Wir blicken auf ein Jahrhundert zurück, in dem die Tarifpolitik zu einem wirksamen Motor sozialen Fortschritts geworden ist. Streikrecht und Tarifvertrag sind aus dem Kampf der Arbeiterbewegung um menschenwürdige und sozial gesicherte Arbeits- und Lebensbedingungen entstanden. Sie sind zu tragenden Säulen einer demokratischen Ordnung geworden, die auf die Herstellung sozialer Gerechtigkeit verpflichtet ist.
Auf dieser Grundlage konnte die gewerkschaftliche Tarifpolitik in der Bundesrepublik zur Erfolgsgeschichte werden. Sie hat dazu beigetragen, dass in der Ära konkurrierender Gesellschaftssysteme in Westdeutschland ein sozial-regulierter Kapitalismus europäischer Prägung entstehen konnte.
Am Ende des Jahrhunderts wird mit diesem Gesellschaftsmodell auch das gesamte Tarifsystem als eines seiner Eckpfeiler erneut in Frage gestellt und angegriffen. Wieder ist die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und der von ihr ausgehende Druck auf die Beschäftigten zum Ausgangspunkt für die praktische wie ideologische Aushöhlung und Schwächung der Tarifverträge und des Tarifrechts geworden. Die Tarifpolitik soll in die Rolle einer Moderations- und Befriedungsinstanz zurückgedrängt werden, die für die Anpassung des schrumpfenden Anteils von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in gesicherten Arbeitsverhältnissen an die Konkurrenz- und Profitinteressen der Unternehmen sorgt. Das Tarifsystem in Deutschland hat sich bisher gegen alle diese Angriffe behauptet.
Die IG Metall sieht in der freien Aushandlung kollektivrechtlich gesicherter Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für alle Beschäftigten auch für die Zukunft ein unverzichtbares Fundament stabiler, demokratischer und ziviler Gesellschaften. Sie wird ihre aktive Tarifpolitik weiterführen, die Beschäftigungsmöglichkeiten, Einkommen und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert. Die Tarifpolitik der IG Metall tritt für die erforderliche Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für ihre Beteiligung an den Produktivitätsfortschritten unter Ausgleich der Inflation ein.
Die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen hat bei abgeflachten Wachstumsraten und hoher Arbeitslosigkeit den länderübergreifenden Konkurrenzdruck um Absatzmärkte und Arbeitsplätze massiv verstärkt. Dieser ruinöse Konkurrenzdruck belastet die Tarifpolitik in allen Ländern.
Die IG Metall widersetzt sich allen Versuchen, den europäischen Integrationsprozess dafür zu nutzen, die europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Wettbewerb um niedrigere Einkommen und schlechtere Arbeitsbedingungen und damit in eine Abwärtsspirale wechselseitiger Unterbietung zu treiben.
Deshalb unterstützt die IG Metall mit allen Mitteln die Initiativen der europäischen Gewerkschaftsbünde und insbesondere des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB) zum Aufbau einer gemeinsamen, koordinierten Tarifpolitik für die europäischen Industrien.
Der 19. ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall schließt sich den tarifpolitischen Beschlüssen des Kopenhagener Kongresses des EMB vom Juni 1999 an. Er bestätigt insbesondere die dort getroffenen Vereinbarungen und Verpflichtungen zu einer Tarifpolitik, die in allen europäischen Ländern darauf abzielt, zumindest den jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum aus Inflation und Produktivitätssteigerungen auszuschöpfen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft wird aufgefordert, endlich ihre verfehlten Empfehlungen zur Lohnpolitik zurückzuziehen, die auf die weitere Umverteilung der Produktivitätszuwächse zugunsten der Kapitaleinkommen zielen und damit das soziale Gefälle zwischen reichen und armen Ländern und Zonen zu vertiefen drohen.
Der Gewerkschaftstag begrüßt die Initiativen der IG Metall-Bezirke zur tarifpolitischen Vernetzung mit den Nachbarländern und den Austausch von Beobachtern bei Tarifverhandlungen. Er fordert Gesamtmetall auf, den Westeuropäischen Arbeitgeberverband für die Metall- und Elektroindustrie (WEM) zur Aufgabe seine Blockadehaltung zu bewegen und zu Gesprächen und Verhandlungen über europäische Rahmenvereinbarungen zu kommen.
