Hätte nicht Arbeitgeberpräsident Hundt den Bankenabschluß 1999/2000 als vorbildlich hingestellt (er hatte das Volumen auf 2,36 % beziffert), wäre es der breiteren Öffentlichkeit kaum aufgefallen, daß ein Tarifrunde mit einem Ergebnis beendet wurde, das langfristige Folgen für die Beschäftigten in dieser Branche haben wird. Leider keine positiven, soviel vorneweg gesagt. Der Verhandlungsführer, Claus Carlin, wollte für diese, obwohl er maßgeblich daran beteiligt war, lieber nicht länger verantwortlich sein, und hat ca. 2 Wochen nach der Entscheidung der großen Tarifkommission (die in seinem Sinne ausgegangen ist) seinen Rücktritt erklärt. Er ist damit ersten Rücktrittsforderungen zuvorgekommen und macht den Weg für einen "Neubeginn" frei.
Was war passiert? Wir erinnern uns: Im Frühjahr gab es die bisher größte Warnstreik- und Streikbewegung bei den Banken und Bausparkassen in der Nachkriegsgeschichte. Nach Angaben der Hauptfachabteilung Banken der hbv, sind über 100 000 Bank- und Bausparkassenangestellte auf die Straße gegangen. Es gab erstmals mehrtägige Streiks in Großbanken. Öffentliches Aufsehen hatte eine bundesweite Großkundgebung mit über 15000 Teilnehmerinnen am 13.Mai 99 erhalten, bei der die hbv-Vorsitzende Margret Mönig Rane und der DAG Vorsitzende, Issen, nicht nur konsequenten Widerstand gegen die Angriffe der Arbeitgeber ankündigten, sondern auch die künftige Gewerkschaftseinheit zwischen DAG und hbv beschworen. Diese Einheit hatte die erste ernsthafte Bewährungsprobe nicht bestanden.
Ursache für den 13 Monate dauernden tariflosen Zustand war der Streit über die Samstagsarbeit. Die Arbeitgeber wollen schon seit Jahren den Samstag als Regelarbeitstag einführen, ohne Zuschläge versteht sich. Im Laufe des Jahres 1999 hatten sich die Arbeitgeber leicht bewegt, indem sie eine minimale Zuschlagsregelung anboten, jedoch nur für Beschäftigte, die bereits ein Arbeitsverhältnis haben. Neu Eingestellte sollten nichts bekommen. Das war für die hbv-Tarifkommission absolut tabu. Die Trennung "Alt/Neu" stand nicht zur Disposition und war ein wesentlicher Grund für den tariflosen Zustand.
Offensichtlich galt dieses Tabu für die DAG, mit der die ganze Zeit enge Absprachen getroffen wurden, nicht. Sie erklärte bei den Verhandlungen am 24. Jan. ihre Zustimmung zu dieser Trennung. Im inzwischen abgeschlossenen Tarifvertrag wurde ein flächendeckender Test zur Samstagsarbeit vereinbart, nachdem ständig 6 % der Beschäftigten am Samstag eingesetzt werden können. Die bereits Beschäftigten sollen dies freiwillig tun "dürfen", während die Neueingestellten müssen. Außerdem sollen erstere nach dem 8. Samstag einen zusätzlichen Tag, nach dem 16. Zwei und nach dem 24. Drei Tage frei bekommen. Außerdem wurde ein 27monatiger Gehaltsabschluß getätigt. Die von den Arbeitgeber für 1999 bereits freiwillig gezahlten 3,1 % wurden darin bestätigt. Ab 1.4.00 gibt es 1,5 % zuzüglich einer Einmalzahlung von DM 400,-- und ab dem 1.8.00 weitere 1,5 %. Wie gesagt, Lob gab es dafür von Hundt.
