letzte Änderung am 9. April 2003 | |
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Den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit (BA) ohne Bundeszuschuss zu finanzieren und so niedrigere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vorzubereiten, dies steht ganz oben auf der Tagesordnung ihres Chefs Florian Gerster. Die Beitragssenkung, welche die UnternehmerInnen schon länger fordern, soll - trotz steigender Arbeitslosigkeit - mit drastischen Maßnahmen zur Senkung der Ausgaben für das Arbeitslosengeld erreicht werden. Arbeitsamtsbedienstete handeln den BA-Chef von Schröders Gnaden inzwischen als neuen Kriegsherrn in Nürnberg. Ein klarer Hinweis auf die außergewöhnlich harte Linie Gersters gegen Erwerbslose und MitarbeiterInnen der Ämter.
Der folgende Artikel soll jede Person, die Arbeitslosenunterstützung bezieht, dringend vor den neuen Fallen der Arbeitsämter warnen. Besonders Erwerbslose mit Arbeitslosengeld (Alg) sollen systematisch um größere oder kleinere Teile ihrer Lohnersatzleistung gebracht werden. Da Ausgaben beim Alg meist nicht durch die Vermittlung Erwerbsloser in Arbeit zu verhindern sind, wurde in der BA ein ganzes Maßnahmenbündel geschnürt, um Pflichtverletzungen Erwerbsloser zu provozieren und damit auf dem Fuß folgende Strafen in Form von Leistungsstreichungen zu ermöglichen. Wir skizzieren hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, einige der Maßnahmen.
Generell sollen binnen weniger Monate alle Alg-BezieherInnen mit Rechtsfolgenbelehrung zu (Gruppen-)Informationsveranstaltungen geladen werden. Bei Nichterscheinen soll die erste Säumniszeit ausgesprochen und erneut eingeladen werden. Wer ohne einen wichtigen Grund (der eng ausgelegt werden soll) erneut nicht erscheint, erhält keine Leistung bis zur nächsten persönlichen Meldung, mindestens jedoch für vier Wochen. Die Wahl der Themen für die Gruppeninfoveranstaltungen ist den VermittlerInnen der Arbeitsämter tendenziell freigestellt (Rechte und Pflichten, Nebeneinkommen etc.). Um so präzisere Vorgaben erhalten die Arbeitsamtsbediensteten, für das Einhalten der angesetzten Meldetermine nur ein 'ganz schmales Fenster' zu öffnen. Konkret: Wer auch bloß wenige Minuten zu spät kommt, erhält die Säumnisstrafe.
Besonders die Tage rund um Ostern oder andere Feiertage und 'Brückentage' wie Freitag, den 2. Mai haben die Arbeitsamtsstrategen für Massenmeldetermine oder -'Info'-Veranstaltungen ausgesucht - in der Annahme, Leistungsbezieher würden da vermehrt nicht erscheinen.
Vermittlungsvorschläge des Arbeitsamtes gehen i.d.R. an Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber wird darin aufgefordert zurückzumelden, warum es nicht zur Einstellung der vorgeschlagenen Person kam. Nicht selten melden
Arbeitgeber dem Amt, die Person habe sich nicht beworben. Oder sie behaupten, sie habe sich nicht ernsthaft für die freie Stelle interessiert. Hatten die ArbeitsamtsmitarbeiterInnen bislang bei der Besetzung einer freien Stelle quasi die Wahl zu entscheiden, wie sie die Antworten der Arbeitgeber bewerten und wieviel Mühe sie aufbringen wollten, die Antworten der Arbeitgeber nach einem Anfangsverdacht für eine Sperrzeit zu durchforsten und zu verfolgen, ist jetzt die strikte Suche nach solchen Verdachtsmomenten angeordnet. Die MitarbeiterInnen haben unverzüglich die Sperrzeitrelevanz aller Arbeitgeberrückmeldungen auszuwerten, 'verdächtigen' Erwerbslosen eine vierzehntägige Anhörungsfrist einzuräumen, die Zahlung sofort vorläufig einzustellen, nach Rückäußerung oder ungenutztem Ablauf der Anhörungsfrist sofort über die Sperre zu entscheiden und vermittlungsrelevante Erkenntnisse aus den Anhörungsverfahren den Arbeitsvermittlern mitzuteilen.
Die auf diesem Weg beabsichtigte schärfere Verfolgung von Betroffenen führt dazu, dass amtsintern eine Verdoppelung der Sperrzeitenquote erwartet wird. Dies soll zumindest Mehrkosten vermeiden helfen, die der BA sonst durch die gesetzliche Verkürzung der Dauer der ersten und zweiten Sperrzeit auf drei bzw. sechs Wochen entstehen könnten.
