letzte Änderung am 09. Jan. 2002

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Wie bekomme ich endlich ein Profil? Oder Endlich Profiling bei "der Firma"

"Die Firma" liegt im verschneiten Neuköllner Niemandsland und startet im Neuen Jahr voll durch: zum Beispiel mit Profiling für Akademiker. Endlich ein Profil für das künftige Arbeitsleben! Super!

Der Oberboß "der Firma", wie sich "die Firma" tatsächlich im Betriebsjargon nennt, hält die Einführungsrede zur montäglichen "Informationsveranstaltung" und salbadert, daß wir ja alle "eine freundliche Einladung" des Arbeitsamtes bekommen hätten. Erstes Gelächter! Von Einladung kann keine Rede sein, zynischerweise schickte das AA ein "Angebot", von Freundlichkeit keine Spur. Ein paar knappe Sätze, eine ausführlichste Rechtsmittelbelehrung und ein "Konzept" "der Firma" in zehn Stichpunkten. Auf die Nachfrage, ob es ein ausführliches Konzept für zehn Tage Vollzeit gäbe, kann weder die Arbeitsberaterin des Arbeitsamtes noch "die Firma" Auskunft geben. "Die Firma" ist allerdings eine ganz dolle Firma, denn selbstverständlich heißt es: "wir machen das ganz individuell, nach den Wünschen der Teilnehmer, je nach Bedürfnissen". Mit anderen Worten: es gibt gar kein Konzept! Keines! Oder sagen wir: eben ein "ganz spezielles, ganz bestimmtes, ganz geheimnisvolles".

Das sog. Angebot wird vom Oberboß allerdings sofort als "Pflichtmaßnahme" benannt und es wird auf die gesetzliche Grundlage (Job-Aqtiv) hingewiesen. Die Legitimation ist also perfekt!

Der Vormittag wird mit dem Ausfüllen von Formularen, dem feierlichen Verlesen der Hausordnung, z.B. sind verboten: eigene Kaffeemaschinen und Waffen (vermutlich auch der ganz normale Papiercutter). Verboten sind das Surfen auf Porno-, Rechtsextremismus- und Gewalt-pages. Aber was ist Gewalt? Gewalt kann unmöglich sein, die Pflichtmaßnahme eines Arbeitsamtes bei "der Firma" unter Androhung von Sperrzeiten oder Unterhaltsentzug. Verboten sind das chatten, PC-Spiele und eigene Software oder Disketten. Da könnte ja jemand Viren oder sonst was in "die Firma" einschleppen. Der Haus-Administrator überwacht jeden einzelnen PC und macht aus Kontrollgründen natürlich Stichproben...und was "die Firma" mit den von den Teilnehmern eingegebenen Daten (Lebensläufe, Bewerbungsanschreiben, Rechercheergebnisse etc.) macht, das weiß der Henker. Zur Hausordnung gehört u.a. noch das zwingende Siezen.

Nach dem "der Boss" mit seinem Troß - die unvermeidliche Frau vom Arbeitsamt und die Sekretärin "der Firma", verschwunden sind, bleibt nur noch "der Dozent", ein Psychologe, was auch sonst. Der erste Akt: er schiebt vorneweg, daß die "böse Bürokratie" von uns allen jetzt fordert, daß wir zwei bis drei Stunden mit dem Ausfüllen von Formularen und Anträgen zubringen dürfen. Ein erstes lautes Raunen geht durch die Menge von knapp vierzig Anwesenden. Schnell folgt eine Erklärung: "Unsere Erfahrungswerte zeigen, daß das Ausfüllen des Papiers so lange dauern wird". "Der Dozent" gibt sich redlich Mühe. Jedes einzelne Formular erläutert er auf das Genaueste und gibt ausführliche Handlungsanleitungen: "den Namen bitte in das Feld Name, das Geburtsdatum in das Feld Geburtsdatum, die Kunden-Nummer in das Feld usw. etc. pp. Nach jeder Runde geht er Reih um, wirft auf jedes eingesammelte Blatt einen geübten Kontrollblick und verläßt dann den Theorie-Raum in Richtung Sekretariat. Die Anzahl der Formulare hat nicht ausgereicht, denn es war ja "nach unseren Erfahrungswerten" überhaupt und absolut nicht absehbar, daß so viele Eingeladene den Freundlichkeiten folgen würden. Wahrscheinlich läßt die Firma deshalb die drei zu letzt gekommenen Gäste einfach stehen und ist unfähig, noch drei Stühle zu organisieren. Die Gastfreundschaft "der Firma" ist schier nicht zu überbieten!

