letzte Änderung am 21. Okt. 2002 | |
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Nach etwas mehr als einem Jahr nach dem Verschmelzungs- oder Gründungskongress der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ist es sinnvoll, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.[1] Ver.di läuft, aber es ist ein unrunder Lauf voller Störungen und Auseinandersetzungen. Die Mitgliederentwicklung ist unter dem Strich negativ, die Unzufriedenheit der Mitglieder lässt nicht nach, nach wie vor gibt es eine gehörige Portion Misstrauen gegenüber den Führungsetagen von ver.di.[2] Die erste Tarifbewegung in ver.di wurde bis zum Juli 2002 überwiegend erfolgreich abgeschlossen, es fehlen allerdings noch der politisch schwierige Bankensektor und der öffentliche Dienst, dessen Entgelttarifverträge bis zum 31.10.2002 gültig sind.
Den ersten Dauerstreit hat die versuchte Umsetzung der Budgetierungsrichtlinien hervorgerufen. mit diesem System werden Beitragseinnahmen quasi dreifach verteilt. Einmal in die territorialen Ebenen Bund, Landesbezirke und Bezirke, zum zweiten zwischen den Fachbereichen und der jeweils zugehörigen Ebene und zum dritten zwischen den Fachbereichen. Der grundlegende Konstruktionsfehler liegt in der Budgetierungslogik selbst. Sie ist rein quantitativ und in der Größenentwicklung linear. Quantitativ ist sie, weil Finanzmittel nach den Faktoren Mitgliederzahl und Beitragsaufkommen und nicht nach gewerkschaftspolitischen Gesichtspunkten verteilt werden. Linear ist sie, weil größere Einheiten in einer einfach linearen Entsprechung mehr Geld zur Verfügung haben. Maßstäbe für die Verteilung der Personal- wie Sachkosten sind daher nicht die tatsächlichen Anforderungen an die Gewerkschaftsarbeit, sondern schematische formale Kriterien, also Mitgliederzahl und Beitragsaufkommen. Grundlegende betriebswirtschaftliche Erkenntnisse, wie z. B. die economies of scale, also die Einsicht, dass mit steigenden Produktionsgrößen die Produktionskosten pro Stück sinken, werden ignoriert.[3] Das hat zunächst zur Folge, dass die relativ kleinen Einheiten tendenziell personell unterbesetzt sind und über zu wenig Sachmittel verfügen, während die relativ großen Einheiten finanziell komfortabel ausgestattet sind und extern einstellen müssen, um ihr wegen des linearen Budgetwachstums gestiegenes Personalbudget ausschöpfen zu können.[4] Bei dieser nach quantitativen Kriterien erfolgenden Finanzverteilung sind wichtige qualitative Kriterien z. B. die Schwierigkeit der Mitgliederbetreuung in ländlichen Gebieten mit überwiegend kleinbetrieblichen Strukturen ebenso vergessen worden, wie der quer über die Organisationsbereiche unterschiedlich in Anspruch genommene gewerkschaftliche Rechtsschutz. Der Rechtsschutz und sein umfangreicher Finanzbedarf waren bei der Festlegung der Budgetierungsrichtlinien ebenso nicht berücksichtigt worden, wie die personelle Durchführung und die Finanzierung der Tarifarbeit. Das führt bei der Umsetzung zu absurden Konsequenzen: kleine Fachbereiche mit umfangreicher Tarifarbeit sind personell wie finanziell überfordert, dem Abschluss der im Fachbereich vorliegenden Tarifverträge bloß formal nachzukommen, d. h. die Tarifpolitik wird auf ein von den Mitgliedern weitgehend verselbständigtes formales Verfahren reduziert, während große Fachbereiche ohne eigenständige Tarifarbeit ihre Gremienarbeit künstlich aufblähen müssen, um für die Hauptamtlichen genügend Beschäftigung schaffen und das Sachkostenbudget ausschöpfen zu können.[5] Diese Konstruktionsfehler des Budgetierungssystems sind offensichtlich. Deshalb wird auf allen Ebenen und auch in einigen Fachbereichen versucht, abweichend von den Budgetierungsrichtlinien Sonder- oder Gemeinschaftsbudgets zu bilden, mit denen die in den Richtlinien ignorierten Aspekte der Gewerkschaftsarbeit berücksichtigt werden sollen. Die Reparaturmaßnahmen führen aber einerseits zur weitgehenden Intransparenz der Finanzverteilung. Darüber hinaus gewinnen die Budgetierungsrichtlinien eine verselbständigte Macht gegenüber ihrem eigentlichen Zweck, für die Gewerkschaftsarbeit Finanzmittel bereitzustellen. Die Budgets definieren, wo und in welchem Umfang gewerkschaftliche Interessenvertretung möglich ist. Andererseits basieren diese Gemeinschaftsbudgets auf der Zustimmung aller Beteiligten, die damit einen Abzug von ihnen ansonsten zustehenden Finanzvolumina akzeptieren. Dieses Konsensprinzip wird wiederum die Basis für finanzielle und politische Tauschgeschäfte aller Art und es kostet Arbeitszeit und Arbeitsenergie. Allein die Debatten über die von den Budgetrichtlinien abweichenden Finanztransfers und die Abstimmung dieser Maßnahmen mit allen formal zu Beteiligenden, reduzieren die gewerkschaftspolitischen Debatten und Zielsetzungen auf eine bescheidene Randgröße. Schon auf dieser Ebene produziert die Matrixorganisation ein hohes Zeitmaß der Beschäftigung des hauptamtlichen Apparats mit sich selbst.[6] Darüber hinaus wird damit das Budgetierungssystem für die ehrenamtlichen Funktionäre zu einem völlig undurchschaubaren System, dessen Transparenz vom mehr oder weniger guten Willen der zuständigen Hauptamtlichen abhängt.