Im Unterschied zur DAG hatte die hbv Tarifkommission dieses letzte Angebot der Arbeitgeber abgelehnt. Zwar äußerst knapp mit 27 zu 27 Stimmen, wobei der Verhandlungsführer, Claus Carlin, die Annahme empfahl und auch dafür stimmte. Gleichzeitig beschloss die Tarifkommission eine "Rückurabstimmung" in den bestreikten Betrieben zu organisieren. Wenn die Kollegen/innen deutlich das Verhandlungsergebnis ablehnen und sich für weitere Streiks aussprechen sollten, würde es bei der Ablehnung bleiben. Als Quote wurden (völlig willkürlich) 75 % festgelegt. Diese Vorgehensweise ist an und für sich völlig unüblich und drückt die ganze Orientierungslosigkeit und Zerissenheit der Tarifkommission und der Hauptfachabteilung Banken aus. Normalerweise werden in Rückurabstimmungen durch die Tarifkommission angenommene Ergebnisse zur Abstimmung gestellt. Bei Ablehnungen bleibt nur eine Wiederaufnahme der Aktionen und Streiks zu organisieren.
Völlig komisch wurde es dann, als die Hauptfachabteilung Banken und ein großer Teil der Landesbezirke nicht alles taten, um für eine Ablehnung zu mobilisieren und die Entscheidung der Tarifkommission zu bestätigen. Bereits im Vorfeld wurde (auch in internen Veröffentlichungen) eher davon ausgegangen, daß wir wohl zähnenknirschend zustimmen müssten. D.h. die Niederlage wurde nicht nur mit organisiert, auch die Autorität der Tarifkommission wurde untergraben. Daß diese sich dann später selbst entmündigte, ist ein anderes Kapitel.
Wieder erwarten, stimmten dann 62,5 % der Mitglieder gegen das Tarifergebnis und erklärten sich bereit, bei weiteren Arbeitskampfmaßnahmen mitzumachen. Wenn auch die Beteiligung eher gering war 8jedoch nicht kleiner als vor den Streiks im Frühjahr 99), überraschte dies. Seit der bundesweiten Großdemonstration in Frankfurt, im Mai 99, gab es keine Aktionen und Streiks mehr. Die Tarifauseinandersetzungen waren noch nicht angelaufen. Daß bei den Bänkern eine Streikbewegung per Abstimmung entschieden wird, war sowieso neu und entspricht nicht der Art und Weise, wie in Banken Aktionen und Streiks organisiert werden.
Trotz dem deutlichen Abstimmungsergebnis stimmte die Tarifkommission am 23.2.00, nach dem Ende der Erklärungsfrist, dem "Verhandlungsergebnis" mit einer klaren Mehrheit zu. Letzten Endes stimmten nur die Baden Württembergischen Tarifkommissionsmitglieder geschlossen und vereinzelte andere dagegen. Dadurch hatte die Tarifkommission dafür gesorgt, daß sie zum zweiten mal nach 96 ihre eigenen Beschlüsse und Haltelinien nicht ernst nimmt und wenn es Spitz auf Knopf geht, umfällt. Auf die Ursachen werde ich später eingehen.
Der Tarifabschluß in der vorliegenden Form wird nicht nur die Erosion der hbv in Banken und Bausparkassen befördern sondern die Erosion der Tarifverträge und deren weitere schleichende Aushöhlung. Hier in aller Kürze die wesentlichen Kritikpunkte an dem Abschluß:
Der Tarifabschluß verletzt alle Grundsätze bisheriger Tarifverträge, vor allem den, daß Tarifverträge bei wichtigen Punkten Rechtsansprüche der Mitglieder formulieren und formulieren müssen. Die Frage der Freiwilligkeit verletzt diesen Rechtsanspruch. Jeder weiß, daß die Freiwilligkeit nur auf dem Papier stehen wird. Die Arbeitgeber haben viele Möglichkeiten (Aufstiegschancen, Höhergruppierungen, Beurteilungen, usw.) der Freiwilligkeit etwas nachzuhelfen. Deshalb geht auch regelmäßig ein Gelächter durch die Betriebsversammlungen, wenn über "Freiwilligkeit" geredet wird. Ursprünglich war von klar definierten Ausnahmeregelungen die Rede und klaren Mitspracherechten der Betriebsräte.
Die Zuschlagsregelung verletzt den Grundsatz, daß alle geleistete Arbeit zuschlagspflichtig ist. Die Arbeitgeber können steuern, ob die Beschäftigten 7/15 oder 23 Samstage arbeiten müssen und Zuschläge bekommen oder nicht. Eine derartige handwerkliche und inhaltliche Schluderei hat es in Tarifverträgen noch selten einmal gegeben.
