Norbert Trenkle

Spektakel der Harmonie

 

Es gibt Institutionen, bei denen man sich staendig fragt, wozu es sie ueberhaupt gibt. Das "Buendnis fuer Arbeit" ist eine solche. Seit ueber einem Jahr treffen sie sich nun regelmaessig beim Bundeskanzler, die Vertreter der Wirtschaftsverbaende und der Gewerkschaften, aber eigentlich gibt es nichts Aufregendes zu vermelden. Weder eine besondere Schweinerei, noch etwas, das sie selbst ernsthaft als Erfolg verkaufen koennten.

Die Rangelei um die Frueh-Verrentung ist der Sache nach eine einzige Farce, denn erstens haelt schon jetzt der allergroesste Teil der Lohnabhaengigen gar nicht mehr bis zum offiziellen Rentenalter durch, weil ihn die lebenslaengliche Buckelei schlicht und einfach koerperlich und psychisch kaputt gemacht hat. Oder die Betriebe tun alles, um die fordistischen Altlasten durch juengeres, flexibleres und leistungsfaehigeres Menschenmaterial zu ersetzen. Zweitens werden durch eine Fruehverrentung ohnehin so gut wie keine Arbeitsplaetze fuer Juengere frei, wie es die offizielle Propaganda weismachen will. Viele der freiwerdenden Stellen werden einfach gar nicht mehr besetzt ("sozialvertraeglicher Abbau von Arbeitsplaetzen" nennt sich das), waehrend den Restbelegschaften durch Arbeitsverdichtung und Umstrukturierung einfach ein groesseres Leistungspensum abgepresst wird.

Allenfalls dreht es sich beim Streit um die Frueh-Verrentung noch um die Frage, wer dafuer in Zukunft zur Kasse gebeten werden soll. Bisher hat es die Kapital-Seite immer recht gut verstanden, die Kosten auf die Sozialkassen und die Bundesanstalt fuer Arbeit abzuwaelzen (was sie ja bekanntlich noch nie davon abgehalten hat, gleichzeitig gegen den "aufgeblaehten Sozialstaat" zu wettern). Und jetzt kann sie sich damit auch noch das Wohlverhalten der Gewerkschaften in den Tarifrunden der naechsten Jahre erkaufen. Fragt sich natuerlich, ob es das noch braucht. Klaus Zwickel waere gewiss der Letzte, sich am "Standort Deutschland" zu versuendigen, aber immerhin gibt es auch bei deutschen Gewerkschaften noch so etwas wie einen Rechtfertigungsdruck gegenueber der ohnehin schwindenden Mitgliedschaft.

Insofern kam es dem IG-Metall-Chef gerade gelegen, dass er in der Presse fast einhellig als Sturkopf dargestellt wurde, der den heiligen Konsens gefaehrde, und die laecherlich niedrige Forderung fuer die Tarifrunde 2000 als vollkommen ueberzogen bewertet wird. Denn so kann Zwickell seine bedingungslose Unterwerfung unter die Marktgesetze auch noch symbolisch als hart erkaempften Sieg darstellen und es ganz nebenbei seinem Spiessgesellen Schroeder ermoeglichen, sich als erfolgreichen Moderator zu praesentieren.

Ueberhaupt die symbolische Wirkung: Sie ist wohl das Wichtigste bei der ganzen Veranstaltung. Wenig ist das nicht. Einschneidende Beschluesse sind von der Runde im Kanzleramt auch in Zukunft wohl kaum zu erwarten. Die werden weiter unten gefaellt und umgesetzt, naeher dran am Geschehen in den Betrieben, des deregulierten Arbeitsmarktes und der Sozialaemter. Gegenueber dem, was hier schon seit Jahren passiert, von der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitsverhaeltnisse bis hin zum offenen staatlichen Arbeitszwang, und was derzeit von den diversen regionalen und sektoralen Gremien und Arbeitsgruppen des "Buendnis fuer Arbeit" weitgehend geraeuschlos aus der Grauzone des Halblegalen herausgeholt und sanktioniert wird, wirken die medienwirksamen Verhandlungen im Kanzleramt geradezu altmodisch, zahm und behaebig, wie ein Relikt aus den Zeiten des Hochfordismus.

Konzertierte Aktion nannte sich das damals. Aber genau auf diesen Déjà-vu-Effekt kommt es an. Das "Buendnis fuer Arbeit" ist die Inszenierung der vielbeschworenen deutschen "Sozialpartnerschaft" unter den Bedingungen des Verfalls ihrer oekonomischen Grundlage. Anders als im fordistischen Nachkriegsboom expandiert die kapitalistische Realakkumulation heute nicht mehr, sondern schrumpft. Es geht also nicht mehr darum "sozialpartnerschaftlich" zu entscheiden, welche Seite wieviel von den Zuwaechsen der Wertmasse erhaelt, sondern wer ueberhaupt noch daran beteiligt wird und zu welchen Bedingungen.

