letzte Änderung am 1. Juli 2002

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In der IG Metall wird gemodelt: Umstrukturierung der Bildungsarbeit

Seit etwas über 1 ½ Jahren wird vom Vorstand der IG Metall und der Abteilung Bildung die vollständige Umstrukturierung der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in den Bildungsstätten der IGM betrieben. Schon seit Mitte der neunziger Jahre wurden schrittweise Veränderungen durch die Abteilung Bildung betrieben. Zur offenen Politik wurde die derzeitige Umstrukturierung dann mit der Wahl Wolf Jürgen Röders zum zuständigen Vorstandsmitglied auf dem Gewerkschaftstag 1999.

Diese Umstrukturierung, die vor allem unter dem Stichwort Modularisierung diskutiert wird, wird von den Gewerkschaftsmitgliedern bisher kaum wahrgenommen. Selbst im hauptamtlichen Apparat ist die Diskussion, soweit sie zur Kenntnis genommen wird, eher träge. Das Ergebnis wird jedoch erschreckend sein: Es bedeutet den weitgehenden Abschied von gewerkschaftlicher Bildungsarbeit als Massenbildung für Mitglieder. Auch der schon länger betriebene Ausstieg aus einer gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Bildungsarbeit, die eine kritische Haltung gegenüber dem Kapitalismus einnimmt, wird damit voran getrieben. Die IG Metall-Bildungsarbeit wird sich wieder zur Funktionärsbildung zurück entwickeln und es wird eine weitere Ausweitung auf Bildung für Betriebsräte betrieben, die am Ende eines Kurses sogar noch ein Zertifikat erhalten sollen.

Die den meisten aktiven MetallerInnen bekannten A-Seminare ("Arbeitnehmer im Betrieb"), früher hießen sie F-Seminare, die regional und in den Bildungsstätten stattfinden, wird es nach Ende der Umstrukturierung in den Bildungsstätten nicht mehr geben. An deren Stelle sollen so genannte modulare Ausbildungsgänge für Betriebsräte einerseits, für Vertrauensleute andererseits treten, die für Mitglieder ohne betriebliche Funktion nicht mehr zugänglich sein werden. Damit wird sich auf der zentralen Ebene von einer inhaltlichen Konzeption und Struktur der Bildungsarbeit verabschiedet, die inzwischen 30 Jahre alt ist. Die derzeitige Umstrukturierung ist noch im Entstehen, so dass in diesem Artikel auf viele Fragen keine Antworten gegeben werden können. Bis zum nächsten Gewerkschaftstag im Herbst 2003 soll der Prozess jedoch "unumkehrbar" sein. Es bedürfte da schon gewaltiger Anstrengungen und eines gehörigen Knalls, um diese Entwicklung noch zu stoppen. Diese Umstrukturierung betrifft zunächst nur die Bildungsstätten bzw. die zentral ausgeschriebenen Seminare. Auf die Bildungsarbeit der Verwaltungsstellen hat der Vorstand nur begrenzt Einfluss. Trotzdem werden diese Veränderungen auch regionale Auswirkungen haben, da die Bildungsarbeit in der IG Metall eng verzahnt ist.

 

Ein Blick zurück

Die Bildungsarbeit der Gewerkschaften spiegelte immer schon die Auseinandersetzungen um das gewerkschaftspolitische Selbstverständnis, die Ziele und Strategien zwischen Sozialpartnerschaft und antikapitalistischer Reformpolitik wieder. Die heutige inhaltliche Ausrichtung der Bildungsarbeit in der IG Metall ist Mitte/Ende der sechziger Jahre entstanden. Geprägt war sie von linkssozialdemokratische/sozialistischen Kräften um Otto Brenner wie z.B. dem damaligen für Bildungsarbeit zuständigen Vorstandsmitglied Heinz Dürrbeck, die aus der Tradition des antifaschistischen Widerstands kamen.

