Michael Wendl
26.06.2002
Wahlkampfklamauk
Eine erste Bewertung der Vorschläge der Hartz-Kommission*)
 
  - Die Sicht der Hartz-Kommission wird offensichtlich durch die Argumentation 
    geprägt, dass die Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes 
    das entscheidende Instrument zur Erhöhung der Beschäftigung sei. 
    Damit bildet das neoklassische Paradigma in seiner Vulgärversion die 
    wirtschaftswissenschaftliche Basis für diese Sicht. Gegen diese primitive 
    Sicht wird aus der Perspektive des keynesianischen Paradigmas eingewandt, 
    dass in erster Linie der Geldvermögensmarkt in der Hierarchie 
    der kapitalistischen Märkte die entscheidende Ebene für die Entwicklung 
    der Beschäftigung ist. Das heißt, dass die Deregulierung des Arbeitsmarktes 
    nur dann zu positiven Beschäftigungseffekten führt, wenn von den 
    Finanz- und Gütermärkten expansive Wirkungen ausgehen. Das ist aber 
    gegenwärtig gerade nicht der Fall. Faktisch geht es daher im Kern nicht 
    um zusätzliche Beschäftigung, sondern um die Schwächung der 
    Rechtsposition von abhängig Beschäftigten und damit verbundene Schwächung 
    der Gewerkschaften. Die Botschaft, bis 2005 die Arbeitslosigkeit zu halbieren 
    ist völlig unseriös. Rund 4 Mio registrierte Arbeitslose treffen 
    auf knapp 500 Tsd. den Arbeitsämtern gemeldete offene Stellen, wobei 
    das Angebotsprofil und das Nachfrageprofil sowohl qualifikatorisch wie regional 
    auseinander klaffen. Die anderen offenen Stellen sollen gerade nicht aus den 
    registrierten Arbeitslosen besetzt werden.
 
 
- Die politische Substanz der Vorschläge liegt in der weiteren Erosion 
    der Rechtsposition von Arbeitslosen. Diese werden zu weitgehend rechtlosen 
    Objekten der Arbeitsvermittlung, denen prekäre und belastende Arbeitsverhältnisse 
    aufgezwungen werden können, insbesondere Leiharbeit an wechselnden Arbeitsorten. 
    Auch die Lohnersatzleistungen werden durch die vorgesehene Pauschalierung 
    abgesenkt, die Bezugsdauer wird gekürzt, die Zumutbarkeitsvoraussetzungen 
    werden verschärft. Letztlich werden die Arbeitslosen so drangsaliert, 
    dass sie gezwungen werden, nahezu jede Arbeit anzunehmen. Im Kern hat sich 
    damit die Vorstellung von den arbeitsunwilligen Arbeitslosen, die zur Arbeit 
    mehr oder minder gezwungen werden müssen, durchgesetzt. Wissenschaftliche 
    Untersuchungen bestätigen diese Sicht gerade nicht (siehe DIW-Wochenbericht 
    22/2002, S. 347 ff.)
 
 
- Wenn die Erwerbstätigkeit nicht entsprechend wächst, dafür 
    gibt es zur Zeit keine makroökonomischen Anhaltspunkte - führt die 
    erzwungene Vermittlung von Arbeitslosen zu Verdrängungseffekten. Qualifizierte 
    und zugleich öffentlich subventionierte Bewerber ersetzen bereits Beschäftigte. 
    Per Saldo findet ein Austausch von Beschäftigten, aber kein nennenswerter 
    Zugewinn an Beschäftigung statt. Die Zuweisung subventionierter Arbeitskräfte 
    verstärkt den Lohndruck auf angelernte Arbeitskräfte. Diese können 
    einen existenzsichernden Lohn nicht mehr durchsetzen, weil Arbeitslose mit 
    vergleichbaren Qualifikationen zu Niedriglöhnen oder sogar kostenlos 
    angeboten werden. Dadurch kommen gerade die Löhne im Niedriglohnbereich 
    ins Rutschen, was das erklärte Ziel der neoklassisch fundierten Lohntheorie 
    ist. (Siehe dazu aktuell Ifo-Schnelldienst 9/2002: Aktivierende Sozialhilfe) 
    Dies richtet sich zentral gegen die Versuche der Gewerkschaften in diesem 
    Niedriglohnbereich existenzsichernde Tarifeinkommen durchzusetzen.
 
