letzte Änderung am 7. Juli 2003

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Diskutieren ja, aber die Einheit der Organisation hüten wie unseren Augapfel!

Persönliche Bemerkungen von einem, der insgesamt 3 Wochen bei Urabstimmung und zur Streikunterstützung in Dresden war:

1. Es stand von Anfang an nicht die gesamte IG Metall hinter den berechtigten Forderungen unserer ostdeutschen Koll. und der entsprechenden Durchsetzungs-Strategie und das obwohl im Vorstand einstimmig für Urabstimmung und Streik abgestimmt wurde. Dieses Defizit hatte ich bereits bei der Sitzung der Tarifkommission in Leipzig (20.5.03) gespürt. Die Verantwortung für die fatale Situation trägt der 1. Vorsitzende Klaus Zwickel und der gesamte Vorstand, sowie alle Bezirksleiter. Ein Umsteuern nach dem 20.5. wäre notwendig gewesen. Auch später war es noch möglich. Im weiteren Verlauf der solidarischen Unterstützungs-Aktionen aus dem Westen sind mir erhebliche Lücken aufgefallen. 3 zentrale Flugblätter vom Vorstand, während der gesamten Streikzeit entsprachen genauso wenig der Situatuion, wie eine insgesamt vernachlässigte Öffentlichkeits-Kampage für die der Vorstand und nicht die Bezirksleitung Berlin-Brandeburg-Sachsen zuständig gewesen wäre. Die Koll. im Osten wurden von vielen buchstäblich im Regen stehen gelassen. Insbesondere Betriebsratsvorsitzende aus der Automobilindustrie aber auch einige Bezirksleiter waren nicht konsequent solidarisch, obwohl auch sie zu Beginn der Bewegung entsprechende Erklärungen pro Kampf im Osten abgaben. Schon über die medial gestaltete Auseinandersetzung gibt es Legenden-Bildungen. Ich war 3 Wochen vor Ort und kann erzählen wie sich Kapitalvertreter, Politiker und Medien zur Hetzjagd gegen Gewerkschaftsmitglieder zusammengefunden hatten und wie sich das auf das Urabstimmungsverhalten und die Stimmung beim Streik ausgewirkt hatte. Besonderes gab es bei Federal Mogul in Dresden. Es waren quasi fast englische Verhältnisse. Am 18.6. telefonierte ich mit Werner Neugebauer (Bezirksleiter Bayern) und verlangte weitere Solidarität. Er war zu der Zeit gerade mit Automobil-BR's aus Bayern zusammen und versprach sein Möglichstes zu tun. Geschehen ist leider wenig. Inzwischen ist mir das klar. Am 23.6. trafen sich die Automobil-BR's bundesweit. Dort wurde der Streikabbruch quasi bereits vorbereitet, indem es nicht zu Absprachen über Solidaritäts-Aktionen kam, sondern zu betriebsegoistisch geprägten Debatten. Die Legende Peters sei ein "Geisterfahrer" macte die Runde. Am selben Tag gab es auch ein Gespräch mit dem Kanzler über "Sozialabbau". Ich war nicht dort, unterstelle jedoch, dass der Kanzler den BR's und insbesondere Klaus Zwickel klarmachte: Der Streik muss beendet werden. Später gab es noch die unsäglich gewerkschaftsschädigende Äusserungen des Koll. Franz (GBR-Vors. Opel), dessen Betriebsbereiche vom Streik garnicht betroffen waren. Das alles hatte entscheidend die Verhandlungs-Position der IG Metall geschwächt. Die Frage, die sich ergibt ist: Gab es ein Zusammenspiel, in Sachen Streik und Streikabbruch, zwischen Managern der Automobilindustrie und einigen ihrer BRV's bzw. GBR-Vors., mit der Politik (Kanzler Schröder, Clement, Milbrandt usw.) und Klaus Zwickel ? Konsequente gewerkschaftliche Solidarität ist eine sehr entscheidende Angelegenheit, mitunter so wichtig wie der unmittelbare Streik. Genau das wurde von nicht Wenigen in entscheidender Situation offensichtlich ungenügend beachtet.