Bis dahin war die Bildungsarbeit in allen Gewerkschaften zu einem großen Teil Funktionärsbildung für Betriebsräte, wo sich eine Reihe von Fachreferenten die Klinke in die Hand gaben und zu einzelnen Themen des Arbeitsrechts oder der Betriebsverfassung referierten. Relativ wenige Menschen durchliefen damals die zentralen gewerkschaftlichen Lehrgänge, in der IG Metall waren es Anfang der sechziger Jahre etwa 3000 TeilnehmerInnen pro Jahr. Mitte der sechziger wurde dann von Kolleginnen und Kollegen sowie einem Teil der IG Metall der Blick wieder auf die gewerkschaftliche Betriebspolitik gelegt. Im Handbuch für Vertrauensleute der IG Metall hieß es 1964: "Der Betrieb ist der eigentliche Ort der Gewerkschaftsarbeit, ihr ‘Schützengraben’. Hier und nur hier erleben die Kollegen den Zusammenstoß und damit den Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, nur hier werden sie davon bewegt, weil ihre eigene Existenz unmittelbar betroffen wird."

1965 wurde mit der Konzeption einer umfassenden Mitgliederbildung begonnen und Überlegungen für eine neue große Bildungsstätte angestellt. Thema war die Schaffung von Bildungsobleuten in den Betrieben und eine engere Verzahnung der Bildungsarbeit mit der betrieblichen Gewerkschaftspolitik unter dem Stichwort ‘betriebsnahe Bildungsarbeit’.. 1968 wurde dies auch vom Vorstand beschlossen. In Betrieben über 100 Beschäftigte sollten Bildungsobleute gewählt werden, die in Zusammenarbeit mit den Vertrauenskörpern und den Verwaltungsstellen die betriebliche und örtliche Bildungsarbeit organisieren sollten. Es wurden regionale ReferenteInnenarbeitskreise aufgebaut, insgesamt die regionale Bildungsarbeit auf ehrenamtliche Füße gestellt. Die Ausbildung der betrieblichen Bildungsobleute hatte einen für heute unvorstellbaren Umfang von neuen Wochen (ein 1-wöchiges, ein 2-wöchiges und ein 6-wöchiges Seminar). Die Bildungsarbeit nahm betriebliche Konflikte zum Ausgangspunkt, um dann gesellschaftliche, ökonomische und politische Ursachen für die Lage der abhängig Beschäftigten zu erarbeiten. Insgesamt kann die damalige Debatte und auch Umsetzung unter den Stichworten ‘Demokratisierung der Wirtschaft/Verstaatlichung der Schlüsselindustrien’, ‘mitgliedernahe Bildungsarbeit’, ‘betriebsnahe Tarifpolitik, ‘aktive Vertrauensleutearbeit’, ‘Mitbestimmung am Arbeitsplatz’ zusammengefasst werden.

Das sichtbarste äußere oder bauliche Zeichen dieser Veränderungen in der IG Metall war die Eröffnung des Bildungszentrums Sprockhövel in NRW (zwischen Bochum und Wuppertal liegend). In NRW und damit im unmittelbaren Umfeld der Bildungsstätte lebten und arbeiteten damals etwa 1/3 aller IG Metall-Mitglieder. Die Bildungsstätte umfasst acht Seminareinheiten und hat Platz für etwa 240 TeilnehmerInnen. In der Broschüre zur Eröffnung hieß es: "Ziel gewerkschaftlicher Bildung ist es, den abhängig Beschäftigten ihre Lage unter den Bedingungen kapitalistischer Wirtschaft und Gesellschaft erkennbar zu machen und den gemeinsamen Weg zur Veränderung dieser Lage zu verdeutlichen." Die massenhafte Stärkung der Vertrauensleutearbeit und die Schaffung von Bildungsobleuten war in der IG Metall nie unumstritten. Zuviel Basisdemokratie und eine kritische Haltung auch der eigenen Führung und den "großen" Betriebsratsvorsitzenden gegenüber wurden von den rechten Sozialdemokraten in der IGM als Gefahr angesehen. Die Ausbildung von Bildungsobleuten wurde 1972 eingestellt und die Vertrauensleutearbeit zunehmend der Betriebsrätearbeit untergeordnet. 1972 bekam auch Heinz Dürrbeck einen anderen Vorstandsbereich zugeordnet.

