbeiterInnen in Mittelamerika, Chile, Südkorea und Südafrika eingesetzt. Während der WTO-Demonstrationen hatte die ILWU am 30. November 1999 jeden Hafen an der US-amerikanischen Westküste dicht gemacht. Während Gewerkschaften, die den WTO-Prozess kritisieren, oft protektionistisch genannt werden, erwidert Williams scharf: "Wir sind nicht gegen fairen Handel, wir sind gegen Freihandel."

Der ILWU-Präsident macht deutlich, dass die Definition der Arbeitsstandards erweitert werden sollte. Es sollten auch solche Regeln aufgenommen werden, die die USA selbst betreffen, wie etwa das Verbot von Streikbruch, das Recht auf freie Gesundheitsversorgung, existenzsichernde Löhne und der Schutz der Rechte von MigrantInnen. So lange beim Lebensstandard eine dermaßen große Kluft zwischen armen und reichen Ländern herrscht, sagt Williams, werden Arbeitsplätze in Hochlohn-Ländern abgebaut, ob mit oder ohne WTO-Absprachen. Deshalb sollten die US-amerikanischen Gewerkschaften "gegenüber der US-amerikanischen Wirtschafts- und Militärpolitik, die diese Kluft verstärkt, eine kritische Haltung einnehmen", betont Williams.

Für George Becker, Präsident der Stahlarbeitergewerkschaft sind die WTO und die Welthandelsstrukturen grundsätzlich fehlerhaft. "Da gibt es nichts für die arbeitende Bevölkerung, absolut gar nichts. Das Gesetz existiert ausschließlich zur Unterstützung der multinationalen Konzerne. Es ist nicht für die ArbeiterInnen da. Es gibt keine Möglichkeit, diese Abkommen durch ein Komma hier und ein anderes Wort da zu verbessern. Es sind ganz einfach nicht unsere Abkommen. Auf den Müll mit ihnen."

Nach McWilliams, Becker und ihren Bündnispartnern hat das NAFTA-Abkommen bereits zur Genüge gezeigt, dass ArbeiterInnenrechte so nicht durchsetzbar sind. Mit dem NAFTA-Abkommen wurde 1994 auch ein Begleitabkommen verhandelt, das North American Agreement on Labor Cooperation. Damit sollten die ArbeiterInnenrechte in Kanada, den USA und Mexiko geschützt werden. In den letzten fünf Jahren jedoch sind über 15 Fälle aktenkundig geworden, in denen insbesondere der mexikanischen und der US-Regierung vorgeworfen wird, die Arbeitsgesetzgebung nicht gestärkt zu haben mit der Konsequenz, dass ArbeiterInnen gefeuert und Gewerkschaften zerschlagen worden sind.

Das bekannteste Beispiel ist der Versuch der ArbeiterInnen der Han Young-Fabrik in Tijuana, eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen und einen legalen Streik zu organisieren. Die Justiz sowohl in den USA wie auch in Mexiko hat bestätigt, dass die mexikanische Regierung illegal handelte, als sie die Organisierung bei Han Young verbot. Doch der NAFTA Prozess hat völlig dabei versagt, irgend eine spürbare Veränderung auf den Weg zu bringen.

Leo Girard, Vizepräsident der Stahlarbeitergewerkschaft, weist darauf hin, dass ArbeiterInnensolidarität eine wirksamere Antwort ist und weist auf die lange Unterstützung der Han Young-ArbeiterInnen durch seine Gewerkschaft hin. "Das Handelsregime von NAFTA und WTO ist nicht dafür gedacht, die Lebensqualität zu verbessern", erklärt er. "Dieser Handel bevorteilt ausschließlich die Unternehmer. Er repräsentiert die Verlängerung der Ausbeutung und nicht ihr Verschwinden."

