Quelle: Berliner Zeitung am 16.11.1999
Autor: Andreas Förster

Studie: Firmen verdienten an Zwangsarbeit 60 Milliarden

Bundesregierung erhöht Anteil an Entschädigungssumme

BERLIN, 15. November. Deutsche Firmen haben durch den Einsatz von Zwangsarbeitern während des Krieges mehr als 16 Milliarden Reichsmark an Lohnkosten eingespart. Das geht aus einer Studie des Wissenschaftlers Thomas Kuczynski hervor, die am Montag in Berlin im Beisein der Rechtsanwälte Ed Fagan und Michael Witti, die Tausende von NS-Opfern vertreten, vorgestellt wurde. Den allgemeinen Umrechnungsfaktor zwischen Reichs- und Deutscher Mark von 1:5,9 zugrunde gelegt, ergebe dies einen heute zu erstattenden Lohnausgleich von rund 96 Milliarden Mark. Nach Abzug von Steuern und Gebühren für Zwangsarbeiter war den Firmen ein Gewinn von rund 10 Milliarden Reichsmark (rund 60 Milliarden Mark) verblieben.

"Reale Gefahr" des Scheiterns

Unterdessen haben einen Tag vor der neuen Verhandlungsrunde über eine Entschädigung von NS-Opfern die Gesprächsteilnehmer ihre Positionen bekräftigt. Fagan und Witti forderten eine Entschädigung deutlich über zehn Milliarden Mark. Das bisherige Angebot sei indiskutabel. Der US-Anwalt Fagan sprach sogar von der "realen Gefahr", dass die Verhandlungen in Bonn endgültig scheitern. Für diesen Fall kündigten die Anwälte die Fortsetzung ihrer Sammelklagen vor amerikanischen Gerichten an. Dabei werde es dann aber um weitaus höhere Summen gehen, erklärte Witti und verwies auf das Gutachten Kuczynskis.

Die Bundesregierung will nach den Worten des Kanzlerbeauftragten Otto Graf Lambsdorff ihren bisherigen Anteil von derzeit zwei Milliarden Mark am gemeinsamen Fonds mit der Industrie um eine Milliarde Mark aufstocken. Voraussetzung sei jedoch, dass in gleicher Höhe auch die Unternehmen ihren bisherigen Anteil von vier Milliarden Mark erhöhen.

Das aber lehnt die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft kategorisch ab. Ihr Sprecher, Wolfgang Gibowski, schloss erneut eine Verbesserung des Angebots seitens der Wirtschaft aus. Er sei jedoch zufrieden, dass der Bund seinen Anteil am gemeinsamen Stiftungsfonds erhöhen wolle.

"Damit kommt die Bundesregierung der ursprünglichen Verabredung, in den Fonds hälftig einzuzahlen, näher", sagte er und forderte Berlin auf, noch eine Milliarde draufzusatteln. Zu Beginn der Verhandlungen im Frühjahr waren Industrie und Bund noch davon ausgegangen, jeweils eine Milliarde Mark in den gemeinsamen Fonds einzuzahlen.

Unterdessen hat die Robert Bosch GmbH in Stuttgart als 17. Unternehmen ihren Beitritt zur Stiftungsinitiative erklärt. Über die Höhe der finanziellen Beteiligung machte Bosch keine Angaben.