letzte Änderung am 24. Sept. 2002

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Genanalysen im Betrieb

Christa Sonnenfeld*

 

Bereits im Jahr 1993 legte die Bundesregierung einen Entwurf zu einem Arbeitsschutzgesetz vor, das unter anderem die genetische Analyse in Unternehmen mit wenigen Einschränkungen erlaubte. Dieser Gesetzesentwurf scheiterte allerdings im Bundesrat. Aber er signalisierte für viele Kritiker einen Paradigmenwechsel vom Risikofaktoren- zum Risikopersonenkonzept, und das heißt: nicht mehr die Arbeitsbedingungen stehen im Vordergrund unternehmerischen Handelns sondern die arbeitende Person, die innerbetrieblich zu einem Risikofaktor werden könnte, indem sie durch Erkrankung erhöhte Kosten verursacht[1].

Es bestehen einige Zweifel, ob die 70er und 80er Jahre tatsächlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt stellten. Denn auch schon zu dieser Zeit wurden bei den Beschäftigten (vor allem in der chemischen Industrie) Blut- und Urinuntersuchungen im Rahmen des Bio-Monitoring[2] vorgenommen, um Beschäftigte möglichst frühzeitig mittels Untersuchung ihrer körperlichen Verfassung zu ermitteln[3].

Die Beschäftigten mit ihrer Verwertbarkeit und Arbeitsfähigkeit standen und stehen im Mittelpunkt betrieblicher Interventionen. War die "Humanisierung der Arbeit" konzeptionell zumindest in jener Zeit verankert, so spielt sie heute nur noch eine nachrangige Rolle.

Aus Sicht der Unternehmen bedeutet die Entwicklung der Gentechnologie aber einen qualitativen Sprung, nämlich die Konzentration auf die "anfällige" Person, bei der eine Krankheit noch gar nicht festzustellen ist, die aber zukünftig zu einem kostenintensiven Faktor werden könnte. Mittels DNA-Analysen werden dabei Veränderungen einzelner Gene festgestellt.

 

Die Interessengruppen

Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen haben ein Recht, sich arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Pflichtuntersuchungen, die der Arbeitgeber durchführen muss. Dabei ist rechtlich sowohl die Frage der Weitergabe von Daten völlig ungeklärt als auch die Frage nach den Untersuchungsmethoden; genetische Analysen sind jedenfalls nicht genannt[4].

Diese Rechtsunsicherheit sorgt naturgemäß für Übergriffe auf Persönlichkeitsrechte, und Machtmissbrauch. Sieht man genauer hin, so lassen sich verschiedene Gruppen identifizieren, die ein großes Interesse an der Ausweitung von Genanalysen im Betrieb haben:

Ein milliardenschwerer Markt tut sich auf, der noch lange nicht an seine Grenze gestoßen ist. Gerade großangelegte Reihenuntersuchungen (Prinzip Rasterfahndung) – nicht nur in Betrieben sondern auch an der Bevölkerung – sind besonders gewinnträchtig.

Bislang fühlt man sich offenbar, zumindest verbal, noch unter moralischem Legitimationsdruck, - man will "helfen", Beschäftigte vor schädlichen Emissionen schützen, man betont, nur einem allgemeinen gesellschaftlichen Interesse zu dienen und man wolle die "Prävention" in den Mittelpunkt stellen.

 

Die Zulässigkeit von Gentests

Generell sind Gentests und ihre Anwendung gesetzlich nicht geregelt. Bislang haben sämtliche Parteien Gesetzesentwürfe vorgelegt und die Bundesregierung hatte – gemäß ihrer Koalitionsvereinbarung – beschlossen, bis zur Bundestagswahl ein Gesetz zu verabschieden, dies aber vertagt. Alle Entwürfe der Parteien fordern ein Verbot von Gentests am Arbeitsplatz, die mit Zwang durchgesetzt werden[5]. Aber sie enthalten auch Ausnahmebestimmungen, und derartige Bestimmungen akzeptieren immer die bereits herrschende Praxis.