Die AFL-CIO entgegnet, dass die Zahnlosigkeit des NAFTA-Nebenabkommens durch Arbeitsschutzkonventionen im WTO- Abkommen korrigiert werden könne. Doch Mc Williams bezweifelt dies. Er weist darauf hin, dass die US-Regierung selbst bisher nur eine der fünf ILO-Konventionen ratifiziert hat. Und es sei mehr als unwahrscheinlich, dass die USA die WTO zur Anerkennung von Konventionen drängt, die sie selbst nicht akzeptieren. "Wir haben eine der schlechtesten Bilanzen aller Industrieländer, was die Anerkennung internationaler Gewerkschaftsrechte angeht", sagt Mc Williams.

Im November 1999 hat AFL-CIO Präsident John Sweeney einen Brief des Komitees für Außenhandelspolitik unterzeichnet, in dem den Regierungszielen für die WTO-Runde in Seattle zugestimmt wird. Sweeney gehört diesem Beratergremium des US-Präsidenten genauso an wie führende Köpfe US-amerikanischer Unternehmen, die diesen Brief ebenfalls unterschrieben haben. Der Brief unterstützt die Regierung bei ihrem Versuch, für US-Unternehmen und Investoren einen größeren Zugang zu ausländischen Märkten zu erzielen. Sweeney erklärte, er habe die Zusicherung der Washingtoner Administration erhalten, dass sie umgekehrt auf die Errichtung einer Arbeitsgruppe zu Fragen der Arbeitsstandards drängen werde. In einer Stellungnahme der AFL-CIO wird diese Verpflichtung als "scharfe Abkehr von der bisherigen Position der Geschäftswelt" bezeichnet, "nach der ArbeiterInnenrechte in keiner Weise ein Thema für die WTO seien.". Die AFL-CIO fordert daneben einen harten Kampf, "um die WTO zu einer demokratischeren und verläßlicheren Institution zu machen."

Der kanadischer Gewerkschaftsdachverband CLC hat dieser AFL-CIO-Auffassung klipp und klar widersprochen. "Der Kampf von Gewerkschaften, ÖkologInnen und (sozialen) Bürgerrechtsgruppen geht um mehr als um einen Sitz am Verhandlungstisch oder um irgendwelche ,Sozialklauseln' oder Umweltregularien", heißt es in einer Erklärung des CLC. "Wir sind entschlossen, das gesamte Handelsregime zu ändern."

Sweeneys Schritt hat auch viele amerikanische Gewerkschaftsführer vor den Kopf gestoßen. Steven Yokich, Präsident der Automobilarbeitergewerkschaft UAW, ist aus Protest vom Vorsitz des Manufacturing and Industrial Committees der AFL-CIO zurückgetreten. "Ich wäre unendlich zynisch, wenn ich die WTO damit beauftragen würde, Arbeitsstandards durchzusetzen", sagte er in Seattle. "Ich glaube nicht, dass die WTO irgendetwas in diese Richtung tun wird. Das ist Unsinn." Yokich wies darauf hin, dass es seine Gewerkschaft, zusammen mit der ILWU, den Teamsters und der Gewerkschaft der Bundesangestellten, abgelehnt habe, auf der letzten AFL-CIO-Hauptversammlung im Oktober 1999 für die Unterstützung Al Gores bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu stimmen. Gores uneingeschränkte Unterstützung der Außenhandelspolitik der Regierung war dabei der entscheidende Stolperstein. "Beim NAFTA-Abkommen hat Clinton einen gravierenden Fehler gemacht", erläutert Yokich. "Dabei sind in den USA ausschließlich Jobs auf Mindestlohnbasis geschaffen worden. Die Regierung hat in Bezug auf die Handelspolitik ganz einfach unrecht. Inzwischen haben wir ein Außenhandelsdefizit von 300 Mrd. US-Dollar. Dahinter verbirgt sich ein dramatischer Arbeitsplatzabbau. Letztlich hat uns die Regierung hängen lassen - deswegen sind wir hier."

Die AFL-CIO-Führung ist offensichtlich besorgt über die drohende Schlacht mit der Clinton-Administration über die Außenhandelspolitik. Auf der einen Seite mobilisierte die AFL-CIO ihre Mitglieder mit erheblichem Aufwand nach Seattle. Gleichzeitig aber will sie sie auch dazu bringen, genau die PolitikerInnen zu unterstützen, die sich für den Freihandel stark machen, insbesondere Al Gore.

