Lohnleitlinien durch das "Bündnis für Arbeit"?

Wir brauchen den Frühling ...

... meinte kürzlich der Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV. Aber offensichtlich versteht Herbert Mai darunter nicht eine neue "Blüte" gewerkschaftlichen und betrieblichen Engagements gegen die Offensive der Unternehmer oder zur weiteren Beseitigung aller von der Kohl-Regierung verbrochenen sozialen und arbeitsrechtlichen Verschlechterungen. Ganz im Gegenteil: Er wünscht sich einen neuen, zweiten "Frühling" in der Partnerschaft mit den Unternehmern, die sich mittlerweile "Bündnis für Ausbildung, Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" nennt. "Beide Seiten geben etwas", das sei die Grundidee dieser Beziehung. Was haben die abhängig Beschäftigten den "partnerschaftlichen" Unternehmern mehr anzubieten als ihre Arbeitskraft? Richtig, da sind noch die Löhne, Sozialleistungen und anderen tariflichen Rechte. Auch sie könnten zu Markte getragen werden, um den Arbeitgebern das "Bündnis" zu versüßen. Will das Herbert Mai? Weiß man’s?

Wie dem auch sei, von einiger Tagen regte er an, im "Bündnis für Arbeit" auch "über Löhne zu sprechen, wenn die Arbeitgeber ihrerseits konkrete Zusagen zur Sicherung von Arbeitsplätzen machen" (Frankfurter Rundschau 7.4.99). Ein solcher Vorschlag kann doch nur und soll vielleicht auch als ein Zeichen an die Unternehmer gewertet werden, daß der ÖTV-Vorsitzende die Forderung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, aufgreift, im "Bündnis" einen "Grundkonsens über die längerfristige Gestaltung der Lohnpolitik" zu schaffen. Wenn sich aus dieser prinzipiellen Einstellung eine wirkliche Politik entwickelt, dann läuft dies - ob gewollt oder nicht - auf Lohnleitlinien hinaus. Das heißt, in einem nicht demokratisch gewählten Gremium werden Vorgaben für die Tarifpolitik verabredet, an denen sich die Gewerkschaften orientieren sollen. So entstehen Obergrenzen für Lohnforderungen, und alle DGB-Gewerkschaften werden darauf "getrimmt".

Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt, möchte der Wirtschaft auf diese Weise schon lange unter die Arme greifen. Ähnliche Töne von Herbert Mai zu hören, das ist (bislang) etwas Neues. Auf dem Gewerkschaftstag der IG Medien im Oktober 1998 wies er - von Detlef Hensche wortgewaltig unterstützt - die Frage eines Wiesbadener Delegierten schroff zurück, ob die neue Mega-Dienstleistungsgewerkschaft Lohnleitlinien für alle ihre tarifpolitisch autonomen Fachbereiche anstrebe. Denn in der "Ideenskizze zur Grundstruktur" der neuen Organisation war festgelegt worden, daß "zu den Kompetenzen einer einheitlichen Führung der Gesamtorganisation die Herstellung einer verbindlichen Tarifkoordination" gehöre. Die Vorsitzenden von ÖTV und IG Medien verwahrten sich gegen den Verdacht, mit dieser Formulierung würden innerhalb der Mammutgewerkschaft alle Lohntarifverhandlungen auf eine gemeinsame Höchstforderung festgenagelt.

Was damals im "Kleinen" zurückgewiesen wurde, hat Herbert Mai durch seinen Vorstoß im "Bündnis für Arbeit" jetzt auf Bundesebene zur Diskussion gestellt. Wenn sich eine solche Politik durchsetzte, dann wären dem Reallohnabbau Tür und Tor geöffnet. Ein Glück, daß wenigstens die Unternehmer vor allem und in erster Linie an ihre eigenen Interessen denken. So hat Dieter Hundt die Forderung nach klaren Zusagen der Arbeitgeberseite zurückgewiesen: "Es wird von der Wirtschaft keine qualifizierten Aussagen über die Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildungsplätzen geben". Doch auch die IG Metall ließ erkennen, die Tarifpolitik dürfe "kein Gegenstand der Bündnis-Verhandlung" sein (FR 7.4.99). Bleibt also zu hoffen, daß aus dem eindeutigen Nein nicht in absehbarer Zeit ein Jein und schließlich ein bekennendes Ja wird. Die laufende Tarifrunde in der Druckindustrie und Papierverarbeitung kann deutliche Zeichen setzen, daß die Tarifautonomie und die eigenständige Tarifpolitik der DGB-Gewerkschaften fortbestehen.

 

Erschienen in:

IMPULS - Informationen für Aktive
Herausgegeben von der IG Medien Bezirk Wiesbaden

Nr. 50 vom 16. April 1999