Das hohe Zeitmaß dieser Beschäftigung mit sich selbst wird von einem Teil der Akteure als Ärgernis empfunden, weil es das "Kerngeschäft" der Interessenvertretung und Mitgliederbetreuung einschränkt, teilweise sogar gefährdet. Für einen anderen Teil der Akteure werden die Rituale dieser Selbstbeschäftigung - in erster Linie eine Unmenge interner Sitzungen - aber als Ausdruck der eigenen Macht und Bedeutung und damit als Bestätigung eines sozialen Aufstiegs wahrgenommen. Grundlage dieser Wahrnehmung ist die Matrix- im Unterschied zu einer Linienorganisation. In einer ganzen Reihe von Fragen, von der Finanzverteilung über den Rechtsschutz und die Tarifpolitik bis hin zu den verschiedenen Feldern der Gesellschaftspolitik, ist eine Abstimmung zwischen den Fachbereichen bzw. zwischen Fachbereichen und Ebene notwendig. In der Linienorganisation wurde dies per formaler Autorität oder per politischer Kompetenz vorgegeben und stieß gelegentlich auf Widerstand, immer dann wenn die formale Autorität oder die Kompetenz nicht akzeptiert wurde. In der Matrixorganisation dagegen ist nicht der inhaltliche Dissens ausschlaggebend, der zur Kritik führt, sondern es rufen Entscheidungen, die inhaltlich möglicherweise unstrittig sind, aber formal nicht mit allen zu Beteiligenden abgesprochen wurden, bereits Kritik und Widerstand hervor. Zugespitzt formuliert: Die Matrix führt dazu, dass auch inhaltliche oder gewerkschaftspolitische Inkompetenz formal beteiligungsfähig wird. In vielen Fällen wird dieses Problem pragmatisch gelöst, weil gerade politische Inkompetenz an politischen Entscheidungen in der Regel wenig interessiert ist, aber in den restlichen Fällen führt es zu Konflikten. Ein Teil der Konflikte begründet sich in personellen Machtkämpfen. Insbesondere die Fachbereiche müssen ihre formale Beteiligung reklamieren, damit sie bei fachbereichsübergreifenden politischen Fragen nicht übergangen werden. Andererseits drängt die Ebene auf eine gewerkschaftspolitische bzw. tarifpolitische Zuständigkeit, damit sie gegenüber den Fachbereichen nicht zum unpolitischen Dienstleister degradiert wird. Da die Fachbereiche wegen ihrer Beschränkung auf bestimmte Segmente der Interessenvertretung und auf eine oft unmittelbare Interessenvertretung - Erhalt von Arbeitsplätzen in diesen Segmenten - Gefahr laufen, korporatistische und bloß sektorale Interessen zu vertreten, wird der fachbereichsübergreifenden Ebene faktisch die Aufgabe einer politischen Synthese und Verdichtung von zunächst korporativen Interessen zugewiesen. An drei Beispielen soll das illustriert werden: Im Rahmen einer gesundheitspolitischen Kampagne von ver.di wurden sowohl eine Positivliste für Arzneimittel, als auch der schrittweise Einbezug der Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung gefordert. Beides provozierte heftige Kritik, einmal aus dem Bereich des Pharmagroßhandels, zum anderen aus dem Kreis der bereits pensionierten Beamten, obwohl diese davon direkt nicht betroffen wären. Als aus einer Diskussion über die Regulierung der internationalen Finanzmärkte die Notwendigkeit der Tobin-Steuer gefolgert wurde, war die erste Reaktion aus dem Fachbereich Finanzdienstleistungen, dass das Arbeitsplätze bei den Banken kosten würde. Man kann die Matrix positiv als Rahmen eines gewerkschaftspolitischen Pluralismus oder negativ als Rahmen für eine sektoralkorporatische Interessenvertretung verstehen. Diese politische Rolle ist aber in der Matrix für die Ebene nicht vorgesehen. Das heißt, dass sie entweder in Machtauseinandersetzungen mühsam durchgesetzt wird oder dass die Ebene tatsächlich zum unpolitischen Dienstleister degradiert und lediglich im Bundesvorstand die gewerkschaftspolitische Synthese und Zuspitzung stattfinden kann. In der Regel geschieht diese Politisierung auch erst im Bundesvorstand. Eine gezielt auf Konsens gerichtete Taktik des Ausbalancierens unterschiedlicher Interessen vön Fachbereichen untereinander bzw. von Fachbereichen und Ebene erfordert wiederum einen hohen internen Zeitaufwand, der ver.di in der Tendenz gegenüber den Mitgliedern nur eingeschränkt dienstleistungsfähig macht. In der Praxis wird das in den nächsten Jahren auf einen "mittleren Weg" hinauslaufen. Das Ausmaß der Beteiligung wird auf die Fälle, in denen es unterschiedliche politische Positionen oder unterschiedliche materielle Interessen gibt, reduziert werden. Zugleich wird die Aufgabe der politischen und organisatorischen Synthese der Arbeit und die Aufgabe der politischen Führung der jeweiligen Ebene zugeordnet werden. Große Fachbereiche dagegen werden versuchen, sich gewerkschaftspolitisch zu verselbständigen, um sich dem Einfluss der Ebenen zu entziehen. Sie werden dann aber nicht mehr bereit sein, die Ebenen über Gemeinschaftsbudgets zusätzlich zu finanzieren.
Die Schwierigkeit eines pragmatischen Umgangs mit der Matrixorganisation und ihren Konflikten werden unterschätzt, wenn dabei zwei Aspekte nicht thematisiert werden, die Widersprüche der Matrixorganisation am Leben erhalten.
Das ist erstens das Problem der Überbeschäftigung bei ver.di. Nach formalen Berechnungen, die von einem Personalkostenbudget von 50 % der Beitragseinnahmen ausgehen, hat ver.di ca. 1500 Beschäftigte über diesen Anteil hinaus. Diese Mehrbeschäftigung sollte zur besseren Erschließung von "weißen Flecken" im Organisationsbereich eingesetzt werden. Da will aber kaum jemand arbeiten. In der Bundesvorstandsverwaltung, um ein Beispiel zu nennen, gibt es zwei Stabsabteilungen für Wirtschaftspolitik. Einmal bei der stellvertretenden Vorsitzenden Mönig-Raane, deren Vorstandsbereich diese Aufgabe zugeordnet ist. Im Vorstandsbereich des Vorsitzenden gibt es unter Politische Planung aber mindestens vier Gewerkschaftssekretäre/innen, die auf dem selben Feld tätig sind, ein Umstand, der zu unnötigen Konkurrenzen und Doppelarbeiten führt. Die Reform der Gemeindefinanzen wird dann im Vorstandsbereich Bsirske, die Reform der Staatsfinanzen insgesamt im Vorstandsbereich Mönig-Raane bearbeitet. Die internationale Wirtschaftspolitik wiederum bei Bsirske, die europäische Wirtschaftspolitik bei Mönig-Raane. Für die Arbeitsmarktpolitik dagegen gilt, dass sie zur Sozialpolitik gezählt wird und damit einem dritten Vorstandsbereich zugeordnet wird. Auf der Ebene der Bundesverwaltung waren im Mai 2002 insgesamt 91 Ressorts- und/oder Ebenenübergreifende Arbeitsgruppen tätig. Ein Großteil dieser Arbeitsgruppen versucht die Kommunikationsdefizite und Koordinierungsprobleme, die sich aus der Matrixstruktur ergeben, wieder auszugleichen. Nur ein geringer Teil davon ist aktuellen politischen Projekten zuzuordnen. Es gibt gemessen an den Arbeitsanforderungen nicht zu viel hauptamtliches Personal bei ver.di, aber relativ zu viele Beschäftigte in den Landesbezirken und in der Bundesvorstandsverwaltung und entsprechend zu wenig Beschäftigte in den Bezirken. Ein extensives Ausleben der Matrixorganisation mit ihren Konflikten und Konfliktlösungsverfahren ist eine wesentliche Selbstrechtfertigung für die Zunahme der Beschäftigung auf den Ebenen, die von den Mitgliedern und ihren Problemen ein Stück weit weg sind.
Damit direkt verknüpft ist eine soziale Reaktion vieler Hauptamtlicher, die als Orientierung am individuellen sozialen Aufstieg bezeichnet werden kann. Gewerkschaften sind gesellschaftliche Institutionen des kollektiven aber auch individuellen sozialen Aufstiegs ihrer Mitglieder und Funktionäre, der den meisten in der "normalen" bürgerlichen Gesellschaft verwehrt würde. Für die meisten Mitglieder des hauptamtlichen Apparates beinhaltet das eine berufliche Orientierung nach "oben" und die gleichzeitige Wahrnehmung der gewerkschaftlichen Organisation als Hierarchie. Das wird dadurch verstärkt, dass die Arbeits- und Einkommensbedingungen - abgesehen von einer relativ kleinen Gruppe von zeitlich hoch belastetem Führungspersonal und einigen Tarifsekretären - auf Landesbezirks- und Bundesvorstandsebene ein Stück komfortabler sind als auf der Bezirksebene. Von daher ist ein Teil der Sekretäre auf Bezirksebene am Aufstieg in den Landesbezirk oder auf die Bundesebene interessiert. Umgekehrt ist es ausgesprochen selten, dass es einen Wechsel von den oberen Ebenen in die für die Mitgliederbetreuung und -gewinnung entscheidende Ebene gibt. Im Fusionsprozess zu ver.di hatte das zur Folge, dass Personal aus den Bezirken auf die Landesbezirks- und Bundesebene wechselte, um in der Perspektive besser dotierte und zum Teil auch mit höherem Entscheidungsspielraum Positionen einzunehmen. Auf der Bezirksebene muss dann extern eingestellt werden, was das Problem der Überbeschäftigung tendenziell verschärft. Insgesamt ist aber der relative Anteil der hauptamtlich Beschäftigten auf der für die operative Arbeit mit den Betriebs- und Personalräten entscheidenden Bezirksebene eindeutig zu niedrig; Landesbezirke und Bundesvorstandsverwaltung sind bezogen auf den Stellenplan dagegen relativ überbesetzt. Ein Sonderproblem bleiben einige überplanmäßige ausgestattete Landesbezirke, in deren räumlichem Gebiet die Bundesverwaltungen der Altgewerkschaften ansässig waren. In dieser Sicht war die deutliche Erhöhung der Vergütungen der Wahlangestellten um bis zu 70 % ein personalpolitisch völlig falsches Signal. Einmal in der absoluten Höhe, zum zweiten wegen der hierarchischen Struktur in Prozentsätzen, die direkt dazu auffordert, dieses Schema auf die gesamte Organisation anzuwenden. Ein typisches Detail in dieser Hierarchie ist, dass die Vorstandsmitglieder für Finanzen und Personal gegenüber den übrigen Vorstandsmitgliedern herausgehoben werden, faktisch eine Belohnung für Buchhalter und einer Herabsetzung der Verantwortlichen für Tarifpolitik und Rechtsschutz als den Vertretern der gewerkschaftlichen Kernaufgaben. Anders gesagt: Ein Signal, dass die Beschäftigung mit sich selbst im Apparat einen höheren Stellenwert als die Interessenvertretung der Mitglieder bekommt. Das tarifpolitisch Interessante an der Vergütungserhöhung war die versuchte Legitimation dieser Entscheidung mit dem Leistungsgedanken. In der Tarifpolitik von ver.di wird zwar an der Erkenntnis festgehalten, dass der Lohn nicht die Bezahlung für die geleistete Arbeit, sondern die Bezahlung für das zur Verfügung stellen der Arbeitskraft für eine bestimmte Zeitdimension darstellt. Dass innerhalb einer Gewerkschaft eine völlig entgegengesetzte Begründung zumindest tarifpolitisch fahrlässig, ist, weil sie sich die Argumentation der anderen Seite zu eigen gemacht hat, wird allerdings verdrängt. Im Kern wird mit der Behauptung
eines kausalen Zusammenhangs von Leistung und Lohnhöhe die Effizienzlohntheorie oder sogar die Grenzproduktivitätstheorie des Lohnes, also ein Element der neoklassischen Theorie übernommen. Das ist den Handelnden vermutlich nicht bewusst. Es ging ihnen in erster Linie um die Legitimation einer Selbstbedienung. Dabei ist der Leistungsgedanke als versuchte Legitimationsideologie einer Vergütungshierarchie interessant: Wenn die Leistungsrelation zwischen dem Bundesvorsitzenden und den Landesbezirksleitern fast 2 : 1 gewichtet wird,[7] werden solche - wenn auch geringer dimensionierte - Relationen nach "unten" fortgesetzt werden müssen. Würden sie das nicht, würden die Relationen ihre Legitimation als Resultate von Leistung verlieren und würden als Resultate von Macht bzw. Selbstbedienungsmentalität wahrgenommen. Ein Herunterbrechen der Vergütungshierarchie der Wahlangestellten auf die Landesbezirks- und Bezirksebene hat verheerende Folgen: Aus organisationspolitischer Sicht müssen in den nächsten Jahren viele Beschäftigte von den Landesbezirken in die Bezirke versetzt wurden, um dort das gewerkschaftliche "Kerngeschäft" oder die Organisation und Betreuung der sog. weißen Flecken wahrzunehmen. Dieser Prozess ist schon schwierig genug, weil die Mehrheit der davon Betroffenen das als formalen sozialen Abstieg empfinden wird. Wenn diese Wahrnehmung durch eine entsprechende hierarchische Vergütungsstruktur geradezu zementiert wird, wird diese Form personalwirtschaftlicher Steuerung in arbeitsgerichtlichen Verfahren blockiert werden. Durch diese Hierarchisierung des Vergütungssystems werden gewerkschaftspolitisch völlig falsche Anreize gesetzt. Dahinter steht die Überlegung, eine Gewerkschaft wie ein modernes Dienstleistungsunternehmen mit an Zielvereinbarungen gekoppelten Leistungszulagen und strikt hierarchischen Vergütungen und einer deutlich vergrößerten Lohnspreizung von oben nach unten zu führen. Der Widerspruch zur tradierten gewerkschaftlichen Lohntheorie, die eher egalitären Prinzipien folgte, springt ins Auge. Wird diese Linie bei der Entwicklung der neuen Vergütungsstruktur fortgesetzt, wird ein Demotivationsprogramm gegen die eigentlichen Leistungsträger durchgesetzt. Wie damit dem Trend des Mitgliederrückgangs etwas entgegengesetzt werden soll, bleibt rätselhaft.
In ver.di wird mindestens dreifach "hart" quotiert, einmal wird die Frauenquote, zum zweiten die Gewerkschaftsquote, berücksichtigt, zum dritten haben die jugendlichen Mitglieder verbindliche Mindestmandate. Daneben soll noch "weich" quotiert werden: Regionale Herkunft, Personengruppenstatus (insbesondere für Arbeiter, Beamte, Jugend und Senioren). Diese mehrfache Quotierung macht eine echte Wahl faktisch unmöglich, da die Ergebnisse freier bzw. uneingeschränkter Wahlen von sich aus die vorgeschriebenen Quoten nicht erfüllen würden. Deshalb wird von hauptamtlicher Seite vorgearbeitet. Die Zusammensetzung von Gremien und Delegationen wird soweit vorgegeben, dass Abweichungen von den vorgelegten Vorschlägen nur in besonderen Einzelfällen möglich sind. Diese quotierte Demokratie führt dazu, dass sich ein gegebener ehrenamtlicher Funktionärskörper immer wieder reproduziert, weil hier die Quoten stimmen. Andererseits führt dieses System zur zeitlichen Überforderung der betroffenen Akteure einerseits und zum weitgehenden Ausschluss anderer Ehrenamtlicher, die zwar zur Arbeit bereit sind, aber gegenwärtig nicht in die Quoten passen. Was bei der Gründung von ver.di eindringlich als Vorrang der Ehrenamtlichkeit herausgestellt wurde, entpuppt sich als das gerade Gegenteil. Von den Hauptamtlichen bei der Quotierung der Führungspositionen ausgewählte Ehrenamtliche dürfen ihre Rolle als Sitzungsleiter/innen, Präsidiumsmitglieder u. ä. spielen, haben aber faktisch keinen Einfluss gegenüber dem politischen und organisatorischen Übergewicht des Apparats. Die Macht des Apparats basiert gerade auf dem engen Zusammenwirken von "vernünftigen" Ehrenamtlichen einerseits und den entsprechenden hauptamtlichen Führungsetagen andererseits. Die überwiegend ehrenamtlich besetzten Gremien, wie der Gewerkschaftsrat oder die Bundestarifkommission öffentlicher Dienst, fallen als politische Korrektur einer Verselbständigung der Führungsetagen daher weitgehend aus. Das hat sich einmal gezeigt an der Zustimmung des Gewerkschaftsrates zur Vergütungserhöhung der Wahlangestellten, zum zweiten an der Entscheidung der Bundestarifkommission öffentlicher Dienst zur Reform und Vereinheitlichung des öffentlichen Tarifrechts. In beiden Fällen gibt es plausible Argumente und empirisch fundierte Annahmen für die Sicht, dass die Basis der in den Gremien insgesamt aktiven Mitglieder in beiden Fällen anders entschieden hätte. Eine solche Verselbständigung gegenüber dem Bewusstsein und der Interessenwahrnehmung der Mehrheit der Mitglieder wird für ver.di ausgesprochen riskant, wenn dem Apparat spürbare politische Fehlentscheidungen unterlaufen, z. B. eine völlig misslungene Tarifrunde im öffentlichen Dienst, wie das 2000 der früheren ÖTV passiert ist. In ver.di funktioniert durch die mehrfache Quotierung der demokratische Willensbildungsprozess noch nicht. Das heißt auch, dass sich der hauptamtliche Apparat seiner Grenzen noch nicht bewusst ist. Grenzen, die ihm der demokratische Prozess über Wahlen und Abstimmungsniederlagen aufzeigt. Wenn dieses Verfahren nicht funktioniert, bleibt nur noch die Resignation oder das Abstimmen mit den Füßen. Das Ausmaß dieser beiden Risiken wird gegenwärtig eher unterschätzt. Der Mitgliederrückgang und die ebenso rückgehende Teilnahme an den üblichen Mitgliederversammlungen wird verständnislos kommentiert. Ver.di komme jetzt fast jeden Tag im Fernsehen oder in der Presse vor, lautet der resignative Trost.
Ver.di unterscheidet sich politisch von der früheren ÖTV durch entschiedenes Handeln: der langst überfällige Umbau der Alterssicherung im öffentlichen Dienst wurde angegangen und angesichts desaströser finanzieller Rahmenbedingungen auch relativ erfolgreich umgesetzt. Ebenso rasch und entschieden wird das mehr als zehn Jahre diskutierte Ziel einer Vereinheitlichung und "Modernisierung" des öffentlichen Tarifrechts angegangen. In der Frage des Umbaus der gesetzlichen Krankenversicherung und der Anbieterseite in der Gesundheitsversorgung hat ver.di Position bezogen und startet eine politische Kampagne, der allerdings nach der Bundestagswahl der politische Adressat verloren gehen kann. Die gesundheitspolitische Position von ver.di ist so konzipiert, dass sie an den rot-grünen Reformvorstellungen ansetzt und diese sozial zu korrigieren, gleichsam etwas nach links zu verschieben sucht. Dabei übernimmt ver.di aber eher unkritisch wichtige Vorentscheidungen der Bundesregierung, z. B. die Zustimmung zur Änderung der Krankenhausfinanzierung durch die Einführung von Fallpauschalen (diagnoses related groups). Die beschäftigungs- und gesundheitspolitischen negativen Folgen einer Krankenhausfinanzierung durch Fallpauschalen werden aber eher unterschätzt bzw. nicht zur Kenntnis genommen. Sogar zu einer so komplizierten Frage wie der Reform der Gemeindefinanzen wird ein Forderungskatalog erarbeitet. Aber es sind alles Reformen von oben, die zum Teil "unten" d h. bei den Mitgliedern und gewählten Funktionären noch überhaupt nicht angekommen sind. Hinzu kommt, dass die Belastung der Gewerkschaftssekretäre mit den organisatorischen und finanziellen Aspekten der Gewerkschaftsfusion kaum Zeit für politische Diskussionen lässt. An dieser Ungleichzeitigkeit hängt es auch, dass die tarifpolitischen Aussagen, die auf ein Ende der Lohnzurückhaltung zielen, zwar von der Mitgliedschaft angenommen werden, aber eher auf Misstrauen stoßen. Diese Politisierung von oben wird auch blockiert durch die Beschäftigung des hauptamtlichen Apparats mit ver.di selbst. Der Apparat muss in knapper Zeit komplizierte und überquotierte Organisationswahlen durchführen. Er ist mit dieser Aufgabe völlig ausgelastet. Er ist zeitlich überfordert, wenn er zeitgleich gesellschafts- und tarifpolitische Diskussionen organisieren und zu Kampagnen verdichten soll. Er ist auch politisch überfordert, weil die aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen ohne eine Mindestmaß an entsprechenden Kenntnissen und Leidenschaft nicht geführt werden können. Daran mangelt es aber in großen Teilen des hauptamtlichen Apparates, die auf Weisungen und inhaltliche Handreichungen von oben warten. Dieser Prozess einer Politisierung "von oben" wird möglich, weil nur noch auf der Ebene des Bundesvorstandes politische Konzepte als Reaktionen auf die Politik der Bundesregierung entworfen werden können. Die Landesbezirke und Bezirke und die dort angesiedelten Fachbereiche sind mit dem Alltagsgeschäft bereits überbelastet, in erster Linie, weil die Innenorganisation des Apparates viel Zeit und viel Geld kostet, Andererseits drückt sich darin auch ein ver.di allmählich kennzeichnendes Politikverständnis aus. Ver.di macht Interessenvertretung in kritischer Partnerschaft zur rotgrünen Bundesregierung. Diese Bundesregierung wird grundsätzlich politisch gestützt. Für diese Unterstützung werden im Gegenzug Zugeständnisse erwartet und eingefordert. Wenn diese signalisiert werden, kann mit dosiertem Entgegenkommen gerechnet werden. Dieses Verständnis kennzeichnet auch das Verhalten der ver.di-Führung bei der anvisierten Deregulierung und Neuordnung des Arbeitsmarktes. Von den tarifpolitischen und sozialpolitischen Positionen von ver.di aus gesehen, können die Vorschläge der Hartz-Kommission nur rundum abgelehnt werden und es müsste der politische Widerstand organisiert und mobilisiert werden. Das wird auch gemacht, wie z. B. erfolgreich beim Postgesetz, weniger erfolgreich beim Tariftreuegesetz. Diese Mobilisierung richtete sich aber gezielt gegen die politische Mehrheit der Unionsparteien im Bundesrat. In der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung dient die kritische Rhetorik in erster Linie der Verstärkung des Einflusses im politischen Verfahren, um bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes noch Schlimmeres verhindern zu können. In den Grundzügen wird das Verfahren und damit der Prozess der Deregulierung und Privatisierung aber mitgetragen und dadurch erst erfolgreich. Bei ver.di zeichnet sich ein Modell der politischen Interessenvertretung ab, das in erster Linie auf kritische Partnerschaft, also auf eine Art nebenparlamentarischer Lobbyarbeit und nicht auf ein Modell der sozialen Gegenmacht zur Bundesregierung setzt. Neu daran ist nur, dass es Frank Bsirske als Person in der medialen Darstellung viel geschickter - weil kritischer - handhabt als Klaus Zwickel oder gar als Hubertus Schmoldt und Dieter Schulte, die sich zu offen in die Rolle des subalternen Juniorpartners gefügt oder gedrängt haben.[8] Mit dem möglichen Misserfolg der rotgrünen Politik erodiert die materielle Basis für gewerkschaftliche Erfolge. Für das Modell der kritischen Partnerschaft, das dann zumindest zeitweise über keine "Anschlussstellen" in der Regierung verfügt, gibt es in der kurzen Frist keine Alternative. Dazu ist ver.di zu sehr ein Paradies für Buchhalter geworden. Das heißt, dass mit dem Verlust des politischen Partners in der Bundesregierung auch das Modell der gewerkschaftlichen Interessenvertretung umgebaut werden muss. Eine unionsgeführte Bundesregierung wird die inzwischen eingeschliffene Arbeitsteilung zwischen Bundesregierung und Gewerkschaften nicht fortsetzen. Sie wird aber auch keinen Kurs der offenen Konfrontation mit den Gewerkschaften versuchen. Die Zeit der partiellen Zugeständnisse, um die Gewerkschaften "mit ins Boot" zu nehmen, wird vorbei sein. Für eine Rolle der sozialen Gegenmacht wird sich ver.di mit dem lähmenden Obergewicht eines zum großen Teil mit sich selbst beschäftigenden hauptamtlichen Apparats in der kurzen Frist nicht eignen. Allein der vermutlich anhaltende Mitgliederrückgang wird bereits 2003 relativ radikale interne Umbaumaßnahmen bei der Budgetierung und bei der Personalsteuerung erfordern. Die Aussichten für ein Gelingen solcher Reformen sind eher schlecht. Mit der Zunahme der politischen Erfolglosigkeit wird der Bundesvorstand relativ rasch an politischer Autorität verlieren. Eine wichtige Schlüsselfunktion dieser Entwicklung spielt die Tarifrunde 2002/2003 für den öffentlichen Dienst. Sie findet unter desaströsen Rahmenbedingungen statt. Massive Steuerausfälle der Gebietskörperschaften und die durch den europäischen Wachstums- und Stabilitätspakt durchgesetzte rigide Haushaltsdisziplin erzwingen Ausgabenkürzungen und konzentrieren diese auf das Feld der Personalausgaben. In dieser Tarifauseinandersetzung kann es nicht ohne einen harten Arbeitskampf zu einer Verständigung kommen. Spätestens in dieser Auseinandersetzung wäre aber auch die kritische Partnerschaft mit Rot-grün am Ende gewesen. Die vorläufige Bilanz ist ernüchternd: Die Matrixorganisation mit ihren starren Regeln der Finanzverteilung zwischen Fachbereichen und Ebenen hat die bestehenden Tendenzen der Bürokratisierung und Verselbständigung des hauptamtlichen Apparats eher verstärkt als abgebaut. Die demokratische Beteiligung der Mitglieder ist durch die formale Quotierung einerseits auf den Charakter einer ritualisierten
Akklamation von bereits im Apparat vorentschiedenen Auswahlprozessen geworden. Diesen Auswahlprozessen fällt zuerst die innergewerkschaftliche Kritik zum Opfer. Quoten sind eine legitime Möglichkeit, kritisches oder abweichendes Verhalten zu neutralisieren. Es ist heute schon zu erkennen, dass diese Quotendemokratie zur Lähmung der innergewerkschaftlichen Willensbildung geführt hat und diese weiter verstärken wird. Die Distanz zwischen Mitgliedern und dem zunehmend als intransparent und bürokratisch wahrgenommenen hauptamtlichen Apparat ist spürbar gewachsen. Mit dem Entwicklungsprozess hat sich ver.di vom möglichen Ziel eines "social movement unionism"[9] weit entfernt. Damit ist aber noch keine irreversible Entscheidung für eine sich politisch an Rot-grün anlehnendes gewerkschaftliches "Dienstleistungsunternehmen" getroffen. Mit einem solchen Verständnis wäre ver.di zum politischen Scheitern und zum ökonomischen Konkurs verurteilt. Um einen überdimensionierten hauptamtlichen Apparat weiter zu finanzieren braucht ver.di Mitgliederzuwächse. Das zwingt zu erfolgreicher Tarifpolitik. Jede größere tarifpolitische Niederlage beinhaltet zugleich eine massive Gefährdung der Arbeitsplätze bei ver.di. Das Beitragsaufkommen ist direkt von der Lohnhöhe abhängig. Bisher hat ver.di trotz gelegentlich kritischer Rhetorik auf die Weiterverfolgung des neokorporatistischen Modells gesetzt, in dem Arbeitgeber, Regierung und Gewerkschaften versuchen, im Rahmen eines "Positiv-Summen-Spiels" zu kooperieren.[10] Dieser Versuch hat aber bis heute auf der Seite der abhängig Beschäftigten unter dem Strich nicht zu einer positiven Bilanz geführt. Auch hier ist deshalb ein Strategiewechsel nötig, sofern er durch einen Regierungswechsel nicht ohnehin auf die Tagesordnung gesetzt wird. Es sind erhebliche Zweifel angebracht, dass ver.di ein so umfassender Kurswechsel in relativer kurzer Zeit gelingen kann.
1) Dieser Text versteht sich als Diskussionspapier und Streitschrift zugleich, Streitschrift gerade deshalb, weil wirksame Veränderungen notwendig sind. Ohne Zuspitzung und Provokation geht das nicht. Die Kritik ist nicht umfassend. Ich widme mich den aus meiner Sicht größten Problemen.
2) Das liegt auch daran, dass die mit der Fusion zu ver.di verbundenen Versprechungen einer besseren Dienstleistuna für die Mitglieder nicht realisiert wurden, In der Flache hat sich die Dienstleistung gegenüber den Mitgliedern durch den Rückzug von hauptamtlichem Personal eher verschlechtert. Es kommt hinzu, dass das verbliebene Personal weniger Zeit für die Probleme der Mitglieder hat, weil ein größer gewordener Zeitanteil für administrative Arbeiten und mit der Fusion verbundene Konflikte zwischen den Altgewerkschaften vergeudet werden muss.