2. Es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein Vorsitzender ohne Einbeziehung verantwortlicher Gremien, nach einer gescheiterten Verhandlungsnacht den Abbruch eines Streiks verkündet. Dazu hat er kein Recht bzw. Mandat. Das könnte höchstens ein Vorstand erklären, nachdem die zuständige Tarifkommission so beschlossen hat. Das geschah dann aber erst später. Die mediale Verarbeitung der Zwickelschen Äusserungen nach der Verhandlungsnacht, hatte die IG Metall jedoch an die Wand gefahren. Es blieben sowohl der Tarifkommisssion wie auch dem Vorstand anschließend nur wenige Auswege, von dem einseitig durch Zwickel verkündeten Streikabbruch, wieder wegzukommen. Man schaue sich genau den Zeitplan der Dramaturgie nach dem Scheitern der Verhandlungen an, dann kommt ihr selbst darauf was falsch gelaufen war. Möglich wäre eine Schlichtung gewesen und außerdem kann ein nicht erfolgreicher Kampf auch später eine Fortsetzung finden. Das wäre zwar ein neuer aber vielleicht auch ein moderner Weg aus der Krise, als die innergewerkschaftliche Demokratie, Glaubwürdigkeit und inhaltliche Debatte derart zu erschweren.

3. Nach dem Abschluß in der Stahlindustrie erhalten die Koll. im Jahre 2009 vielleicht endlich die 35-Stundenwoche, wenn nicht die Revisionsklausel bemüht wird. Der Rest der Industrie wurde bekanntlich vorerst nicht geregelt, mit Ausnahme von 9 Haustarifverträgen. Das heisst: Nach Kohl's versprochenen "blühenden Landschaften" (1990) erhalten Arbeitnehmer in Ostdeutschland immernoch nicht dieselben Bedingungen wie im Westen. Das ist 20 Jahre danach ein Skandal für die Menschen und ein Armutszeugnis der mangelnden Solidarität aus dem Westen. Die Verantwortung tragen einige wenige betrieb-syndikalistisch orientierte BR's aus einigen westdeutschen Automobilfirmen und ein Vorsitzender der IG Metall, der ihnen nachgegeben hat, statt sie zur konsequenten solidarischen Unterstützung aufzurufen.

4. Die Personaldiskussion ist vorgeschoben. Damit soll ein tiefer gehender Streit um Inhalte, Richtung und organisatorische Konsequenzen gewerkschaftlicher Arbeit verdeckt werden. Krass ausgedrückt versuchen sich da Einige in Richtung "Schröderisierung der Gewerkschaftsbewegung" voran zu kommen. Wenn jetzt von Einigen versucht wird, den Gewerkschaften ihre Kampfmoral zu untergraben, indem ihr der Inhalt geraubt wird, so wird das hoffentlich mittel- und langfristig fehlschlagen. Spätestens auf dem Gewerkschaftstag muss wieder Klarheit und Geschlossenheit hergestellt werden, sonst kann es auf dauer eine geschwächte IG Metall geben. Merz, Merkel, Stoiber, Westerwelle und auch Schröder und Clement würden sich wohl freuen, wenn die Gewerkschaft zahnloser darherkommt. Wenn ich unterstellen darf, dass daran aus objektiv nachvollziehbaren Gründen kein Gewerkschafter (außer vielleicht Schmolt / IGBCE) interessiert sein kann, dann verlange ich jetzt eine schonungslos mitgliederoffene Diskussion bevor irgendwelchen Rücktrittsgelüsten nachgegeben wird. Rücktritte sind mitunter auch eine Form inhaltlicher Erpressung. Dafür ist mir die IG Metall zu schade. Uns steht besser eine inhaltliche Debatte an, als falsche Schuldzuweisungen und Flucht vor kollektiver Verantwortung.

5. Wenn sich der Vorstand der IG Metall nicht zu einem inhaltlich nachvollziehbaren, verantwortlichen und politisch richtigen Weg entscheiden kann, dann muss er sich auflösen und den Gewerkschaftstag entscheiden lassen. Dass aber inwischen EX-Chefredakteur und Ex-Kohl-Berater Bönisch uns die Abwahl von Jürgen Peters empfiehlt, lässt die Aktion einiger Automobil-BR's in einem sehr fatalen Licht erscheinen. Ich denke, hoffe und mach täglich, wie viele Andere auch, was ich kann, dass die IG Metall immernoch stark genug bleibt und sich nicht von falschen Freunden beraten lässt.

6. Ich rufe alle Funktionäre und Mitglieder auf: Erhaltet unsere Organisation als kämpferischer Interessenverband der Arbeitnehmer. Stellt die Streikfähigkeit wieder her. Hütet die Einheit wie euren Augapfel. Das geht derzeit aber nur durch intensive innergewerkschaftliche Diskussions-Prozesse und nicht durch schädliche mediale Kraftmeierei, die innergewerkschaftliche Demokratie ersetzen soll. Wer kämpft kann verlieren, wer jetzt nicht mehr kämpft, der hat schon verloren !

Kollegiale Grüße an Alle !
Wolfgang Ziller (Schweinfurt)

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