In der Bildungsarbeit hat sich dennoch ein antikapitalistischer Grundkonsens und eine auf Konflikt orientierte Bildungsarbeit durchgesetzt. Deutlichstes Zeichen waren die vom Vorstand herausgegeben und von Gewerkschaftstag 1972 beschlossenen ’17 Thesen zur Bildungsarbeit". Ausgearbeitet wurden sie vom dann zuständigen Vorstandsmitglied Hans Preiss. Dort hieß es: "Gewerkschaftliche Bildungsarbeit ist Zweckbildung für die sozialen Auseinandersetzungen. (These 1) ... Gewerkschaftliche Bildungsarbeit ist Massenbildung, das heißt, sie richtet sich an alle Mitglieder und soll sie zur selbständigen Analyse und Kritik der wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit und zur solidarischen Aktion befähigen. (These 2) ... Gewerkschaftliche Bildungsarbeit muß den Interessenkonflikt zwischen abhängig Beschäftigten und Unternehmern zeigen, darstellen und Möglichkeiten seiner Lösung erarbeiten. (These 5)" Diese Thesen stießen nicht nur in der IG Metall sondern auch in anderen Gewerkschaften auf breite Unterstützung. Bis heute stellen sie das Selbstverständnis vieler hauptamtlicher und auch ehrenamtlicher ReferentInnen dar.

Die Bildungsurlaubsgesetze von Anfang der siebziger Jahre und die erweiterten Freistellungsmöglichkeiten für Betriebsräte durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 eröffneten dann auch die gesetzliche Grundlage für die angestrebte Massenbildung. Erstmals wurde es den Beschäftigten sowie den Betriebsräten möglich, für politische Bildung von der Arbeit freigestellt zu werden. Diesen Aufschwung konnte man auch in Zahlen feststellen. 1972 nahmen schon über 17.000 Gewerkschaftsmitglieder an IG Metall-Seminaren teil. Waren es 1962 noch 1,6 Teilnehmer auf 1000 Mitglieder, wuchs diese Zahl bis 1972 auf 7,2 Teilnehmer pro 1000 Mitglieder.

 

Der derzeitige Stand der Bildungsarbeit

Nach den inhaltlichen Diskussionen der sechziger Jahre entstand in den Siebzigern die auch heute noch weitgehend gültige Struktur der Bildungsarbeit. Die Bildungsarbeit teilt sich einmal in die regionalen Seminare, die von den Verwaltungsstellen, Bezirken oder in Bildungsregionen zusammen gefassten Verwaltungsstellen angeboten werden und den Seminaren, die zentral ausgeschrieben werden und in den Bildungsstätten statt finden. Die zweite Unterscheidung kann zwischen den so genannten ‘grundlagenbildenden’ Seminaren und den ‘Fachseminaren’ gemacht werden. Zu den grundlagenbildenden Seminare gehören die einwöchigen "Arbeitnehmer im Betrieb I", die von den Verwaltungsstellen angeboten werden, die zweiwöchigen Seminare "Arbeitnehmer im Betrieb II" und "A III (Zukunft der Arbeit)", die von den Bildungsstätten angeboten werden sowie Seminare zur Ökonomie, Ökologie, frauenspezifische Seminare oder auch Seminare zur Geschichte der Arbeiterbewegung, die in der Regel ebenfalls in den Bildungsstätten statt finden. Die Teilnahme zu den grundlagenbildenden Seminaren ist für alle Mitglieder offen. Die Freistellung erfolgt u.a. über die Bildungsurlaubsgesetze (außer in Bayern, Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg, wo es diese nicht gibt), nach dem Betriebsverfassungsgesetz (§ 37,7) oder in einzelnen Bezirken nach tarifvertraglichen Regelungen.

