Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner
zu befristeter Arbeit

Kurzanalyse und Bewertung des Verhandlungsergebnisses

 

I. Zentrale Teile des Verhandlungsergebnisses(EGB - UNICE/CEEP) im Wortlaut 

Nichtoffizielle Übersetzung ins Deutsche (ohne Gewähr - vgl. englisches Original):

Prinzip der Nichtdiskriminierung (Klausel 4)

1. In Bezug auf Arbeitsbedingungen dürfen befristet Beschäftigte nur deswegen, weil ihr Vertrag oder ihr Beschäftigungsverhältnis befristet ist, nicht ungünstiger behandelt werden als vergleichbare unbefristet Beschäftigte, außer wenn dies aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist.

2. Wo angemessen ist das Prinzip der Anteiligkeit zur Gesamtzeit (pro rata temporis) anzuwenden.

3. Die Anwendungsmodalitäten dieser Klausel sind von den Mitgliedsstaaten nach Rücksprache mit den Sozialpartnern und/oder von den Sozialpartnern festzulegen, wobei die europäische Gesetzgebung, nationales Recht, Tarifverträge und Gepflogenheiten zu berücksichtigen sind.

4. Die Betriebszugehörigkeitsdauer, die für bestimmte Beschäftigungsbedingungen Vorraussetzung ist, muß die gleiche sein für befristet und unbefristet Beschäftigte, außer wo eine unterschiedliche Betriebszugehörigkeitsdauer durch objektive Gründe gerechtfertigt ist.

Maßnahmen zur Verhinderung von Mißbrauch (Klausel 5)

Um Missbrauch bei der Nutzung von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen oder -verhältnissen zu verhindern, müssen Mitgliedsstaaten nach Konsultation mit den Sozialpartnern in Übereinstimmung mit nationaler Gesetzgebung, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten und/oder die Sozialpartner dort, wo es keine gleichbedeutenden gesetzlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Mißbrauch gibt, in einer Weise, die den Bedürfnissen spezifischer Sektoren und/oder Arbeitnehmergruppen Rechnung trägt, eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen einführen:

  1. sachliche Gründe, welche die Erneuerung solcher Verträge oder Arbeitsverhältnisse rechtfertigen;
  2. die maximale Dauer aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse;
  3. die Zahl der Erneuerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.

2. Mitgliedstaaten nach Rücksprache mit den Sozialpartner und/oder die Sozialpartner haben, wo das angebracht ist, zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse:

  1. als "aufeinanderfolgend" anzusehen sind;
  2. als Verträge oder Verhältnisse unbefristeter Dauer zu betrachten sind.

II. Zur Analyse des Verhandlungsergebnisses

Diese Vereinbarung, wenn unterzeichnet und vom Ministerrat als Richtlinie beschlossen, würde bedeuten: Die Mitgliedsstaaten (oder die nationalen Tarifparteien bzw. ihre Dachverbände) müssen dafür sorgen,

A) dass befristet Beschäftigte (im Grundsatz) nicht diskriminiert werden (Klausel 4)

B) dass die aufeinanderfolgende Erneuerung (Anschlußverträge) von befristeten Arbeitsverhältnissen durch eines (oder mehr) der folgenden Kriterien beschränkt wird:

Grundsätzlich ausgenommen von der Regelung ist in der Präambel befristete Leiharbeit (dazu wird eine künftige "ähnliche(!) Vereinbarung" in Betracht gezogen).

National können Ausnahmen bestimmt werden:

Anpassungen können vorgenommen werden durch die nationalen "Anwendungsmodalitäten" (Klausel 4 Ziff 3).

Die erstmalige Einstellung eines/einer Beschäftigten mit befristetem Arbeitsvertrag bleibt frei von jeglicher Bedingung bezüglich sachlichen Grundes oder Höchstdauer des Vertrages.

Im Hinblick auf die "aufeinanderfolgende" Wiederholung eines befristeten Arbeitsverhältnisses können sich die Mitgliedsstaaten aus dem Katalog der drei möglichen Beschränkungen (objektive Gründe, Höchstdauer oder maximale Anzahl der Wiederholung) die ihnen am Besten passende(n) auswählen und nach Belieben gestalten.

Im schlechtesten Fall kann dies beispielsweise bedeuten, dass der nationale Gesetzgeber

Mit anderen Worten: die entscheidende Klausel 5 (Beschränkung von Mißbrauch) enthält keine EU-weit umzusetzende soziale Mindestregelung.

(Im deutschen Regierungsvorschlag zur befristeten Arbeit von 1994, der etwa nach dem gleichen Muster gestrickt war, wurde immerhin die Anzahl der aufeinanderfolgenden Wiederholungen EU-weit auf 2 (zwei) beschränkt, sofern sich der nationale Gesetzgeber für diesen Typus der wahlweise angebotenen Beschränkungen entschied.)