3) Ein Blick in aktuelle Lehrbücher der Personalwirtschaft zeigt, dass ver.di alle Einsichten der Betriebswirtschaftslehre der vergangenen Jahrzehnte über den Zusammenhang von Arbeitsaufwand und Personalbedarf nicht zur Kenntnis genommen hat. Mit economies of scale ist gemeint, dass in großen Organisationseinheiten (Bezirke oder Fachbereiche) einerseits allgemeine Dienstleistungsarbeiten kostengünstiger erstellt werden können, andererseits die Betriebsstruktur durch einen größeren Anteil von Großbetrieben mit freigestellten Betriebs- und Personalräten gekennzeichnet ist, d. h. der durchschnittliche Betreuungsaufwand pro Mitglied ist entsprechend niedriger. Auch die Fahrtzeiten/Fahrtkosten für Sitzungen aller Ort sind in den großstädtischen Verdichtungsräumen erheblich niedriger, als im ländlichen Organisationsbereich. Der in den Budgetrichtlinien vorgesehene Flächenbonus gleicht diese Unterschiede nicht aus. Für ver.di insgesamt macht die Orientierung am Beitragsaufkommen sicher Sinn. Die Ausgaben müssen einnahmeorientiert sein. Die Verteilung der Einnahmen in die Organisation hinein nach diesen rein formalen Größen ignoriert aber, dass es unterschiedliche Anforderungen an Personal- wie Sachkostenbudget gibt.
4) Das hängt auch damit zusammen, das die ver.di-interne Mobilität der Beschäftigten wegen eines arbeitsrechtlich hart regulierten internen Arbeitsmarkts sehr niedrig ist. Zugleich bestehen aus der Sicht der Vergütungshierarchie und der informellen Wertigkeit der Tätigkeiten keine Anreize aus den Ebenen der Bundesvorstände oder Landesbezirke in die Bezirksebene zu wechseln.
5) Das gilt für die Fachbereiche, in denen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gelten. Hier wird die Tarifarbeit entweder fachbereichsübergreifend oder nahezu ausschließlich durch die Bundesebene wahrgenommen, während in den überwiegend im privatwirtschaftlichen Bereich arbeitenden Fachbereichen die meisten Tarifverträge auf der Landesbezirksebene abgeschlossen werden. In der Satzung wurde zwar festgelegt, dass die Tarifarbeit für den öffentlichen Dienst fachbereichsübergreifend wahrgenommen wird, die notwendigen Folgen für ein Budget für fachbereichsübergreifende Tarifarbeit wurden aber ignoriert.
6) Gut 70 Jahre nach der kommunistischen Polemik gegen den Typus des "Gewerkschaftsbeamten" sind die sachlichen Voraussetzungen für die Realisierung dieser Karikatur geschaffen worden. Siehe dazu August Enderle, Jakob Walcher u. a., Das rote Gewerkschaftsbuch, Berlin 1932
7) Die Landesbezirksleiter haben sich diese Abwertung gefallen lassen, weil sie rein materiell damit auch eine Vergütungserhöhung erfahren haben. Das tieferliegende Problem an diesem Verfahren ist anderer Art: Solche Vergütungserhöhungen für die Wahlangestellten wurden in den neunziger Jahren zweimal von der Führungsgruppe der ÖTV versucht. Sie scheiterten, weil in der ÖTV nicht der Hauptvorstand, sondern der Beirat zuständig war und jedes mal die Zustimmung verweigerte. Das war möglich, weil der Beirat seltener tagte und relativ "weit weg" von den Führungspersonen war. Der Hauptvorstand hätte mit großer Wahrscheinlichkeit zugestimmt. In ver.di hat der Gewerkschaftsrat die Funktion des auch zur Satzungsänderung berechtigten Beirats übernommen. Satzungsrechtlich war das ein Konstruktionsfehler, der die Macht des Bundesvorstandes erhöht.
8) Das bedeutet nicht, dass es sich dabei um eine bewusste strategische Entscheidung der ver.di-Führung für ein bestimmtes Modell der Interessenvertretung handelt. In der Tarifpolitik bestimmter Fachbereiche oder in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es auch gegenläufige Tendenzen zu einer stärker konfrontativen Auseinandersetzung. Unter dem Strich setzt sich aber ein auf Kooperation basierendes Politikmodell durch, weil es am ehesten dem gemeinsamen Nenner von fünf Gewerkschaften entspricht und zugleich zum Politikverständnis des in der Öffentlichkeit völlig dominierenden Vorsitzenden passt.
9) Petra Frerichs u. a., Michael Fichter u. a., Zukunft der Gewerkschaften, Zwei Literaturstudien, Arbeitspapier 44 der Hans-Böckler-Stiftung (2001) hier: S. 168, Der ver.di Organisationsprozess widerspricht den Empfehlungen beider Studien fundamental. Frerichs u. a. schlagen vor: Stärkung der örtlichen Ebene, bessere Betreuung der kleinen und mittleren Betriebe und stärkere demokratische Beteiligung der Mitglieder. Fichter u. a. plädiern für ein politisches Selbstverständnis der Gewerkschaften als "soziale Bewegung".
10) Siehe dazu Michael Fichter u. a., Zukunft der Gewerkschaften S. 168
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