aus express 9/99, Zeitung für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit

Den Ball flach halten

Zwischenruf zu Angelo Lucifero

Von Heiner Dribbusch

Angelo Lucifero ist sauer. Er ärgert sich über die Ignoranz vieler Linker in der Ladenschlussdiskussion. Leider verleitet ihn dies dazu, die Folgen der drohenden Sonntagsöffnung katastrophisch zu überhöhen und damit die eigentliche Argumentation zu verwischen.

Äußerst problematisch erscheint mir, wenn die Auseinandersetzung um die Ladenöffnung zu einem Kampf um die „Kultur dieses Landes" stilisiert wird. Abgesehen davon, dass einem einiges einfiele, was sich an der „Kultur dieses Landes" ändern müsste, zeigt ein Blick in andere Länder: Soviel wird sich da gar nicht tun. In Großbritannien ist der Sonntag inzwischen ein normaler Verkaufstag, und 24 Stunden kann an Werktagen verkauft werden. Dennoch merkt Mensch erstens, wann Sonntag ist und wann nicht, und das Vereinsleben und der Sport sind auch nicht zum Erliegen gekommen.

Der von ihm im Zusammenhang mit den Konsequenzen einer Ausweitung des Ladenschlusses diagnostizierte Niedergang linker politischer Aktivität hingegen ist in der Bundesrepublik auch ohne Sonntagsverkauf zu verzeichnen. Im übrigen sind es eben nicht nur „Yuppies", die Shopping als Freizeitbeschäftigung ansehen.

Ebenfalls etwas flacher sollte der Ball im Ost-Westvergleich gespielt werden. Die Tatsache, dass im Osten die Deregulierung zuerst versucht wird, hat meines Erachtens mehr mit einer schwächeren Verankerung der Gewerkschaft dort zu tun, als mit einer geringeren Bereitschaft der Bevölkerung im Westen, den Ladenschluss als entbehrlich anzusehen und deshalb seinen Bruch im übrigen ebenso wie den Ladendiebstahl als Kavaliersdelikt zu betrachten.

Die Deregulierung der Ladenöffnung werden nicht alle Geschäfte nutzen, die kleinen Läden bekommen sicherlich besondere Probleme. Wenn die Lobby der Klein- und Mittelunternehmen deshalb den Ladenschluss blockiert, soll uns das recht sein. Nur: was stört uns daran, dass die Großkonzerne die Gewinner des Ladenschlussgesetzes von 1996 gewesen sind? Die Klein- und Mittelunternehmen sind doch diejenigen, die im Schnitt am gewerkschaftsfeindlichsten sind und am liebsten heute schon alle Schutzrechte missachten – einschließlich des Tarifes. In den Familienbetrieben findet doch die unregulierteste Ausbeutung bis hin zur Kinderarbeit statt. Unter diesem Aspekt müsste aus Gewerkschaftssicht gehofft werden, dass bald der letzte Kleinbetrieb verschwindet, was aber offenbar so bald nicht der Fall sein wird.

Die Sonntagsöffnung und die Öffnung bis 22 Uhr werden ohne Zweifel von der Mehrheit der Beschäftigten im Einzelhandel abgelehnt. Dies zeigte sich überzeugend im erbitterten Widerstand gegen die Verlängerung der Ladenöffnung 1996.

Angesichts realer Kräfteverhältnisse, in denen eine individuelle Zeitautonomie nicht durchsetzbar erscheint, hat der Ladenschluss für die Beschäftigten eine wichtige Schutzfunktion. Er verhindert, dass demnächst rund um die Uhr gearbeitet werden muss, ob die Einzelne will oder nicht. Kurz: die Einzelhandelsbeschäftigten wehren sich, weil sie es ablehnen, dass ihre Regelarbeitszeit auf sieben Wochentage und 24 Stunden ausgedehnt werden soll. Dies wollen Beschäftigte in anderen Branchen, die bisher von montags bis freitags arbeiten, in der Regel auch nicht.

Der Grund liegt in dem Wunsch nach gemeinsamer Freizeit. Auch die Befürworter der völligen Deregulierung feiern ihre Partys in der Regel samstags und nicht montags. Samstags Party, ohne an die Sonntagsarbeit denken zu müssen, Feierabend, dann wenn die meisten anderen auch Feierabend haben – das ist es, was verteidigt wird, und zugleich das überzeugendste Argument in der Auseinandersetzung. InnenstadtbewohnerInnen können noch anfügen, dass sie keine Lust haben, auch nachts oder am Sonntag unter dem Verkehr zu leiden.

Das sollte als Grundargumentation reichen. Auch wenn der Ladenschluss nicht über die Kraft der besseren Argumente entschieden wird, sollte versucht werden, solche zu benutzen.


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