Angewendet werden vor allem prädiktive Tests, d.h. sie machen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des späteren Auftretens einer Krankheit, aber keinesfalls sichere Prognosen. So kann z.B. anhand des Tests eine genetische Anfälligkeit für Benzol festgestellt werden, dies bedeutet aber nicht, dass diese Anfälligkeit auch zum Ausbruch einer Krankheit führen wird.

Trotz der Forschungseuphorie gibt es, wie z.B. bei BAYER, zahlreiche Rückschläge, weil zu sehr auf diese Tests vertraut wird, denn sie ignorieren das Zusammenspiel von anderen Genen, Umwelt und Psyche[6].

Die Frage stellt sich: weshalb gibt es bislang kein Gentest-Gesetz? Eine Erklärung ist die, dass man bislang – im ungeregelten Zustand – sehr gut zurecht kommt: Private Labors können ungehindert ihre Tests vertreiben, Chemiekonzerne können ungehindert "freiwillig" ArbeitnehmerInnen auf ihre Schadstoffresistenz prüfen, Forschungsinstitute können in Kliniken genanalytische Modellprogramme in Angriff nehmen (wie dies gegenwärtig z.B. die Kaufmännische Krankenkasse gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Hannover tut[7]).

Eine andere Erklärung aber scheint genauso plausibel. Auf sie hat die Medizinerin Marina Steindor hingewiesen: Seit Juni 2002 ist das geänderte Medizinproduktegesetz in Kraft getreten, in dem die Zulässigkeit von Gentests klar festgeschrieben wird. So feiern denn auch Befürworter: "Mit der Neuregelung wird der Marktzugang für diese Produkte wesentlich erleichtert, da sie jetzt im gesamten europäischen Raum verkehrsfähig werden"[8].

Damit wäre versteckt und in aller Stille die Durchsetzung und Legalisierung von Gentests vollzogen.

 

Die Praxis genetischer Analysen im Betrieb

In den Betrieben werden sie seit Ende der 80er Jahre durchgeführt, so z.B. bei BASF und BAYER. Der Betriebsrat hat dabei lediglich ein Informationsrecht, seine Zustimmung muss nicht eingeholt werden[9].

Dabei werden nicht nur Beschäftigte in bestehenden Arbeitsverhältnissen untersucht, sondern sie zielen vor allem auf Einstellungsuntersuchungen. Man will den Stellenbewerber herausfinden, der im Vergleich zu anderen Bewerbern eine geringere Anfälligkeit hat gegenüber den Emissionen, die von seinem künftigen Arbeitsplatz ausgehen. Für das Unternehmen hat dies handfeste Gründe: das Risiko einer Belastung durch Lohnfortzahlung, Krankengeld wird verringert, aber auch Kosten für Aus- und Weiterbildung lassen sich auf diese Weise senken9. Damit ist das Verursacherprinzip ausgehebelt: das unternehmerische Risiko wird auf die ArbeitnehmerInnen durch vollständige Körperüberwachung abgewälzt. Es geht dabei nicht um den gegenwärtigen Gesundheitszustand und Formen der Prävention, sondern um Vorhersage möglicher Kostenrisiken. In der Konsequenz ist auch von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen in diesem Kontext nicht die Rede.

Regelmäßige genetische Untersuchungen von bereits Beschäftigten haben eine etwas andere Stoßrichtung: Sie sollen immer wieder aufs Neue "Anfälligkeiten" prüfen, aber vor allem den Nachweis führen, dass die bereits durch Emissionen geschädigte Person diesen Schaden genetisch "mitverursacht" hat.

Im Jahr 1996 trat das Arbeitsschutzgesetz in Kraft, das arbeitsmedizinische Pflichtuntersuchungen vorsieht, genetische Analysen allerdings nicht erwähnt. Auch die europäischen Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinien tun dies nicht. Deshalb gibt es auch keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Einwilligung, aber eben auch keine Beschränkungen für die Arbeitgeber. Ihr Betriebsarzt kann sich nämlich vage auf das Arbeitsschutzgesetz berufen, wonach er "Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen untersucht, erfasst und auswertet".

