letzte Änderung am 25. Juni 2003

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Antonín Dick

Arbeit oder Arbeit: ein Prozess gegen Zwangsarbeit

"Dieselbe Sorte Arbeit kann produktiv oder unproduktiv sein. Z.B. Milton, who did the ‘Paradise Lost’ for 5 Pounds Sterling war ein unproduktiver Arbeiter. Der Schriftsteller dagegen, der Fabrikarbeit für seinen Buchhändler liefert, ist ein produktiver Arbeiter. Milton produzierte das ‚Paradise Lost’ aus demselben Grund, aus dem ein Seidenwurm Seide produziert. Es war eine Betätigung seiner Natur. Er verkaufte später das Produkt für 5 Pfund. Aber der Leipziger Literaturproletarier, der unter Direktion seines Buchhändlers Bücher (z.B. Kompendien der Ökonomie) fabriziert, ist ein produktiver Arbeiter; denn sein Produkt ist von vornherein unter das Kapital subsumiert und findet nur zu dessen Verwertung statt. Eine Sängerin, die auf ihre eigene Faust ihren Gesang verkauft, ist ein unproduktiver Arbeiter. Aber dieselbe Sängerin, von einem entrepreneur engagiert, der sie singen lässt, um Geld zu machen, ist ein produktiver Arbeiter; denn sie produziert Kapital."
Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Erster Teil

 

Am 14. 07. 2002, dem Jahrestag der Großen Französischen Revolution, reichte ich, ein z.Z. vertragslos arbeitender und politisch engagierter Theaterschaffender, beim Präsidenten des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg eine Petition ein, die sich mit der gravierenden sozialen Ungleichheit zwischen den Arbeitsvermittlern und Arbeitslosen beschäftigt. Grundlage dieser sozialpsychologischen Analyse bilden die Forschungen des französischen Aufklärers Paul Heinrich Dietrich Baron D’Holbach, eines der geistigen Wegbereiter der bürgerlichen Revolution von 1789. Während ein Mitarbeiter des Präsidenten in seinem Antwortschreiben sich für diesen „interessanten Beitrag zu den Bemühungen der Bundesanstalt, die Arbeitsämter zu kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen umzugestalten“, ausdrücklich bedankte, bereitete das für mich zuständige Arbeitsamt Berlin-Süd, aufgestört durch diese Analyse, die ökonomische Ausbeutung meines politisches Interesses vor, und zwar in der stillen Hoffnung, dass ihm fortan die arbeitsamtkritische Spitze genommen werde. Das Arbeitsamt beschrieb dieses Interesse im dürren Amtsdeutsch als Fähigkeit, „sich perfekt in schriftlicher Form (zu) verständigen“.

Mit Schreiben vom 12. 08. 2003 teilte es mir mit, dass es mich zu einem Arbeitsdienst gemäß ABM 14073/02/02 verpflichten werde. Hinter dieser Arbeitsbeschaffungsmaßnahme verbirgt sich, wie ich erst nach hartnäckigem Nachfragen in Erfahrung bringen konnte, eine 24köpfige Arbeitsbrigade von ausgebildeten IT-Spezialisten, die ein Internetportal für ISOM e.V., einen Verein zur Förderung von Behindertenarbeit, aufbauen sollen. „ISOM e.V. ist ein Jugendhilfeträger im Bereich Multimedea und Internet“, heißt es in einer Auskunft  des Vereins, der sich als produktorientierter Dienstleister für Behinderte im Medienbereich versteht.  Im Unterschied zu dieser Medienarbeit für Behinderte bin ich jedoch seit über 10 Jahren auf einem ganze anderen Arbeitsgebiet tätig, nämlich auf dem der politisch engagierten Theaterarbeit. Mein Arbeitsgebiet ist die aktive Auseinandersetzung mit Faschismus und Neofaschismus, mit Rassismus und Rechtsextremismus, mit geistiger Intoleranz und Antisemitismus. Diese Theaterarbeit genießt wegen ihrer gesellschaftlichen Relevanz hohe nationale und internationale Anerkennung. Eine umfassende Dokumentation der Öffentlichkeitswirksamkeit meiner Theaterarbeit liegt der Bundesanstalt für Arbeit vor. Meine politisch engagierte Theaterarbeit wurde im Jahre 2001 mit einer Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Mein jüngstes Gastspiel absolvierte ich Anfang Juni 2003 mit Erfolg an einer professionellen Bühne in Bonn. Obwohl gesellschaftlich anerkannt, wirft meine künstlerische Tätigkeit, zu der ich mich in regelmäßigen Abständen bei der Bundesanstalt für Arbeit aus dem Bezug von Arbeitslosenhilfe ordnungsgemäß abmelde, kein Kapital ab und ist infolgedessen – ganz im Marxschen Sinne – als unproduktive Arbeit einzustufen.  Aber der  geistig-politische Gebrauchswert meiner Theaterarbeit ist unbestritten. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärte im Jahre 2000 in einem gesonderten Beschluss die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu einer Hauptaufgabe der gesamten kommenden Epoche. Aus gegebenen Gründen sah ich mich veranlasst, die Ableistung von ABM 14073/02/02 zu verweigern (ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich im Fach Medienjournalistik weder ausgebildet bin, noch über entsprechende Berufserfahrungen verfüge).