In weiteren Seminaren werden Themen wie Arbeitsrecht, Betriebsverfassungsgesetz, Lohn und Gehalt, Arbeitssicherheit, Wirtschaftsausschuss usw. behandelt. Auch diese Seminare finden regional als auch in den Bildungsstätten statt. Die Teilnahme ist hier in der Regel nur für Betriebsratsmitglieder offen. Im Gegensatz zu den vorher genannten sind diese Seminare nach § 37,6 BetrVG anerkannt sind und somit eine Einnahmequelle der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Nicht nur der Lohn sondern auch die Seminarkosten werden von den Unternehmern bezahlt. Hier ist auch schon einer der Gründe für die gegenwärtige Umstrukturierung zu finden: Kosten sparen und Geld einnehmen. Gerade bei den grundlagenbildenden Seminaren kommen oftmals noch Kosten für Lohnausfall hinzu, wenn KollegInnen beispielsweise unbezahlten Urlaub hierfür genommen haben. Die meisten Seminare sind im wesentlichen stufenmäßig aufgebaut. D. h. die Teilnehmenden sollten beispielsweise zunächst das A I-Seminar besuchen, dann das A II und dann das A III. Die Inhalte der Seminare sind entsprechend aufeinander aufgebaut. Die regionalen Seminare werden zum überwiegenden Teil von ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt, die Seminare in den Bildungsstätten von den dort beschäftigten LehrerInnen.

Dies stellt nur einen kleinen Überblick über die Bildungsarbeit der IG Metall dar. Insgesamt haben sich seit den achtziger Jahren die Seminarthemen und die konkreten Angebote vervielfacht. Mit der 35-Stundenwoche, den Angriffen der Unternehmer auf die Flächentarifverträge und der internationalen Vernetzung der Unternehmen ist den Betriebsräten eine Vielzahl an neuen Aufgaben erwachsen ist. Gerade auf regionaler Ebene ist das Angebot an Seminaren selber für Gewerkschaftssekretäre kaum noch zu überblicken.

Auch wenn in den grundlagenbildenden Seminaren die Mehrzahl der Teilnehmenden Betriebsräte oder zumindest Vertrauensleute sind, war ein wesentlicher Charakter der Bildungsarbeit, dass es ein breites Angebot für Mitglieder ohne Funktionen gab. Im Jahr 2000 wurden von den Bildungsstätten alleine fast 90 Seminare A II und A III angeboten, was einer Kapazität von über 2000 Seminarplätzen entspricht. Hinzu kamen unter anderem 27 Seminare (etwa 650 Seminarplätze) speziell für Jugendliche. Insgesamt nahmen im Jahr 2000 etwa 10.000 Mitglieder an Seminaren der Bildungsstätten teil und etwas über 20.000 an regionalen Seminaren.

 

Die Module spiel’n verrückt, ...

Die jetzt geplanten Veränderungen in der Bildungsarbeit sind eingebettet in ein verändertes gewerkschaftliches Selbstverständnis: Zusammenarbeit mit Unternehmern zur "Standortsicherung", Ko-Management der Betriebsräte, "Bündnis für Arbeit" um nur einige Stichworte zu nennen. An die Stelle der breit angelegten Grundlagenseminare, der Seminare Betriebsräte I und II sowie den darauf aufbauenden Spezialseminaren zu Tarifpolitik und Arbeitsrecht sollen nun so genannte modulare Ausbildungsgänge für Betriebsräte und Vertrauensleute treten. Diese werden - die Diskussion ist wie den meisten anderen Punkten noch nicht abgeschlossen - aus fünf bis sieben Modulen zu den Themen Arbeitsrecht, Ökonomie, Tarifpolitik, Gewerkschaftsarbeit etc. bestehen. Das Modulkonzept ähnelt früheren, in der Bildungsarbeit immer wieder abgewehrten "Baustein"-Konzepten, in denen einzelne Einheiten in sich abgeschlossen und auf relativ enge Sachgebiete und Fachfragen begrenzt sind. Solch ein "Baustein"- bzw. Modulkonzept tendiert dazu, dass die einzelnen Themen ohne Bezug neben einander stehen und betriebliche Einzelprobleme ohne Zusammenhang zu gesellschaftlichen und ökonomischen Hintergründen behandelt werden, von einer antikapitalistischen Kritik ganz zu schweigen. Für die Teilnahme an den Ausbildungsgängen für Vertrauensleute bzw. Betriebsräte, die entsprechend nur noch für Vertrauensleuten und Betriebsräten offen sind, wird es dann abschließend ein Zertifikat geben.