Es ist offensichtlich: "der Dozent", eine in vielerlei Hinsicht bedauernswerte Kreatur, muß uns so lange unterhalten und beschäftigen, bis die "Notfalldozentin" aus JWD anreisen kann, denn der Kurs soll nach der Mittagspause in zwei Gruppen geteilt werden. Das war nicht absehbar "nach den Erfahrungswerten", aber nun ist der Ernstfall eingetreten.

Die schönen Handlungsanleitungen führen zu ersten Zwischenrufen: "Das ist hier eine Maßnahme für Akademiker und keine Klippschule". Ach ihr Akademiker, ihr Guten! Ich wünschte mir in diesem Augenblick, ich wäre in einer Klippschule, wo gelernt wird, daß man zum Beispiel Gästen einen Sitzplatz anbietet.
Kurzer Tumult und hilfloses Ausweichen des Psychologen. Er geht lieber wieder mal kopieren.

Auch über Fehlzeitenregelungen wurden wir bereits belehrt. Begründetes Fehlen ist natürlich erlaubt. Es gibt ein Formular dafür. Zum Zahnarzt dürfen wir und auch zum Vorstellungsgespräch. Über alles andere entscheidet das Arbeitsamt, das über alle Fehlzeiten informiert werden muß, ex, post, im nachhinein. Wenn die Begründung nicht paßt oder gar zu viele Fehlzeiten registriert sind, kann ja die Strafe noch im nachhinein greifen: Sperrzeit eben. Aber das wird nicht so genau erörtert. Weitere ironische Bemerkungen fallen: "Die Fehlzeiten müssen wir aber nicht nachsitzen?" Wer kann sich solch charmanter Ironie entziehen?

Ein Wechsel zu "der Dozentin", die unerwarteterweise einspringen muß und rangekarrt wird, obwohl sie, wie sie selbst erzählt, so schön zu Hause vor ihrem Pott Kaffee saß - ach wie menschlich! - ist fällig. Es kann nicht schlimmer werden. Gedacht, verfehlt! Sie ist eine ehemalige "Personaltante", in der freien Wirtschaft würgende, äh wirkende, mit Zusatzqualifikation für AA-Maßnahmen versehrte, äh versehene "Selbständige". Sie war selbst arbeitslos, sei nicht weltfremd und wisse, wovon wir reden. Wie menschlich!

Also, von der Schütte in den Wolkenbruch. Sie, "die Dozentin", ist einfach viel geschickter als ihr Kollege Dozent und viel subtiler. Frauen-soft-skills? Frauen-soft-skills! Sie weiß von gar nichts, kennt weder das zugesandte 10-Punkte-Konzept, noch den "wohl etwas schief gelaufenen Vormittag". Sie sei urplötzlich eingesprungen, denn niemand konnte ja "nach den Erfahrungswerten damit rechnen, daß blablabla". Aber jetzt seien wir ja alle da, sollten "das Konzeptchen" einfach vergessen und "loßschießen!" Losschießen? Wie bitte? Aber auch dafür gibt es Strafen und manchmal Knast. Wer kennt Werner Bräuner?

"Die Dozentin" läßt die zum wiederholten Male nöhlenden einzelnen offen Unzufriedenen, Hauptthema ist immer noch "Pflichtmaßnahme" und "Klippschule", noch ein wenig Dampf ablassen, bis eine Teilnehmerin einspringt, die "optimistisch in die Zukunft!" und "laßt uns hier was lernen!" einfordert. Ein Bravo für die Adjudantin! Geniales Abwürgen völlig berechtigter Kritik! Bravo, bravo!