Meine Verweigerung legte ich am 15.08.2002 in einer SGB-gestützten Beschwerde an das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg dar, auf deren Beantwortung ich übrigens bis zum heutigen Tag noch warte, sowie in einem persönlichen Vorstellungsgespräch bei ISOM e.V. am 22.08.2002 in Gegenwart einer Arbeitsvermittlerin des Arbeitsamtes Berlin-Süd.  Das Arbeitsamt Berlin-Süd reagierte prompt - nämlich am 26.08.2003 - mit einem kompletten Entzug der mir zugesprochenen Arbeitslosenhilfe. Daraufhin stellte ich am 29.08.2002 einen Neuantrag auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe. Am selben Tag schrieb das Arbeitsamt Berlin-Süd, und zwar hinter meinen Rücken,  eine beleidigende und wahrheitswidrige Begründung des Leistungsentzugs, die dann für immer als Verurteilung meiner Person in meine Akte der Bundesanstalt für Arbeit eingehen sollte. Tage später wurde mir der Bezug von Arbeitslosenhilfe erneut bewilligt, wodurch der Konflikt vorerst gelöst werden konnte. Gleichwohl blieb als unerledigter Konfliktrest sowohl der rufschädigende Akteneintrag als auch die fehlende Überweisung von 6 Tagen Arbeitslosenhilfe bestehen. Angesichts dieses  rechtlichen Sachstandes - Verletzung von Artikel 1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Tateinheit mit Verletzung von § 38 SGB I – legte ich bei der Widerspruchsstelle des Arbeitsamtes Berlin-Süd am 02.09.2002 Widerspruch ein.

Am 24.10.2002 schmetterte die Widerspruchsstelle diesen Widerspruch ohne vorgeschriebene Prüfung meiner Argumentation ab. Daraufhin reichte ich am 01.11.2002 beim Sozialgericht Berlin Klage ein, die dann später, nämlich am 09.01.2003, durch eine rechtserhebliche Klagebegründung abgestützt wurde. Am 19.06.2003 kam es schließlich – nach einer längeren Periode des Austausches von schriftlichen Erklärungen, Stellungnahmen und Gegenerklärungen – zur „mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme“  bei der 60. Kammer des Sozialgerichtes Berlin.

Zur mündlichen Verhandlung wurden geladen: ich als Kläger, eine Vertreterin der Widerspruchsstelle des Arbeitsamtes Berlin-Süd als Beklagte sowie eine Arbeitsvermittlerin des Arbeitsamtes Berlin-Süd als Zeugin. Letztere ist die eigentliche Urheberin der gegen mich ausgesprochenen Maßnahme zur Ableistung von Zwangsarbeit. Zur Verhandlung erschienen gleichfalls Arbeitskollegen, Journalisten und Freunde sowie eine große Abordnung von Angehörigen Berliner Arbeitsloseninitiativen – insgesamt etwa 25  Besucher.

Der verhandlungsführende  Richter der 60. Kammer des Berliner Sozialgerichtes gestaltete fast die gesamte Verhandlung als Dialog zwischen sich und der Zeugin, der Konflikturheberin. Die Vertretung der Beklagten kam kein einziges Mal zu Wort, ich als Kläger kam mit 5 vernachlässigbaren Kurzreaktionen zu Wort.

Der Richter hielt sich streng an den rechtlichen Rahmen, der für das Handeln der konfliktauslösenden Arbeitsvermittlerin maßgebend gewesen war. Im Verlauf des Dialogs mit der Arbeitsvermittlerin konnte er schlüssig nachweisen, dass zwei entscheidende rechtliche Voraussetzungen für die arbeitsamtliche Zuweisung dieser AMB-Stelle fehlten:

Infolgedessen, so befand das Gericht, ist die seitens des Arbeitsamtes Berlin-Süd ausgesprochene Sanktion - Entzug von Arbeitslosenhilfe – gegenüber meiner Person als rechtswidrig einzustufen. Sodann verkündete der Richter das Urteil im vorliegenden Rechtsstreit: Die Entscheidung des Arbeitsamtes Berlin-Süd vom 26.08.2002, die Zahlung von Arbeitslosenhilfe gegenüber dem Kläger einzustellen, ist aufzuheben. Die Fehltage von Arbeitslosenhilfe sind nachzuzahlen.

Applaus des gesamten Auditoriums.

Beide Konfliktparteien – ich als Kläger und die Arbeitsvermittlerin als Konflikturheberin – erklärten sich mit dem Urteil uneingeschränkt  einverstanden.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung diskutierten die Gäste und ich als Kläger in angeregter Weise den dramatischen Rechtsstreit; ein Teil der Diskussion verlagerte sich dann noch in ein nahegelegenes Café.

Abschließende Betrachtung:

Seit 1999 bemühe ich mich beim Arbeitsamt Berlin-Süd um die Einrichtung einer kostengünstigen ABM-Projektes mit dem Arbeitsschwerpunkt ‚Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus’. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland stellt seit dem Jahre 2000 für solche und ähnliche Bildungsinitiativen 65 Millionen DM bzw. 32,5 € aus dem Staatshaushalt zur Verfügung. Im Jahre 2001 sah ich mich vor diesem Hintergrund gezwungen, mich wegen der Blockadepolitik eines Arbeitsvermittlers des Arbeitsamtes Berlin-Süd an den  Präsidenten des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg mit einer schriftlichen Beschwerde zu wenden. Trotz meiner Beharrlichkeit gelang es mir bisher noch nicht, die als kulturpolitisch notwendig erkannte, antinazistische Initiative beim Arbeitsamt Berlin-Süd auch wirklich durchzusetzen.

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