Unter solchen Voraussetzungen laesst sich, selbst in Deutschland, ein Konsenskurs nicht so einfach durchhalten. Die ewige Leier, durch Lohnverzicht, Flexibilisierung und Kuerzung von Sozialleistungen wuerden "letztlich" auch neue "Arbeitsplaetze" geschaffen, mochte der Kohl-Regierung niemand mehr so recht abnehmen. Deshalb musste sie letztlich auch gehen. Die Schroeder-Regierung hat die Akzente verschoben. Sie proklamiert "soziale Gerechtigkeit", umschmeichelt den beruechtigten "kleinen Mann" als "Leistungstraeger", und schwafelt von der "Wiedergewinnung der Politikfaehigkeit", um gleichzeitig umso konsequenter und brutaler die Ueberreste des sozialstaatlich abgesicherten Nachrkriegskapitalismus zu entsorgen.

Der Fall Holzmann ist ein Paradebeispiel dafuer. Die Botschaft lautet: "Super-Schroeder" hat die Arbeitsplaetze dieser fleissigen und ehrlichen Menschen gerettet und die nehmen dafuer gerne in Kauf, kuenftig laenger und fuer weniger Geld zu arbeiten. "Holzmann Arbeiter duerfen auf Lohn verzichten" hiess es in einer Agenturmeldung, als es Gewerkschaft, Betriebsrat und Management gelungen war, einen juristischen Trick zu ersinnen, um den Tarifvertrag zu hintergehen. Dabei ist allseits bekannt, dass mit der Aktion ueberhaupt keine Arbeitsplaetze gesichert, sondern aufs Ganze gesehen wahrscheinlich sogar welche vernichtet werden. Nicht nur weil im Holzmann-Konzern selbst mindestens 3000 Stellen wegfallen (vermutlich noch mehr), sondern weil dessen "Rettung" einfach nur eine Verschiebung des Arbeitsplatzabbaus hin zu anderen Betrieben bedeutet. In der Baubranche gibt es, wie in fast allen anderen Branchen auch, Ueberkapazitaeten - und das bedeutet nun einmal, dass ein Teil der verausgabten Arbeit nach kapitalistischen Kriterien ueberfluessig ist. Es geht also nur noch darum, wer unter die Raeder kommt. Momentan sieht es so aus, als wuerden vor allem die mittleren Betriebe fuer den Holzmann-Deal bezahlen - und natuerlich alle Beschaeftigten den Baubranche, denn der offene Bruch mit dem Tarifvertrag wird die ohnehin schon brutale Dumpingkonkurrenz bei den Sozial- und Arbeitsstandards (Holzmann hat sich dabei schon immer besonders hervorgetan) noch weiter verschaerfen. Lange wird auch in West-Deutschland wohl der Flaechentarif selbst in seiner seit langem aufgeweichten Form nicht mehr halten.

Das Holzmann-Spektakel sollte demonstrieren, dass es sich lohnt, sich begeistert der krisenkapitalistischen Dynamik zu unterwerfen, obwohl jeder sehen konnte, dass hier nur Verlierer gegen Verlierer stehen. Das "Buendnis fuer Arbeit" steht fuer dieselbe Botschaft auf uebergeordneter Ebene. Dies Betrug oder Manipulation zu nennen, waere grundfalsch. Um das Theater zu durchschauen, braucht es beileibe keinen grossen Scharfsinn. Seit Jahren schon ist immer wieder nachgewiesen worden, dass eine noch so ruecksichtslose Anpassung nach unten, die Zahl der Arbeitsplaetze nicht vermehrt. Weil aber der kapitalistische Selbstlauf laengst als Naturgesetz hingenommen wird, muss diese Einsicht verdraengt werden.

Insofern bedient das "Buendnis fuer Arbeit" durchaus ein verbreitetes Beduerfnis. Es ist das Meta-Spektakel von Harmonie und Eintracht, die bei Bedarf dann "unten" abgerufen werden koennen.

Nostalgie gibt es eben nicht nur im Osten, sondern mindestens ebenso sehr im Westen der Republik. Eine Nostalgie nach dem "rheinischen Kapitalismus" und seinen angeblich so goldenen Zeiten. Eine Nostalgie, die das Gegenteil von Widerstandsgeist ist. Nach dem in Berlin vorgestellten "Arbeitslosenreport 1999" sind 60 bis 80 Prozent aller Arbeitslosen bereit, sich erhebliche Unverschaemtheiten gefallen zu lassen - vom stundenlangen Anfahrtsweg ueber Hungerloehne bis hin zu Arbeitszeiten rund um die Uhr - um ueberhaupt wieder eine Stelle zu bekommen. Den Moderator des "Buendnis fuer Arbeit" und "Retter" der Holzmann-Arbeiter wird's freuen.

Leicht überarbeitete und aktualisierte Version des Artikels aus "Jungle World" vom 15.12.99

 


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