Gewerkschaftliche Rechte - wie ist es um sie bestellt?

aus Junge Welt

 

ChemiekreisMehr als 20 000 Demonstranten aus ganz Europa nahmen am Sonnabend in Köln am EuroMarsch teil, der sich in erster Linie gegen die NATO-Angriffe auf Jugoslawien richtete. - Ulrich Franz ist Mitarbeiter im »Chemiekreis«, einem Zusammenschluß von Beschäftigten, Vertrauensleuten und Betriebsräten aus der chemischen Industrie in der Bundesrepublik, der sich der originären Gewerkschaftspolitik und deren internationaler Vernetzung verschrieben hat.

Am Sonntag trafen sich 120 Teilnehmer des EU-Alternativgipfels zu einem internationalen Gewerkschaftssymposium in Köln. Es kamen Vertreter aus Kolumbien, Namibia, Rußland, Brasilien und den USA. Welche Probleme der gewerkschaftlichen Organisierung bestehen auf internationaler Ebene?

In weiten Teilen der Welt werden auch heute noch gewerkschaftliche Aktivitäten unterdrückt. So berichtete Cesar Carilllo, der bis zu seiner Verhaftung Vorsitzender der Gewerkschaft der Erdölarbeiter in Kolumbien war, daß in seinem Land durchschnittlich an jedem dritten Tag ein Gewerkschafter ermordet wird. Die Killer kann man für 350 Dollar kaufen. Gelder dafür werden aus den USA unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung bereitgestellt.

Der russische Kollege, Waleri Popow, Sprecher des Streikkomitees in der Region Jaroslawl, sprach von den Arbeitern des Motorenwerkes Tuteaw, die seit mehr als neun Monaten keinen Lohn mehr ausgezahlt bekommen haben.

Herbert Jauch aus Namibia berichtete über die verheerenden Folgen der Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds im südlichen Afrika: Elend, Armut, keine Lohnfortzahlung bei Krankheit. Wenn Gewerkschafter aufmucken, stehen paramilitärische Einheiten bereit, um weiter für die Aufrechterhaltung der Ausbeutungsbedingungen zu sorgen. Als notwendige Voraussetzung für eine Entwicklung Afrikas nannte er die bedingungslose Schuldenstreichung.

Auf dem Symposium sprach Kim Moody, ein Mitarbeiter der linken Gewerkschafterzeitung Labor Notes aus den USA. Wie ist es dort um die Rechte der Gewerkschaften bestellt? Gewerkschaftliche Unterdrückung gibt es auch in der kapitalistischen Metropole, die Methoden sind jedoch subtiler. So hatte die Unternehmensleitung von UPS im Vorfeld des großen Streiks vor eineinhalb Jahren die Mitarbeiterstruktur zunehmend von Vollzeit- auf ungesicherte Teilzeitarbeitsplätze umgestellt. Um dieses Ziel auch zu erreichen, hatte UPS eine Arbeitsgruppe so zusammengestellt, daß die Unternehmensleitung hoffen konnte, es entstünde keine Solidarität. Sie versuchten, Schwarze gegen Weiße und Frauen gegen Männer auszuspielen. Was besonders schwer wog: UPS hat die Zusammenarbeit mit einer relativ schwachen Gewerkschaft forciert, die sich der sogenannten Sozialpartnerschaft verschrieben hatte. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die 180 000 Beschäftigten bei UPS setzten sich zur Wehr. Kim Moody, der den sozialpartnerschaftlichen Kurs vieler Gewerkschaften entschieden ablehnt, schilderte, daß die Untemehmensstrategie statt dessen zu einer Solidarisierung führte. Die Beschäftigten kämpften gegen die sozial ungesicherte Teilzeitarbeit. Mit einer ungeheuren Solidaritätswellle in der Bevölkerung ist es den Beschäftigten gelungen, den Konzern in die Knie zu zwingen.

Der Chemiekreis hat sich auch an den Europäischen Märschen gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Rassismus und Krieg beteiligt. Welche Verbindung besteht zum EuroMarsch? Wenn Arbeitslose an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, verschlechtert sich auch die Situation der Arbeitenden. Nicht aus einem karitativen Zweck, sondern aus Selbstinteresse und Solidarität gehören wir alle zusammen.

Interview: Gerhard Klas, Köln