Rückkehr der Standardisierung statt Gruppenarbeit

Hamburger "alternative" fordert Kündigung von Betriebsvereinbarungen

 

Lange haben sich Betriebsräte und Werkleiter bemüht, Gruppenarbeit einzuführen. Die Betriebsräte hofften, durch ein neues Arbeitssystem die Zufriedenheit und Qualifizierung der Kollegen voran zu bringen. Einseitige Belastungen am Arbeitsplatz sollten abgebaut und Arbeitsinhalte angereichert werden. Die Werkleiter sahen demgegenüber - mit Blick auf das japanische Modell - vor allem die höhere Produktivität dieser Arbeitsmethode. Dennoch kam es schließlich zu einer Betriebsvereinbarung über die Gruppenarbeit, die beiden Seiten zu einer besseren Arbeitswelt verhelfen sollte. Da die Werkleitung Gruppenarbeit eingebettet in einen umfassenden Katalog von Maßnahmen zur Senkung der Betriebskosten umsetzen wollte, beschloss man auch noch andere Vereinbarungen:

Eine Vereinbarung trug zur Abschaffung der Arbeitswirtschaft bei und nannte sich "REZEI" (Reorganisation der Leistungsentlohnung und Deregulierung der Zeitwirtschaft). Nach ihr soll die Arbeitsleistung, ausgehend von den Akkordzeiten, mit den Kollegen in einer Ziel-Vereinbarung geregelt werden. Der BR hat sich nur noch dann einzumischen, wenn die Kollegen ihn hinzuziehen. Des Weiteren schloss man eine Betriebsvereinbarung über den kontinuierlichen Verbesserungsprozess, kurz KVP, ab.

Der Gesamtbetriebsrat wollte hier immerhin noch eine Reihenfolge festgelegt wissen: Nach der abgeschlossenen Gesamtvereinbarung musste erst Gruppenarbeit eingeführt werden, um nach erfolgreicher Einführung zur "REZEI"- und zur KVP-Umsetzung zu kommen. Das störte die Werkleiter aber nicht, die sich sofort an die KVP-Umsetzung machten. Die Vereinbarungen zu Gruppenarbeit und "REZEI" dienten faktisch nur noch dazu, die festen Regeln der Akkordarbeit (die einklagbar waren und daher einen gewissen Schutz boten) außer Kraft zu setzen. Das Ganze nannte sich dann "neue Arbeitspolitik".

Jetzt ist man im Vorstand einen Schritt weiter und zwar in Richtung Standardisierung gegangen. Man will ein einheitliches "Mercedes-Produktionssystem" (MPS) haben, das zwar einerseits den jeweiligen örtlichen Bedingungen Rechnung trägt, aber dennoch an allen DaimlerChrysler-Standorten vergleichbare Prozess- und Produktionsabläufe garantiert. Hierzu dienen einzelne Elemente der genannten "Arbeitspolitik", die nun um Experten-KVP und die Standardisierung von Arbeitsabläufen erweitert werden. Jedem ist klar, dass Gruppenarbeit wenig mit standardisierten Arbeitsabläufen zu tun hat. Klar ist damit auch, dass der Sinn, den Betriebsräte und Gewerkschafter in der Gruppenarbeit sahen, in sein Gegenteil verkehrt wird. Der Vorstand will das Mercedes-Produktionssystem so schnell wie möglich umsetzen. Wie er meint, brauchte er den GBR dazu nicht, möchte ihn aber, um die Akzeptanz in der Belegschaft zu erhöhen, gerne mit ins Boot nehmen.

Wir meinen dagegen, dass es höchste Zeit ist, klar zu machen, dass die Betriebsvereinbarungen zur Arbeitspolitik nicht eingehalten worden sind und all diese Vereinbarungen von uns umgehend gekündigt werden sollten. Gewerkschafter und Betriebsräte dürfen auf keinen Fall weiter in das Geschäft des Vorstandes mit eingespannt werden.

Es wird offenbar Zeit, sich auf die alten Vorteile der Arbeitswirtschaft zu besinnen. Auch wenn sie nicht das Gelbe vom Ei sind, so bieten sie doch immerhin klare Kontrollen der Leistungsbedingungen und der Leistungsabverlangung und einklagbare Rechte. Im Gegensatz dazu befinden wir uns mit den neuen Vereinbarungen in einer nicht mehr an Fakten orientierten und gebundenen Rechtslage. Die Chancen für Widerstand stehen unseres Erachtens nicht schlecht, denn auch das Betriebsverfassungsgesetz bezieht sich auf arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse. Und die haben Refa und MTM jahrelang - wenn auch nicht immer zu unserer Freude - nachgewiesen.

aus: "alternative" , Zeitung deutsch-ausländischer MetallerInnen bei Daimler Benz, Hamburg-Harburg, September 1999, erschienen in: express 1/2000, Betriebsspiegel

 


Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
Der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: