"Task Force on Working Class Politics"

Zur New Workers’ Initiative der CAW / Von Judy Rebick

 

Während hierzulande zwar der Bruch der sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit der ArbeiterInnenbewegung respective den Gewerkschaften konstatiert wird, klare Konsequenzen aus der Enttäuschung über deren Politik umgekehrt allerdings nicht absehbar sind, übt sich die CAW in einem weniger skrupulösen Verhältnis. Doch während die Notwendigkeit einer Ablösung von der New Democratic Party und der eigenständigen Bestimmung des politischen Mandats der Gewerkschaften längst erkannt ist, scheint die Frage des "Wie" die CAW an eine Wegscheide geführt zu haben: Soziale Bewegung bleiben oder "Auf zur Parteigründung"? Judy Rebick, Autorin des Buches "Imagine Democracy" und der CAW nahestehende politische Aktivistin, zum Versuch einer politischen Neubestimmung der CAW:

Die Gewerkschaft der Canadian Auto Workers (CAW) hat eine wichtige Initiative mit dem Titel "Task Force on Working Class Politics in the 21st Century" gestartet. Dazu heißt es in einem CAW-Schreiben:

"Wenn es um Politik geht, ist meist lediglich von parlamentarischer Politik die Rede. Eigentlich geht es aber bei Politik um gesellschaftliche Fragen: Es geht um Macht und soziale Veränderung, um die Frage, wer es wie schafft, seine Interessen und Werte durchzusetzen. Es spielt keine Rolle, welche Regierung gerade dran ist, solange sich die Macht in den Händen einer Minderheit konzentriert, die die Produktion, die Investitionen, die Finanzen und die Kommunikation kontrolliert."

Die CAW, Kanadas größte Gewerkschaft für den privatwirtschaftlichen Sektor, ist nicht nur in der Automobil- und Flugzeugindustrie, sondern neuerdings auch im Dienstleistungsbereich aktiv. 1985 spaltete sich die CAW wegen unvereinbarer Differenzen über das concession bargaining und die Orientierung der Gewerkschaften an Unternehmensinteressen von den United Autoworkers (UAW) ab. Seitdem ist sie eine wesentliche linke Kraft für soziale Veränderung in Kanada.

Die kanadische Gewerkschaftsbewegung arbeitet nicht erst seit kurzem, wie das in den USA der Fall ist, sondern bereits seit Jahrzehnten eng mit den sozialen Bewegungen, so mit Frauen-, Umwelt- und Homosexuelleninitiativen zusammen, von denen etliche durch die CAW auch finanzielle Unterstützung erfahren. Beispielhaft war die von der CAW mitgetragene Kampagne gegen rechte Angriffe auf die Regierung der Provinz Ontario. Ihre beträchtliche ökonomische Macht hat die CAW auch bei Tarifverhandlungen mit den Big Three spielen lassen, um Neuerungen mit arbeitszeitverkürzenden und damit arbeitsplatzschaffenden Wirkungen durchzusetzen.

Die CAW war historisch stets eine starke Unterstützerin der sozialdemokratischen Partei Kanadas NDP (New Democratic Party). Da die NDP den Gewerkschaften ei-nen formalen Mitgliedsstatus einräumt, stellten diese einen beträchtlichen Machtblock innerhalb der Partei. In den sechziger und siebziger Jahren stand dieser Block häufig in Opposition zum linken Parteiflügel. Als die NDP 1990 in Ontario an die Regierung kam und, unter Druck geraten durch die Rezes-sion, mit dem social contract on labour praktisch das Recht auf freie Tarifverhandlungen im öffentlichen Sektor abschaffte, hatte das eine Spaltung in der Gewerkschaftsbewegung zur Folge: Während die eher rechtsgerichteten Industriegewerkschaften in der NDP nach wie vor eine Verbündete sahen, brachen die CAW und die Gewerkschaften des öffentlichen Sektors mit ihr und wandten sich verstärkt den sozialen Bewegungen und der außerparlamentarischen politischen Aktion zu.

Die Neoliberalisierung der Sozialdemokratie im Stil von Tony Blair hat auch die NDP erfasst, die die enge Beziehung zur Gewerkschaftsbewegung inzwischen in Frage stellt. Die Task Force der CAW ist der erste Versuch, sich mit dieser veränderten politischen Situation systematisch auseinanderzusetzen und Strategien für sie zu entwerfen. Anstatt die NDP entweder zu ignorieren oder sie trotz aller Kritik mangels einer Alternative einfach zu unterstützen, sucht die Task Force nach anderen gangbaren Lösungen. Dabei sollen u.a. folgende Ideen diskutiert werden: eine Wahlrechtsreform; die Einrichtung lokaler politischer Gremien, denen Politiker Rechenschaft schuldig sind; ein neudefiniertes Verhältnis zur NDP oder alternativ die Neugründung einer Partei. Vor allem letzteres würde für die politische Szene Kanadas einen drastischen Einschnitt bedeuten: Immerhin war die Gewerkschaftsbewegung für die NDP bisher stets ein zentraler Geldgeber, und auch die personellen Verknüpfungen sind eng.

Die NDP hat seit etlichen Generationen als dritte Partei Kanadas die Interessen von Labour vertreten und quasi als Vermittlungsinstanz zwischen sozialer und politischer Aktion agiert. Dadurch konnten soziale Kämpfe im Vergleich zu den USA, die keine solche Partei haben, häufig schneller und effektiver auf die parlamentarische Politik durchschlagen, auch wenn viele soziale Bewegungen und Aktivisten stets die Distanz zur NDP gewahrt haben. Angesichts der Neoliberalisierung der NDP glauben viele, dass wir mit den sozialen Bewegungen allein die Gesellschaft in unserem Sinne verändern können. Ich bin allerdings der Ansicht, dass wir dafür eine politische Massenpartei brauchen, die der Gewerkschaftsbewegung und den sozialen Bewegungen verbunden ist.

Im Rahmen der Task Force for Working Class Politics in the 21st Century der CAW können Aktivisten der Gewerkschafts- und der sozialen Bewegungen gemeinsam Strategien der parlamentarischen und außerparlamentarischen Einflußnahme auf die soziale Entwicklung entwerfen.

 

Quelle: LabourNet Germany, <www.labournet.de>
Übersetzung: Anne Scheidhauer

Erschienen in: "express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit" Heft 2/2000

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