Kein Grund zur Freude

Die "zweite Niederlage" des Klaus Zwickel (?) – Kommentar zum Metallabschluss

 

Gespenstische Feierstimmung und überschwängliche Gratulation zu einem Begräbnis erster Klasse – für einen Toten, der vielleicht gar nicht gelebt hat: der Metalltarifabschluss zur Altersteilzeit im Bezirk NRW. Doch was gibt’s zu feiern? Verblockte, 6-jährige Altersteilzeit für Beschäftigte ab 57 Jahren, Freistellung spätestens mit 60, jedoch mit gestaffelten, maximalen Obergrenzen für den Anteil der Beschäftigten, die gehen dürfen (4 bzw. 5 Prozent der Gesamtbelegschaft und jeweils max. 40-60 Prozent der 57-59-Jährigen) – das ist die Form sozialer, solidarischer und beschäftigungspolitischer Verantwortung, die sich die IGM im Zeichen des BfA noch leisten kann, und mit der sie die Verbetrieblichung und damit Kapitalisierung der Altersteilzeit vorantreibt. Damit hält man den eigenen Laden zusammen, die Bude(n) ruhig und Kamingespräche am Laufen.

Dafür gibt’s 3 Prozent mehr ab Mai 2000, weitere 2,1 Prozent ab Mai 2001 und verlängerte Laufzeiten gratis dazu. Brav! So soll und muss es sein, wenn die Gewerkschaften sich an die Tröpfe von Rot-Blair-Grün und die sich an den Tropf der Konjunktur hängen. Ob es noch zu einem "zweiten Ergebnis" im Rahmen der nun anstehenden Verhandlungen auf Betriebsebene kommt?

Der Tarifabschluss der IGM in NRW ist ein bedeutender Abschluss. Nicht von seiner materiellen Ausstattung her, da bleibt er im Rahmen dessen, was angesichts des Forderungsvolumens zu erwarten war. Die Bedeutung des Abschlusses liegt vielmehr darin, dass er das Ende einer Ära markiert, die Tarifpolitik mit dem Anspruch auf sozialpolitische Gestaltung verband und deren Standards von der IGM gesetzt wurden. Der Abschluss von NRW ist ein Zeichen für die Erschütterung der besonderen Machtstellung der IGM und ihrer Sonderrolle im Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit, und er symbolisiert deren Einreihung in den von Unternehmen, Politik und Medien derzeit vorgegebenen Rahmen.

Der Abschluss ist zunächst eine weitere Niederlage ihres Vorsitzenden Klaus Zwickel. Nachdem dieser schon mit seinem Vorstoß in Richtung 32-Stunden-Woche, nicht zuletzt in der eigenen Organisation, gescheitert war, wurde nun die nicht weniger umstrittene Idee einer gesetzlich flankierten Rente mit 60 beerdigt. Eine Rente mit 60 ohne Abschläge wird es nicht geben. Verloren hat aber anscheinend insbesondere der Vize Peters und die sich an ihm orientierende Strömung innerhalb der IG Metall, die tendenziell (und in engen Grenzen) auf kritische Distanz zur Regierung setzte. Gestärkt wurde dagegen jene Fraktion, die zunächst auf einen SPD-Wahlsieg in NRW setzt und eine zweite Amtsperiode für eine SPD-Bundesregierung für möglich hält. Zwickel kommt die Rolle zu, "den Laden zusammenzuhalten", das heißt, auch mal mit einem starken Wort die Unzufriedenen einzubinden. Dies macht aber seine "Alleingänge" zur 32-Stunden-Woche und zur Rente mit 60 taktisch nicht klüger, weshalb sie in der Metall-Realpolitik nicht berücksichtigt wurden. Diese Rolle sichert aber seine Position für die verbleibende Amtszeit.