Die Trennung von Alt und Neu macht den Tarifvertrag zum Auslaufmodell für die Jüngeren und die hbv dazu. Das ist nicht übertrieben, denn wir werden das gleiche System bei der leistungs- und ergebnisorientierten Bezahlung wieder erleben. Die Alten können "freiwillig" entscheiden ob sie ins neue System wechseln (mit etwas Steuerung der Arbeitgeber geht das schnell) und die Neuen müssen. Es glaubt uns kein Mensch, daß wir ein solches System verhindern, wenn wir beim Samstag eben solches gerade unterschrieben haben. Dass Junge von hbv überzeugt werden können, wenn ihr gegenüber sitzende Kollegen Freitagnachmittag nach Hause gehen sie aber Samstag kommen müssen (beim Geld analog) wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Die Verhandlungszusagen künftige Gehaltszuwächse leistungsorientiert verteilen zu wollen warnen geradezu vor der Gefahr. Unsere Tarifverträge werden an den zwei Punkten erodieren, die sie zusammenhalten, nämlich bei der Zeit und beim Geld.
Wir werden spätestens bei den nächsten Tarifauseinandersetzungen erleben, daß es schwieriger werden wird, die Kolleginnen und Kollegen bei Banken und Bausparkassen auf die Straße zu bringen. Trotz großer Streikbewegung, trotz eindeutiger Ablehnung der Mitglieder wurde der Tarifabschluß getätigt. Die hbv hat an Glaubwürdigkeit verloren und diese wird durch die schleichende Ausdehnung der Samstagsarbeit noch weiter unterhöhlt werden.
In der Tarifkommission und den Landesbezirken gab es durchaus unterschiedliche Gründe dem Abschluß zuzustimmen. Es gibt, soweit ich mich zurückerinnern kann, immer schon einen Teil von Kolleginnen und Kollegen, die aus Banken kommen, die nicht kämpfen können oder ein eher distanziertes Verhältnis zu Streiks und Arbeitskämpfen haben. Diese haben mehrheitlich schon bei der ersten Abstimmung für den Abschluß gestimmt. Es gab aber auch einen Teil aus den Streikbetrieben (insbesondere aus Hessen und NRW) die sagten: Wir können nur nein sagen, wenn wir sofort in wirksame Streiks kommen und den tariflosen Zustand beenden können. Wenn nicht, müssen wir eben zustimmen. Darüberhinaus gibt es bisher keine Erfahrung, daß es hbv jemals gelungen ist, gegen die DAG und die Arbeitgeber einen bestehenden Tarifvertrag zu kippen und zu verbessern.
Diese Haltung muß m.E. respektiert werden, wenn ich sie auch für falsch halte. Es gab keinen direkten Zwang sofort eine Streikbewegung aus dem Boden zu stampfen. Wir hatten einen gültigen Tarifvertrag. Wir hätten mit Hilfe der Betriebsräte in vielen Betrieben die Einführung des Testes verhindern können. Wir hätten das Thema wieder besetzen und Stück für Stück Aktionen und Streiks organisieren können, vor allem im Zusammenhang mit den Angriffen der Arbeitgeber auf die Struktur des Gehaltstarifvertrages.
So aber verkommt Tarifpolitik zur ständigen Anpassung an die Vorgaben der Kapitalseite. Wenn Tarifverhandlungen nicht zu einem ständigen Akt kollektiver Bettelei mutieren sollen, dann ist ein gründlicher Kurswechsel unvermeitlich.
Der Rücktritt des Verhandlungsführers bietet zwar die Chance eines "Neubeginns". Er reicht jedoch nicht aus. In der Tarifkommission, auf Orts- Landes- und Bundesebene muß jetzt eine gründliche Diskussion geführt werden, wie es weitergeht. Wie schon angedeutet wollen die Arbeitgeber einerseits eine Neuordnung der Tarifgruppenstruktur und die Einführung leistungs- und ergebnisorientierter Bezahlung. Der variable Teil des Gehaltes soll ausgedehnt und der feste soll verringert werden. Beide Gewerkschaften basteln
,in Expertengruppen seit längerem zusammen mit den Arbeitgebern einen neuen Tarifvertrag. Das jetzige Verhandlungsergebnis beinhaltet bereits das Zugeständnis, daß Teile der künftigen Gehaltserhöhungen in einen Topf zur leistungs- und ergebnisorientierten Bezahlung wandern sollen. Dies wird nicht nur zu weiteren Spaltungen bei den Beschäftigten führen, sondern auch zu Verschlechterungen. Bekommen z.B. Teile der Beschäftigten keine Leistungszulage, was unvermeitlich sein wird, werden diese sich wahrscheinlich bei den Gewerkschaften mit Austritten bedanken. Denn sie haben die Zulage der anderen mit Gehaltsverzicht bezahlt. Die erfolgreicheren werden deshalb aber nicht in die Gewerkschaft eintreten, denn sie haben ihr höheres Gehalt ja nicht ihr sondern ihrer "Leistung" zu verdanken. Diese Politik hat geradezu Selbstmordcharakter, weil sie schleichend kollektive Zusammenhänge, die existenziell für die Gewerkschaft sind, zerstört.