Michael Everett aus Hollywood ist wahrscheinlich ihr schlimmster Alptraum. "Die Arbeiter in Hollywood werden keinen Finger krumm machen für PolitikerInnen, die ihre Jobs exportieren wollen", hatte er angekündigt. "Wir werden deren Kandidaturen nicht billigen, wir werden uns nicht für sie in die Einkaufszonen stellen, wir werden ihnen kein Geld geben und wir werden keinen einzigen Politiker irgendeiner Partei wählen, der Handelsabkommen unterstützt, die uns unsere Jobs kosten."

Everett vertrat diese Position auf der Hauptversammlung des kalifornischen Gewerkschaftsdachverbandes im Januar, als es um die politische Unterstützung für verschiedene demokratische Kongressabgeordnete ging. Everett versuchte dort, die Gewerkschaftsunterstützung für sieben Kongressabgeordnete zu blockieren. Alle sieben hatten sich für NAFTA ausgesprochen. Auch wenn seine Opposition bei sechs von ihnen kaum Fortschritte gemacht hat: Der Ärger über die Freihandelsposition der Demokraten war dennoch greifbar. Als der siebte Delegierte, Sam Farr aus Monterey, außerdem den streikenden Teamster aus dem Jahr 1998 die Unterstützung versagte, kochte dieser Ärger über. Farr erhielt keine offizielle Gewerkschaftsunterstützung.

Der Außenhandel ist eindeutig das schwierigste Element bei der Neuordnung der Beziehungen zwischen den US-amerikanischen Gewerkschaftsmitgliedern und der Demokratischen Partei. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist der Freihandel die Grundlage jeder US-Regierung gewesen, egal ob von Republikanern oder Demokraten gestellt. Während des Kalten Krieges hat die antikommunistisch motivierte Unterstützung des Freihandels durch die Gewerkschaften diese in eine Reihe mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und militärischen Interventionen gebracht, vom Marshall Plan bis zum Vietnam-Krieg.

Die Opposition der Gewerkschaften gegen den Freihandel ist nun der Faktor, der diese unhinterfragte Unterstützung in Frage stellt. Eine größere politische Unabhängigkeit ist in der Tat notwendig, wenn die US-Gewerkschaften den Freihandel und die globalisierte Ökonomie herausfordern wollen.

Gleichzeitig fordert die Handelsdebatte auch die traditionelle Sichtweise der US-Gewerkschaften auf die ArbeiterInnenklasse in den anderen Ländern der Welt heraus. Auch wenn es immer noch scharfe Meinungsverschiedenheiten gibt, so sehen doch inzwischen - zum ersten Mal seit den 40er Jahren - Millionen von Gewerkschaftsmitgliedern in den USA, dass ihr Schicksal sehr eng mit dem der ArbeiterInnen in buchstäblich jedem anderen Land der Welt verbunden ist. Diese Erkenntnis in ein reales Solidaritätsprogramm zu gießen, ist die größte Herausforderung, der sich die US-Gewerkschaften gegenwärtig stellen müssen.

ArbeiterInnen und Gewerkschaften in anderen Ländern sind weiterhin mißtrauisch, dass die US-Gewerkschaften von Eigeninteresse motiviert sein könnten, wenn sie sich für internationale Arbeitsstandards stark machen. Doch es gibt auch ein wachsendes globales Bewußtsein darüber, dass kein nationaler Dachverband allein es verhindern kann, von der globalisierten Ökonomie geprügelt zu werden, es sei denn, es gelingt ihm, sich mit einer weltweiten Bewegung zu vernetzen.

Die KCTU spricht für viele Gewerkschaften, wenn sie darauf hinweist, dass "die Kämpfe in irgendwelchen Ecken der Welt nicht länger losgelöst und isoliert voneinander sind. Sie schaffen eine weltweite Bewegung mit einem neuen Geist der internationalen Solidarität, indem die Berechtigung aller Kämpfe erkannt werden und den etablierten Bewegungen und Organisationen ihr Nimbus geraubt wird."

 

David Bacon

SAN FRANCISCO (16.1.2000)

Übersetzung: Dirk Hauer

 


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