Da Gentests am Arbeitsplatz aber nicht dezidiert erlaubt sind, brauchen die Arbeitgeber die Freiwilligkeit. Aber wie ist es um die "freiwillige" Teilnahme bestellt?

Alle Kritiker sind sich darin einig, dass von einer freien Willensentscheidung nicht ausgegangen werden kann, wenn jemand sich bewirbt und diese Stelle haben will. Hier zeigt sich auch, dass Gesetzesentwürfe und Gerichtsurteile, die die freiwillige Teilnahme festschreiben, den realen Zwang der Verhältnisse ausblenden, also: Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes und vor Diskriminierung. Der Konformitätsdruck tut sein übriges.

Der Bewerber erlebt zudem den Druck, den Betriebsarzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Gerade letzteres ist, wie Gewerkschaften und Datenschützer feststellen, übliche Praxis. Betriebsärzte informieren den Arbeitgeber und führen diese Untersuchungen selbst durch bzw. delegieren Untersuchung und Auswertung an private Labors (z.B. Heidelberger Zement). Dies betrifft unmittelbar die Frage der Weitergabe der Daten an Dritte.

Schon heute wird per Genanalyse – z.B. bei BAYER und BASF - regelmäßig geprüft (man meint ja, eine Vorhersage treffen zu können), ob Arbeiter die Veranlagung für Darm- oder Blasenkrebserkrankungen tragen und, welche Stress belastete Beschäftigten zukünftig zu Bluthochdruck und Diabetes neigen könnten[10].

Auch eine große deutsche Bank bietet ihren Angestellten regelmäßig Blutuntersuchungen an, um ihren Cholesterinspiegel zu überprüfen. Was mit den Proben geschieht, ist den Angestellten nicht bekannt. Überhaupt ist bei kritischen Nachfragen zur betrieblichen Praxis festzustellen, dass Beschäftigte selbst wenig Informationen darüber besitzen und Angst haben, weiter nachzuforschen.

All diese Tests werden durchgeführt, obgleich sie prädiktiven Charakter haben. Wie schon angedeutet, ist es durchaus möglich, dass eine genetische "Anfälligkeit" festgestellt wird, dass deshalb aber nie eine Krankheit ausbrechen wird. Und generell haben derartige DNA-Analysen zur Voraussetzung, dass die für das Unternehmen relevanten Erkrankungen lediglich durch ein einzelnes Gen bedingt sind. Diese Prämisse scheint aber unbegründet. Dennoch sind die betrieblichen Reihenuntersuchungen übliche Praxis. Man erhofft sich, beflügelt durch eine staatlich intensiv geförderte Genforschung, die Auslesepraxis zu verfeinern. Die Ware Arbeitskraft soll genetisch entschlüsselt werden.

Die Berufsgenossenschaften als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung spielen dabei eine treibende Rolle, weil sie daran interessiert sind, möglichst wenige Berufskrankheiten anzuerkennen. Sie erlassen Richtlinien und Vorschriften, um Folgeschäden von Emissionen auf die betroffenen Personen abzuwälzen.

Durch die Praxis der Genanalyse bei ArbeitnehmerInnen wird völlig in den Hintergrund gedrängt, dass z.B. Krebserkrankungen durch Emissionen überhaupt erst produziert werden können, - unabhängig davon, ob eine Prädisposition besteht oder nicht. Die Unternehmen brauchen über eine ökologische Produktionsweise nicht weiter nachzudenken.

Durch diesen offensiven Biologismus verändert sich auch das Normalitätsgefüge, indem die Lebens- und Arbeitsbedingungen als unveränderliche Größe fungieren. Dies hat auch erschreckende Auswirkungen auf die Selbstachtung der Beschäftigten und darauf, in welchem Maße sie mit Ihrer Persönlichkeit wahrgenommen werden. Der Körper wird zum potentiell defekten Gebilde, jedes aktive, selbsttätige Gegensteuern scheint angesichts der genetischen Disposition zwecklos.