Tarifpolitik bestimmt die Primärverteilung zwischen Kapital und Arbeit. Die Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen und die Fähigkeit der Tarifpolitik, damit wirksam zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beizutragen, sind von der verteilungspolitischen Durchsetzungskraft einer von den Mitgliedern und Belegschaften getragenen Tarifpolitik abhängig.
Die Absenkung des Anteils der Arbeitnehmereinkommen am Sozialprodukt, die in den vergangenen Jahren von den Arbeitgebern vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit durchgesetzt werden konnte, ist eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss. Dies ist auch der Maßstab, an dem die IG Metall zuallererst durch ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit gemessen wird.
Dies erfordert eine aktive Tarifpolitik die das Verteilungsvolumen von Inflationsrate und Produktivitätszuwachs ausschöpft und auf ein Mehr an Verteilungsgerechtigkeit durch Umverteilung zielt. Dabei muß die tarifliche Setzung und Sicherung der Entgelte der abhängig Beschäftigten als Mindeststandards auch in Zukunft unabhängig von konjunkturellen oder betrieblichen Entwicklungen erfolgen.
Dagegen verfolgen die Arbeitgeberverbände die Politik, das tariflich abgesicherte Mindestniveau abzusenken und mit Hilfe von übertariflichen, am betrieblichen Ertrag oder Produktivität orientierte Einkommensbaustein ein weiteres Auseinanderdriften von Tarif- und Effektiventgelten voranzutreiben. Damit würde die IG Metall Durchsetzungsfähigkeit in diesem zentralen Punkt ihrer Tarifpolitik verlieren.
Soll sowohl der Flächentarif als Mindeststandard erhalten werden, wie der Einfluß der IG Metall auf die betriebliche Entgeltsetzung und die Effektiventgelte gesichert und ausgebaut werden, bedarf es auch einer qualitativen Weiterentwicklung unserer Tarifverträge.
Die Beteiligung der Beschäftigten an den Gewinnen der Unternehmen stellt sich dort als Forderung, wo Unternehmen, teilweise über Sonderkonjunkturen bedingt, überdurchschnittliche Renditen erzielen. Die IG Metall muss nach einem notwendigen Diskussionsprozess klären, ob ein tarifpolitisches Instrumentarium entwickelt wird, das eine Beteiligung der Beschäftigten an diesen Gewinnen erzwingbar macht. Dies könnte über einen zusätzlichen tariflichen Einkommensbaustein erfolgen. Dabei wären auch entsprechende Informationsrechte des Betriebsrats und der IG Metall zur Offenlegung der Ertragssituation zu vereinbaren.
Voraussetzung für die Sicherung der Entgelte unserer Mitglieder ist, dass die IG Metall mit ihren Tarifverträgen weiter Einfluß auf die Entgeltsetzung im Betrieb hat und diesen Einfluß durch aktive Betriebspolitik in diesem zentralen Handlungsfeld ausbaut. Hierzu sind dringend Reformen unserer Rahmentarife notwendig:
Hierbei ist die Angleichung der Ost- an die Westeinkommen eine vorrangige Aufgabe gewerkschaftlicher Tarifpolitik, die sich dabei der grundgesetzlich verbrieften Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse verpflichtet weiß.
Die IG Metall wird nur dann die Beschäftigten für eine aktive Entgeltpolitik gewinnen, wenn sie eine möglichst gerechte Verteilung des durchgesetzten Erhöhungsvolumens innerhalb der Beschäftigten berücksichtigt.
Gemeinsame Entgeltrahmentarife sind unverzichtbar, um die Voraussetzungen einer solidarischen Entgeltpolitik zu verbessern. Dazu gehört:
Die Konzentration der Großunternehmen bei gleichzeitiger Zergliederung der Betriebseinheiten und verschärfter Konkurrenz hat das Übergewicht der Großunternehmen über die kleinen Zulieferer, Industrie- und Handwerksbetriebe in vielen Bereichen soweit verstärkt, dass deren Beschäftigte häufig unter ruinösen Ausbeutungsdruck gesetzt und die tariflichen Standards und Entgelte bedroht werden. Der Schutz der tariflichen Mindestbedingungen ist gerade hier nötiger denn je. Die IG Metall lehnt es ab, in Entgelttarifverträgen Öffnungsklauseln aufzunehmen, die die Betriebsräte dem Erpressungsdruck der Arbeitgeber aussetzen.