Nun kommt "der Boss" ganz kurz zu Besuch in die Stätte der Theorie, d.h. den Theorie-Raum (ach, welch Gewalt wird dem Begriff Theorie angetan!), tuschelt kurz mit "der Dozentin" und eilt schwebend wieder aus dem Raum, mit den Worten, an alle Klippschüler gerichtet, wortwörtliches Zitat: "Danke, das Sie sich für "die Firma" entschieden haben!" Ein smartes Lächeln und raus ist er. Der charmant dahinschwebende Zynismus ist selbstverständlich erlaubt. Der böse, böswillige und gar aggressive Zynismus aus des Teilnehmers Mund ist ein anderer und wird mit Sicherheit auf dem Profiling-Konto verbucht. Nein, ich meine nicht das offizielle Profi-Formular, sondern das Schwarze Konto.

Da es kein Konzept gibt, werden die Anwesenden zum Zuruf aufgefordert: was sie interessiert, was sie wissen wollen, was wir möchten. Daraus soll dann "das Konzept" für neun weitere acht-Stunden-Tage gemacht werden, et voilá: ist das nicht Individualität, Mitbestimmung und der Wink in die Zukunft?

Wir dürfen sogar Ausflüge machen. Ja, sie nennt es "Ausflüge", "die Dozentin", die das selbst mit ihrem ureigenen konstruktiven Wesen eingebracht hat. Wohin geht es? Zum Patentamt, als Erlebniswelt der zukünftigen Erfinder und Ich-AG'ler. In das Museum für Kommunikation, damit wir bewundern können, wie Kommunikation "funktioniert" (das Technische an der Kommunikation. Das Wesentliche der Kommunikation ist keinesfalls in "der Firma" sichtbar, erfahrbar, lernbar. Das wußte ich nach fünf Minuten in "der Firma"). Zum Arbeitsgericht, ja, was sollen wir denn da? Wozu der ganze Spaß? Es wird der Begutachtung des Sozialverhaltens der Klippis außerhalb des Theorie-Raumes dienen oder vielleicht auch nur dem Füllen der Zeit, wer weiß das so genau.

Am 9. und am 10. Tag geht es dann aber wirklich zur Sache: in Einzelgesprächen wird "profiliert", "schwadroniert", "füssiliert". Das ist genial! Ohne Zu- und Mithörer, weil es ja so intim ist, wird zur völligen Entblödung, äh Entblößung geblasen: von sich erzählen, Fragen beantworten, Hiiiiiiilfe annehmen, an der Zukunft spinnen, tolle Tipps mitnehmen etc.pp. "Die Dozentin" darf dann in mein Profi-Formular und auf mein Schwarzes Konto all das kritzeln, was sie für richtig und wahr hält, oder was sie die ganze Zeit an mir geärgert hat und und und. Sie muß mich schließlich in ein Raster von mehreren Kategorien pressen, denn dafür wird sie bezahlt: von "pflegeleicht, ohne Makel, keine weiteren "Angebote" erforderlich" bis hin zu "Querulant, nicht integrationsfähig, zu alt und besser in die Ich-AG abzudrängen oder in 40plus, Zyniker, hoffnungsloser Fall und weitere drastische "Pflichtmaßnahmen"verordnen". Und niemand kann es überprüfen, nichts ist transparent, alles bleibt im Verborgenen und Intimen.

Bin ich ihr im Einzelgespräch nicht willig, wird sie wissen, was sie zu tun hat. Das ist Profiling und ich weiß heute schon, daß mir weitere "Pflichtmaßnahmen" bevorstehen. Dank dem Schröder, Riester, Hartz, dank an "die Firma", an "den Boss", an "den Dozenten" und an "die Dozentin".

Autor(in) ist der Redaktion des LabourNet Germany bekannt

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