Um ein Drittel soll die Zahl der Sperrzeiten steigen, die wegen des Herbeiführens der Arbeitslosigkeit ohne wichtigen Grund gegen Erwerbslose ausgesprochen werden. Dazu sollen
Bei der Arbeitslosmeldung soll das Erstgespräch zwischen Arbeitslosen und Vermittler sofort stattfinden. Dort soll das Bewerberangebot geprüft, Vermittlungsangebote unterbreitet, über Rechte und Pflichte informiert und eine Einladung zum voraussichtlichen Termin des Eintritts der Arbeitslosigkeit genannt werden. Die Behördenspitze erhofft sich davon sofortigen Abgang von einigen Prozent der Erwerbslosen aus der Leistung, was trotz der hohen Zahl der Arbeitslosmeldungen zu Einsparungen von Millionenbeträgen beim jeweiligen Arbeitsamt führen könne.
Zur Arbeitslosmeldung wírd ein Pflichtenheft" ausgehändigt; binnen weniger Wochen sind Eigenbemühungen der Erwerbslosen zu einem bestimmten Meldetermin nachzuweisen. Hunderte Abgänge aus dem Leistungsbezug werden erwartet wegen Nichtbefolgen der Meldetermine und fehlender Nachweise über Eigenbemühungen. Fehlende Nachweise für einen bestimmten Nachweiszeitraum führen dazu, dass für diesen Zeitraum die Arbeitslosigkeit verneint, mithin die gezahlte Leistung zurückgefordert wird.
Wer mit Anspruch auf Arbeitslosengeld nur für eine Teilzeitarbeit in Frage kommt oder aus der Familienphase auf den Arbeitsmarkt zurückkehren will, soll sofort für zwei bis vier Wochen einer rotierenden Trainingsmaßnahme mit
wöchentlichem Zugang zugewiesen werden. Bewerberinnen nach der Familienphase mit einem Alg-Restanspruch werden einer Trainingsmaßnahme zugewiesen, wobei diese erfahrungsgemäß der Verfügbarkeit entgegensteht - mithin der Leistungsanspruch entfällt.
Zur Senkung der Alg-Ausgaben soll weiterhin die Anhebung des Anteils vormaliger Alg-BezieherInnen in Maßnahmen der beruflichen Bildung und zur Arbeitsbeschaffung beitragen (im Bereich Bildung von ca. 40 % auf 90 %, bei ABM von unter 20 % auf 70 und mehr Prozent). Finanzielle Einsparungen beim Alg, die noch nicht oder erst für das kommende Jahr bezifferbar seien, soll hier die Kürzung der Zuweisungsdauer in ABM auf sechs oder neun Monate bewirken.
Die Ergebnisse dieser Maßnahmen werden monatlich je Arbeitsamtsteam ausgewertet. Z.B. wird geprüft, ob die Zahl der realisierten Säumniszeiten die vorgegebene Einsparsumme erbracht, ob die angestrebte Zunahme der Sperrzeiten (gemessen als Verhältnis der Sperrzeiten je Erwerbslosem mit Leistung) erreicht, ob die je Maßnahme erwartete Zahl der Abgänge aus dem Leistungsbezug geschafft wurde, usw. Die ArbeitsamtsmitarbeiterInnen werden bei diesem 'zielzahlenorientierten Verwaltungshandeln' vermehrt unter Druck gesetzt. U.a. wurde in Nordrhein-Westfalen, wo seit Jahren drastische personelle Unterbesetzung besteht, zwar durch neue Planstellen eine gewisse Entlastung geschaffen, aber nur wenn das einzelne Arbeitsamt versprach, in seinem Bereich die durchschnittliche Alg-Bezugsdauer um eine Woche zu senken. Bei Nichterreichen dieser Zielsetzung sollen die neuen Planstellen wieder abgezogen werden.
Continuierliches Controlling in den Vermittler-Teams, den Abteilungen und den Ämtern verlagert den Schwerpunkt dortiger Arbeit. Die Qualität der Vermittlung rückt (noch mehr) in den Hintergrund. Das Hauptaugenmerk gilt der Beseitigung von Leistungsfällen - der Verfolgungsbetreuung, wie ver.di-KollegInnen aus NRW diese Tätigkeit benannten. Als Instrumente steht den 'Verfolgern' bald alles zur Verfügung, was das Amt zu bieten hat. Denn die verfügbaren Haushaltsmittel (des Eingliederungstitels) der Arbeitsämter sollen nach den Geschäftspolitischen Ziele 2003 der BA gezielt eingesetzt werden, um die Zahlung von Leistungen an Arbeitslose zu verhindern.