 
- Die Arbeitslosenhilfe wird mit der Sozialhilfe zusammengelegt und auf das 
    Niveau der Sozialhilfe reduziert werden. Damit ist der Bezug der Arbeitslosenhilfe 
    zum letzten Einkommen völlig gekappt. Die Arbeitslosenunterstützung 
    verliert dadurch ihren Charakter als eine Art Mindestlohn, unter dessen 
    Niveau angebotene Arbeit nicht akzeptiert wird. Damit wird der Arbeitsmarkt 
    im Niedriglohnbereich wieder funktionsfähig gemacht, d. h. der Preisverfall 
    der Arbeitskraft bei hoher Arbeitslosigkeit wird nicht mehr politisch durch 
    einen Quasi-Mindestlohn aus der Arbeitslosenversicherung gebremst. Faktisch 
    macht das die Gewerkschaften in dem Niedriglohnsektor handlungsunfähig. 
    Sie können Tarifverträge zwar vereinbaren. Diese stehen jedoch nur 
    auf dem Papier.
 
 
- Die mediale Inszenierung der Arbeit der Hartz-Kommission  insbesondere 
    durch den SPIEGEL  erinnert an eine ähnliche Pressekampagne, die 
    die Bundesregierung über den SPIEGEL im Mai 1999 mit einem Artikel von 
    Wolfgang Streeck und Rolf Heinze "An Arbeit fehlt es nicht" zu initiieren 
    versucht hatte. Damals ging es um die Propagierung eines öffentlich geförderten 
    Niedriglohnsektors. Die auch jetzt wieder auffallend schöngezeichnete 
    Berichterstattung im SPIEGEL soll den politischen Hintergrund bilden, vor 
    dem jede Kritik an den Vorschlägen der Hartz-Kommission als Werk von 
    betonköpfigen "Bremsern" und "Blockierern" dargestellt 
    werden kann. Diese Aufbereitung spielt ebenfalls eine nicht zu unterschätzende 
    Rolle. Auf das großmundige Versprechen von Schröder 1998, die registrierte 
    Arbeitslosigkeit am Ende der Legislaturperiode auf unter 3,5 Mio zu drücken, 
    folgt jetzt in einer Phase saisonbereinigt steigender Arbeitslosigkeit eine 
    noch viel haltlosere Ankündigung: die registrierte Arbeitslosigkeit soll 
    bis 2005 halbiert werden. Es ist in erster Linie Wahlkampfklamauk, aber auf 
    Kosten der Arbeitslosen, da in der Konsequenz einiges aus den Vorschlägen 
    der Hartz-Kommission auch von einer CDU/CSU-geführten Regierung durchgesetzt 
    wird. (Die mediale Inszenierung dieser Initiative durch Schröders "aktive 
    Hand" wird von der Financial Times Deutschland v. 25.06.2002 anschaulich 
    dargestellt.)
 
 
- Aus gewerkschaftlicher Sicht sind die Vorschläge der Hartz-Kommission 
     abgesehen von der Absicht, die Arbeitsvermittlung als solche zu intensivieren 
    und unbürokratischer zu handhaben  rundum abzulehnen. Sie widersprechen 
    eindeutig den tarif- und sozialpolitischen Positionen der Gewerkschaften und 
    sie laufen auch auf eine eindeutige Schwächung der tarifpolitischen Handlungsfähigkeit 
    der Gewerkschaften hinaus. Dass die Reaktionen aus den gewerkschaftlichen 
    Führungsetagen aktuell anders ausfallen, hat drei Gründe: Einmal 
    sind die Gewerkschaften  wenn auch schwach - in der Kommission vertreten. 
    Zum zweiten sind sie von der medialen Inszenierung beeindruckt. Sie wagen 
    es nicht, die offen unsoziale Schlagseite der Vorschläge direkt zu benennen. 
    Sie sind aber auch makroökonomisch nicht kompetent genug, um diesen Angriff 
    auf die politische Regulierung des Arbeitsmarktes argumentativ abzuwehren 
    oder anders gesagt: die, die das könnten, dürfen nicht. Aber wichtiger 
    ist der dritte Faktor: Die Gewerkschaften "eiern rum", weil sie 
    Schröder die vermeintlich letzte Chance nicht versauen wollen. Es wird 
    darauf gesetzt, dass dieser Medienartefakt die Wahlchancen von Rot-grün 
    erhöhen kann. Sie verspielen damit ihre Glaubwürdigkeit, mehr zu 
    sein, als der politische Juniorpartner einer rot-grünen Bundesregierung. 
    Es ist daher notwendig, die Vorschläge der Hartz-Kommission in gewerkschaftlichen 
    Gremien ausführlich zu diskutieren und sowohl grundsätzlich wie 
    im Detail zu kritisieren. Die Argumente dafür können präsentiert 
    werden.
*) Diese Bewertung stützt sich auf die entsprechende 
  Berichterstattung im SPIEGEL vom 24.06.2002 und in der Financial Times Deutschland 
  vom 24. bzw. 25.06.2002