letzte Änderung am 4. Juli 2003

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IG Metall Vorstand
z. Hd. Koll. Klaus Zwickel, Koll. Jürgen Peters
Lyoner Str. 32
60528 Frankfurt

Vertrauenskörperleitung der Eisenbahn und Häfen GmbH
Franz-Lenze-Str. 15, 47166 Duisburg
Tel.: 0203/52-24231 oder -25627
Fax: 0203/52-40647

Duisburg, den 03. Juli 2003

Aufarbeitung der Streikniederlage

Liebe Kollegen,

  1. die IGM-Vertrauenskörperleitung bei der Eisenbahn und Häfen GmbH (90%ige Tochter der ThyssenKrupp Carbon Steel in Duisburg mit 1.350 Beschäftigten) ruft dazu auf, alles dafür zu tun, dass die Streikniederlage nicht durch weitere Entsolidarisierung, durch Disziplinlosigkeit von Funktionären und Konzernbetriebsratsvorsitzenden der Automobilindustrie sowie durch Seilschaftskämpfe vertieft wird. Notwendig ist jetzt eine zügige und umfassende, für die Mitgliedschaft und Funktionsträger transparente Aufarbeitung der gescheiterten Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche im Osten. Wir warnen nachdrücklich davor, sich angesichts der massiven gewerkschaftsfeindlichen Stimmung in weiten Bereichen der Politik, der veröffentlichten Meinung und der neoliberalen Offensive des Kapitals öffentlich zu zerfleischen. Hauptverantwortlich für die Niederlage ist die Kapitalseite. Sie hat das erreicht, was sie wollte: Der immer noch starken IG Metall endlich einmal eine gehörige Niederlage beizubringen. Die regionale Niederlage droht sich auszuweiten, die IG Metall zu zerrütten und im Prinzip die gesamte Gewerkschaftsbewegung zurückzuwerfen, wenn wir jetzt nicht verantwortungsbewußt gegensteuern und den Schaden begrenzen. In der Öffentlichkeit und der Mitgliedschaft entsteht der Eindruck, daß maßgebende Funktions- und Mandatsträger, die sich zum Teil auf gewerkschaftsschädigende Art und Weise von dem Streik distanziert haben, die Niederlage als willkommene Gelegenheit für personelle und gewerkschaftspolitische Weichenstellungen ausnutzen wollen. ...

  2. Wir nennen insbesondere den GBR-Vorsitzenden der Opel AG, Klaus Franz, Erich Klemm von Daimler-Chrysler, den bayerischen Bezirksleiter Werner Neugebauer, das Vorstandsmitglied Bruno Neumann und den Bochumer Bevollmächtigten Ludger Hinse. Ihr Verhalten hinterlässt den Eindruck, als würden sie in einer de facto Branchenkoalition mit Konzernleitungen und Arbeitgeberverbandsfunktionären auf wichtige Entscheidungen in der IG Metall Einfluss nehmen wollen. Das schadet der IG Metall insgesamt und muss sofort aufhören! Mehr oder wenige offene Entsolidarisierung in Wort und Tat ist keine zulässige Meinungsäußerung, sondern aus gewerkschaftlicher Sicht verwerflich. Das darf unserer Meinung nach nicht ohne disziplinarische Konsequenzen bleiben. Wir haben nicht vergessen, dass sich der Grossteil der veröffentlichten Meinung nachdrücklich hinter Kollegen Huber ("kompromißbereiter Reformer") als Nachfolger für Klaus Zwickel gestellt hatte, gegen Kollegen Peters ("Traditionalist, Betonkopf und Blockierer"). Die überaus harte Gangart der Kapitalseite während der Verhandlungen bei Metall - im Unterschied zu Stahl, wo ja ein Kompromiss erzielt werden konnte - legt es nahe, daß sie durchaus auch einer bestimmten Richtung in der IG Metall eine Niederlage beibringen und damit personelle und programmatische Entscheidungen beeinflussen wollte. Wir möchten nachdrücklich daraufhin weisen, daß der Vorstand einstimmig grünes Licht für die Streikbewegung und ein Streikkonzept gegeben hatte. Im Rahmen einer ehrlichen Ausarbeitung ist deshalb auch zu hinterfragen, ob das ursprüngliche Streikkonzept überhaupt realitätstüchtig war. War es vielleicht nur Ergebnis eines Kompromisses in den verantwortlichen Gremien? Hatte man die Tragweite der Auseinandersetzung überhaupt erkannt? Die Kernpunkte des Streikkonzepts müssen in der organisationsinternen Diskussion offengelegt werden! Wir sind fest davon überzeugt, dass die Forderung nach weiterer Arbeitszeitverkürzung angesichts drohender 5-Millionenarbeitslosigkeit und der notwendigen Ost-West-Angleichung objektiv vollauf berechtigt ist. Erforderlich war aber auch, die Lage richtig einzuschätzen und nicht zu verkennen, dass die erfolgreiche neoliberale Offensive auch in den Köpfen unserer Mitgliedschaft Verheerungen angerichtet hat, dass wir die lang-fristige Durchsetzung der 35-Stunden-Woche im Westen mit schwerwiegenden Flexi-Kompromissen und Lohnverzicht bezahlt haben, die sie als wirksames Instrument zur gerechteren Verteilung der vorhandenen Arbeit in Mißkredit gebracht haben. ...

  3. Wir fragen: War es realistisch, davon auszugehen, man könne eine solche prinzipielle Auseinandersetzung wie um kollektive Arbeitszeitverkürzung in der Metallbranche Ost-deutschlands durch regional beschränktes Klein-Klein und unter weitgehendem Ausschluss von Fernwirkungen bestehen? Waren der nach wie vor schwache Organisationsgrad in der Metallbranche von Sachsen und Brandenburg und die prekäre Tariflandschaft ausreichend bedacht worden? War die längerfristige gewerkschaftspolitische Vorbereitung von Mitgliedschaft und Öffentlichkeit überhaupt ausreichend? War wirklich alles für die notwendige Solidarität zwischen den östlichen und westlichen IG Metall-Bezirken getan worden? Wie ist die Bewegung von den verantwortlichen zentralen Gremien begleitet worden? Hat der Vorstand nicht auch die Streikausweitung beschlossen, als sich zeigte, wie verhärtet das Unternehmerlager sich gab? Was ist an unseren organisatorischen Strukturen fragwürdig, die Fehleinschätzungen und Fehler begünstigen? Wir haben herauszuarbeiten, was die Organisation durch eigene Fehler und ein fragwürdiges Streikkonzept zu der Niederlage beigetragen hat. Einseitige Schuldzuweisungen und die Suche nach Sündenböcken führen zu nichts Positivem. Nur eine ehrliche und für die Mitgliedschaft nachvollziehbare Aufarbeitung der Niederlage hilft uns, eine neue Vertrauensbasis zu schaffen, die organisatorische Einheit und Handlungsfähigkeit der IG Metall zu verteidigen und die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Mit kollegialen Grüssen

gez. Michael Müller, VK-Leiter
gez. Feti Özkan, stellv. VK-Leiter
gez. Hermann Dierkes
gez. Guido Enger
gez. Wilfried Franke
gez. Harald Hopfeld
gez. Dirk Johann
gez. Jürgen Wrubel
gez. Hans-Peter Thiemontz
gez. Olaf Worscheck

Durchdruck: IGM Bezirksleitung NRW, IGM Ortsvorstand Duisburg

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