Eine verteilungsgerechte und solidarische Entgeltpolitik ist ein tarifpolitisches Leitbild, das die Koordinierung aller Handlungsfelder und Handlungsebenen der Tarifpolitik voraussetzt.
Die Bedingungen für die gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik haben sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert. Neue arbeitszeitpolitische Initiativen und betriebspolitische Konzepte sind deshalb erforderlich.
Die IG Metall geht in ihrer weiteren Arbeitszeitpolitik von folgenden Eckpunkten aus:
Unstrittig ist, dass die IG Metall mit ihrer Arbeitszeitpolitik Hunderttausende von Arbeitsplätzen sichern und schaffen konnte.
Arbeitszeitverkürzung in welcher Form auch immer hat deshalb in Zukunft einen hohen Stellenwert in unserer Tarifpolitik.
Voraussetzung für jede weitere generelle Arbeitszeitverkürzung ist die breite Zustimmung seitens der Mitglieder. Insbesondere im Angestellten- und im Zeitlohnbereich wurden die verschiedenen Schritte der Arbeitszeitverkürzung zu einer teilweise unzumutbaren Leistungsverdichtung missbraucht und so der Aufbau von Arbeitsplätzen unterlaufen. Zudem setzen die Arbeitgeber in vielen Betrieben zunehmend eine Verlängerung der tatsächlichen Arbeitszeit durch. Dies geschieht durch die Ausweitung der sogenannten 40-Stünder, die Auszahlung von Zeitkonten, den Verfall von Gleitzeit, durch die Nichtbezahlung geleisteter Arbeitszeit und anderes.
Diese Erfahrungen müssen in der Arbeitszeitpolitik berücksichtigt werden.
In ihrer Arbeitszeitpolitik konzentriert sich die IG Metall auf folgende Ziele:
Die alte CDU/F.D.P.-Bundesregierung hat mit der Anhebung des Renteneintrittsalters faktisch eine Verlängerung der Regelarbeitszeit vorgenommen. Dies droht die Beschäftigungseffekte der Wochenarbeitszeitverkürzung zunichte zu machen und zusätzliche Arbeitslosigkeit zu schaffen.
Die IG Metall spricht sich für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit aus und erklärt ihre Bereitschaft, auf der Basis einer Einigung im Bündnis für Arbeit durch tarifliche Regelungen einen solchen Schritt zu begleiten.
Die IG Metall erwartet von der Bundesregierung, dass sie entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen schafft. Dies kann geschehen durch:
Ziel ist, dass Beschäftigte mit 60 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden können, ohne Abschläge in Kauf nehmen zu müssen. Die Arbeitgeber werden aufgefordert, mit der IG Metall Tarifregelungen zu treffen, die die Verwirklichung dieses Ziels sicherstellen.
Teilzeitarbeit kann auch ein Instrument zur Entlastung des Arbeitsmarktes sein. Darüber hinaus entspricht Teilzeit in spezifischen Lebenssituationen den Wünschen der Beschäftigten. Deshalb sollte tarifvertraglich ein Anspruch auf Teilzeit, Regelungen zum Rückkehrrecht in Vollzeit und zur Gleichstellung bzw. zum Schutz vor Diskriminierung erreicht werden.
Die Möglichkeit der zeitlich befristeten Arbeitszeitverkürzung zur Beschäftigungssicherung soll tarifvertraglich weiter vorangetrieben werden. Vor allem ist die erzwingbare Dauer der Anwendung des Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrages zu verbessern.
Darüber hinaus wird der Vorstand beauftragt darauf hinzuwirken, dass bei Anwendung des Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrages Zuschüsse aus der Arbeitslosenversicherung gewährt werden, um die Entgeltverluste der betroffenen Beschäftigten vertretbarer zu gestalten.
Die IG Metall ist sich im klaren, dass ihre Tarifpolitik nicht alle diese arbeitszeitpolitischen Anforderungen gleichzeitig erfüllen kann. Die verschiedenen Optionen sind auf der Basis der vorzulegenden Vorschläge abzuwägen und in ein umfassendes Durchsetzungs- und Mobilisierungskonzept einzubringen. Dabei soll auch die Forderung nach einer Novellierung des Arbeitszeitrechtsgesetzes einbezogen werden, die den früheren Vorschlägen der jetzigen Regierungsparteien entspricht und insbesondere die Höchstarbeitszeit begrenzt.
