Internationales Forum am 30.05.1999 in Köln

 

Am 30. Mai nach den europäischen Märschen gegen Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Krieg gab es in Köln einen "Gegengipfel", der mit den negativen Folgen der europäischen Einigung abrechnete. Dabei hatte der "Chemiekreis", eine Koordination linker und oppositioneller ChemiekollegInnen, gemeinsam mit TIE über den europäischen Rahmen hinaus kritische GewerkschafterInnen aus anderen Kontinenten eingeladen, um auch über Europa hinaus den Blick zu weiten.

Gekommen waren

  1. Cesar Carillo, bis zu seiner Verhaftung Vorsitzender der "Union Sindical Obrera" (U.S.O., Gewerkschaft der Erdölarbeiter Kolumbiens), jetzt in Madrid im Exil.
  2. Kim Moody, der an der US-amerikanischen Zeitung "Labour Notes" arbeitet, einer linken Gewerkschaftsoppositionszeitung.
  3. Herbert Jauch vom Labour Ressource and Research Institute (LaRRI) in Namibia, der für Südafrika sprach.
  4. Berta Luchan von einer NGO der Landarbeiter und Gewerkschaften in Mexico.
  5. José Maria Almeida von der CUT aus Sao Paulo, Brasilien.
  6. Valery Popov vom Motorenwerk Tutaev in Jaroslawl, Sprecher des Streikkomitees und unabhängiger Kandidat zur Duma.

Diese sechs Gäste prägten mit ihren spannenden und nachdenklichen Diskussionsbeiträgen die Veranstaltung am Sonntag. Aber zu Anfang prägte der Krieg in Jugoslawien die Debatte. Bei der Reise einer Gewerkschafterdelegation in der Woche zuvor war auch ein Teilnehmer des Chemiekreises. Auf der Veranstaltung zur Globalisierung war Hans Werner Krauss (Betriebsrat Ehem. Hoechst AG) den Tränen nah.

In einem kurzen Referat hatte Hans Werner Krauss von dieser gewerkschaftlichen Reise nach Jugoslawien berichtet. "Es fällt mir schwer über das Leid in Jugoslwien zu sprechen, Serbien wird durch die strukturelle Zerstörung jede Zukunft genommen." Als besonderes Leid wird die totale Isolierung vom Rest der Welt empfunden. Gerade der Anspruch an die jugoslawische Opposition, für die "westlichen Werte' zu streiten, wird durch die NATO Bomben zunichte gemacht! Es muß die Aufgabe der internationalistischen Gewerkschafter sein, immer wieder öffentlich das sofortige Ende der Bombenangriffe zu fordern."

Die Veranstaltungsteilnehmer forderten das sofortige Ende der Bombenangriffe, aber auch der Vertreibung im Kosovo.

Beeindruckend der Bericht des aus seiner Heimat geflohenen kolumbianischen Gewerkschafters Cesar Carillo, der wegen der gegen ihn ergangenen Todesdrohungen nach Madrid ins Exil ging. Beinahe jeden zweiten Tag wird in Kolumbien ein Gewerkschafter getötet. Aktivisten aus Betrieben und Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und andere Oppositionelle sind die bevorzugten Opfer von Todesschwadronen und Paramilitärs. Diese Truppen werden unter anderem von Texaco und British Petroleum finanziert, um die Bodenschätze des Landes für sich zu gewinnen. Streiks sind verboten, weil alle Wirtschaftsbereiche zum "öffentlichen Dienst" erklärt werden und Opposition unter dem Vorwurf des Terrorismus verfolgt wird. Tausende von Toten jedes Jahr, davon 90 Prozent straffrei bleiben, ziegen, unter welchen Umständen in diesem Land Gewerkschaftsarbeit gemacht werden muß, die sich nicht mit den Zuständen der Unterdrückung und Ausbeutung abfinden will.

Berta Luchan machte die Teilnehmer darauf aufmerksam, daß Mexiko mit der Europäischen Union ein Freihandelsabkommen schließen will, das nach den Erfahrungen mit der NAFTA zur Vertiefung des Elends von 20 Millionen Menschen, vor allem Indions, führen müßte. Das früher geplante MAI-Abkommen würde "geklont" erneut hinter den Kulissen verhandelt. Sie schlug vor, eine Opposition auch in Europa gegen den Vertragsentwurf zu bilden, die mit den mexikanischen NGOs zusammenarbeiten sollte.

Herbert Jauch aus Namibia berichtete anschaulich über die Schuldenfalle und die schlimmen Wirkungen der sogenannten "Strukturanpassungsprogramme" des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den armen Ländern Afrikas. Bei den meisten dieser Länder haben sich die Schulden innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt oder sogar verdreifacht, obwohl sie zum Teil doppelt oder dreimal so viel zurückgezahlt haben wie geliehen. Ihre Exporte können nicht mehr die Auslandsschulden zurückzahlen. Der IWF macht Auflagen, die Sozialausgaben oder Bildungsausgaben der öffentlichen Haushalte zu kürzen, um die Schulden bedienen zu können. Diese "Strukturanpassung" führt zur Umstellung von Eigenversorgung auf noch mehr Exporte, Zins- und Preissteigerungen und Lohnkürzungen, um ausländische Investoren anzulocken, Verarmung der Menschen.