III. Bewertung

Abgesehen vom Nichtdiskriminierungsgrundsatz (mit den möglichen Ausnahmen), wäre kein Land der EU durch eine solche Vereinbarung/Richtlinie gezwungen, seine Praxis in Bezug auf befristete Arbeit im Interesse der betroffenen ArbeitnehmerInnen zu verändern. Es wäre vielmehr ausreichend, sie in der oben skizzierten Weise umzusetzen (Hochsetzen der maximalen Gesamtdauer bzw. der maximal möglichen Anschlußverträge, so dass die vorhandene Praxis abgedeckt ist).

Auch wenn die Vereinbarung den Mitgliedsstaaten/Sozialpartnern frei stellt, günstigere Bedingungen aufrechtzuerhalten oder einzuführen, könnte eine solche Richtlinie im ungünstigen Fall einen Staat zur Deregulierung einladen.

Mit diesem Ergebnis ist die EGB-Verhandlungsgruppe von ihrem Verhandlungsmandat erheblich nach unten abgewichen und sogar hinter den deutschen Regierungsvorschlag zu dieser Frage von 1994 zurückgefallen.

Das Verhandlungsergebnis entspricht in der jetzigen Klausel 5 im Wesentlichen dem Angebot der Arbeitgeber, das uns zur Zeit der TpA-Klausur bekannt war und das den Tarifpolitischen Ausschuss des DGB dazu veranlasst hat, für die Beendigung der Verhandlungen zu votieren.

Fallen gelassen haben die Arbeitgeber in der letzten Verhandlungsrunde ihre zusätzliche Forderung nach einer Öffnungsmöglichkeit zu Klausel 5, die in ihrem Text vom 12. November lautete: "Wo die Anwendung von Klausel 5.1 Probleme substanzieller Art für Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer aufwerfen würde, können unterschiedliche Vorkehrungen getroffen werden von den Mitgliedsstaaten... oder von den Sozialpartner durch Tarifverträge, die auf der angemessenen Ebene abgeschlossen werden, oder auf anderen Wegen, die mit nationalem Recht oder Praxis kompatibel sind."

Die Veränderung gegenüber dem Stand von Ende November besteht also darin, dass diese zusätzliche Öffnung (insbesondere die mögliche Abweichung durch "Mitgliedsstaaten... oder auf anderen Wegen" - womöglich durch betriebliche Vereinbarungen), in Klausel 5 weggefallen ist. Dies hat dann die Mehrheit der EGB-Verhandlungsgruppe zur Annahme des Verhandlungsergebnisses veranlasst. Die deutsche Vertreterin hat sich zusammen mit Dänemark, Frankreich, Portugal und einer sektoralen Föderation enthalten , die Angestelltenföderation EURO-FIET stimmte dagegen, mehrere Mitglieder der Gruppe waren abwesend z. B. NL, EMCEF, EFA, EMB).

Für sich genommen, ist die Streichung dieser zusätzlichen Ausnahmemöglichkeit zwar zu begrüßen, es fragt sich aber, was dieser Erfolg in einer Vereinbarung wert ist, die gar keine EU-weite Mindestregelung (wie Bindung an sachliche Gründe, maximale Gesamtdauer und maximale Zahl der Anschlußverträge) enthält? Anders ausgedrückt: Wovon könnte denn durch Mitgliedsstaaten oder "auf andern Wegen" noch verschlechternd abgewichen werden?

FAZIT:

Das Verhandlungsergebnis liegt - in Puncto Nichtdiskrimierung - etwa auf dem Niveau der von den deutschen Gewerkschaften im EGB-Exekutiv-Ausschuss abgelehnten Teilzeitvereinbarung. Es ist politisch eher noch kritischer zu beurteilen, da es im Falle der befristeten Arbeit aus gewerkschaftlicher Sicht nur darum gehen konnte, den Gebrauch dieser Beschäftigungsform EU-weit zu beschränken, an Bedingungen zu knüpfen (im Sinne einer Mindestregelung, die gewiß weit unterhalb der deutschen Regelungen gelegen hätte).

Dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Stattdessen haben sich die Arbeitgeber mit ihrer Forderung durchgesetzt, keine EU-weite Mindestbeschränkung (wie sachlicher Grund, maximale Gesamtdauer, maximale Anzahl Wiederholungen) einzuführen. Dies zwingt kein Land, etwa vorhandenen extremen Gebrauch von befristeter Arbeit in der Praxis zu begrenzen, könnte im Einzelfall sogar zu Verschlechterung/Deregulierung ermutigen.

Es wäre konsequent, den Abschluß auch dieser Vereinbarung im EGB-Exekutivausschuß mit entsprechender Begründung abzulehnen, jedenfalls ihm nicht zuzustimmen.

Dabei sollte verdeutlicht werden, dass die deutschen Gewerkschaften sozial- und arbeitspolitische Richtlinien - seien sie durch Legislativvorschlag der Kommission oder Sozialpartnervereinbarung veranlaßt, auch dann befürworten, wenn sie weit unterhalb des deutschen Regelungsniveaus bleiben, sofern sie überhaupt sozial akzeptable EU-weite Mindestregelungen enthalten. Vereinbarungen, deren inhaltliche Ausfüllung gänzlich den Mitgliedsstaaten überlassen bleibt, halten wir für sinnwidrig und möglicherweise für das nationale Sozial- und Tarifsystem schädlich.