Die Vorschläge der IG Metall sollen als Kernpunkt einer neuen arbeitszeitpolitischen Initiative der Gewerkschaften im Jahr 2000 in der IG Metall, mit den DGB-Gewerkschaften und in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Die vergangenen Jahre haben einen neuen Schub betrieblicher Rationalisierung und Produktivitätssteigerung durch "humanzentrierte" Rationalisierungskonzepte (Gruppenarbeit, Teamarbeit, K.V.P.) und darauf abgestimmte Formen betrieblicher Aufbau- und Ablauforganisation (Fraktalisierung, Cost Center usw.) gebracht. Immer deutlicher wird, dass diese neuen Managementstrategien das Versprechen der Vereinbarkeit von höherer Effizienz und zugleich erweiterter Eigenverantwortung nur um den Preis teilweise drastischer Leistungsverdichtung einlösen. Trotz positiver Ansätze und Einzelerfahrungen zeigt sich in zunehmenden Maße, dass betriebliche Reorganisation heute nahezu ausschließlich den Prinzipien des "Shareholder value" unterworfen wird und dass kurzfristiger Effizienz- und Ertragssteigerung Vorrang vor Humanisierung und menschengerechter Gestaltung der Arbeit gegeben wird.
Hierzu werden längst nicht mehr nur überbetriebliche Kennzahlenvergleiche (Benchmarking) angestellt sondern auch zunehmend innerbetriebliche Konkurrenzmechanismen geschaffen. Das "Unternehmen im Unternehmen" wird zum Leitbild, das auf immer kleinere Einheiten und letztlich den einzelnen Beschäftigten heruntergebrochen wird. Die Leistungsverdichtung erreicht heute in vielen Fällen ein gesundheitsgefährdendes Niveau. Aus dem betrieblichen Leistungskompromiß wird zunehmend ein Diktat, das einseitig von Kapitalinteressen bestimmt ist.
Die IG Metall hat mit der "Tarifreform 2000" ein Konzept vorgelegt, das auch offensive und nach wie vor zukunftsweisende Antworten auf die aktuellen Reorganisationsstrategien der Unternehmen gibt. Notwendig ist eine darauf aufbauende tarif- wie betriebspolitische Konzeption zur Durchsetzung und Weiterentwicklung der gewerkschaftlichen Ziele der Entgelt- und Leistungspolitik. Einer gewerkschaftlichen Leistungs- und Qualifizierungspolitik müssen folgende Anforderungen zugrunde gelegt werden:
1. Anzustreben sind gemeinsame, für Arbeiter und Angestellte anwendbare Tarifnormen zur Bestimmung eines fairen Leistungskompromiß. Dazu zählt insbesondere ein zumutbares Leistungspensum und Mitbestimmung bei der Personalbemessung. Bewährte Schutzbestimmungen des Leistungslohnes sind den neuen Bedingungen anzupassen und für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anwendbar zu machen.
2. Gesicherte Mitbestimmungs-, Reklamations- und Beteiligungsrechte von Betriebsräten, Vertrauensleuten und Beschäftigten müssen an die Stelle unternehmerischer "Scheinbeteiligung" treten.
3. Wir wollen den tariflich gesicherten Anspruch auf Qualifizierungszeiten erreichen. Dabei sollen nicht nur aktuelle Arbeitsfähigkeit, sondern auch die berufliche und allgemeine Entwicklung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefördert werden.
4. Neben der Arbeitszeitverkürzung ist die Übernahme nach der Ausbildung ein weiteres Instrument zur Beschäftigungssicherung. Deshalb muss in allen Organisationsbereichen der IG Metall nach Bestehen der Abschlussprüfung die grundsätzliche Übernahme in ein Vollzeitarbeitsverhältnis entsprechend der Ausbildung, das frühestens nach 12 Monaten kündbar ist, tarifvertraglich geregelt werden.
Mit den Bezirken sind entsprechende programmatische Eckpunkte zu vereinbaren, die hinreichend Raum für die Ausgestaltung in den Tarifgebieten lassen und zugleich eine einheitliche Entgelt- und Leistungspolitik der IG Metall deutlich machen.