Die Kapitalseite wird, wie angedeutet, wieder nach dem Prinzip "Alt/Neu" verfahren. hbv kann bei einer Fortsetzung der Verhandlungen keinen Blumentopf gewinnen, geht aber das Risiko einer weiteren Erosion des TV ein.
Auch muß eine gründliche Aufarbeitung der "Arbeitskampfstrategie" erfolgen. Daß es kein Konzept darüber gab, wie es nach der Großdemonstration im Mai weitergehen sollte, war ein Fehler. Die Vorstellung, man kann eine Tarifbewegung Mitte Mai beenden und dann nach den Sommerferien wieder aufbauen, muß überprüft werden. Sicherlich gab es deutliche Anzeichen der Erschöpfung. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, die Aktionen und Streiks, wenn auch auf niedrigerem Niveau, am Leben zu halten. Warum, trotz massivem Drängen der Hessen, nach dem Sommer keine erntshaften Mobilisierungsversuche unternommen wurden, sollte ebenfalls ernsthaft hinterfragt werden. Zumal die Banken und Bausparkassen mit Streiks, Überstundenverweigerung und anderen Aktionen im Zusammenhang mit der "Jahrtausendumstellung" wirkungsvoll getroffen werden hätten können.
Das alles ist nicht nur ein Führungsproblem. Ehrenamtliche und hauptamtliche Funktionäre müssen sich fragen, welchen Weg sie künftig gehen wollen. Die seit Jahren in diesem Bereich zu beobachtende Orientierungslosigkeit, herumeiern und über den Haufen schmeisen, von vorher gefassten Beschlüssen, hat zwar etwas mit der organisatorischen Schwäche zu tun, es beinhaltet jedoch keine Chance diese zu überwinden, sondern reproduziert sie geradezu beständig.
Das Handelsblatt hat den Tarifabschluß Banken und die erste Ablehnung durch hbv sinngemäß so bewertet: In hbv würde es immer noch eine Menge Traditionalisten und Fundamentalisten geben, die noch in den veralteten Kategorien von Kapital und Arbeit dächten. Während die DAG eher bereit ist "gemeinsame Experimente" mit den Arbeitgebern einzugehen. Da jedoch die Abstimmung bei hbv äußerst knapp war, würden die Traditionalisten bei einer gemeinsamen Tarifkommission eine hoffnungslose Minderheit bilden.
Es ist geradezu bezeichnend, daß der Banken-Abschluß, trotz Folgen für alle Gewerkschaften, zu keiner Ver.di-Frage gemacht wurde. Es wird weitergemacht, wie wenn es diesen Abschluß und das Ausscheren der DAG gar nicht gegeben hätte.
Praktisch heißt das jedoch, daß sich die Tarifpolitik bei Banken/Bausparkassen und, wenn wir nicht aufpassen, auch bei Versicherungen an die der DAG anpassen wird. Für hbv wäre dies verhängnisvoll, denn das Selbstverständnis vieler Aktiven war dadurch geprägt, daß hbv in der Vergangenheit eine konsequentere Politik verfolgt hat.
Auch ist nicht anzunehmen, daß hbv (oder auch Ver.di) die radikalen Umbrüche der Banken (Deutsche und Dresdner Bank bilden da erst den Anfang) durch Unterordnung an die Vorgaben des Kapitals als handlungsfähige Organisation überleben wird.
Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift Sozialismus Nr. 4 vom April 2000
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