Bundesbank bestätigt Einbehaltung von ZwangsarbeiterInnenlöhnen in Millionenhöhe

Offener Brief der Regenbogen-Fraktion Hamburg an Hans Eichel

 

Seit Längerem setzt sich die Hamburger Bürgerschaftsgruppe "Regenbogen – für eine neue Linke" mit der kommunalpolitischen Dimension der Entschädigung für ehemalige ZwangsarbeiterInnen und spezieller der Verantwortung des Hamburger Senats auseinander - über eine beispielhafte Initiative hatten wir in express, Nr. 10/99 berichtet. Im Rahmen weiterer Recherchen der Abgeordneten ergaben sich Hinweise auf bei der Hamburger Landeszentralbank geführte und dann gelöschte Konten, auf denen Guthaben und einbehaltene Löhne für ZwangsarbeiterInnen deponiert worden waren. Die Hamburger Landeszentralbank, so stellte sich heraus, war jedoch im Auftrag der Deutschen Bundesbank lediglich Verwalterin dieser Konten, die die Millionenbeträge später wg. "Unanbringlichkeit" einbehielt. Was mit den Geldern geschehen ist und soll, dazu mehr in der folgenden Dokumentation. Den Recherchen – und vor allem dem weiteren Vorgehen der Bundesregierung in dieser Angelegenheit – kommt vor dem Hintergrund der mehr als mangelhaft ausgestatteten Bundesstiftung zur Entschädigung einstiger ZwangsarbeiterInnen enorme Bedeutung zu.

 

Mit "Befremden" reagierte die Sprecherin der "Bürgerschaftsgruppe Regenbogen – für eine neue Linke", Heike Sudmann, auf die Antwort der Deutschen Bundesbank auf einen offenen Brief ihrer Gruppe. Die Regenbogen-Gruppe hatte am 28. Dezember die Bundesbank um Auskunft darüber gebeten, ob Gelder aus zweckgebundenen Konten, die für die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen eingerichtet worden waren, in das Vermögen der Bundesbank überführt worden waren, statt sie an ZwangsarbeiterInnen auszuzahlen. Für den Fall einer solchen Zweckentfremdung hatte die Regenbogen-Gruppe angemahnt, die fehlgeleiteten Gelder nachträglich Stiftungen zur Verfügung zu stellen, die sich die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen zur Aufgabe gemacht haben.

In ihrem Antwortbrief räumte die Bundesbank zwar ein, fast 1,8 Millionen DM "unanbringliche", zurückgestellte Löhne für ehemalige ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene als außerordentliche Erträge ins Vermögen der Bundesbank eingestellt zu haben. Auf die in der Anfrage formulierte Frage, was die Bundesbank zu unternehmen gedenke, um den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen die vorenthaltenen Lohngelder umgehend und verzinst zur Verfügung zu stellen, ging sie jedoch nicht ein. Dazu erklärte die Sprecherin der Bürgerschaftsgruppe: "Wir begrüßen, dass die Bundesbank schnell und in vielen Punkten umfassend auf unsere Anfrage reagiert hat. In ihrer Antwort wird deutlich, dass die Bundesbank über die uns bekannten 22.547,67 DM von der Hamburger Landeszentralbank verwalteten Lohngelder hinaus weitere nicht ausgezahlte Löhne von ZwangsarbeiterInnen und ausländischen Kriegsgefangenen in Höhe von über 1,5 Millionen Mark als »außerordentliche Erträge« in ihre Bilanz gestellt und sich damit an diesen Geldern bereichert hat. Die Bundesbank stellt in ihrem Schreiben unmissverständlich klar, dass die von ihr einbehaltenen Gelder eindeutig »zugunsten der Zwangsarbeiter« zweckgebunden waren. Doch auf die Frage, ob und auf welchem Wege sie den An spruchsberechtigten nachträglich zur Verfügung gestellt werden sollen, geht das Schreiben mit keinem einzigen Wort ein. Aus der Antwort geht auch an keiner Stelle hervor, dass die Bundesbank an eine Rückgabe der vorenthaltenen Lohnguthaben denkt. Dies muss umso mehr verwundern, da die Bundesbank aufgrund der »Lückenhaftigkeit der Unterhalten« heute selber nicht mehr rekonstruieren kann, warum sie den einbehaltenen Teil der Konten nicht wie den Großteil der Gelder »global an die Länder der anspruchsberechtigten ausländischen zivilen Zwangsarbeiter bzw. Kriegsgefangenen überwiesen« hat. Auch das Argument, man habe »etwaige Ansprüche spätestens 1978 als verjährt« angesehen, besitzt angesichts der aktuellen Diskussion über die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen höchstens die Qualität einer historischen Fehleinschätzung."