Schlappe 2,83 Milliarden EURO Einsparvorgabe Um einen ausgeglichenen Haushalt der BA zu erreichen, sollen allein im Jahr 2003 beim Alg 2,83 Mrd. EUR eingespart werden (!). Und der Druck auf die MitarbeiterInnen der Arbeitsämter ist seitdem weiter gewachsen, da in Folge rapide steigender Arbeitslosenzahlen bspsw. allein für Niedersachsen/Bremen seit Februar 2003 Mehrausgaben in Höhe von 38 Mio. EUR verzeichnet wurden. Aus dieser Zeit stammt ein Rundschreiben der BA zur Steuerung des Haushaltsbudgets ohne Bundeszuschuss, wonach alle Aktivitäten zu allererst auf Arbeitslosengeldbeziehende ausgerichtet und bei den Überlegungen zur Integration von Arbeitslosen die individuelle Höhe der Arbeitslosengeldzahlung («Wie teuer ist der Arbeitslose?») beachtet werden
soll. Hier findet sich der Grund, warum vielen Arbeitslosenhilfebeziehenden die 2002 noch in Aussicht gestellten Maßnahmen, z.B. berufliche Bildung oder ABM, 2003 mit lapidarem Hinweis auf 'geänderte geschäftspolitische Ziele der Bundesanstalt' verweigert wurden und werden.
Um das Ausmaß dieses Angriffs auf Erwerbslose klarzumachen, halte man sich vor Augen, dass Gersters Vorgaben zu Einsparungen beim Arbeitslosengeld nur erreicht würden, wenn jedem Arbeitslosen sieben Wochen lang seine Leistung gesperrt würde (so errechnete es ein Arbeitsamtsmitarbeiter).
Als Aktivitäten zur Haushaltssteuerung nennt das Rundschreiben:
Langzeitarbeitslose sollen hingegen verstärkt durch Dritte betreut werden, um dadurch entstehende Freikapazitäten für eine intensivere Betreuung von Personen mit kürzerer Arbeitslosigkeit nutzen zu können.
Im Februar wurden Vorwürfe laut, im Arbeitsamt bestehe eine Zweiklassengesellschaft, da Bezieher von Arbeitslosenhilfe gegenüber solchen mit Arbeitslosengeld benachteiligt würden. Dem wurde offiziell nicht wirklich widersprochen, denn lt. Presseinfo Nr. 13/03 der Bundesanstalt erklärte das für das operative Geschäft zuständige BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt:
Jeder Arbeitslose erhält das Angebot, dass er braucht, um in den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden, wonach bspw. berufliche Fortbildung bei kurzer Arbeitslosigkeit besonders erfolgreich sei. Das ist allerdings nach Auffassung der quer kein Wunder, denn bei kurzzeitig Erwerbslosen ist - statistisch gesehen - die Arbeitssuche auch ohne Maßnahmen des Arbeitsamtes am erfolgversprechendsten, denn genau da finden ArbeitnehmerInnen mit Qualifikationen, an denen es am Markt mangelt, den neuen Job.
BA-Vorstandsmitglied Alt weiter: Bei Langzeitarbeitslosen hätten sich dagegen betriebliche Trainingsmaßnahmen als besonders wirksam erwiesen (BA-Presse-Information vom 3.3.03). Zu beachten ist hier die Wortwahl wirksam, was wohlweislich nicht Vermittlung in Arbeit bedeutet. Trainingsmaßnahmen sind ein Instrument, die Zahl der Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Nichterwerbsarbeit zu steigern. Nach Zahlenangaben der BA vom Januar 2003 wurde für das Jahr 2002 eine um ca. 283.000 gestiegene Zahl solcher Abgänge errechnet; allein 233.000 Personen mehr als im Vorjahr verschwanden durch Nichterneuerung der Meldung bzw. fehlender Mitwirkung (zumindest vorläufig) aus der Statistik. Insgesamt wurden damit ca. 1,25 Mio. Personen um Leistungen der Ämter gebracht - ein wahrlich beeindruckendes Ergebnis der sogenannten aktivierenden Arbeitsmarktpolitik.
Um den Einsatz von Trainingsmaßnahmen gegen bestimmte Zielgruppen zu effektivieren, wurde zum Jahresanfang die alte 12-Wochen-Grenze der jährlichen Zuweisung in Trainingsmaßnahmen von der BA gekippt. Fortan gilt, dass nur noch die Zuordnung zu ein- und demselben Betrieb im Wege einer betrieblichen Trainingsmaßnahme auf 12 Wochen (innerhalb von vier Jahren) begrenzt ist. Nach Ablauf der 12 Wochen könnte die nächste Maßnahme angeordnet werden, nur eben in einem anderen Betrieb.
Die quer-Redaktion würde sich freuen, wenn sich möglichst viele daran beteiligen würden, Kenntnisse über aktuelle Ausgrenzungsstrategien zu verbreiten und Erwerbslose vor diesen zu warnen. Wir bitten alle, die Neues zu diesem Thema erfahren, um Zusendungen von Informationen an die Redaktionsadresse.
Alle Zitate sind Unterlagen der BA entnommen.
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