Zum Ergebnis: Erreicht wurde ein Abschluss, der im Vergleich zum IGBCE-Ergebnis in den Prozenten besser abschneidet, dies aber mit einem kleineren Kreis von An spruchs berechtigten und schlechteren Konditionen bezahlt. Am positivsten ist der Abschluss für die Auszubildenden, die in Zukunft mit einer Mindestübernahmezeit von 12 Monaten rechnen können. Jedem Versuch einer weiteren Wochenarbeitszeitverkürzung ist dagegen für lange Zeit ein Riegel vorgeschoben, indem eine Kündigung der bestehenden Wochenarbeitszeit-Regelung mit dem automatischen Ende jeglicher Altersteilzeit und der genannten Übernahmeregelung für Auszubildende verknüpft wurde.

Wirklich überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Es mag aber verwundern, dass die IGM-Spitze derartig blauäugig in eine Tarifrunde ging, in der für sie eigentlich nichts zu gewinnen war.

Der Grundstein dafür war bereits im Scheitern des Zwickel-Vorstoßes zur 32-Stunden-Woche angelegt. Von einflussreichen Funktionären seines Heimatbezirks Baden-Württemberg von vornherein für abenteuerlich und nicht durchsetzbar erachtet, fiel der Vorschlag auch in den Betrieben durch. Zu sehr werden die zurückliegenden Arbeitszeitverkürzungen mit der Erfahrung der Arbeitsverdichtung verbunden, zu wenig Vertrauen herrscht angesichts massenhaften Stellenabbaus in beschäftigungswirksame Arbeitsplatzeffekte ausreichend freie Zeit scheint vorhanden, als dass eine weitere Wochenarbeitszeitperspektive popularisierbar wäre. Leider, so muss hinzugefügt werden.

Als Folge dieser Pleite müssen Zwickel und seine Berater im IGM-Headquarter auf die Idee gekommen sein, mit der Rente ab 60 zwar die im Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit verabredeten Vorgaben zu erfüllen, aber dabei doch eigene Akzente zu setzen. Der Vorschlag zielte auf den bei entsprechenden Altersgruppen äußerst populären Wunsch, so früh wie möglich aus den Betrieben abhauen zu können und verband dies mit dem ursprünglich von IGM-Vize Riester gegen die Wochenarbeitszeitverkürzung ins Gespräch gebrachten Gedanken, mit tariflichen Mitteln die finanziellen Folgen der Verlängerung der Lebensarbeitszeit abmildern zu können, deren politische Revision man sich offenbar unter Rot-Grün nicht zutraute.

Dass die Rente bald zur "Ente mit 60" mutierte, lag vor allem an dem sehr begrenzten Kreis der Begünstigten und der offenkundigen Gewissheit, dass die Jüngeren, die alles mit niedrigen Abschlüssen bezahlen sollten, niemals davon würden profitieren können. An das ohnehin sehr bescheidene Beschäftigungsziel von maximal 140.000 neuen Jobs glaubte auch diesmal niemand.

Berthold Huber, Leiter des Bezirks Baden-Württemberg, hatte zudem früh und öffentlich seine Missbilligung erklärt. Andere Bezirksleiter und einige einflussreiche Betriebsräte hielten das Modell ebenfalls für nicht durchsetzbar. So war bald klar, dass weder ein unter vielen Mitgliedern – angesichts der Gewinnlage zahlreicher Unternehmen – durchaus populärer Arbeitskampf vor der Tür stand, noch die IG Metall ihre "Drohung" wahrmachen wollte, eine reine Lohnrunde zu führen. Diese hätte einerseits die Erwartungen der Beschäftigten in höhere Regionen abschweifen lassen, andererseits die von der Schröder-Regierung angemahnte zurückhaltende Lohnpolitik gefährdet. Ein selbstverschuldetes Dilemma. Wer weder gegen die unsoziale Rentenpolitik von Rot-Grün angehen, noch aus dem Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit aussteigen will, sollte besser keine Rente mit 60 fordern. Er sieht sonst ziemlich alt aus.

Die "Bündnispolitik" kann nun frei vom Ballast der "Rentendiskussion" weitergehen. Dabei ist nichts Gutes zu erwarten.

sH.D.

Der artikel erscheint im express 3/2000

 


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