Tarifverträge sind der kollektive Schutz und das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie beruhen letztlich auf ihrem Willen zu gemeinschaftlicher gewerkschaftlicher Aktion. Arbeitgeber nutzen vielfach das Übergewicht, das ihnen die Arbeitslosigkeit am Arbeitsmarkt verschafft, um sich der Tarifbindung zu entziehen oder das Tarifrecht zu umgehen oder zu unterlaufen. Der Bruch des Tarifrechts ist kein Kavaliersdelikt. Die IG Metall geht dagegen mit allen politischen und rechtlichen Möglichkeiten vor. Sie begrüßt die überfällige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zur Zulässigkeit von Verbandsklagen und fordert deren Festlegung als Gesetz.
Die tarifpolitischen Aufgaben der IG Metall werden vielfältiger. Immer noch sind besondere Anstrengungen zum Aufbau wirksamer Tarifstrukturen unter den erschwerten Bedingungen in Ostdeutschland erforderlich.
Durch Streik musste 1993 der Stufenplan in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie verteidigt werden. Dadurch wurde die weitere Angleichung der Löhne und Gehälter gesichert. Die Einlösung des politischen Versprechens, die Arbeits- und Lebensverhältnisse Ostdeutschlands in vollem Umfang an die westdeutschen anzupassen, steht aber immer noch aus. Dies bleibt unverändert die zentrale tarif- und gesellschaftspolitische Herausforderung.
Den Angleichungsprozeß fortsetzen heißt u.a. die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden zu senken, vermögenswirksame Leistungen und den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer durchzusetzen.
Im betrieblichen und tarifpolitischen Handeln begreifen die Arbeitgeber den Osten als Experimentierfeld. Hier wird ausgetestet, was den Beschäftigten an sozialen Grausamkeiten zugemutet und später auf den Westen übertragen werden kann.
Deshalb ist die Bewältigung der tarifpolitischen Herausforderungen keine auf die Tarifgebiete Ostdeutschlands beschränkte Aufgabe, sondern eine der Gesamtorganisation. Dies gilt sowohl für Auseinandersetzungen um Lohn und Gehalt, als auch für die Arbeitszeitpolitik und für die Durchsetzung eines gemeinsamen Entgeltrahmentarifvertrages.
Die Initiativen zur Durchsetzung einer höheren Verbandsbindung oder zum Abschluss von Anerkennungstarifverträgen sind fortzusetzen.
Zugleich muß die IG Metall den zusätzlichen Anforderungen gerecht werden, die sich aus der von ihr übernommenen tarifpolitischen Verantwortung für die verschiedenen, unterschiedlich strukturierten Branchen der Textil- und Bekleidungsindustrie und der Holz- und Kunststoffindustrie ergeben. Nicht zuletzt muß im Handwerk stärker als in der Vergangenheit eine eigenständige, handlungsfähige Tarifpolitik entwickelt werden, wenn die Ausbreitung tariffreier Zonen verhindert werden soll. Schließlich erfordert der sprunghafte Anstieg der Anzahl an Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern tarifliche Regelungen für diesen Bereich.
Darüber hinaus schafft die tiefgreifende Neustrukturierung, die sich in den Produktions- und Dienstleistungssektoren vollzieht, weitere neue Aufgaben. Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik entstehen neue produktionsnahe und industrielle Dienstleistungssektoren, die gewerkschafts- und tarifpolitisch erschlossen werden müssen. In den Fällen, in denen die Ausgliederung von Abteilungen und Tätigkeiten aus den Betrieben nicht verhindert werden kann, muß die IG Metall für die Einhaltung der bisherigen Tarifbindung und der Einkommens- und Arbeitsstandards für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eintreten.
Die Differenzierung der betrieblichen Wirklichkeit, die Zugehörigkeit zu immer größer werdenden Konzernen mit zunehmenden zentralen Vorgaben, die Verschärfung der Wettbewerbssituation und die Kampagnen der Verbände und einzelner Arbeitgeber verschärfen den Druck auf die Tarifverträge und die gemeinsame betriebliche Interessenvertretung. Diese Veränderungen erfordern die Verstärkung der gewerkschaftlichen Tarifpolitik im Betrieb.