 

Grundrechtliche Schlussfolgerungen

Ausgangspunkt müssen die Grundrechte des Beschäftigten sein. Die genetische Beschaffenheit gehört zum Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit. Dem bisher bestehenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht müsste deshalb ein "genetisches Selbstbestimmungsrecht" hinzugefügt werden.

Arbeitgeber bzw. Betriebsärzte dürfen keine genetischen Analysen durchführen. Das unternehmerische Risiko darf nicht auf die Beschäftigten umgeschichtet werden. Auch der Entwurf der Datenschutzbeauftragten zu einem Gentest-Gesetz sieht ein vollständiges Verbot vor. Aber sie eröffnen die Möglichkeit, dass der Betriebsarzt in seiner beratenden Funktion im Risikofall einen zugelassenen Humangenetiker benennt. Berücksichtigt man die bisherige Praxis, so böte dieser Weg eine Tür zu genetischen Untersuchungen, die dann außerhalb des Betriebes vorgenommen werden könnten.

Die Speicherung, Übermittlung und Nutzung genetischer Daten durch Dritte ist datenschutzrechtlich unzulässig.

Vorrang muss der Arbeitschutz am Arbeitsplatz haben. Es muss verhindert werden, dass Arbeitgeber durch die Selektion nach Erbanlagen auf die gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen verzichten.

 

Referat anlässlich der Jahrestagung des Komitee für Grundrechte und Demokratie vom 13. bis 15.09.2002 mit dem Titel "Humangenetik – Faszination und Furcht einer neuen Technologie – Menschenrechtlich-demokratische Erfordernisse" in Arnoldshain

Anmerkungen:

(1) Klees, Bernd, der gläserne Mensch im Betrieb, Zürich 1990

(2) Das Bio-Monitoring ist eine biologische Überwachungsmaßnahme, bei der die Belastungsgrenze ermittelt wird. Mit diesem Verfahren können erworbene Schäden am Erbgut, nicht aber die Veranlagung festgestellt werden.

(3) Sonnenfeld, Christa, Die Ware Arbeitskraft wird entschlüsselt. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Arbeitsschutz, in: Kommune 5/1994

(4) Soost, Stefan, Gentests in der Arbeitswelt, in: Gen-ethischer Informationsdienst, April/Mai 2002

(5) Pehrke, Jan, Die leeren Versprechen der Gen-Medizin, in: Stichwort Bayer (SWB), Koordination gegen BAYER-Gefahren, 3/2000

(6) Steindor, Marina, Risiken und Widersprüche genetischer Screeningprogramme in der GKV, in: Arbeit und Sozialpolitik, 1-2/2002

(7) Steindor, Marina, Rot-Grün regelt Gentests. Was lange währt – wird endlich gut?, in: Forum Wissenschaft 4/2001, sowie die Interpretation des Medizinproduktegesetzes im Internet unter www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/

(8) IG-Metall (Hrg.), Genanalytische Untersuchungen – welche Rechte haben eigentlich die Beschäftigten?, in: Arbeit & Ökologie, 18/Sept. 2001, sowie Roos, Bernd, Die genetische Analyse an Stellenbewerbern und Arbeitnehmern, in: Arbeitsrecht im Betrieb 1/1998 und ders., Die genetische Analyse von Stellenbewerbern und das vorvertragliche Informationsstreben des Arbeitgebers, Sinzheim 1999, S.112f.

(9) Marquardt, Ina, Genetische Analysen an Beschäftigten auf der Grundlage des Entwurfs des Arbeitsschutzrahmengesetzes, Hamburg 1999, S.58f.

(10) IG-Metall (Hrg.), Gewerkschaften wollen keine Gentests am Arbeitsplatz, in: Arbeit & Ökologie, Juli 2001

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