Bericht von der 4. Internationalen TIE/express-Konferenz in Köln

 

170 Betriebs- und Gewerkschaftsaktive aus 25 Ländern trafen sich von Donnerstag bis Sonntag in Köln, um ihre Perspektiven im globalisierten Kapitalismus auszuloten. Angesichts der relativen Hilflosigkeit der "traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung" sollten auf der vierten Konferenz des internationalen TIE-Netzwerks (Transnationals Information Exchange) gemeinsam mit der in Offenbach ansässigen Zeitschrift Express Strategien der "Selbstorganisierung" entwickelt werden.

Der Andrang war größer als erwartet. "Hätten wir alle Anmeldungen zur Konferenz angenommen, dann hätten wir dreimal so viele Leute hier", so Heiner Köhnen vom TIE-Netzwerk, das ausser in Europa Büros in in Asien, Russland sowie Nord- und Südamerika unterhält.

Wie bedeutend die internationale Zusammenarbeit auf Basisebene ist, verdeutlichte ein Mercedes-Mitarbeiter aus Brasilien. "Nur durch internationale Unterstützung ist es uns gelungen, überhaupt Betriebsräte einzurichten", berichtete der Gewerkschafter. Zur Zeit finden in Brasilien Kämpfe um Tarifverträge in Firmen statt, die ihren Sitz in Europa haben. Dabei stellen für die Brasilaner die Erfahrungen und Informationen ihrer europäischen Kollegen ein Grundwissen dar, auf dem sie ihre Aktionen aufbauen können.

Ein zentrales Thema war die Bedeutung der Arbeitsmigration für gewerkschaftspolitische Ansätze und der Umgang mit Migranten. Nach UN-Angaben gibt es weltweit 120 Millionen Immigranten. "Die traditionellen Organisationen erfassen nicht einmal die prekär Beschäftigten", beschreibt Mamadou Ly von der französischen Gewerkschaft SUD das Dilemma, ganz zu schweigen von Erwerbslosen und Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsstatus. Die SUD, deren Eisenbahnerbranche der Immigrant Ly angehört, hatte nach ihrer Gründung Mitte der 90er Jahre demonstrativ eine Immigrantin an ihre Spitze gesetzt. Der Rassismus sei eine "großes Problem", denn vor allem viele Einwanderer seien in prekären Beschäftigungsverhältnissen, ergänzte ein Mitglied der kommunistischen Gewerkschaft CGT aus Frankreich. Die Folgen für Normalarbeitsplätze seien hinreichend bekannt: Druck auf das Lohnniveau und Verschlechterung der Arbeitsbedingugen. "Papiere für alle" und gleiche Rechte für Arbeitsmigranten seien deshalb gleichermassen zentrale Forderungen im Kampf gegen Rassismus wie auch gegen Unternehmer, die von einer rassistischen Spaltung der Lohnabhängigen profitierten, ergänzte der französische Gewerkschafter.

Auch David Bacon, ein US-amerikanischer Gewerkschafter, stimmte der Haltung des Franzosen zu. Schätzungen zufolge gebe es allein in den USA drei Millionen Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltserlaubnis, die vor allem in der Landwirtschaft, der Verpackungsindustrie und der Reinigungsbranche tätig seien. In den USA hätten einige Gewerkschaften die Notwendigkeit erkannt, ihr Arbeitfeld auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse auszuweiten. Das dokumentiert auch eine Resolution des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO vom vergangenen Februar, die auf Druck von lokalen Gruppen, in denen Arbeitsmigranten eine bedeutende Rolle spielen, zustande gekommen ist. Darin fordert der AFL-CIO einen legalen Aufenthaltsstatus für alle Arbeitsmigranten.

Sehr unterschiedlich bewerteten hingegen die Teilnehmer Forderungen nach Sozialstandards innerhalb der Welthandelsorganisation WTO als Mittel der gewerkschaftlichen Politik. Zwar sind die schlechten sozialen Bedingungen eine der wesentlichen Ursachen für Immigration, doch Sze Pang Cheung, Chefredakteur der Zeitschrift Globalisation Monitor und Bildungssekretär beim Gewerkschaftsdachverband CTU in Hong Kong, lehnte Sozialklauseln in der WTO ab. Sie könnten innerhalb der WTO leicht als "protektionistisches Instrument" der mächtigen gegenüber den Ländern der Dritten Welt verwendet werden. Anders Herbert Jauch, Mitarbeiter eines Arbeitsforschungsinstituts aus Namibia, der dafür appellierte, sich die Forderung "mangels Alternative" zu eigen zu machen. Die internationale Arbeitsorganisation ILO, die von vielen Gewerkschaftern als alternative Institution angesehen wird, sei seit "den letzten 50 Jahren ein Papiertiger und wird es auch für die nächsten Jahre bleiben", begründete er seine Haltung. Sze Pang betonte demgegenüber, daß Sozialstandards vor allem eine Frage von Armut und Reichtum seien und deshalb ein grundsätzlichereres Herangehen nötig sei. Jenseits der ILO und der WTO gehe es darum, die eigenen Organisationsstrukturen zu stärken und für Lohnabhängige wieder attraktiv zu machen, anstatt auf diese Institutionen zu bauen.

Mit Empörung nahmen die Teilnehmer die Nachricht auf, daß deutsche Behörden vier türkischen Gewerkschaftern die Einreise in die Bundesrepublik verweigert haben. Neben Solidaritätserklärungen für die 1300 nach einem Arbeitskampf entlassenen VW-Arbeiter in Südafrika und die britischen Beschäftigten bei Rover, deren Arbeitsplätze nun durch das Geschäftsgebaren der Bayrischen Motorenwerke BMW gefährdet sind, soll in nächster Zukunft ein Kongress zum Thema "Rassismus" stattfinden. Dort soll u.a. überlegt werden, welche Wege der Zusammenarbeit mit Arbeitsmigranten gefunden werden können. Für die europäischen Teilnehmer wies ein französischer Delegierter auf die in der zweiten Jahreshälfte stattfindenden "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Ausgrenzung und Rassismus" hin. Dann wird die französische Regierung den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Unter anderem soll unter der französischen Präsidentschaft eine EU-Grundrechtecharta verabschiedet werden, die jedoch keine Verankerung von sozialen Rechten vorsieht und damit der weiteren Ausbeutung Tür und Tor öffnet.

Gerhard Klas

Vorabdruck und Langfassung eines Artikels von Gerhard Klas, der in der SoZ 7/2000, am 30.März, erscheinen wird.
SoZ-Homepage: http://www.soz-plus.de/

 


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