In einem erneuten Schreiben an die Deutsche Bundesbank wurde diese aufgefordert, "unmissverständlich zu erklären, dass die Überführung der vorenthaltenen ZwangsarbeiterInnenlöhne in das Vermögen der Bundesbank aus heutiger Sicht einen Fehler darstellt, der umgehend zu korrigieren ist". Deshalb müsse die Bundesbank "ihre eindeutige Bereitschaft erklären, einen Weg zu suchen, um die einbehaltenen Lohngelder unverzüglich den Betroffenen zugute kommen zu lassen". Als unakzeptabel wurde die Aussage der Bundesbank bewertet, diese sei »durch Gewinnabführungen an den Bund« ohnehin »indirekt« an der Finanzierung der Bundesstiftung zur Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen beteiligt. Damit könne sich, so Sudmann, jedes private Unternehmen, das Steuern zahle, und jedes staatliche Unternehmen, das Gewinne abführe, aus der Verantwortung ziehen.

 

Offener Brief:

Sehr geehrter Herr Minister Eichel,

als Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft setzen wir uns seit einem halben Jahr intensiv mit der Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Hamburg und der damit zusammenhängenden Entschädigungsproblematik auseinander. Im Rahmen unserer Aktivitäten sind wir auf einen Vorgang gestoßen, der mehr als befremdlich ist.

Die Deutsche Bundesbank hat im Jahr 1978 DM 1.776.207,37 "unanbringliche", einbehaltene Löhne für ehemalige NS-ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene sowie DM 196.678,30 "nicht anbringbare Guthaben von verschleppten Personen und Ausländer-DM-Konten aus der Umstellung des Geldwesens" ins Vermögen der Bundesbank als außerordentliche Erträge eingestellt. Im Schreiben der Deutschen Bundesbank vom 11. Januar 2000 heißt es dazu: "Das als a.o. Ertrag ausgebuchte Guthaben ausländischer Personen von insgesamt DM 1.972.885,67 hat somit den Bilanzfehlbetrag, den die BBk im Jahre 1978 auswies, um eben diesen Betrag gemindert."

Mit Schreiben vom 7. Februar 2000 räumen die Vertreter der Deutschen Bundesbank zwar ein: "Sicher ist die – rechtlich korrekte – Vereinnahmung der unanbringbaren Beträge im Jahre 1978 als außerordentlicher Ertrag und die Einbeziehung dieser Beträge in die normale Ertragsverwendung aus heutiger Sicht diskussionswürdig. Nach den Debatten der letzten Jahre wäre eine solche Verwendung dieser Summen heute schwer vorstellbar." Gleichwohl verweigert die Deutsche Bundesbank, die nicht bestimmungsgemäß verwandten Gelder entweder der Bundesstiftung oder einer der Stiftungen zur Unterstützung ehemaliger NS-Opfer zur Verfügung zu stellen, mit dem Argument, sie dürfe sich als bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts nicht an Stiftungen zur Entschädigung beteiligen.

Diese Sichtweise mag formaljuristisch richtig sein, ist aber u.E. – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Einrichtung einer Bundesstiftung – aus heutigem Blickwinkel nicht aufrechtzuerhalten. Außerdem geht es nicht darum, dass die Deutsche Bundesbank eine Stiftung aus ihren Erträgen mit Spenden bedenken soll. Vielmehr geht es aus unserer Sicht um die nicht nur moralisch berechtigte Forderung, dass die Deutsche Bundesbank die einbehaltenen Löhne aus Zwangsarbeit an die Betroffenen auszahlt und die ebenfalls einbehaltenen "nicht anbringbaren" Guthaben von verschleppten Personen und Ausländer-DM-Konten Organisationen übergibt, die ehemalige NS-Opfer unterstützen. Es ist kaum vorstellbar, dass die Deutsche Bundesbank, die jedes Jahr Milliarden bewegt, keinerlei Möglichkeiten hat, die von ihr zweckentfremdeten 1.972.885,67 DM plus Zinsen den Anspruchsberechtigten nachträglich zur Verfügung zu stellen.

Nachdem die Deutsche Bundesbank mit Schreiben vom 7. Februar 1999 sich selbst in dieser Sache für handlungsunfähig erklärt und unser Anliegen mit dem lapidaren Satz "Die Bundesregierung entscheidet über die Verwendung der an sie abgeführten Bundesbankgewinne" beschieden hat, wenden wir uns jetzt an Sie als einen zuständigen Vertreter der Bundesregierung.

Welche Handlungsmöglichkeiten sehen Sie, um die durch die Deutsche Bundesbank vorenthaltenen Lohngelder den Anspruchsberechtigten zukommen zu lassen?

Uns interessiert natürlich, ob Sie die Einschätzung der Bundesbank hinsichtlich ihrer Handlungsunfähigkeit teilen. Falls das der Fall sein sollte, wird dann das Bundesfinanzministerium die von der Deutschen Bundesbank als "außerordentlicher Ertrag" abgeführten Lohngelder in Höhe von 1.776.207,37 DM plus Zinsen an den Bund zusätzlich zu den vom Bund zugesagten 5 Mrd. DM der Bundesstiftung zur Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen zur Verfügung stellen?

wird dann das Bundesfinanzministerium die von der Deutschen Bundesbank als "nicht anbringbar" abgeführten Guthaben von verschleppten Personen und Ausländer-DM-Konten in Höhe von 196.678,30 DM plus Zinsen einer Organisation zur Verfügung stellen, die ehemalige NS-Opfer unterstützt?

Heike Sudmann
Sprecherin der Hamburger Bürgerschaftsgruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke

 

Erscheint in express 3/2000

Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit"
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