Aus Brasilien von der Gewerkschaftsopposition berichtete José Maria Almeida, die innerhalb der Metallarbeitergewerkschaft auf über vierzig Prozent der Delegierten kommt. Sie richtet sich gegen die Teilnahme der Gewerkschaften in Brasilien an der Umstrukturierung, die durch die Aufgabe von jahrelangen Rechten der ArbeiterInnen erreicht werden sollen. Diese Opposition will die Folgen der Globalisierung abschmettern, sie akzeptiert nicht das neoliberale Modell des Weltgewerkschaftsbundes. Auch die Brasilianer erfahren die gewalttätigen Folgen der Globalisierung, dort vor allem bei den Landbesetzerbewegungen, aber auch bei Streiks und Demonstrationen gegen Entlassungen in den Fabriken. Almeida fordert die weltweite Zusammenarbeit der Gewerkschaftsoppositionellen, die eine Alternative zum Markt und zur Globalisierung schaffen müßten. Die alten Instrumente der Gewerkschaften seien stumpf geworden.

Aus den USA sprach Kim Moody vom linken Oppositionsflügel und der Zeitung "Labour Notes". Er betonte, daß der Krieg nicht ein Fehler, sondern die Konsequenz der Globalisierung ist, und daß die Folgen an jedem Arbeitsplatz in allen Ländern zu spüren seien, auch gerade in den Kernländern der globalen Konzerne. Gegen die Vorstellung, daß die Gewerkschaftsführer "Partner" bei dem Prozeß der Modernisierung sein sollen, steht die Opposition. Sie werde von der Basis her aufgebaut werden müssen, wie am Beispiel des erfolgreichen UPS-Streikes gezeigt werden könne. Auch die neue, eher linke Führung bei AFL/CIO (dem amerikanischen Gewerkschaftsdachverband) sei für das Kuba-Embargo und für den Kosovo-Krieg, sie betrieben nicht den erforderlichen "Graswurzelinternationalismus". Kim Moody rief die Teilnehmer auf, an dem Wachstum der Opposition von unten zu arbeiten - "Ihr seid die Führer, die Ihr sucht!"

Valery Popov aus Jaroslawl berichtete über die Stimmung, die der Kosovo-Krieg in Rußland geschaffen hat und verteilte eine "Botschaft an die ArbeiterInnen in Europa und den USA" gegen den Krieg in Jugoslawien. "Wir schlagen vor, daß Ihr Euch in Fabriken, Wohnvierteln und Gewerkschaften versammelt. Wir schlagen vor, daß Ihr Demonstrationen und Kundgebungen an Stützpunkten organisiert, um die Flugzeuge, die Tausende von Menschen töten werden, zu stoppen. Organisiert Demonstrationen an Häfen, von denen die Flugzeugträger starten... Wir, die russischen ArbeiterInnen wissen, daß die NATO mit ihrem brutalen Angriff eine Gegenüberstellung geschaffen hat, die unser Land und ganz Europa trifft. ... Heute wissen wir, daß hinter der patriotischen Demagogie des Premierministers Primakov... der IWF steht. Das bedeutet mehr Hunger und Elend für uns alle." Anschließend berichtete Valery Popov über die Streikbewegung in seiner Fabrik und seinem Land, die sich nicht nur wegen der ausstehenden Lohnzahlungen so entfaltet habe, sondern weil immer mehr Menschen verstünden, daß die Politik und Regierung von Jelzin das eigentliche Problem seien. Die Führung hat bei den Belegschaften das Vertrauen verloren. Seine Kollegen schleppten während des Streiks 1998 ein Stück Schiene nach Moskau, weil Jelzin versprochen hatte, wenn er die Interessen der arbeitenden Menschen nicht beachte, würde er sich auf die Schienen legen. Nun seien 10 Millionen Menschen arbeitslos, es gäbe erhebliche Mängel bei der Versorgung, so daß seine Kollegen zum Teil täglich zehn, zwanzig Kilometer aufs Land führen, um sich mit Lebensmitteln aus kleinen Gärten zu versorgen. Die Privatisierung von Fabriken hätte zu Diebstählen der neuen Fabrikdirektoren an den Lohngeldern und Sachwerten in den Werken geführt. In der Maschinenfabrik TMZ hat sich deswegen eine autonome St! reikbewegung und Gewerkschaft gebildet. Dort ist es gelungen, die Leitung der Fabrik vom Streikkomitee wählen zu lassen, und die Finanzen und Produktion der Fabrik kontrollieren zu können. Sie bemühen sich, ihre Erfahrungen in anderen Städten und Regionen zu vermitteln, Kontakte zu Bergleuten zu vertiefen und autonome Gewerkschaften zu fördern. Popov selber will als Unabhängiger zur Duma kandidieren, um die Stimme der Basis auch dort zu erheben.

Die Berichte und Diskussionen auf diesem Forum in Köln waren für die Bestrebungen, international gegen die Globalisierungsfolgen vorgehen zu können, eine gute Sache, und sie sollten von der Gewerkschaftsopposition verstärkt und fortgesetzt werden.

Die Teilnehmer reisten danach noch zu weiteren Veranstaltungen durch die Bundesrepublik. So kamen Valeri Popov, José Maria Almeida und Cesar Carillo auch nach Dortmund, um über die Lage in Südamerika und Rußland zu berichten und sich mit KollegInnen aus dem Ruhrgebiet zu treffen. Bergleute spendeten für die Unterstützung der russischen Kumpel Geld. Die Veranstaltungsteilnehmer des "Arbeitskreises International der IG Medien" beschlossen eine Protestresolution gegen die Unterdrückung der kolumbianischen GewerkschaftskollegInnen.

Dieser Bericht von Rolf Euler erscheint - in ähnlicher Form - demnächst in der Soz