Über die Inhalte dieser zukünftigen "Ausbildungsgänge" kann bisher nicht viel gesagt werden. Dies zeigt, dass die gesamte Anlage der Umstrukturierung bisher nur die Form, nicht aber den Inhalt behandelte. Alles soll "anders" werden, das Vorstandsmitglied Röder und die Abteilung sagen nur nicht "wie", um einen Sturm der Entrüstung und der Gefährdung ihrer Pläne zu entgehen. 1993 wurde das damals zuständige Vorstandsmitglied für Bildungsarbeit Hiesinger auf dem Gewerkschaftstag abgewählt, weil er allzu offenherzig die Revision der Bildungsarbeit von den "Traditionalisten" hin zur "Moderne" veröffentlicht hatte. Seit dem ist es die Strategie der Abteilung Bildung, keine schriftlichen Unterlagen mehr über geplante inhaltliche Veränderungen heraus zu geben. Auch die vor vier Jahren herausgegebene "Rahmenkonzeption für die Bildungsarbeit der IG Metall" mit ihren antikapitalistischen Grundpositionen kann über die geplanten Veränderungen in den Zielen und in der Didaktik der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit nicht hinweg täuschen. Da diese Rahmenkonzeption damals in den Bezirken und auf Konferenzen breit diskutiert wurde, sind viele Kolleginnen und Kollegen, die sonst sehr wachsam sind, erstmal beruhigt

Im vergangenen Jahr wurden vier Arbeitsgruppen eingesetzt, die sich mit den Inhalten auseinandersetzen sollen (Betriebsräte, Vertrauensleute, Jugend, Qualitätssicherung). Vorgegeben wurde vom Vorstand lediglich, dass die zukünftige Seminarstruktur modular sein solle. Die Arbeitsgruppe Vertrauensleute ist übrigens die einzige, in der auch ehrenamtliche GewerkschafterInnen vertreten sind. Die anderen drei sind aus Beschäftigen der Bildungsstätten und der Vorstandsabteilungen zusammengesetzt. Von einer demokratischen Diskussion um die Ausrichtung der Bildungsarbeit kann hier nicht die Rede sein. Im vergangenen Jahr haben auch einige so genannte Zielgruppenworkshops stattgefunden. Dort wurde mit Mitgliedern, ehrenamtlichen ReferentInnen, Vertrauensleuten, Betriebsräten und Hauptamtlichen über den gegenwärtigen Stand der Bildungsarbeit diskutiert und es sollte der "Bedarf" ermittelt werden. Dort wurde zwar deutlich, dass ein starker Wunsch nach Beratung für die konkreten betrieblichen Probleme sowie nach zahlreichen anderen Angeboten besteht. gleichzeitig wurde aber auch betont, dass die derzeitige Bildungsarbeit erhalten werden soll. Wie sich diese Ergebnisse mit der Umstrukturierung vertragen, wird von den Verantwortlichen nicht beantwortet.

Wie diese Ausbildungsgänge nun aussehen werden ist also noch unklar. Relativ sicher ist allerdings, dass es zukünftig keine 2-wöchigen Seminare mehr geben wird. Völlig losgelöst von methodischen und didaktischen Überlegungen werden diese Seminare schon seit einiger Zeit von der Abteilung Bildung beim Vorstand unter Beschuss genommen. Auch gibt es bisher keine festen Zusagen, dass Seminare zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Ökonomie oder Ökologie erhalten bleiben sollen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie vollkommen abgeschafft werden, in ihrem Umfang werden sie jedoch - trotz großer Nachfrage bei den Mitgliedern - eingeschränkt werden. Und dass, obwohl es beispielsweise bei den Geschichtsseminaren Wartelisten von mehreren Jahren gibt.