Betriebsräte können nicht als Ersatzgewerkschaften tarifpolitische Funktionen übernehmen. Die Öffnung der Tarifverträge für betriebsverfassungsrechtliche Regelungen endet am gesetzlichen Mitbestimmungsrahmen und der verfassungsrechtlichen Garantie der Koalitionsfreiheit. Die IG Metall lehnt deshalb jegliche Änderung des § 77.3 BetrVG entschieden ab.
Die Absicherung des Flächentarifvertrages erfordert die betriebliche Anpassung durch tarifvertragliche Regelungen, dort wo der Grundsatz des Flächentarifvertrages nicht greift. Darüber hinaus erfordern neue arbeitsorganisatorische Konzepte die Erhöhung der Regelungstiefe. Das kann durch betriebliche Tarifkommissionen und den Abschluss betrieblicher Regelungen unter Einhaltung der Richtlinien für Tarifkommissionen geschehen. Der Vorstand wird eine Konzeption zur Durchführung von betrieblichen Tarifbewegungen für Firmen-Tarifverträge und Ergänzungs-Tarifverträge entwickeln und hieraus Veränderungen der Richtlinien für die Tarifkommissionen ableiten.
Der Austritt bzw. Nichtaustritt von Unternehmen in die Tarifverbände gehört zur Strategie bestimmter Arbeitgebervertreter. Die Praxis zeigt, dass tariffreie Branchen, wie z. B. Teile des Elektrohandwerks oder tarifarme Regionen nicht besser, sondern ökonomisch schlechter dastehen als andere. Die IG Metall wird Mittel bereitstellen und Methoden entwickeln, um die Tarifbindung zu erhöhen und ausgetretene Firmen wieder in die Tarifbindung zurückzuführen.
Diese wachsenden Anforderungen an die Tarifpolitik der IG Metall sind nur vor Ort durch die Stärkung der Tarifarbeit in den Verwaltungsstellen zu bewältigen. Sie sind in den Verwaltungsstellen nur durch die Gewinnung ehrenamtlicher Kolleginnen und Kollegen für die Tarifarbeit zu meistern. Den Verwaltungsstellen wird deshalb der Aufbau örtlicher Arbeitskreise für Tarifpolitik empfohlen.
Die uneingeschränkte, verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie ist zu einem Grundpfeiler politischer Demokratie in Deutschland geworden. Sie ermöglicht eine Tarifpolitik, die den sozialen Verteilungskonflikt bei breiter demokratischer Beteiligung der Öffentlichkeit wie der betroffenen Interessen frei von staatsautoritären Eingriffen austrägt und ausgleicht. Sie fördert damit die soziale und politische Integration und stärkt die Gestaltungskraft der Politik gegenüber wirtschaftlichen Einzelinteressen. Die Stärke der Tarifautonomie und der sie tragenden freiwilligen Verbände ist ein Gradmesser für den in der Gesellschaft vorhandenen Willen zum Interessenausgleich und sozialen Kompromiß.
Die IG Metall registriert mit Besorgnis, dass sich die Stimmen auf der Unternehmerseite mehren, die auf die Eingrenzung der Tarifautonomie drängen. Sie lehnt alle zwangsweisen Moderations- oder Schlichtungsverfahren entschieden ab. Sie weist ebenso alle Vorstöße zurück, die Handlungsfreiheit der Tarifparteien durch Lohnleitlinien zu beschneiden. Die bestehende staatsfreie Fassung der Tarifautonomie hat sich bewährt und muß mit aller Entschiedenheit verteidigt werden.
Tarifautonomie kann nur mit Leben erfüllt werden, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Gewerkschaften dem Machtanspruch der Arbeitgeber Streik entgegensetzen können. Das gilt erst recht bei globalisierten und europäisierten Märkten. Die Regierung Kohl hat mit der Veränderung des § 146 SGB 3 (alt § 116 AFG) bzw. den Wünschen der Arbeitgeber nachgegeben und das Streikrecht eingeschränkt. Wir fordern die Rücknahme des Antistreikparagraphen und statt dessen eine Regelung, die das Streikrecht sichert. Die Arbeitgeber versuchen, das Streikrecht als veraltet und schädlich zu verteufeln.
Für die IG Metall bleiben Tarifautonomie und Streikrecht unverzichtbare Eckpfeiler demokratischer Gesellschaften.
Letzte Änderung: Montag, 25. Oktober 1999, 09:05 Uhr durch Jo Meder
Quelle: WSI-Tarifarchiv