Die Abnahme dieser Grundlagenseminare ist schon jetzt zu beobachten. Für 2002 werden nur noch 66 A II und A III-Seminare angeboten, was einer Kapazität von etwa 1600 Seminarplätzen entspricht. Das bedeutet einen Rückgang von 25 %. An deren Stelle sind (nicht erst seit dem vergangenen Jahr) besondere Beratungsangebote für Betriebsratsgremien getreten, also Prozessberatung und -begleitung, Supervisionen, Verhandlungsführung etc. Schon daran ist eine Entwicklung weg von politischer Bildung und "Zweckbildung für die sozialen Auseinandersetzungen" zu erkennen. Statt auf den Rückhalt und die Konfliktfähigkeit der Belegschaften zu bauen und hierfür Seminar- und vor allem gewerkschaftspolitische Konzepte zu entwickeln, werden Betriebsräte fit gemacht, wenigstens die selben ‘sozialen Kompetenzen’ zu entfalten wie ihr bourgeoises Gegenüber. Hier sei noch mal an Hans Preiss erinnert: "Gewerkschaftliche Bildungsarbeit ist Vorbereitung auf die Klassenauseinandersetzungen in Betrieb und Gesellschaft." (Gewerkschaftstag 1977) Davon ist in der derzeitigen Debatte nichts zu hören.

Ebenso völlig ungeklärt und bisher auch nicht diskutiert ist die Frage der regionalen Bildungsarbeit. Zur Zeit werden die meisten einführenden Seminare (A I, Lohn und Gehalt I, Betriebsräte I, Arbeits- und Gesundheitsschutz I, ...) auf regionaler Ebene und von ehrenamtlichen ReferentInnen durchgeführt. Bei konsequenter Einführung der modularen Struktur auf zentraler Ebene werden diese Seminare und damit auch eine große Anzahl der ehrenamtlich aktiven Gewerkschaftsmitglieder überflüssig. Auch inhaltlich stellt sich die Frage, was dort passieren soll. Es müsste eine umfassende Debatte über die inhaltliche Abgrenzung der verschiedenen Seminartypen geführt werden. Welche/r TeilnehmerIn möchte sich schon zweimal das selbe anhören. Wird insgesamt derzeit mehr über die Form als über den Inhalt geredet, gibt es hier nicht einmal eine Diskussion über die Form.

 

... und Budgets zurecht gerückt

Seit zwei Jahren wird auch die Budgetierung der Bildungsarbeit in der IG Metall umgestellt. Von den Kapazitäten der Bildungsstätten sollen nun 50 % den Wünschen der regionalen Bildungsarbeit, also den Verwaltungsstellen, Bezirken oder Bildungsregionen zur Verfügung stehen. Die Beratung von Betriebsratsgremien, Verwaltungsstellen, Vertrauenskörpern oder Arbeitskreisen ist in der Bildungsarbeit nichts neues. Allerdings wird der Umfang mit dieser Umstellung erheblich ausgeweitet. "Bildungs nach Maß" wird dies in der IG Metall genannt. Gemeint ist, dass Betriebsräte - um die geht es vor allem - durch die Angriffe der Kapitalseite einen zunehmend größeren Beratungsbedarf in Fragen von Umstrukturierung etc. haben. Gemeint ist mit "Bildung nach Maß" auch, dass so genannte "Spitzenfunktionäre" wie Betriebsratsvorsitzende, freigestellte Betriebsräte, Mitglieder von Betriebsausschüssen und Leitungen von Vertrauenskörpern von der bisherigen Bildungsarbeit kaum noch erreicht werden. Nach einigen Jahren hätten sie die Stufenbildung durchlaufen (A I, II, III, BR I, II ...) und würden die Bildungsarbeit nicht mehr wahrnehmen. Was hier allerdings zum Ausdruck kommt ist, dass die Betriebsräte immer weiter in die Unternehmensstrategien eingebunden werden, dass sie den Kapitaleignern weniger Druck entgegensetzen können und deswegen versuchen, mit eigenen "Strategien" auf Unternehmensentscheidungen Einfluss zu nehmen. Dieses Angebot an Bildungsarbeit versucht also Betriebsräte fit zu machen für effektives Ko-Management. Angebote, wie die Einbeziehung der Belegschaften und die Entfaltung von Druck durch die KollegInnen organisiert werden können, finden sich entsprechend wenige.

Auch aus anderen Gründen macht die Ausweitung der Beratungsangebote wenig Sinn. Derzeit sind etwa 50 KollegInnen mit der Bildungsarbeit in den Bildungsstätten befasst. Wenn 50 % der zentralen Kapazitäten nun aus Beratungsangeboten bzw. der Unterstützung vor Ort bestehen sollen, heißt dies, dass 25 pädagogische MitarbeiterInnen 170 Verwaltungsstellen, 2700 Vertrauenskörper und noch mehr Betriebsratsgremien betreuen sollten. Dies ist wohl nicht zu leisten. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit wird an dieser Stelle zum Ausputzer für Probleme in den Betrieben, überforderte Betriebsräte und Gewerkschaftssekretäre in den Verwaltungsstellen.

Bleibt noch anzumerken, dass die den Regionen zur Verfügung stehenden 50 % von den Bildungsstätten wieder eingeworben werden müssen. Bisher war die Nennung der Namen von ReferentInnen bei Seminarausschreibungen eher die Seltenheit. Mit der Umstrukturierung der Budgets stehen die Bildungsstätten jetzt aber in Konkurrenz zueinander, da sie ihre Heime natürlich auslasten und ihre Personalkosten rechtfertigen müssen. Es wird sich zeigen, ob hier die Konkurrenz um pädagogische Konzepte, Kosten (die den Regionen beim Mieten entstehen) oder um politische Fragen entscheidend sein werden. Damit wird ein Trend eingeleitet, der bspw. in der IG BCE schon länger besteht. Eine IG BCE-Bildungsstätte hatte während der EXPO in Hannover seine Bildungsarbeit eingestellt und das Haus zum Hotelbetrieb gemacht.

 

Es kommen die falschen KollegInnen auf die Seminare

Die Argumente für die Umstrukturierung der Bildungsarbeit beziehen sich zumeist darauf, dass ein großer Teil von Funktionären aus Klein- und Mittelbetrieben von der Bildungsarbeit nicht erreicht werden. So stellen beispielsweise knapp 20 % der Verwaltungsstellen etwa die Hälfte aller SeminarteilnehmerInnen. Auch würden die Großbetriebe (hier über 1.000 Beschäftigte) die grundlagenbildenden Seminare dominieren. Insgesamt gäbe es in der IG Metall-Bildungsarbeit erhebliche "weiße Flecken", also Betriebe und Regionen die kaum erreicht werden. Die Gründe hierfür liegen in der noch funktionierenden Vertrauenskörperarbeit in den Großbetrieben und der Bildungsarbeit in den entsprechenden Verwaltungsstellen. KollegInnen werden angesprochen und auf Seminare geschickt und es existieren Verantwortliche in den Vertrauenskörpern und Betriebsratsgremien für die Bildungsarbeit. Andererseits seien die grundlagenbildenden Seminare für viele KollegInnen aus Klein- und Mittelbetrieben nicht attraktiv, da sie dort angeblich nur ideologisch geschult würden und auf ihre "konkreten" Probleme nicht genügend Antworten bekämen. Ein weiteres zentrales Problem - so wird argumentiert - seien die Zweiwochenseminare. Die KollegInnen kämen nicht mehr für eine solch lange Zeit aus den Betrieben heraus.

Die Modularisierung der Bildungsarbeit wird also vor allem die TeilnehmerInnen aus den Groß- und Mittelbetrieben betreffen, die allerdings immer noch die kampffähigsten in der IGM sind. In der A-Reihe (A II und ‘Zukunft der Arbeit’) stellen sie etwa drei Viertel aller TeilnehmerInnen. Die beiden A-Seminare binden mit ihren etwa 2000 Seminarplätzen etwa 20 % der Kapazitäten in den Bildungsstätten - und sie kosten! Das Verhältnis der Seminare, wo die Kosten von den Unternehmern getragen werden (BetrVG § 37,6) zu denen, wo die IG Metall die Seminarkosten trägt, beträgt zur Zeit etwa 1/3 zu 2/3. Hier ist auch einer der Hauptgründe für die gesamte Debatte zu finden. Es geht darum, einen größeren Anteil von Seminaren über BetrVG § 37,6 abrechnen zu können. Ein zweiter Grund ist, insgesamt mehr den Bereich der Betriebsräte und der so genannten Spitzenfunktionäre zu erreichen. Hinter vorgehaltener Hand bekommt man auch schon zu hören, dass auf die A-Seminare ja lediglich die zweite und dritte Garnitur der Vertrauensleute der Großbetriebe kämen.

Folgt man nun der Argumentation in der IG Metall, stellen sich selbst dort etliche Fragen. So wurden bisher keinerlei Zahlen über die bisherigen Beratungsangebote und die schon bestehende "Bildungsarbeit nach Maß" vorgelegt. Nur aus Gesprächen kann man erfahren, dass dort etliche Seminare und angebotene Reihen ausfallen, obwohl sie vorher mit SekretärInnen aus den Regionen abgesprochen wurden. Auch wurde bisher nicht belegt, dass tatsächlich die Dauer der Seminare ein Problem darstellt. Man kann eher vermuten, dass für viele KollegInnen grundsätzlich ein Problem besteht, für Seminare freigestellt zu werden. Dem Unternehmer ist es in dieser Auseinandersetzung zunächst gleich, für wie viele Tage die Leute aus dem Betrieb weg sind. Auch wenn es keine zweiwöchigen Seminare mehr geben wird, wird der Umfang der Module insgesamt bei fünf bis sieben Wochen liegen, welche innerhalb der ersten Wahlperiode besucht werden sollten. Neben vielleicht anderen notwendigen Fortbildungsmaßnahmen wären Betriebsräte dann ebenfalls für fünf bis zehn Wochen in vier Jahren freigestellt. Wie Vertrauensleute solch einen Umfang bewältigen sollen, ist auch unklar. Insgesamt ist diese Debatte sehr fadenscheinig. Die Probleme und Unklarheiten, die für die regionale Bildungsarbeit entstehen werden, wurden oben schon angesprochen.

Im wesentlichen handelt es sich bei der "Modularisierung der Bildungsarbeit" um einen Angriff auf die sich in Teilen noch antikapitalistisch verstehende Bildungsarbeit in der IG Metall. Die Grundlagenbildung wird abgeschafft bzw. weitgehend eingeschränkt, der Fokus stärker auf die Betriebsräte gelegt. Zugleich sollen damit Kosten eingespart werden. Auch die Überlegungen, den Teilnehmenden ein Zertifikat für den Besuch eines Ausbildungsgangs auszustellen, kann nur so verstanden werden. Welche/r Kollege/in wird sich bei der Arbeitssuche schon mit einer Bescheinigung bewerben, die belegt, dass er oder sie von der IG Metall für die betriebliche Gewerkschaftsarbeit geschult wurde? Bei dem zunehmenden Zertifizierungsunwesen in der Bildungslandschaft locken dagegen irgendwann öffentliche Zuschüsse. Und zwar dann, wenn gewerkschaftliche Seminare im Rahmen der beruflichen Weiterbildung anerkannt werden!

Der innergewerkschaftliche Angriff auf die Bildungsarbeit ist nicht neu. Der letzte erfolgte mit einer Veröffentlichung der Grundsatzabteilung der IG Metall (vgl Arpo 4/1994). Dort wurde der Bildungsarbeit vorgeworfen, ein Refugium sozialistischen Denkens zu sein und eine zu "große Distanz zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland und der parlamentarischen Demokratie" zu haben. Damals handelte es sich allerdings noch um einen ideologischen Angriff, der bei vielen KollegInnen auf Ablehnung stieß.. Heute wird dagegen mit Zahlen und Budgets argumentiert. Die "weißen Flecken" können allerdings nicht durch die Bildungsarbeit beseitigt werden, sondern nur durch eine kämpferische Gewerkschaftspolitik in den Betrieben und Verwaltungsstellen.

22.4.2002

Erschienen in Arbeiterpolitik, Mai 2002.

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